Baurecht

Anordnung sofortige Vollziehung, Absicherungsanordnung, Gefahr für Leben und Gesundheit

Aktenzeichen  M 11 S 21.5408

Datum:
12.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44377
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1 2. Alt.
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2
BayBO Art. 54 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 12. Oktober 2021 wird hinsichtlich der Ziff. 2 des Bescheids vom 17. September 2021 wiederhergestellt und hinsichtlich Ziff. 4 b) angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Verpflichtung zur Absicherung der westlichen Fassade des Gebäudes auf dem Grundstück mit der FlNr. 26 der Gemarkung …
Das streitgegenständliche Grundstück steht im Eigentum des Antragstellers und ist mit mehreren Gebäuden bebaut. Die westliche Seite des Grundstücks grenzt an die S. … straße an. Etwa auf Höhe des L. …wegs ist das Grundstück mit einem Wohnhaus, Hausnummer S. … straße 5, bebaut, welches ca. im Jahr 1914 mit der Giebelwand in einem Grenzabstand zwischen 0,8 m bis 1,06 m zur S. … straße errichtet wurde. Das Gebäude wird derzeit nicht bewohnt. Der Antragsteller ist aus gesundheitlichen Gründen in einem …heim untergebracht. Der Antragsteller strebt die Rückkehr in das Wohnhaus an, diese ist zeitlich derzeit nicht absehbar.
Im Vorgriff geplanter Kanalarbeiten der Gemeinde P. … (Gemeinde) in der S. … straße wurde der Bauzustand hieran angrenzender Gebäude im Rahmen einer qualifizierten Beweissicherung dokumentiert. Dabei wurden im Rahmen einer Ortsbesichtigung am 10. Juni 2021 verschiedene Schäden insbesondere am Mauerwerk des streitgegenständlichen Wohnhauses des Antragstellers festgestellt. Am 1. Juli 2021 fand daraufhin eine Begutachtung des Gebäudes hinsichtlich der Standfestigkeit des Gebäudes durch die Firma … … GmbH (Firma) statt. Diese kam ausweislich einer Aktennotiz zu dem Ergebnis, dass der Verbund der straßenseitigen Giebelwand an das Gebäude stark beeinträchtigt sei. Erschütterungen etwa durch Kanalarbeiten direkt vor der Wand könnten zu einer Vergrößerung der Schäden und einer Ablösung der Giebelwand mit Verlust der Standsicherheit führen. Es wurden dringend Sicherungsmaßnahmen für die Giebelwand empfohlen. Die Gemeinde teilte dies unter Vorlage der Aktennotiz der Firma … dem Landratsamt … (Landratsamt) mit Schreiben vom 9. Juli 2021 mit und bat um bauaufsichtliches Einschreiten.
Ausweislich einer Aktennotiz vom 12. Juli 2021 zu einem Telefonat zwischen der Firma … und dem Landratsamt wurde dem Landratsamt mitgeteilt, dass aus Sicht der Firma eine Nutzungsuntersagung sowie die Sicherung der Giebelwand zur Straßenseite hin erforderlich sei. Ein statisches Gutachten werde durch die Firma nicht erstellt.
Am 13. Juli 2021 fand eine Ortsbegehung durch das Landratsamt unter der Anwesenheit des Sohnes des Antragstellers statt. Dabei erklärte dieser, dass das Haus derzeit nicht bewohnt werde. Die Risse im Haus würden bereits seit längerer Zeit bestehen. Er könne nicht sagen, ob diese im Laufe der Zeit größer geworden seien.
Ausweislich einer Aktennotiz fand am 19. Juli 2021 ein weiteres Telefonat zwischen dem Landratsamt und dem Statiker der Firma … statt. Danach sei die westliche Giebelwand augenscheinlich nicht mehr mit dem Gebäude verbunden. Nach Einschätzung des Statikers bestehe jedoch keine akute Einsturzgefahr. Eine solche sei derzeit erst bei Beginn der Kanalarbeiten zu befürchten.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2021 wies die Gemeinde gegenüber dem Landratsamt darauf hin, dass nach ihrer Auffassung jedwede Erschütterung zu einem Einsturz des Gebäudes oder zum Herabfallen einzelner Gebäudeteile führe könne und hierdurch eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern bestehe. Es werde daher dringend um Maßnahmen der Gefahrenabwehr gebeten.
In der Folge wurde der Straßenbereich vor der westlichen Fassade des Gebäudes des Antragstellers durch die Gemeinde mit einem Bauzaun abgesichert.
Ausweislich einer Aktennotiz vom 9. August 2021 fand an diesem Tag ein weiteres Telefonat zwischen der Firma … und dem Landratsamt statt. Auf Nachfrage des Landratsamts mit Verweis auf das Schreiben der Gemeinde vom 18. Juli 2021 habe der Statiker der Firma erklärt, dass er aufgrund des persönlichen Augenscheins eine Räumung des Gebäudes für notwendig gehalten hätte, wenn dieses noch bewohnt wäre. Es sei möglich, dass bei einem regelmäßigen Lkw-Verkehr vor dem Haus die Standfestigkeit des Gebäudes weiter beeinträchtigt werde. Er halte die Situation für nicht unbedenklich und empfehle, ein Gutachten zu beauftragen.
Am 11. August 2021 fand eine weitere Ortsbesichtigung durch das Landratsamt statt. Nach den dort getroffenen Feststellungen seien die Nord-, Süd- und Ostfassade nach ihrem optischen Eindruck standsicher, solange die Westfassade stehen bleibe. Im Kontrollbericht wurde dabei durch den Verfasser vermerkt „ich bin kein Statiker!“. Das Dach, die Dacheindeckung und der Außenputz seinen in gutem Zustand, der bauliche Zustand der Kamine sei nicht optimal und solle beobachtet werden.
Mit Schreiben vom 19. August 2021 teilte die Gemeinde gegenüber dem Landratsamt mit, dass der zur Sicherung des Straßenbereichs vor der westlichen Hausfassade aufgestellte Bauzaun zum 30. September 2021 entfernt werde. Die geplanten Kanalarbeiten würden aufgrund der bestehenden Gefahrensituationen auf unbestimmte Zeit verschoben. Sobald die von dem Wohngebäude ausgehende Gefahr beseitigt sei, könne die bislang gesperrte S. … straße wieder freigegeben werden.
Mit Schreiben vom 19. August 2021 wurde der Antragsteller zur beabsichtigten Anordnung einer kurzfristigen Absperrung des Gebäudes beispielsweise durch einen Bauzaun sowie hinsichtlich der Anordnung von Maßnahmen zu einer langfristigen Sicherung des Gebäudes, welche innerhalb von 3 Monaten auszuführen seien, angehört.
Mit Schreiben vom 1. September 2021 erklärte die Gemeinde gegenüber dem Landratsamt, dass die Gemeinde die Nutzung der gemeindlichen Grundstücke, welche der Westfassade des Wohnhauses des Antragstellers gegenüberliegen, durch den Antragsteller zur Absicherung vor drohenden Gefahren dulde. Da durch die Absperrung der Straßenraum auf Höhe der S. … straße 5 nicht dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stehe und durch notwendige Absicherungsmaßnahmen am Gebäude die Wiederaufnahme der unterbrochenen Kanalsanierungs- und Erschließungsarbeiten der Gemeinde verzögert würden, was zu einem beträchtlichen finanziellen Schaden führe, werde um eine Fristsetzung zur Durchführung der Sicherungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller von weniger als 3 Monaten gebeten.
Am … September 2021 teilte der Sohn des Antragstellers telefonisch dem Landratsamt mit, dass keine Pflicht zur Absicherung des Gebäudes gesehen werde. Ein Abriss sei derzeit nicht denkbar.
Mit Bescheid vom 17. September 2021 wurde der Antragsteller verpflichtet, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Bescheids die westliche Fassade des Gebäudes S. … straße 5 durch eine 2 m hohe Absperrung (z.B. Bauzaun) abzusichern (Ziffer 1). Die Einzelheiten zum Umfang der Absperrung wurden näher beschrieben; ferner wurde ein Lageplan beigefügt, welcher die Positionierung des angeordneten Bauzauns darstellt. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die Gemeinde insoweit die Nutzung der zur Errichtung der Absperrung notwendigen Grundstücke dulde. Die notwendige Vollsperrung der S. … straße habe entsprechend der dem Verkehr erforderlichen Anordnungen in Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde zu erfolgen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass bei einer Beseitigung des Gebäudes oder eines Nachweises der Standfestigkeit des Gebäudes durch das Gutachten eines Tragwerkplaners innerhalb der Frist, der Sachverhalt neu zu bewerten wäre und daher ggf. um Mitteilung gebeten werde. Ferner wurde der Antragsteller verpflichtet, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Bescheids anstelle der vorläufigen Absicherung nach Ziff. 1 die westliche Fassade des Wohngebäudes so zu sichern, dass die statische Standsicherheit vollständig gewährleistet sei (z.B. durch Anbringung tragfähiger Platten inkl. eventuell notwendiger Vergurtungen an der Außenwand, die die gesamte Westfassade vor einem Umfallen oder Zusammenstürzen sichern, mit Rückverankerung an statisch geeigneten Bauteilen im Gebäude, z. B. an den Geschossdecken) (Ziffer 2). Hierzu erfolgte ebenfalls der Hinweis, dass bei Beseitigung des Gebäudes oder bei Nachweis der Standfestigkeit durch Gutachten eines Tragwerkplaners innerhalb der Frist, der Sachverhalt neu zu bewerten sei und ggf. um entsprechende Mitteilung gebeten werde. Die Anordnungen unter Ziff. 1 und 2 des Bescheids wurden für sofort vollziehbar erklärt (Ziffer 3). Ferner wurden hinsichtlich der Anordnungen in Ziff. 1 ein Zwangsgeld von 500 EUR und hinsichtlich Ziff. 2 von 750 EUR angedroht (Ziffer 4). Die Anordnungen zur Absicherung der westlichen Fassade des Wohnhauses werde auf Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gestützt. Aufgrund der Stellungnahmen des Statikers der Firma … und der Ortsbesichtigungen durch das Landratsamt seien bauliche Mängel festgestellt worden, die sich bei einer weiteren Belastung des Mauerwerks durch Erschütterungen etwa durch geplante Kanalarbeiten oder normalen Durchgangsverkehr von Lkw oder schweren landwirtschaftlichen Maschinen, wie es im Dorfgebiet durchaus üblich sei, verschlimmern könnten und zu einem Ablösen der Giebelwand und damit zum Verlust der Statik des Gebäudes führen könnten. Hierdurch würden Passanten und vorbeifahrende Personen potenziell an Leben und Gesundheit gefährdet. Die Anordnungen seien zudem ermessensgerecht. Die vorläufige Absicherung mittels eines Bauzauns sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich schnell möglich. Die Gemeinde dulde die Aufstellung des Bauzauns auf deren Grundstücken. Die Maßnahme sei auch geeignet, die Gefahr von Verletzungen im Falle eines Umstürzens der Mauer zu verhindern. Ein milderes Mittel sei nicht ersichtlich. Eine verlängerte vorläufige Absicherung durch einen Bauzaun sei der Gemeinde nicht zuzumuten, da hierdurch die Nutzung der gemeindlichen Grundstücke sowie der Verkehrsfläche belastet würde. Schließlich sei die Anordnung unter Berücksichtigung des Interesses der Allgemeinheit an rechtmäßigen und sicheren Zuständen und des privaten Interesses des Antragstellers an der Beibehaltung der derzeitigen Situation angemessen. Wer eine bauliche Anlage nicht so instand halte, dass davon keine Gefahr für Leben und Gesundheit für Dritte ausgehe, müsse mit der Anordnung geeigneter Absicherungsmaßnahmen rechnen. Die Frist von zwei Wochen sei bewusst kurz gewählt, jedoch angemessen. Hierbei sei insbesondere berücksichtigt worden, dass die derzeitige Absicherung durch die Gemeinde am 8. Oktober 2021 entfernt werde und bis dahin eine neue Sicherung erfolgen müsse. Auch die Frist zur langfristigen Absicherung sei kurz gewählt, jedoch ebenfalls angemessen. Dabei sei insbesondere das Interesse der Gemeinde und des öffentlichen Verkehrs sowie die Möglichkeit des Antragstellers, der Anordnung trotz der Corona-Krise sowie seines Krankenhausaufenthalts nachzukommen, berücksichtigt. Der Antragsteller sei als Zustandsstörer richtiger Adressat der Anordnung. Die Gefährdung durch die mangelnde Standfestigkeit des Gebäudes sei zwar erst im Zuge geplanter Kanalarbeiten durch die Gemeinde bekannt geworden, jedoch bestehe die Gefahr unabhängig von den Bauarbeiten etwa auch durch normalen Verkehr. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinsichtlich der Ziff. 1 und 2 sei geboten, da nur hierdurch die akute Gefahrenlage behoben und damit die bestehenden Gefahren für Leben, Eigentum und Gesundheit der Anwohner und Verkehrsteilnehmer ohne weitere Verzögerung beseitigt würden.
Hiergegen erhob der Antragsteller am … Oktober 2021 Klage beim Verwaltungsgericht München (M 11 K 21.5406) und beantragte zudem,
die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 17. September 2021 anzuordnen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller insbesondere vortragen, dass die Gemeinde die dem Wohnhaus des Antragstellers gegenüberliegenden vormals landwirtschaftlich genutzten Grundstücke erworben und dort umfangreiche Baumaßnahmen durchgeführt habe. Diese hätten über Jahre durch Nutzung schwerster Geräte im Bereich der S. … straße und des Anwesens des Antragstellers stattgefunden. Hierbei habe das Wohnhaus des Antragstellers keinen Schaden genommen. Eine Überprüfung der Standsicherheit des Gebäudes habe nicht stattgefunden. Erst im Zuge der Kanalisationsarbeiten im Sommer 2021 sei das Anwesen untersucht worden. Hierbei habe es sich um eine optische Prüfung gehandelt. Eine Überprüfung, ob der Verbund der Giebelwand an das Gebäude gegeben sei oder lediglich Putzrisse vorliegen würden, sei hierbei nicht erfolgt. Die Ausführungen in der Aktennotiz der Firma … zum Verbund von Giebelwand und Gebäude seien lediglich als Einschätzung zu werten. Es erschließe sich nicht, weshalb keine genaue Untersuchung erfolgt sei. Im äußeren Bereich des Gebäudes seien keinerlei Risse festzustellen, welche einen fehlenden Verbund von Giebelwald um Gebäude nachweisen würden. Für die Gemeinde ergebe sich ein Problem aus der Situation daraus, dass zur Anbindung des geschaffenen Baugebiets an den bestehenden Kanal in der S. … straße umfangreiche Kanalbauarbeiten notwendig seien, welche in unmittelbarer Nähe zum Gebäude des Antragstellers stattfinden müssten. Die Gemeinde habe im Vorfeld der Bauarbeiten dem Antragsteller eine Vereinbarung vorgeschlagen, nach der der Antragsteller zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten ein Gutachten zur Standsicherheit vorlegen solle; im Falle der Durchführung von Sicherungsmaßnahmen oder des Abrisses des Gebäudes sei eine Beteiligung von 10.000 EUR in Aussicht gestellt worden. Dieses Angebot habe der Antragsteller nicht angenommen. Entgegen der Ansicht des Landratsamts gehe vom Gebäude des Antragstellers keine Gefahr für die Öffentlichkeit aus, zumindest sei eine solche nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Eine notwendige sorgfältige Untersuchung des Gebäudes habe nie stattgefunden. Die festgestellten Risse im Inneren des Gebäudes würden bereits seit Jahren bestehen. Hinsichtlich der geplanten Arbeiten der Gemeinde könne es zwar zu Beeinträchtigungen des Anwesens des Antragstellers kommen, für eine ausreichende Befestigung habe im vorliegenden Fall jedoch die Gemeinde zu sorgen, wie dies bei Anwesen im westlichen Bereich des neuen Plangebiets durchgeführt worden sei. Eine Schädigung des Gebäudes durch normalen oder landwirtschaftlichen Verkehr sei nicht zu befürchten. Ferner könnten die festgestellten Risse im Gebäude unterschiedliche Ursachen haben. Die verlangten Sicherungsmaßnahmen wären zudem völlig überzogen. Ein Einsturz der Giebelwand sei nur zu befürchten, wenn das Kellergeschoss, auf welchem die Giebelwand aufbaue, durch Kanalbauarbeiten geschädigt werde. Informationen, bis in welche Tiefe Abgrabungen bei den geplanten Bauarbeiten notwendig seien, lägen nicht vor. Die Anordnung der Aufstellung eines Bauzauns sei ungeeignet, da die eigentliche Gefahr hierdurch nicht beseitigt werde. Zudem sei die Anordnung unnötig, da die Gemeinde bereits einen Zaun aufgestellt und in einem Schreiben vom 16. Juni 2021 mitgeteilt habe, dass die S. … straße bis April 2022 voll gesperrt werde. Die Verpflichtung sei gegenüber dem Antragsteller nur ausgesprochen worden, um der Gemeinde weitere Ausgaben zu ersparen. Der Bescheid sei insoweit ermessensfehlerhaft. Soweit die Gemeinde ihren Verpflichtungen zur Sicherung während der Bauarbeiten nachkomme, sei das Abfallen von Teilen des Bauwerks oder das Umstürzen des Bauwerks nicht zu befürchten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung könne keinen Bestand haben, da kein besonderes öffentliches Interesse bestehe. Das Interesse der Gemeinde an einer zügigen Durchführung der von ihr geplanten Baumaßnahmen stelle lediglich ein privatrechtliches Interesse dar. Eine Anfrage der Gemeinde oder des Landratsamts hinsichtlich einer gutachterlichen Überprüfung des Gebäudes auf Standsicherheit habe es nicht gegeben, dabei hätte der Antragsteller einer solchen Bitte gegebenenfalls entsprochen.
Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2021 nahm das Landratsamt hierzu Stellung und beantragte,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung wurde zunächst auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. September 2021 Bezug genommen. Ergänzend wurde vorgetragen, dass die streitgegenständlichen bauaufsichtlichen Maßnahmen Ergebnis einer eigenen Prüfung und Bewertung des Bauzustandes des Gebäudes durch das Landratsamt seien, welche sich auf Ortsbesichtigungen durch eigenes Fachpersonal, interne Rücksprachen sowie Aussagen des Statikers der Firma … stütze. Die Sicherungsmaßnahmen seien allein angeordnet worden, um einer Gefahrenlage für die Allgemeinheit aufgrund eines Versagens der Standsicherheit der westlichen Fassade zu begegnen und nicht um den geplanten Bauarbeiten der Gemeinde Vorschub zu leisten. Dies ergebe sich auch daraus, dass ein Einschreiten durch das Landratsamt zunächst abgelehnt worden sei. Erst die detaillierten Nachfragen beim Statiker der Firma … hätten ergeben, dass die Giebelseite auch ohne die Bauarbeiten allein aufgrund des Straßenverkehrs einstürzen könne. Hierdurch entstehe die Gefährdung von Passanten und vorbeifahrenden Personen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers habe der Freistaat kein statisches Gutachten auf Kosten des Steuerzahlers beauftragen müssen. Der Amtsermittlungsgrundsatz befreie den Bauherrn nicht von der Einhaltung seiner Pflichten nach Art. 3 und Art. 10 BayBO. Insoweit sei in den Bescheid ausdrücklich ausgenommen worden, dass der Antragsteller die Möglichkeit habe, durch ein solches Gutachten nachzuweisen, dass keine solche Gefahr bestehe. Eine sofortige Gefahrenabwehr sei geboten, wenn deutliche Hinweise für eine fehlende Standsicherheit bestünden. Dies sei gegeben soweit ein Eigentümer den Gebäudeunterhalt soweit vernachlässige, dass technische Fachleute von einer realistischen Gefährdung ausgehen würden. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers darauf hinweise, dass die Gemeinde die geplanten Kanalbauarbeiten rechtswidrig ausführe, sei dies für die Beurteilung der vorliegenden bauaufsichtlichen Frage nicht relevant, sondern es handele sich um eine zivilrechtliche Frage zwischen der Gemeinde und dem Antragsteller. Der Bescheid sei geeignet, erforderlich und angemessen, um die Gefahrenlage schnell und adäquat zu beseitigen. Es sei insbesondere ein ausreichender Handlungsspielraum des Antragstellers eingeräumt worden. Der Antragsteller habe die Wahl, durch ein Gutachten seinerseits die Standsicherheit nachzuweisen, eine Absperrung wie in Ziff. 1 des Bescheids angeordnet zu errichten oder durch sonstige bauliche Maßnahmen ein Einstürzen des Giebels auf die Straße zu verhindern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts und Behördenakten sowie auf das Klageverfahren (M 11 K 21.5406) Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
1. Der Eilantrag ist zulässig, insbesondere statthaft, da die in der Hauptsache erhobene Klage hinsichtlich der Ziff.1 und 2 (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 Satz 1 VwGO) aufgrund des im Bescheid angeordneten Sofortvollzugs und hinsichtlich Ziff. 4 kraft Gesetz (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG)) keine aufschiebende Wirkung hat.
2. Der Antrag ist teilweise begründet.
Das Gericht der Hauptsache kann gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Dabei trifft das Gericht eine eigene Abwägungsentscheidung darüber, ob das öffentliche Interesse an einem sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder das Interesse des Betroffenen an einem Zuwarten bis zur Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Klage höher zu bewerten ist. Im Rahmen der dabei anzustellenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung, und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt. Zentraler Maßstab bleibt dabei unabhängig davon, ob die sofortige Vollziehbarkeit kraft Gesetzes besteht oder behördlich angeordnet wurde, dass der Rechtsschutzanspruch des Antragstellers umso stärker ist und umso weniger zurückstehen darf, je mehr die Maßnahmen Unabänderliches bewirken (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 29; BVerwG, B.v. 14.4.2005 – 4 VR 1005/04 -juris Rn. 12).
2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig.
Die schriftliche Begründung der Anordnung durch den Antragsgegner erfüllt die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da der Antragsgegner die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe seiner Entscheidung angegeben hat. Hierbei wurde insbesondere auf eine drohende Gefahr für Leben, Eigentum und Gesundheit der Anwohner und Verkehrsteilnehmer aufgrund des baulichen Zustands des streitgegenständlichen Wohnhauses abgestellt, welche im Falle einer aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht umgehend beseitigt werden könne. Die Anforderung des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO stellt dabei nur eine formelle Voraussetzung dar, auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung kommt es hierbei nicht an (Eyermann/Hoppe, 15. Aufl. 2019, VwGO § 80 Rn. 55).
2.2 Die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche summarische Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten sowie der vorliegenden Behördenakte ergibt, dass die Klage des Antragstellers hinsichtlich Ziff. 1 des angegriffenen Bescheids aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird. Die streitgegenständliche Anordnung ist insoweit voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller somit nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Hinsichtlich der Anordnung in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheids ergibt die summarische Prüfung hingegen, dass die Klage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird, da die streitgegenständliche Anordnung rechtswidrig ist und den Antragsteller somit in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
a) Die Anordnung zur Absicherung des Bereichs vor der westlichen Fassade des streitgegenständlichen Wohnhauses mittels eines Bauzauns o.ä. in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheids ist rechtmäßig.
Dabei kann zunächst offenbleiben, ob die Anordnung provisorischer Sicherungsmaßnahmen bei einer Gefahr für Personen durch herabstürzende Bauteile und die Anordnung von Maßnahmen zur Gewährleistung der Standsicherheit auf die allgemeine Befugnisnorm des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO gestützt werden konnte (so VG Augsburg, U.v. 11.4.2018 – Au 4 K 17.1839 – juris Rn. 47; vgl. auch Busse/Kraus/Dirnberger, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 54 Rn. 52) oder auf Art. 54 Abs. 4 BayBO (Anforderungen bei bestandsgeschützten Gebäuden) zurückzugreifen ist. Ein etwa nötiger Austausch der Rechtsgrundlage ist jedenfalls möglich. Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (BVerwG, U.v. 31.3.2010 – 8 C 12.09 – juris Rn. 16; U.v. 19.8.1988 – 8 C 29.87 – juris Rn. 13). So liegt der Fall hier, denn Anlass (Baufälligkeit eines Gebäudes führt zu Gefahren für Leib und Leben von Personen) und Ziel (Beseitigung dieser Gefahren) der Maßnahmen ist identisch und es ergeben sich keine unterschiedlichen Anforderungen hinsichtlich der anzustellenden Ermessenserwägungen.
aa) Die Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 4 BayBO liegen hinsichtlich der angegriffenen Anordnung zur Absicherung des Bereichs der westlichen Fassade des streitgegenständlichen Gebäudes mittels eines Bauzauns o.ä. vor.
Nach Art. 54 Abs. 4 BayBO können bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen durch die Bauaufsichtsbehörde Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Von einer erheblichen Gefahr ist dann auszugehen, wenn die Gefahr oder der Nachteil nach objektiven Gegebenheiten schwerwiegend und nachhaltig ist. Hierbei muss es sich um eine konkrete Gefahr handeln, d.h. um eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt. Maßstab für die Eingriffsschwelle ist der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz, wonach an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Da es sich bei den Rechtsgütern Leben und Gesundheit um hochwertige Rechtsgüter handelt, zu deren Schutz der Staat gemäß Art. 2 Abs. 2 GG auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist, sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2020 – 9 CS 20.2415 – juris Rn. 22; B.v. 3.4.2020 – 15 ZB 19.1024 – juris Rn. 14). Die mangelhafte Standsicherheit einer baulichen Anlage, führt im Fall der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Einsturzes regelmäßig zu erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen, die sich darin oder in deren unmittelbarem Umfeld aufhalten können (vgl. auch BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 15 C 18.2324 – juris Rn. 32). Einsturzgefährdete Gebäude oder Teile solcher stellen daher einen wichtigen und typischen Anwendungsfall des Art. 54 Abs. 4 BayBO dar (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2018 – 15 CS 18.1563 – juris Rn. 23 m.w.N.). Auch hier gilt, dass bei einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Personen – hier von Passanten – hochwertige Rechtsgüter gefährdet sind, zu deren Schutz der Staat durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich verpflichtet ist, und dass deshalb an die Möglichkeit, dass diese Personen im Falle eines nicht auszuschließenden Gebäudeeinsturzes zu Schaden kommen, keine besonders hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zur Erfüllung des Begriffs der erheblichen Gefahr zu stellen sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.6.2011 – 14 CS 11.790 – juris Rn. 24; B.v. 29.11.2011 – 14 CS 11.2426 – juris Rn. 19). Angesichts des hohen Stellenwertes der Rechtsgüter Leben und Gesundheit genügt es für die Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 54 Abs. 4 BayBO, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts nach einer auf konkreten Tatsachen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist (BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 15 C 18.2324 – juris Rn. 32).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsgegner hat zu Recht darauf abge stellt, dass ein eventueller Einsturz der westlichen Gebäudefassade aufgrund objektiver Anhaltspunkte (insbesondere die massiven Risse im Mauerwerk im Innenbereich des Gebäudes) gemäß der im Ordnungsrecht gebotenen exante-Betrachtung als möglich erscheint. Gegen die Feststellung und Schlussfolgerung des Antragsgegners, dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die von Art. 10 BayBO geforderte Standsicherheit nicht mehr gegeben sein könnte, welche auf den durchgeführten Ortsbesichtigungen am 15. Juli 2021 und 11. August 2021, der herangezogenen schriftlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. …, der Firma …, vom 1. Juli 2021 und den hierzu geführten Telefonaten vom 12. Juli 2021 und 9. August 2021 beruhen, ist nichts zu erinnern. Die in den Akten befindlichen Lichtbilder (insbesondere Seiten 83 bis 86 und 92 bis 96 der Behördenakte) belegen, dass im betroffenen Mauerwerk der Westseite des Gebäudes teils massive Risse bestehen. Nach den aktenkundigen Einschätzungen des Dipl.-Ing. …, welche dieser aufgrund einer persönlichen Besichtigung am 1. Juli 2021 gewonnen hat, scheint angesichts dieser bestehenden Schäden eine Ablösung der westlichen Giebelwand bei einer Vergrößerung der Risse infolge von Erschütterungen vor der Hauswand zu befürchten. Eine Vergrößerung der Risse und mithin eine Verschlechterung bis hin zum Verlust der Standfestigkeit soll dabei nicht nur durch unmittelbar vor der betroffenen Wand stattfindende Bauarbeiten, sondern auch durch Erschütterungen in Folge üblichen öffentlichen LKW-Verkehrs möglich sein. Zwar lassen diese fachlichen Einschätzungen letztlich offen, ob tatsächlich eine Beeinträchtigung der Standsicherheit des Gebäudes vorliegt. Zudem beruhen sie nicht auf einer gutachterlichen Untersuchung der Standfestigkeit durch den Dipl.-Ing. …, vielmehr wurde eine solche von diesem sogar angeregt. Ferner ist für das Gericht mangels detaillierter Unterlagen nicht abschließend nachvollziehbar, wie das Ergebnis der Stellungnahme im Einzelnen zustande gekommen ist. Gleichwohl liegen nach summarischer Prüfung insgesamt auf objektiven Tatsachen beruhende ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass tatsächlich eine Beeinträchtigung der Standfestigkeit der Gebäudewand und damit die Gefahr eines Einsturzes bestehen könnte. Angesichts des hohen Werts der gefährdeten Schutzgüter Leben und Gesundheit Dritter sind nach den dargestellten Grundsätzen hierbei keine zu hohen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Einsturzes der Wand zu stellen. Dies gilt auch, wenn das Vorliegen einer Gefahrensituation – hier die reale Beeinträchtigung der Standfestigkeit der Wand – tatsächlich unklar ist. Eine Maßnahme der Gefahrenabwehr – ist entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers – auch in solchen Fällen ohne Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (Art. 24 Abs. 1 BayVwVfG) zulässig, da ein aufgrund objektiver Umstände bestehender gerechtfertigter Gefahrenverdacht bereits das Vorliegen einer zum (bau-) ordnungsrechtlichen Eingriff berechtigende Gefahr begründet, deren Umfang und Auswirkungen aber noch nicht voll übersehbar sind BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 15 C 18.2324 – juris Rn. 29). Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers zu Recht darauf hinweist, dass eine Beeinträchtigung der Standsicherheit des Gebäudes nicht zweifelsfrei nachgewiesen und bislang keine gutachterliche Untersuchung der Standfestigkeit der Westseite des Gebäudes stattgefunden habe, führt dies damit nicht zu einer anderen Beurteilung. Wie dargestellt ist der positive Nachweis einer fehlenden Standfestigkeit gerade nicht Voraussetzung für bauaufsichtliches Einschreiten im Wege der Gefahrenabwehr nach Art. 54 Abs. 4 BayBO, sondern es genügt, wenn die Möglichkeit eines Schadeneintritts nach einer auf konkreten Tatsachen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist. Auch der Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers, dass das Gebäude trotz anderweitiger in unmittelbarer Nähe stattfindender Bauarbeiten bislang keinen weiteren Schaden genommen habe, die festgestellten Risse bereits seit mehreren Jahren bestünden sowie die Behauptung, dass eine Schädigung des Gebäudes aufgrund normalen oder landwirtschaftlichen Verkehrs nicht zu befürchten sei, führt zu keiner anderen Einschätzung der Gefahrensituation. Der Vortrag gibt vielmehr die persönliche Einschätzung des Antragstellers bzw. seines Bevollmächtigten wieder und ist bislang nicht fachlich belegt oder geeignet, die objektiven Feststellungen hinsichtlich der vorhandenen Mauerschäden zu entkräften.
bb) Der Antragsgegner hat die Verpflichtung zur Absicherung auch zu Recht an den Antragsteller als Zustandsstörer i.S.v. Art. 9 LStVG gerichtet.
Die Gefährdungssituation, welche durch die Anordnung beseitigt werden soll, geht von der westlichen Außenwand des Wohnhauses aus, welches im Eigentum des Antragstellers steht. Die Gefahr einer weiteren Schädigung der Wand und damit des Verlustes der Standfestigkeit besteht, wie dargestellt, aufgrund ihres Erhaltungszustands und könnte sich in Folge des üblichen öffentlichen Durchgangsverkehrs auf der S. … straße, welche unmittelbar an der Wand vorbeiführt, realisieren. Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten des Antragstellers geht die Gefahr damit allein von dem baulichen Zustand des Gebäudes des Antragstellers aufgrund unterlassener Instandhaltungsmaßnahmen aus und ist nicht nur mögliche Folge von geplanten Kanalbauarbeiten der Gemeinde. Damit erfolgt die Inanspruchnahme des Antragstellers gerade nach dem Verursacherprinzip und nicht, wie vorgetragen, um der Gemeinde die Kosten einer Absicherung des Gebäudes im Rahmen der geplanten Kanalbauarbeiten zu ersparen.
cc) Die Anordnung in Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids zur Absperrung (etwa mittels Bauzauns) eines Bereichs vor der betroffenen Hauswand erfolgte zudem ermessensgerecht.
Die Maßnahme ist insbesondere zur Gefahrenabwehr geeignet. Zwar ist dem Bevollmächtigten des Antragstellers zuzugeben, dass die Aufstellung eines Bauzauns die möglichen statischen Mängel des Gebäudes nicht beseitigen würde, jedoch würde durch eine entsprechende Absicherung verhindert, dass Personen in den Bereich vor der Gebäudewand gelangen, wodurch eine gesundheitliche Gefährdung im Falle des Einsturzes der Wand ausgeschlossen wäre.
Die Anordnung ist auch erforderlich. Ein milderes Mittel zur Verhütung von gesundheitlichen Gefahren von Passanten ist nicht ersichtlich. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers vorträgt, dass der Bereich der S. … straße auf Höhe des streitgegenständlichen Gebäudes ohnehin bis zum April 2022 aufgrund von Kanalbauarbeiten durch die Gemeinde gesperrt sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Infolge der vom Wohnhaus des Antragstellers ausgehenden Gefahren wurden die Kanalbauarbeiten auf unabsehbare Zeit verschoben. Eine Sperrung der Straße aufgrund der Kanalarbeiten durch die Gemeinde ist insoweit derzeit nicht erforderlich. Die Gemeinde hat des Weiteren gegenüber dem Antragsteller sowie dem Landratsamt erklärt, den bestehenden Bauzaun der Gemeinde zur Absperrung der Gefahrenstelle Anfang Oktober 2021 abzubauen.
Die Anordnung ist zudem auch angemessen. Bei der Aufstellung eines Bauzauns handelt es sich um eine niedrigschwellige und nicht kostenintensive Maßnahme, welche nicht in die Substanz des Wohnhauses eingreift und einfach vollständig wieder beseitigt werden kann. Insoweit ist im Rahmen einer Abwägung das Interesse der Allgemeinheit an rechtmäßigen und vor allem sicheren Zuständen höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers, den Zustand unverändert zu belassen. Zudem wurde in dem angegriffenen Bescheid darauf hingewiesen, dass die Vorlage eines Nachweises über die Standsicherheit zur Vermeidung weiterer bauaufsichtlicher Maßnahmen möglich sei. Angesichts des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter ist auch an der gesetzten Frist von 2 Wochen rechtlich nichts zu erinnern.
b) Die Anordnung zur dauerhaften Sicherung der westlichen Fassade des streitgegenständlichen Wohnhauses durch bauliche Maßnahmen (z.B. Anbringung von tragfähigen Platten inkl. eventuell notwendiger Vergurtungen o.ä.) in Ziff. 2 des angegriffenen Bescheids stellt sich nach summarischer Prüfung hingegen voraussichtlich als rechtswidrig dar.
Eine solche Anordnung kann zwar ebenfalls auf Art. 54 Abs. 4 BayBO gestützt werden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen zudem vor (vgl. unter aa)) und die Anordnung richtet sich auch gegen den richtigen Adressaten (vgl. unter bb)). Sie ist jedoch ermessensfehlerhaft.
Durch die in Ziff. 2 getroffene Anordnung wird der Antragsteller letztlich verpflichtet, durchaus kostenintensive und in die Substanz des Gebäudes dauerhaft eingreifende bauliche Maßnahmen durchzuführen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass derzeit nicht zweifelsfrei feststeht, ob tatsächlich eine Beeinträchtigung der Standsicherheit der Westfassade des Gebäudes des Antragstellers besteht bzw. welche Ursachen die Beeinträchtigung hat (s.o.). Somit sind weder Umfang noch Ursache der Gefährdung derzeit geklärt. Es erscheint mithin fraglich, ob die Anordnung tatsächlich geeignet und erforderlich ist, die bestehende Gefährdungssituation dauerhaft zu beseitigen. Ferner ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen, dass zur kurzfristigen Verhütung der bestehenden Gefahren für Leib und Leben Dritter die Anordnung zur Absicherung des gefährdeten Gebiets vor der westlichen Wand des streitgegenständlichen Gebäudes bereits ausreichend ist. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass durch die Absicherung mittels Bauzauns eine Beeinträchtigung der abgesperrten Grundstücke, insbesondere der S. … straße als öffentliche Verkehrsfläche entsteht, welche nicht dauerhaft hingenommen werden kann. Jedoch käme angesichts des Umfangs der unter Ziff. 2 angeordneten Maßnahmen als milderes Mittel zunächst eine Maßnahme der Gefahrerforschung in Betracht. Hierzu könnte vom Antragsteller beispielsweise die (kurzfristige) Vorlage eines Standsicherheitsnachweises verlangt werden, um zu klären, ob und in welchem Umfang eine Veranlassung für weitergehende bauaufsichtliche Schritte besteht (vgl. Schwarzer/König/König, 4. Aufl. 2012, BayBO Art. 54 Rn. 34; Busse/Kraus/Dirnberger, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 54 Rn. 172). Die Anforderung eines entsprechenden Standsicherheitsnachweises ist grundsätzlich bei Vorliegen der Voraussetzungen auf Grundlage von Art. 54 Abs. 4 BayBO möglich. Zwar weist der streitgegenständliche Bescheid den Antragsteller auf die (freiwillige) Möglichkeit hin, durch Vorlage eines Standsicherheitsnachweises die Durchführung der angeordneten Maßnahmen abzuwenden. Die Anordnung einer Maßnahme mit der Möglichkeit der „Exkulpation“ geht jedoch hinsichtlich der Eingriffsintensität über die Anordnung einer bloßen Gefahrerforschungsmaßnahme hinaus. Ferner ist eine solche Aufklärungsmaßnahme Voraussetzung für die Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit und Geeignetheit weitergehender Sicherungsmaßnahmen.
c) Der Bescheid erweist sich nach vorläufiger Prüfung mithin hinsichtlich Ziff. 1 als rechtmäßig. Die gerichtliche Interessenabwägung zur sofortigen Vollziehung der Anordnung fällt damit unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Hauptsache sowie des Gewichts der hier gefährdeten Rechtsgüter zulasten des Antragstellers aus. Hinter den überragend wichtigen Verfassungsgütern Leben und Gesundheit hat das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von lediglich finanziellen Belastungen verschont zu bleiben, zurückzutreten.
Hinsichtlich Ziff. 2 erweist sich der Bescheid nach summarischer Überprüfung hingegen als voraussichtlich rechtswidrig. Insoweit ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage anzuordnen, da an einer vorläufigen Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheids kein öffentliches Interesse besteht.
d) Die Zwangsgeldandrohung unter Ziff. 4 a) des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich nach Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 und Art. 36 VwZVG als rechtmäßig. Insbesondere ist die moderat bemessene Höhe des angedrohten Zwangsgeldes in Höhe von 500,- Euro nicht unangemessen.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen unter Ziff. 4 b) des angegriffenen Bescheids ist die aufschiebende Wirkung der Klage hingegen anzuordnen. Da die aufschiebende Wirkung der Klage betreffend die Anordnungen in Ziff. 2 des Bescheides wiederherzustellen ist, fehlt es derzeit an einem für die Androhung von Verwaltungszwang nach Art. 19 VwZVG erforderlichen vollziehbaren Grundverwaltungsakt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert entspricht gem. §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG der Hälfte des voraussichtlich im Hauptsacheverfahrens festzusetzenden Streitwerts.


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