Baurecht

Anrechnung von Vorausleistung

Aktenzeichen  Au 2 K 19.636

Datum:
23.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32755
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5a
BauGB § 125 Abs. 3 Nr. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die nach § 75 Satz 1 und 2 VwGO zulässigerweise erhobene (Anfechtungs-)Untätigkeitsklage ist unbegründet, da der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 28. März 2017 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in Art. 5a KAG, § 125 Abs. 3 Nr. 1, §§ 128 ff. BauGB i.V.m. der am 1. Oktober 2009 in Kraft getretenen Satzung über die Erhebung eines Erschließungsbeitrags in der Stadt … vom 2. September 2009 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS).
Die im notariellen Kaufvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten vom 25. Februar 2010 (URNr. …) unter Nr. VIII. enthaltene Regelung, dass abweichend von § 436 BGB u.a. Erschließungsbeiträge aufgrund des Baugesetzbuchs, die ab dem Tag der Beurkundung festgesetzt werden, der Käufer, d.h. die Stadt, zu tragen habe, schließt die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für das Grundstück Fl.Nr. … nicht aus, da sich diese Abrede ersichtlich nur auf den Kaufgegenstand, also die mit dem genannten notariellen Kaufvertrag vom Kläger an die Beklagte veräußerten vier Teilflächen, bezieht. Ein darüberhinausgehender auch das übrige Grundstück Fl.Nr. … erfassender Verzicht auf die Erhebung eines Erschließungsbeitrags lässt sich dieser Vereinbarung nicht entnehmen.
Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „… Weg“ ist auch durch den planunterschreitenden Ausbau der Verkehrsanlage nicht ausgeschlossen, da dieser im vorliegenden Fall mit den Grundzügen der Planung (noch) vereinbar erscheint und die Erschließungsanlage damit rechtmäßig hergestellt ist (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB).
Nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB muss eine Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bei der sog. Planunterschreitung, d.h. wenn die Erschließungsanlagen hinter dessen Festsetzungen zurückbleiben, mit den Grundzügen der Planung vereinbar sein. Diese gesetzliche Regelung impliziert, dass bei der Herstellung der Erschließungsanlagen im Sinn von Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 BauGB aufgrund der in § 125 Abs. 1 BauGB vorgesehenen Bindung an den Bebauungsplan nicht jede Planabweichung zulässig ist, da der Bindungskern, der die Einhaltung der Grundzüge der Planung erfordert, rechtliche Beachtung verlangt. Entscheidend ist, dass trotz der Planabweichung das der Planung zu Grunde liegende Leitbild nicht verändert wird, d. h. der planerische Grundgedanke erhalten bleibt. Abweichungen von minderem Gewicht, die die Planungskonzeption des Bebauungsplans unangetastet lassen, berühren die Grundzüge der Planung nicht (BayVGH, U.v. 4.5.2017 – 6 B 17.141 – ZKF 2017, 237; Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 125 Rn. 3). Differenzierungskriterium ist der im Bebauungsplan zum Ausdruck kommende planerische Wille der Gemeinde. Eine Abweichung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans ist mit den Grundzügen der Planung vereinbar, wenn die vom Plan angestrebte und in ihm zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung nicht in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird, d. h., wenn die Abweichung noch im Bereich dessen liegt, was der Plan gewollt hat oder zumindest gewollt hätte. Die Vereinbarkeit der planabweichenden Herstellung einer Erschließungsanlage mit dem Planungskonzept ist zu bejahen, soweit hinsichtlich Lage, Größe und Funktion der erstellten Anlage kein „Aliud“ gegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans vorliegt (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.3.2000 – 4 B 18.00 – NVwZ-RR 2000, 217; BayVGH, B.v. 21.5.2014 – 6 ZB 12.377 – juris Rn. 6; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 20 ff.). Umgekehrt ist die abweichend hergestellte Erschließungsanlage dann mit den Grundzügen der Planung nicht mehr vereinbar, wenn das Konzept der geordneten städtebaulichen Entwicklung, wie es in den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Ausdruck kommt, in wesentlichen Punkten geändert wird (vgl. Ernst/Grziwotz in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 125 Rn. 14 m.w.N.).
Das im vorliegenden Fall gegebene Zurückbleiben der Erschließungsanlage „… Weg“ (Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG, § 127 Abs. 2 Nr.1 BauGB) hinter den Festsetzungen des am 18. November 1983 in Kraft getreten Bebauungsplans Nr. … „…straße“ in der Fassung der am 3. Juli 2009 in Kraft getretenen Änderungssatzung in Bezug auf die Ausbaubreite der ca. 185 m langen Anbau straße, die statt der vorgesehenen Breite von 7 m auf einer Länge von ca. 35 m nur eine Breite von 3,80 m aufweist, ist mit den Grundzügen der Planung (noch) vereinbar, da die Straßenbreite hier nur einen untergeordneten Gesichtspunkt der städtebaulichen Konzeption der Gemeinde darstellt und keinen wesentlichen Grundzug der Planung. Auf Grund der vorhandenen und auch planerisch vorgesehenen nur mäßig verdichteten Wohnbebauung stellt die Verringerung der festgesetzten Breite der Verkehrsfläche von 7 m um 3,20 m auf 3,80 m über eine Länge von etwa 35 m eine nicht unerhebliche Planunterschreitung dar, führt aber nicht dazu, dass die Anbau straße die ihr zugedachte Erschließungsfunktion nicht mehr erfüllen kann und erscheint daher auf Grund der Umstände des Einzelfalls noch mit den Grundzügen der Planung vereinbar (s. hierzu z.B. OVG BW, U.v. 20.3.2015 – 2 S 1327/14 – KStZ 2015, 195; U.v. 10.7.2014 – 2 S 2228/13 – juris Rn. 44 ff.; OVG Hamburg, U.v. 12.5.2016 – 1 Bf 118/14 – ZKF 2016, 286).
Die Festsetzung einer Straßenbreite von 7 m resultiert aus der Zeit der Geltung des Bebauungsplans Nr. … „…straße“ in seiner ursprünglichen Fassung, in dem sich auf einer größeren Fläche im Plangebiet noch ein gewerblicher Autoverwertungsbetrieb befunden hat und es die Erschließungsstraße deshalb ermöglichen musste, auch den durch den Gewerbebetrieb ausgelösten erheblichen (Güterschwerlast-)Ziel- und Quellverkehr aufzunehmen. Die dadurch notwendigen funktionellen Anforderungen an die straßenmäßige Erschließung sind planerisch und bautechnisch dadurch gewährleistet worden, dass eine (durchgängige) Breite der Erschließungsstraße mit 7 m festgesetzt wurde. Auf Grund der späteren Absiedlung des Gewerbebetriebs und der im Jahr 2009 durch die Änderung des Bebauungsplans erfolgten Zulassung von nur mäßig verdichteter Wohnbebauung an dessen Stelle besitzt die Erschließungsanlage „… Weg“ nur mehr die Funktion, den Verkehr eines Wohngebiets aufzunehmen. Bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Verengung der Erschließungsstraße mit den Grundzügen der Planung ist abgesehen von diesem Aspekt auch von Bedeutung, dass die Erschließungsstraße keinen Durchgangsverkehr zu bewältigen hat, da der „… Weg“ als Sackgasse endet und nach den Vorgaben der RASt 06 eine Wendemöglichkeit auch für Versorgungsfahrzeuge in ausreichendem Umfang vorhanden ist. Straßenverkehrsrechtlich liegt ein sog. „verkehrsberuhigter Bereich“ vor, der Schrittgeschwindigkeit vorgibt. Das Zu- und Abfahren von Entsorgungsfahrzeugen ist nach den Einlassungen der Parteien darüber hinaus im Bedarfsfall auch durch die Beseitigung der Absperrpfosten am östlichen Ende des „… Wegs“ und das Benutzen der „…straße“ durch diese Fahrzeuge möglich. Die im westlichen Teil des „… Wegs“ unter Abweichung von der planerischen Festsetzung auf einer Länge von ca. 35 m vorhandene reduzierte Straßenbreite von 3,80 m lässt zwar keinen Begegnungsverkehr von Pkw zu, ermöglicht aber immerhin Begegnungsverkehr eines Pkw mit einem Radfahrer (vgl. Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen – EAE 85/95) und ist aufgrund des geradlinigen Verlaufs für heranfahrende Straßenbenutzer in voller Länge einsehbar.
Eine bei der Herstellung der Erschließungsanlagen in Kauf genommene Abweichung von den planerischen Vorgaben hat erschließungsrechtlich minderes Gewicht, wenn die vom Bebauungsplan angestrebte und in ihm zum Ausdruck gebrachte städtebauliche Ordnung nicht in beachtlicher Weise beeinträchtigt wird, d. h., wenn angenommen werden kann, die Abweichung liege (noch) im Bereich dessen, was die planende Kommune gewollt hat oder gewollt hätte, wenn sie die weitere Entwicklung einschließlich des Grundes der Abweichung gekannt hätte (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2014 – 6 ZB 12.377 – juris Rn. 6). Ergibt sich aber unter Berücksichtigung des sich aus den Gesamtumständen ergebenden (mutmaßlichen) Willens der planenden Gemeinde, dass die Abweichung etwas tangiert, was dieser bei der Planung unter Berücksichtigung der angestrebten städtebaulichen Ordnung wichtig gewesen ist, so ist sie mit den Planungsgrundsätzen unvereinbar. Das ist insbesondere dann zu bejahen, wenn hinsichtlich Lage, Größe und Funktion der erstellten Anlage ein „Aliud“ gegenüber den Festsetzungen des maßgeblichen Plans vorliegt (BayVGH, U.v. 4.5.2017 – 6 B 17.174 – juris Rn. 23; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 7 Rn. 23).
Dies vorausgesetzt ergibt sich aus der im Jahr 2009 durch die Absiedlung des Autoverwertungsbetriebs ausgelösten Änderung des Bebauungsplans Nr. … „…straße“ und deren städtebaulicher Begründung, dass nach der dabei zugrundeliegenden (verkehrs-)planerischen Konzeption der Beklagten auch beim Festhalten am vorhandenen partiell planunterschreitenden Ausbauzustand der Straße für das überplante Wohngebiet die Mindestanforderungen an eine Erschließungsstraße als erfüllt angesehen wurden. Der Stadtrat der Beklagten hat in der Begründung zur Änderung des Bebauungsplans – unter gleichzeitiger Änderung des hier im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden ursprünglichen Bauprogramms (s. hierzu Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Aufl. 2018, § 7 Rn. 66) – ausdrücklich dargelegt, dass er die auf einer Teilstrecke von ca. 35 m reduzierte Straßenbreite für planerisch akzeptabel hält („da künftig die gewerbliche Nutzung entfällt, wurde in Abstimmung mit dem Tiefbauamt vereinbart, den … Weg in geringerer Breite als im Bebauungsplan Nr. … “…straße“ festgesetzt, herzustellen“). Der Stadtrat der Beklagten hat sich also mit der Problematik des planunterschreitenden Ausbaus befasst und ist im Zusammenhang mit dem Wegfall des Gewerbebetriebs und der vorgesehenen Umwidmung dieses Bereichs zur Wohnbaufläche zu dem Ergebnis gelangt, dass die verringerte Straßenbreite noch den zu bewältigenden planerischen Anforderungen an die Verkehrserschließung des Gebiets genügt.
Unter Berücksichtigung des darin zum Ausdruck kommenden planerischen Willens des Stadtrats der Beklagten und der oben dargestellten tatsächlich gegebenen örtlichen Verhältnisse stellt die vorliegende partielle Reduzierung der Ausbaubreite der Anbau straße und damit die von den normativen Vorgaben des Bebauungsplans abweichende Herstellung der Erschließungsanlage „… Weg“ eine mit den Grundzügen der städtebaulichen Planung (noch) vereinbare Planunterschreitung im Sinn von § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB dar und steht aufgrund der damit zu konstatierenden rechtmäßigen Herstellung der Erschließungsanlage der Erhebung des im angegriffenen Bescheid geltend gemachten Erschließungsbeitrags nicht entgegen.
Da sonstige Gründe, die für eine Rechtswidrigkeit des angegriffenen Erschließungsbeitragsbescheids sprechen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich sind, konnte die Klage keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a Abs. 1 VwGO).


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