Aktenzeichen 1 ZB 17.1173
Leitsatz
1 Weicht der Bauherr bei der Bauausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale, insbesondere Standort, Grundfläche, Geschossfläche, Baumasse, Nutzung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, nämlich ein „aliud“ erstellt, erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre. (Rn. 4) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Für die Bestimmung der Grenze der Wesentlichkeit der Abweichung können aufgrund der Situationsgebundenheit des Eigentums und damit der Situationsbezogenheit der für die Zulässigkeit von Bauvorhaben entscheidenden Umstände nicht für alle Fälle gleiche Größen, etwa in Zahlen ausdrückbare Maße, angegeben werden. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Ein planabweichend ausgeführtes Vorhaben ist allgemein ein aliud, wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, neuerdings oder andere zusätzliche Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
Verfahrensgang
M 1 K 16.4223 2017-03-07 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Kläger wenden sich als Eigentümer eines im Außenbereich gelegenen Grundstücks gegen die Anordnung der Beseitigung eines einsturzgefährdeten Ersatzbaus für einen Schaf- und Kleintierstall. Für das streitgegenständliche Grundstück wurde 1982 die Genehmigung für die Errichtung eines Heuschuppens mit Schafstall erteilt. Mit Bescheid des Landratsamts vom 21. September 2004 wurde die Baugenehmigung zur Errichtung eines Ersatzbaus für den vorgenannten Schaf- und Kleintierstall, befristet für die Dauer der betriebenen Fischteichanlage, erteilt. Der neu zu errichtende Ersatzbau sollte zum Teil an der Stelle des abzubrechenden Gebäudes errichtet werden. Bei einer Ortsbesichtigung im Juli 2012 wurde u.a. festgestellt, dass der Ersatzbau planabweichend neben dem 1982 genehmigten Schaf- und Kleintierstall errichtet und dieser nicht beseitigt worden war. Das von der Behörde eingeleitete Beseitigungsverfahren bezüglich des Ersatzbaus wurde mit Bescheid vom 11. August 2016 abgeschlossen. Die u.a. gegen die Beseitigungsanordnung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 7. März 2017 abgewiesen. Die Anordnung sei rechtmäßig ergangen. Der Ersatzbau sei nicht durch die Baugenehmigung von 2004 legalisiert. Das nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilende Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Ein Ermessensfehlgebrauch liege nicht vor.
Die mit der Zulassungsbegründung allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aufgrund des Vorbringens der Kläger ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Beseitigungsanordnung rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das streitgegenständliche Gebäude nicht entsprechend der Baugenehmigung vom 21. September 2004 errichtet wurde. Die Kläger haben bei der Bauausführung entgegen dieser Baugenehmigung nicht einen Ersatzbau für das bestehende (und zu beseitigende) Gebäude errichtet, sondern ein planabweichendes, größeres Gebäude zusätzlich zu der bestehenden Anlage. Eine solche Anlage lässt die Baugenehmigung aber nicht zu. Weicht jedoch der Bauherr bei der Bauausführung hinsichtlich der Identität des Bauvorhabens und seiner Wesensmerkmale, insbesondere Standort, Grundfläche, Geschossfläche, Baumasse, Nutzung, Höhe, Dachform oder Erscheinungsbild so wesentlich von der Baugenehmigung ab, dass er nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben, nämlich ein „aliud“ erstellt, erlischt die Baugenehmigung, ohne dass von ihr im Rechtssinn Gebrauch gemacht worden wäre (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand Oktober 2018, Art. 68 Rn. 120). So liegt der Fall hier.
Dass der Standort des Ersatzgebäudes um rund zwei Meter nach Norden verschoben wurde, ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen und wird von den Klägern nicht bestritten. Soweit sie geltend machen, dass es sich bei dieser Standortverschiebung sowie bei den Abweichungen von den genehmigten Gebäudemaßen (Gebäudelänge 10,05 m statt 9,55 m und Giebelhöhe 4,50 m statt 3,80 m) bei der „gebotenen natürlichen Betrachtungsweise“ lediglich um geringfügige Abweichungen von der Baugenehmigung handle, vermögen sie damit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht zu begründen. Für die Bestimmung der Grenze der Wesentlichkeit der Abweichung können aufgrund der Situationsgebundenheit des Eigentums und damit der Situationsbezogenheit der für die Zulässigkeit von Bauvorhaben entscheidenden Umstände nicht für alle Fälle gleiche Größen, etwa in Zahlen ausdrückbare Maße, angegeben werden. Ein planabweichend ausgeführtes Vorhaben ist allgemein ein aliud, wenn durch die Abweichung Belange, die bei der Baugenehmigung zu berücksichtigen waren, neuerdings oder andere zusätzliche Belange erstmals so erheblich berührt werden, dass sich die Zulässigkeitsfrage des Bauvorhabens neu stellt. Auf ein aliud weist auch hin, dass ein Vorhaben ohne Zerstörung seiner Substanz oder wesentlicher Teile mit der erteilten Baugenehmigung nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.1991 – 20 CS 89.1224 – juris Rn. 15). Entgegen der Auffassung der Kläger ist daher nicht jede – und sei sie noch so geringfügig – Abweichung ausreichend. Die nach den vorliegenden Unterlagen festzustellenden Abweichungen von den genehmigten Gebäudemaßen betragen aber in der Länge und der Höhe des Gebäudes jeweils mindestens 50 cm und überschreiten daher den Rahmen der Geringfügigkeit. Auf die Größe des Grundstücks kommt es dabei nicht entscheidend an. Jedenfalls aber kann eine Verlegung des Ersatzbaus an die in der Baugenehmigung vorgesehene Lage auf dem Grundstück nicht ohne Zerstörung wesentlicher Teile vorgenommen werden.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet auch nicht insoweit ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit, als es eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange durch das als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 und 3 BauGB anzusehende Bauvorhaben feststellt. Ungeachtet der Frage der ausreichenden Darlegung übersehen die Kläger, dass der Ersatzbau wegen der nicht nur geringfügig abweichenden Ausführung von der Baugenehmigung nicht gedeckt ist und das Vorhaben daher uneingeschränkt auf seine Zulässigkeit zu überprüfen ist. Darauf, ob nach der planungsrechtlichen Situation 2004 eine für die Dauer der betriebenen Fischteichanlage befristete Baugenehmigung überhaupt hätte erteilt werden dürfen, kommt es nicht entscheidend an.
Die Richtigkeit des angefochtenen Urteils kann schließlich auch nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass das Verwaltungsgericht einen Ermessensfehler des Landratsamts verneint hat. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, kommt zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu BVerwG, B.v. 12.12.2013 – 4 C 15.12 – NVwZ 2014, 454; BayVGH, U.v. 3.7.2018 – 1 B 16.2374 – juris Rn. 16) eine Genehmigungsfähigkeit des Ersatzbaus aufgrund nur geringfügiger Abweichungen von der Baugenehmigung nicht in Betracht. Das Vorhaben ist vielmehr planungsrechtlich unzulässig.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).