Baurecht

Anspruch auf Unterlassung von Ziegenhaltung auf Nachbargrundstück

Aktenzeichen  5 U 363/20

Datum:
16.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44008
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 906 Abs. 1, Abs. 2, § 1004 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Beeinträchtigung des Eigentums an einem Grundstück ist dadurch möglich, dass diesem Grundstück unwägbare Stoffe, wie zB Gerüche zugeführt werden (vgl. BGH BeckRS 2001, 5918). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Klägerin ist nicht gem. § 1004 Abs. 2 BGB, § 906 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Einwirkung auf ihr Eigentum durch die Beklagten zu dulden, da die Geruchsbeeinträchtigungen durch die Ziegenhaltung wesentlich sind. (Rn. 22 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beklagten als Einwirkende auf das Grundeigentum der Klägerin müssen die Unverhinderbarkeit der wesentlichen, ortsüblichen Beeinträchtigung durch zumutbare Maßnahmen darlegen und beweisen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 296/19 2020-09-10 Endurteil LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 10.09.2020, Az. 21 O 296/19, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dessen Ziffer IV. dahingehend abgeändert wird, dass die Kosten des Rechtsstreits in der 1. Instanz gegeneinander aufgehoben werden.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bayreuth sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen, da weder die Revision gegen das Urteil zulässig ist, noch dagegen gemäß § 544 Abs. 2 ZPO die Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden kann.
B.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nur in einem ganz geringen Umfang, soweit die Kostenentscheidung der ersten Instanz abzuändern ist, Erfolg. Ansonsten ist sie unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Die Ansicht der Beklagten, dass das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch fehle, da nunmehr ein Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes vom 08.10.2021 mit darin enthaltenen Auflagen bzw. Regelungen im Hinblick auf die Haltung der Tiere, auch des Ziegenbocks, vorliege, trifft nicht zu.
Rechtsschutzbedürfnis bedeutet ein berechtigtes Interesse der Klägerin daran, zur Erreichung des begehrten Rechtsschutzes ein Zivilgericht in Anspruch zu nehmen (vgl. BGH NJW-RR 89, 263). Die Klägerin behauptet, dass die Beklagten durch die Haltung der Ziegen, insbesondere des Ziegenbocks, verantwortlich dafür sind, dass von deren Grundstück unzumutbare Gerüche auf ihr Grundeigentum gelangten und sie hierdurch in ihren Rechten auf eine uneingeschränkte Nutzung ihres Grundstückes verletzt werde. Durch den ergangenen Bescheid des Landratsamtes wird eine Beeinträchtigung der geltend gemachten Rechte der Klägerin nicht ausgeschlossen. Zum einen ist nicht gesichert, dass die Beklagten der Klägerin gegenüber die zu deren Gunsten erfolgten Anordnungen in dem Bescheid überhaupt einhalten und es steht auch nicht fest, dass die getroffenen Anordnungen ausreichen, um die behauptete Beeinträchtigung zu vermeiden. Zum anderen kann der Bescheid die behaupteten zivilrechtlichen Ansprüche der Klägerin, soweit diese über die verwaltungsrechtlichen Anordnungen hinausgehen können, nicht ausschließen.
Das Rechtschutzbedürfnis der Klägerin besteht daher weiterhin.
2. Der Klageantrag selbst ist ausreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Bei Geruchsbelästigungen können sich sowohl der Klageantrag als auch die Verurteilung auf ein allgemeines, an den Gesetzeswortlaut angelehntes Unterlassungsgebot beschränken. Dies ist zulässig, auch wenn damit bewusst die Gefahr in Kauf genommen wird, dass sich die Auseinandersetzung der Parteien mangels konkreter Orientierungswerte in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Die Besonderheiten der immissionsschutzrechtlichen Unterlassungsklage lässt Anträge mit dem Gebot, allgemein Störungen bestimmter Art zu unterlassen, zu. Für die Fälle von Geruchsbelästigungen ist dies besonders einsichtig, weil es bisher nicht gelungen ist, sie zu quantifizieren, sie damit messbar zu machen und auf dieser Grundlage Grenz- oder Richtwerte aufzustellen, wie dies etwa bei der TA-Lärm der Fall ist. Fehlt es aber an jeder Möglichkeit zur Quantifizierung, dann muss – wie hier – hingenommen werden, dass der Vollstreckungsrichter aus dem Prozessurteil nur einen allgemeinen und zwangsläufig pauschalen Ansatz und Maßstab für die Beurteilung erfährt (vgl. BGHZ 140,1 = NJW 99, 356; Staudinger, BGB, Bearbeitung 2009, § 906 Rn. 283).
II.
Der Senat hat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, soweit das Landgericht Feststellungen getroffen hat, diese seiner Entscheidung zugrunde zu legen, da diese in fehlerfreier Weise getroffen worden sind. Insoweit liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, und deshalb eine erneute Feststellung durch das Berufungsgericht gebieten.
1. Die Beweiserhebung und Beweiswürdigung des Landgerichts sind fehlerfrei erfolgt und überzeugend. Es liegt insbesondere keine Überraschungsentscheidung vor.
Soweit die Beklagten der Ansicht sind, dass eine Überraschungsentscheidung vorliege, weil sich das Landgericht bei seiner Entscheidung (auch) auf die Aussagen der vernommenen Zeugen stütze, und es vor deren Vernehmung geäußert habe, dass das eingeholte Gutachten des Sachverständigen zum Umfang der feststellbaren Geruchsbeeinträchtigung für die Entscheidung ausreichend sei, um zum Ergebnis zu gelangen, dass keine wesentliche Beeinträchtigung durch die vom Grundstück der Beklagten ausgehenden Gerüche vorliege, greift dieser Einwand nicht.
Allein die Tatsache, dass das Landgericht die Beweisaufnahme mit der Vernehmung der Zeugen durchgeführt hat, zeigte für die Beklagten und deren Prozessbevollmächtigten unmissverständlich, dass es die Zeugenaussagen für entscheidungserheblich erachtet hat und dass diese auch zur Begründung einer Entscheidung herangezogen werden. Dies gilt auch, wenn die Vernehmung der Zeugen erst nach einer entsprechenden „Intervention“ der Klägerin geschehen ist. Zeitlich vor der Durchführung der Vernehmung der Zeugen erfolgte, insoweit dem weiteren Vorgehen des Gerichts entgegenstehende Äußerungen des Gerichts hatten von diesem Zeitpunkt an erkennbar keine weitere Bedeutung für den Fortgang des Rechtsstreits mehr. Auch aus dem Umstand, dass das Gericht bei deren Vernehmung in der mündlichen Verhandlung keine Fragen an die Zeugen stellte, lässt sich nicht entnehmen, dass es deren Aussagen nicht für entscheidungserheblich erachtet hat. Die Beklagten selbst hatten Gelegenheit, in der mündlichen Verhandlung bei der Durchführung der Beweisaufnahme ihrerseits Fragen zu stellen und sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern. Ein Verstoß des Landgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt daher nicht vor.
2. Die erfolgten Feststellungen des Landgerichts in Bezug auf die Ortsüblichkeit der Beeinträchtigung waren jedoch nicht vollständig und sind daher für eine Entscheidung durch das Berufungsgericht unzureichend.
Das Landgericht hat in seinem Urteil ausschließlich darauf abgestellt, dass eine bestandskräftige Baugenehmigung für die Ziegenhaltung noch nicht vorliege, so dass es allein deshalb an der Ortsüblichkeit der Ziegenhaltung fehle. Es hat jedoch nicht auf die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort abgestellt und auch nicht geprüft, ob eine Genehmigung der Ziegenhaltung aus materiell – rechtlicher Sicht möglich ist. Dass eine Genehmigung bestandskräftig abgelehnt wurde, wurde weder vorgetragen, noch war dies ersichtlich. Insoweit waren daher noch entsprechende Feststellungen durch den Senat zu treffen.
III.
Die Klägerin kann gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB von den Beklagten verlangen, dass die das Eigentum der Klägerin beeinträchtigenden Geruchsemissionen, welche durch die Ziegenhaltung auf dem Grundstück der Beklagten verursacht werden, unterlassen werden.
1. Die Klägerin ist unstreitig Eigentümerin der Grundstücke mit den Flurnummern 36/1 und 36/2 in Neudrossenfeld, Pechgraben 10. Diese grenzen unmittelbar an das Grundstück der Beklagten, auf dem die Ziegen gehalten werden.
2. Das Eigentum der Klägerin wird in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes, nämlich in Form der auf das Grundstück gelangenden Geruchsemissionen, die aufgrund der dortigen Ziegenhaltung vom Grundstück der Beklagten ausgehen, beeinträchtigt.
Die Beeinträchtigung des Eigentums an einem Grundstück ist dadurch möglich, dass diesem Grundstück unwägbare Stoffe, wie zum Beispiel Gerüche zugeführt werden (vgl. BGH NJW 01, 3054; OLG Hamm MDR 17, 25; Staudinger, BGB, a.a.O., § 906 Rn. 137).
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat das Landgericht nachvollziehbar und zutreffend festgestellt, dass von der Ziegenhaltung der Beklagten, insbesondere durch die Haltung des Ziegenbocks, dem Grundeigentum der Klägerin üble Gerüche zugeführt werden. Hierdurch wird der ungestörte Aufenthalt von Personen auf dem Grundstück der Klägerin beeinträchtigt. Dies führt zu einer Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin.
3. Dieser Eingriff in das Eigentum der Klägerin ist rechtswidrig.
Der dem Eigentumsinhalt widersprechende Zustand muss rechtswidrig sein, nicht die dazu führende Handlung (BGH NJW-RR 03, 953). Die Rechtswidrigkeit wird in der Regel durch die Beeinträchtigung indiziert und entfällt nicht dadurch, dass die Voraussetzungen der beeinträchtigenden Wirkung einer Handlung erst nach ihrer Vornahme eintraten (BGHZ 135,195; Palandt, BGB, 80. Aufl., § 1004 Rn. 12)
Es liegt kein Rechtfertigungsgrund dafür vor, dass das Grundstück der Klägerin mit den Gerüchen belastet wird.
4. Die Klägerin ist nicht gemäß § 1004 Abs. 2, § 906 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Einwirkung auf ihr Eigentum durch die Beklagten zu dulden, da die Geruchsbeeinträchtigungen durch die Ziegenhaltung, insbesondere aufgrund der Haltung des Ziegenbocks, wesentlich sind.
a) Gemäß § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gerüchen von einem anderen Grundstück insoweit nicht verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Nach § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt eine unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Gemäß § 906 Abs. 1 Satz 3 BGB gilt das Gleiche für Werte in allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die nach § 48 BImSchG erlassen worden sind.
b) Allein die Einhaltung von Zahlenwerten, die in der Geruchsemissionsrichtlinie (GIRL) enthalten sind, führt nicht zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine unwesentliche, vom Eigentümer des mit den Gerüchen belasteten Grundstücks zu duldende Geruchsemission handelt.
Die GIRL fällt nicht unter § 906 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB. Sie ist weder Gesetz noch Rechtsverordnung. Sie stellt auch keine allgemeine Verwaltungsvorschrift dar. Sie kann und darf nicht rechtssatzartig, insbesondere im Sinne einer Grenzwertregelung verwendet werden. Sie ist vielmehr nur als Orientierungshilfe heranzuziehen, während für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze die konkreten Umstände des Einzelfalls maßgebend sind (vgl. BVerwG NVwZ 2018,509 Rn. 12; BayVGH, Beschluss vom 04.02.2019, Az. 22 ZB 18.1147 Rn. 14; BGH NJW 01, 3054; OLG Hamm MDR 17, 25 Rn. 57 mit Rechtsprechungsnachweisen).
Die GIRL kann jedoch als Entscheidungshilfe bei der Beurteilung der Wesentlichkeit von Geruchsbeeinträchtigungen herangezogen werden (BGH NJW 05, 660; 01, 3054 99, 356; OLG Saarbrücken NJOZ 2015, 576; OLG Hamm MDR 17, 25 Rn. 57). Eine strikte Indizwirkung kann jedoch aus ihr nicht abgeleitet werden. Dies gilt umso mehr, als die Emissionswerte der GIRL ihrerseits unter dem weitreichenden Vorbehalt einer Einzelfallentscheidung gemäß Ziffer 5 GIRL stehen (OLG Hamm a.a.O., Rn. 58). Die Emissionswerte nach Ziffer 3.1 GIRL treffen nur eine Aussage darüber, mit welcher relativen Häufigkeit ein bestimmter Geruch am jeweiligen Messpunkt überhaupt wahrgenommen werden kann. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Geruchsemissionen kann nicht nur auf eine bestimmte Dauer einer Geruchswahrnehmung abgestellt werden. Es kommt auch entscheidend darauf an, welche Qualität und Intensität den Gerüchen bei ihrer Wahrnehmung beigemessen wird (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Rn. 58).
c) Die auf das Eigentum der Klägerin gelangenden Gerüche führen zu dessen wesentlicher Beeinträchtigung.
Maßstab für die Beurteilung der Wesentlichkeit der Geruchsbeeinträchtigungen ist das Empfinden eines verständigen und daher auch andere öffentliche oder private Belange berücksichtigenden durchschnittlichen Benutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur (zum Beispiel Wohngebiet), Gestaltung (zum Beispiel Einfach- oder Doppelverglasung) und Zweckbestimmung (zum Beispiel Wohn- oder Gewerbegrundstück) geprägten konkreten Beschaffenheit, nicht jedoch das subjektive Empfinden oder die individuellen Lebensumstände des Gestörten (vgl. BGH NJW 99, 356; 04, 1037; 19, 773). Nicht abgestellt werden kann bei der Beurteilung, ob eine von einer Grundstücksbenutzung ausgehende Einwirkung auf das Nachbargrundstück wesentlich ist oder nicht, auf das subjektive Empfinden des gestörten oder des störenden Eigentümers (vgl. OLG Hamm, MDR 20, 1439). Eine Geruchseinwirkung ist in der Regel nur dann unwesentlich, wenn ein verständiger Durchschnittsbenutzer sie kaum noch empfindet (vgl. BGH NJW 82, 440; BGH NJW 15, 2023). Das Fehlen einer öffentlich rechtlichen notwendigen Genehmigung spricht, wenn auch nicht zwingend (BGH ZfIR 06, 104), für eine Wesentlichkeit, solange nicht feststeht, dass die störende Benutzung uneingeschränkt genehmigungsfähig ist (BGH NJW 19, 773; Palandt, a.a.O., § 906 Rn. 17).
Unter Heranziehung dieser Rechtsgrundsätze liegt eine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin durch die von der Ziegenhaltung verursachten, auf das Eigentum der Klägerin gelangenden Gerüche vor. Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung zu Recht nicht nur auf das Ergebnis des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen abgestellt. Neben den Messungen nach den Erfordernissen der GIRL und den diesbezüglich erzielten Ergebnissen sind entscheidend weitere Umstände zu prüfen, um die Frage beantworten zu können, ob bestimmte Gerüche eine wesentliche oder unwesentliche Beeinträchtigung für das Grundstück der Klägerin darstellen. Aufgrund der Angaben der Zeugen, die das Landgericht als glaubwürdig angesehen hat, steht fest, dass eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung durch die auf das Grundstück der Klägerin gelangenden Gerüche vorliegt. Die Gerüche sind von einer solchen Intensität, dass sie von den Bewohnern und Benutzern der Grundstücke der Klägerin als ganz erheblich störend wahrgenommen werden. Die Zeugen schilderten allesamt eine erheblich und deutlich wahrnehmbare, unangenehm empfundene Geruchskulisse. Dass es sich bei den Zeugen um Personen aus dem Familien- und Freundeskreis der Klägerin handelt, lässt allein, was das Landgericht auch zutreffend erkannt hat, nicht darauf schließen, dass deshalb ihre Angaben unzutreffend sind. Dass es sich bei den vernommenen Zeugen jeweils auch um einen sog. „verständigen Durchschnittsbenutzer“ im Sinne der Anforderungen des BGH handelt, begegnet keinen Zweifeln. Dem steht nicht entgegen, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen nur im Bereich des nördlichen Teils des Grundstücks der Klägerin die Dauer und der Umfang der festgestellten Geruchsbelästigung ein Ausmaß erreicht hat, das die in der GIRL angeführten Grenzwerte überschritten wurden. Bei der Beurteilung, ob es sich um eine wesentliche Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin handelt, ist hier zu berücksichtigen, dass das Grundstück der Klägerin hauptsächlich zu Wohnzwecken verwendet wird. Auch wenn es sich um Grundstücke handelt, die im Rahmen eines typischen Dorfgebiets mit (noch) landwirtschaftlichen Gepräge – dieser Umstand wurde vom Senat bei dem durchgeführten Augenschein selbst festgestellt – liegen, führt dies im vorliegenden Fall jedoch nicht dazu, dass die von den Zeugen festgestellten Gerüche, wie sie auf das Grundstück der Klägerin gelangen, nicht als nur unwesentlich zu beurteilen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Benutzung als Wohngrundstück möglich sein muss, was hier durch die Intensität der geschilderten, wahrnehmbaren Gerüche nicht mehr der Fall ist, da hierdurch die Benutzung erheblich eingeschränkt wird. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass das Grundstück der Klägerin, die einen Gartengestaltungsbetrieb führt, zu Werbe- und Schauzwecken für bereits akquirierte oder noch zu akquirierende Kunden verwendet wird. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass auch diese Tätigkeit durch die Geruchseinwirkung erheblich beeinträchtigt wird, da Kunden aufgrund der Geruchseinwirkung nicht länger auf dem Grundstück verweilen wollten.
Eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB liegt daher vor.
5. Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 1004 Abs. 2, § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet, die wesentliche Beeinträchtigung ihres Eigentums zu dulden.
Gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Gerüchen insoweit nicht verbieten, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind.
Ob die Ziegenhaltung und davon auf das Eigentum der Klägerin einwirkende Gerüche ortsüblich sind, kann dahingestellt bleiben, da die Beklagten nicht vorgetragen haben, dass die Beeinträchtigung nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Die Beklagten als Einwirkende auf das Grundeigentum der Klägerin müssen die Unverhinderbarkeit der wesentlichen, ortsüblichen Beeinträchtigung durch zumutbare Maßnahmen darlegen und beweisen (vgl. BGH NJW 85, 47; OLG Rostock NJW 06, 3650; Palandt, a. a. O., § 906 Rn. 26).
Grundsätzlich ist die Folge einer wesentlichen Beeinträchtigung, dass die Einwirkung auf das gestörte Grundstück über § 1004 Abs. 1 BGB auf das zumutbare Maß einer nicht wesentlichen Beeinträchtigung zurückgeführt wird. Dabei ist zu prüfen, ob dies mit technischen Mitteln überhaupt möglich und wirtschaftlich zumutbar ist (vgl. BGH NZM 21, 321). Ob eine wirtschaftliche Zumutbarkeit für die Beklagten gegeben ist, ist unter Berücksichtigung des nachbarlichen Verhältnisses, der Vor- und Nachteile, der technischen/organisatorischen Möglichkeit und der Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen, nicht des konkreten, Benutzers des emittierenden Grundstücks zu prüfen (vgl. OLG Düsseldorf, OLGZ 86,16). Was im Einzelfall an Maßnahmen wirtschaftlich zumutbar ist, hängt von verschiedenen Kriterien ab (vgl. BeckOK, BGB, 01.05.2021, § 906 Rn. 70 a, 71ff). Dies sind u.a.:
– Art und Intensität der Beeinträchtigung;
– finanzielle und organisatorischtechnische Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Benutzers (nicht des konkreten Benutzers) des emittierenden Grundstückes für die konkret bestimmte Art und Weise der Nutzung;
– die in Betracht kommende Maßnahme muss finanziell und technisch erfüllbar sein;
– der Betrieb muss nach der technischen Umstellung noch wirtschaftlich rentabel zu führen sein;
– insgesamt muss die Verhältnismäßigkeit der erforderlichen Maßnahmen gewahrt sein;
– Vor- und Nachteile der Maßnahmen sind dabei zueinander abzuwägen.
Die Beklagten haben hierzu nur vorgetragen, welche Maßnahmen sie für erforderlich halten, um die Beeinträchtigung des Grundeigentums der Klägerin durch die von ihrem Grundstück ausgehenden Gerüche zu beenden und welche Kosten durch diese Maßnahmen verursacht werden. Sie haben jedoch nichts dazu vorgetragen, aus dem sich ergibt, dass diese erforderlichen Maßnahmen einen finanziellen Aufwand erfordern, der die Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen Benutzers des emittierenden Grundstückes, d. h. Ihres Grundstücks, überfordern. Abzustellen ist dabei auf einen durchschnittlichen Betreiber einer Landwirtschaft, wie sie hier durch die Beklagten auf ihrem Grundstück betrieben wird, und dessen finanzielle Leistungsfähigkeit. Die eigene finanzielle Situation und Leistungsfähigkeit des Betriebs der Beklagten ist im Rahmen dieser Prüfung nicht maßgeblich. Die Beklagten wurden hierauf durch den Senat im Termin sowie den Schriftsatz des Klägervertreters vom 12.10.2021 hingewiesen.
Für die Duldungspflicht der Klägerin als durch die Geruchseinwirkung beeinträchtigte Eigentümerin nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB ist es jedoch erforderlich, dass die in dieser Norm enthaltenen Voraussetzungen kumulativ, d. h. nebeneinander, vorliegen müssen. Da diese nicht vorliegen, weil die Beklagten hinsichtlich des zweiten Erfordernisses dieser Norm keinen entsprechenden Sachvortrag gehalten haben, besteht auch keine Duldungspflicht der Klägerin gemäß § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB.
6. Es besteht auch weiterhin eine Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Beeinträchtigung, selbst wenn zwischenzeitlich aufgrund der Haltung eines anderen Ziegenbocks, der nicht mehr in dem vorherigen Ausmaß des zuvor gehaltenen Bocks Gerüche verbreitet, und der Verlegung von dessen Stall, Veränderungen eingetreten sind.
In der Regel begründet die vorangegangene, rechtswidrige Beeinträchtigung eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr (BGH NJW 12, 3781). An deren Widerlegung durch den Störer sind hohe Anforderungen zu stellen (BGH NRW 99, 356). Eine Unterlassungserklärung ohne Strafbewehrung räumt die Wiederholungsgefahr in der Regel nicht aus (BGH NJW 12, 3781). Erst im Rechtsstreit abgegebene Erklärungen reichen nur, wenn sie uneingeschränkt und 5 U 363/20 – Seite 9 – strafbewehrt sowie nach der Überzeugung des Gerichts aus besserer Einsicht abgegeben werden und nicht nur unter dem Druck des Rechtsstreits (vgl. OLG Karlsruhe OLGR 98, 72).
Unter Heranziehung dieser Rechtsgrundsätze besteht die Wiederholungsgefahr weiter. Die Beklagten sind gegenüber der Klägerin noch nicht einmal eine durchsetzbare Verpflichtung eingegangen, die Geruchsbeeinträchtigung in Zukunft zu unterlassen. Auch eine Strafbewehrung liegt nicht vor. Die Beklagten haben weder vorgerichtlich, noch während des Rechtsstreits eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Der nunmehr vorliegende Bescheid des Landratsamtes ist nicht ausreichend, um für die Klägerin die sichere Gewähr zu geben, dass in Zukunft keine weiteren Beeinträchtigungen durch vom Grundstück der Beklagten ausgehende Gerüche erfolgen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Beklagten sich nicht an die im Bescheid enthaltenen Auflagen halten. Die Klägerin hat keine Möglichkeit, die Genehmigungsbehörde, wenn gegen den Genehmigungsbescheid verstoßen wird, dazu zu bewegen, gegebenenfalls Maßnahmen in Bezug auf Geruchsbeeinträchtigungen zu ergreifen. Es steht auch nicht fest, dass die Anordnungen in dem Bescheid, selbst wenn ihnen Folge geleistet wird, ausreichen, um eine zukünftige Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin durch vom Grundstück der Beklagten ausgehende Geruchsemissionen zu verhindern.
Die Berufung der Beklagten hat daher keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
C.
1. a) Die Kostenentscheidung des Landgerichts in Ziffer IV. des Urteils für die erste Instanz ist abzuändern, da die Klägerin in der ersten Instanz mit ihrem Hauptantrag unterlegen ist.
Da der Hauptantrag und der zugesprochene Hilfsantrag wirtschaftlich auf das gleiche Interesse gerichtet sind, sind die Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz gegeneinander aufzuheben, da die Klägerin und die Beklagten zu gleichen Teilen obsiegt haben bzw. unterlegen sind.
b) Die Kostenentscheidung für die Berufungsinstanz beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Erfolg der Berufung hinsichtlich der Abänderung der Kostenentscheidung der ersten Instanz Ist verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten veranlasst.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 544 ZPO nicht vorliegen.


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