Baurecht

Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für Werbeanlage im faktischen Mischgebiet – Werbeanlagensatzung

Aktenzeichen  M 9 K 15.4615

Datum:
4.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 59 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 81 Abs. 1
BauGB BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Eine Werbeanlagensatzung erfordert die sorgfältige Abwägung der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sowie gegebenenfalls eine Abstufung nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen auch weitergehend nach Straßenzügen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Im faktischen Mischgebiet ist ein Ausschluss von Fremdwerbeanlagen nur dann zulässig, wenn in dem fraglichen Gebiet Umstände anzutreffen sind, die aus ortsgestalterischen Gründen eine entsprechende Ausschlussregelung rechtfertigen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn entlang bestimmter Straßen Werbeanlagen verboten werden, erfordert die Beschränkung auf schützenswerte Ortsteile nicht nur eine Begrenzung der Länge, sondern auch eine genau bestimmbare Begrenzung der Tiefe rechts und links entlang der Straße. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom … September 2015 verpflichtet, die beantragte Baugenehmigung zur Anbringung einer statischen Plakatwerbetafel auf der Liegenschaft … Straße …, …, zu erteilen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kostengläubigerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, da der ablehnende Bescheid vom … September 2015 rechtswidrig ist und die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung hat. Die beantragte Werbeanlage verstößt weder gegen Bauplanungsrecht noch gegen Bauordnungsrecht in Gestalt der Werbeanlagensatzung des Beigeladenen, Art. 59 BayBO.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist nach § 34 BauGB zu beurteilen. Nach dem Ergebnis des Augenscheins entspricht die Umgebungsbebauung einem faktischen Mischgebiet, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO. In einem Mischgebiet ist eine Werbeanlage nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO nach der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig. Die übrigen Voraussetzungen durch § 34 Abs. 1 BauGB sind insbesondere hinsichtlich des Merkmals des Sich-Einfügens erfüllt. Eine überwiegende Prägung des Umgriffs des geplanten Standorts durch Wohnnutzung war nicht erkennbar; auf das Protokoll des Augenscheins wird verwiesen.
Die Werbeanlagensatzung als örtliche Bauvorschrift, die nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfen ist, steht der Errichtung der Werbeanlage nicht entgegen, da die hier herangezogenen Regelungen der §§ 2 und 3 WAS unwirksam sind.
Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO können Gemeinden durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen, mit denen sie besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern (Nr. 1) sowie Verbote der Errichtung von Werbeanlagen aus ortsgestalterischen Gründen festsetzen können (Nr. 2). Dabei gilt, dass die Errichtung von Werbeanlagen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 BayBO nur verboten werden darf, wenn nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Bereiches aus ortsgestalterischen Gründen ein entsprechendes Verbot gerechtfertigt, erforderlich und verhältnismäßig ist. Eine generalisierende Regelung für Werbeanlagen setzt die Homogenität des zu schützenden Gebiets voraus. Deshalb erfordert eine Werbeanlagensatzung die sorgfältige Abwägung der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Gebiets sowie gegebenenfalls eine Abstufung nach Baugebieten, Bauquartieren und unter Umständen auch weitergehend etwa nach Straßenzügen (BayVerfG, E v. 23.1.2012, vs. 18-VII-09). Wenn wie hier ein faktisches Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO vorliegt, ist ein Ausschluss von Fremdwerbeanlagen nur dann zulässig, wenn in dem fraglichen Gebiet Umstände anzutreffen sind, die aus ortsgestalterischen Gründen eine entsprechende Ausschlussregelung rechtfertigen, da nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung Werbeanlagen als nicht störendes Gewerbe im Mischgebiet zulässig und ein generelles Verbot nichtig ist (BVerfG U vom 28.04.1972, IV Zf. 69). Wenn entlang bestimmter Straßen Werbeanlagen verboten werden, erfordert die Beschränkung auf schützenswerte Ortsteile nicht nur eine Begrenzung der Länge, sondern auch eine genau bestimmbare Begrenzung der Tiefe rechts und links entlang der Straße. Als normative Regelungen müssen die Bestimmungen der Werbeanlagensatzung auch dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen. Der aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, dass die Bestimmungen einer gemeindlichen Satzung inhaltlich vollständig, klar und unzweideutig sein müssen, so dass sich mit ausreichender Sicherheit ermitteln lässt, was von dem Betroffenen verlangt wird. Dafür ist ausreichend, wenn der Regelungsgehalt einer Norm durch herkömmliche Auslegungsregelungen ermittelt werden kann (BVerfG, B v. 15.12.1989 2 BVR 436/88; VG München, U v. 9. 7.2014 M 9 K 14.208).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Werbeanlagensatzung des Beigeladenen, soweit sie im Rahmen des Prüfprogramms des Art. 59 BayBO dem Vorhaben entgegengehalten werden kann, unwirksam. Da es sich um zentrale Regelungen der Werbeanlagensatzung handelt, ist von der Gesamtnichtigkeit auszugehen. Eine Teilnichtigkeit kann nur dann angenommen werden, wenn die übrigen Bestimmungen der Satzung ohne die als nichtig erkannten Regelungen weiterhin sinnvoll sind und fortbestehen sollen und können. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor, da die verbleibenden Regelungen isoliert als Einzelregelung keinen sinnvollen Zusammenhang haben und damit auch nicht dem mutmaßlichen Willen des Satzungsgebers entsprechen.
§ 2 Abs. 1 WAS genügt nicht dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Bezugnahme auf die Wohnnutzung bezieht sich nach dem Wortlaut und grammatikalisch auf die sonstigen Gebiete, die überwiegend durch Wohnnutzung geprägt sind und nicht auf Misch- oder Dorfgebiete. Die Formulierung ist unbestimmt, da auch nicht durch Auslegung mit hinreichender Klarheit ermittelt werden kann, ob sich die Wohnprägung auch auf das Mischgebiet bezieht oder ob bezüglich der Mischgebiete ein unzulässiges komplettes Verbot von Fremdwerbung vorliegt. Eine Auslegung nach dem Kontext und dem Sinn und Zweck der übrigen Absätze des § 2 WAS führt nicht zur Klarheit, da auch die weiteren Regelungen in Abs. 2 und insbesondere Abs. 3 und 5 offen lassen, inwieweit es sich dabei um Werbung am Ort der Leistung oder Fremdwerbung handeln soll. Insbesondere in § 2 Abs. 5 WAS werden Regelungen gestalterischer Art für Werbeanlagen in durch Bebauungsplan festgesetzten Wohngebieten getroffen, die im Widerspruch zu § 2 Abs. 1 Halbs. 1 WAS stehen, wonach alle Werbeanlagen in reinen Wohngebieten unzulässig sind. Klarheit bringt auch nicht § 1 WAS, der den Geltungsbereich regelt, da gemäß Abs. 2 die allgemeinen Anforderungen, Gebote und Verbote im gesamten Gemeindegebiet mit Ausnahme der Gewerbegebiete und vergleichbarer Sondergebiete gelten, wobei § 1 Abs. 1 WAS andererseits bestimmt, dass die Satzung nur gilt, soweit nicht in Bebauungsplänen abweichende Regelungen getroffen werden. Ungeachtet dessen wäre auch bei einer Auslegung, dass sich die Wohnprägung auf das Mischgebiet bezieht, die Regelung des § 2 Abs. 1 WAS als generalisierendes Verbot in Dorf- oder Mischgebieten wegen des fehlenden Mindestmaßes an Einheitlichkeit unzulässig (BayVGH, U v. 20.1.2015 15-ZB 13.2245). Die Zulässigkeit von Werbeanlagen kann zwar von der Art des Baugebiets abhängig gemacht werden (BayVerfGH, E v. 23.01.2012 VF. 18-VII-09). Mischgebiete verlieren durch die darin zulässigen Anlagen der Fremdwerbung auch in Bereichen, die überwiegend durch Wohnbebauung geprägt sind, nicht ihren Gebietscharakter. Erforderlich sind vielmehr konkrete ortsgestalterische Gründe, um in einem Mischgebiet auch in dem Bereich, der überwiegend von Wohnnutzung geprägt wird, alle Anlagen der Fremdwerbung auszuschließen. Ungeachtet dessen weist das Gericht darauf hin, dass nach dem Ergebnis des Augenscheins die Umgebung des geplanten Vorhabensstandort einem typischen Mischgebiet entspricht und im Einwirkungsbereich der geplanten Werbeanlage nicht durch überwiegende Wohnnutzung geprägt wird, so dass § 2 Abs. 1 WAS dem Vorhaben auch deshalb nicht entgegenstünde.
§ 3 Abs. 1 WAS, der das Gebiet entlang bestimmter Straßen entlang der Ortsdurchfahrten abgrenzt, ist unwirksam, da eine besondere Schutzwürdigkeit des umfassten gesamten Gebiets nicht ersichtlich ist (BayVerfGH, E v. 23.12.2013 VF. 18-VII-09). Der Bereich der Ortsdurchfahrten enthält zwar eine Begrenzung der Straßenlänge. Durch die Formulierung, dass die besonderen Anforderungen für Grundstücke entlang dieser Ortsdurchfahrten gelten, die seitlich an den genannte Straßen anliegen oder von diesen erschlossen werden, fehlt es an einer klar erkennbaren seitlichen Begrenzung des schützenswerten Gebietes. Die Tatsache, dass ein Grundstück von einer Ortsdurchfahrt erschlossen wird oder angrenzt, führt nicht zu dessen besonderer Schutzwürdigkeit, da insbesondere für erschlossene Grundstücke häufig bereits die Nähe zur Ortsdurchfahrt fehlt. Da nur schützenswerte Ortsteile ein Verbot von Fremdwerbung rechtfertigen, ist es erforderlich, entlang von entsprechenden Straßen eine bestimmte seitliche Tiefe festzulegen, wenn es sich z.B. um sehr große Grundstücke handelt oder Hinterliegergrundstücke betroffen sind so (VG München, U v. 10.12.2014, M 9 K 14.629).
§ 3 Abs. 2e ist unwirksam, da der Anwendungsbereich inhaltlich offen ist und damit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstößt. Ungeachtet dessen, dass die Regelung unvollständig ist, weil zumindest ein Verb fehlt, ist danach der Aufstellungsort für großflächige Plakate unklar, da diese an Orten mit einer Prägung durch überwiegende Wohnnutzung bereits nach § 2 Abs. 1 ausgeschlossen sind. Auch die Differenzierung zwischen Werbeanlagen und Litfaßsäulen erschließt sich nicht. Nicht schlüssig ist, warum nach dieser Regelung z.B. eine stehende Werbeanlage vor einem Gebäude unzulässig sein soll, aber bei einer Befestigung an der Wand zulässig wäre. Auch im Übrigen enthält § 3 Abs. 2 eine unübersehbare Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen, die die Entscheidung letztlich der subjektiven Beurteilung des Entscheiders übertragen und nicht dazu beitragen, den Regelungsgehalt des § 3 Abs. 2e WAS zu klären.
Gegen die Regelung des § 3 Abs. 2a WAS, dass Werbe- und Schriftzonen über den Erdgeschoßbereich eines Gebäudes nicht herausragen dürfen, bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken. Als isolierte Regelung kann diese Bestimmung im Kontext des § 3 aber keinen Bestand haben, da eine solche Anordnung losgelöst von der Gesamtsatzung keinen eigenständigen sinnvollen Regelungsgehalt hat. Da ohne die unwirksamen Teile der Satzung eine verhältnismäßige und dem mutmaßlichen Regelungswillen des Satzungsgebers entsprechende Werbeanlagensatzung nicht besteht, kann auch Abs. 2a ebenso wie die übrigen Regelungen der Satzung nicht isoliert fortbestehen.
Die Klage hat daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO Erfolg. Der Beigeladene trägt gemäß § 162 Abs. 3 seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er sich nicht durch die Stellung eines Antrags in ein Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO begeben hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.


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