Baurecht

„Antigen-Schnelltest zur Selbsttestung“

Aktenzeichen  Verg 7/21

Datum:
20.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 917
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

1. Durfte die Vergabestelle einen Auftrag in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und somit ohne europaweite Bekanntmachung vergeben, da ein Fall der äußersten Dringlichkeit im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorlag und hat sie für einen ausreichenden Wettbewerb gesorgt, indem sie (mindestens) drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert hat, führt die bloße fehlerhafte Auswahl der Bieter nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
2. In einem solchen Fall kann die Nachprüfungsinstanz entsprechend § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB als Minus zum Antrag auf Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrags feststellen, dass der Antragsteller, der sich zulässigerweise mit einem Nachprüfungsantrag gegen den erteilten Zuschlag gewandt hat, durch die fehlerhafte Bieterauswahl in seinen Rechten verletzt ist. Bayerisches Oberstes Landesgericht.

Verfahrensgang

3194.Z3-3_01-21-9 2021-05-06 Bes VKSUEDBAYERN Vergabekammer München

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 6. Mai 2021 (Gz.: 3194.Z3-3_01-21-9) in den Ziffern 1. und 2. aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner den Antragsteller durch die Auswahl der Teilnehmer, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert worden sind, in seinen Rechten verletzt hat. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller ¾ und der Antragsgegner ¼. Von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners trägt der Antragsteller ¾, von denjenigen des Antragstellers trägt der Antragsgegner ¼. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsgegner für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt. Im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten ihre Kosten selbst.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu … € festgesetzt.

Gründe

A.
Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist der Ankauf von Antigen-Schnelltests zur Selbsttestung auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 im Februar 2021 im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb.
Der Bayerische Ministerrat beschloss am 26. November 2020, die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom 25. November 2020 umzusetzen, die u. a. eine Antigen-Schnelltestung für Schüler vorsahen. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege wurde daher am 8. Dezember 2020 vom Ministerrat beauftragt, die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Am 20. Januar 2021 fand eine Telefonschaltkonferenz der Gesundheitsminister statt, an der auch der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilnahm. Dort wurde erörtert, dass es noch keine zugelassenen Tests für eine Selbsttestung durch Laien gebe. Es werde an einer Rechtsgrundlage hierfür gearbeitet. Der Antragsgegner führte Ende Januar 2021 eine Markterkundung betreffend Antigenschnelltests auf das Coronavirus SARS-CoV-2 durch, an der ca. 40 Unternehmen, darunter der Antragsteller und die Beigeladene, beteiligt wurden. Der Fragebogen war bis 2. Februar 2021, 14.00 Uhr, per E-Mail an den Antragsgegner zurückzusenden. Der Antragsteller übermittelte fristgerecht dem Antragsgegner seine Unterlagen. Das später auch zur Angebotsabgabe aufgeforderte Unternehmen, das in die Kategorie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fällt, wurde auch an der Markterkundung beteiligt, sendete jedoch keinen Fragebogen zurück. Stattdessen richtete es am 28. Januar 2021 ein Schreiben an die Staatskanzlei und wies darauf hin, dass es einen „Spucktest“ zur Selbsttestung anbiete. Dieses Schreiben wurde an das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege weitergeleitet.
Mit Wirkung vom 2. Februar 2021 wurde durch die 3. Änderungsverordnung die Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) dahingehend ergänzt, dass AntigenSchnelltests an jedermann abgegeben werden dürfen, sofern eine CE-Kennzeichnung oder eine Sonderzulassung des BfArM vorliegt.
Der Antragsgegner beschloss die Beschaffung von Antigen-Schnelltests zur Selbsttestung. Er forderte am 4. Februar 2021 neben der Beigeladenen noch zwei weitere Unternehmen zur Abgabe eines Angebots auf, nicht aber den Antragsteller. Es sollten 5,3 Mio. Stück monatlich für eine feste Laufzeit von drei Monaten beginnend ab 15. Februar 2021 bis 9. Mai 2021 geliefert werden. Die Leistung war in drei Lose (Los 1: 2,5 Mio. Stück monatlich, Los 2 und 3 je 1,4 Mio. Stück monatlich) aufgeteilt. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Beauftragung wurde ausweislich der Leistungsbeschreibung davon abhängig gemacht, dass die angebotenen Tests durch das BfArM in eine entsprechende Liste aufgenommen würden. Aus Dringlichkeitsgründen entschloss sich der Antragsgegner zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3, § 17 VgV. Alle drei Unternehmen reichten fristgerecht bis zum 10. Februar 2021 ein Angebot für alle Lose ein.
Am 11. Februar 2021 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen den Zuschlag für alle Lose.
Durch die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union am 26. Februar 2021 erlangte der Antragsteller Kenntnis von der Auftragsvergabe an die Beigeladene.
Mit Schreiben vom 1. März 2021 reichte er einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern ein. Dadurch, dass er nicht zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren ausgewählt worden sei, sei er in seinen Rechten verletzt. Die Verfahrenswahl sei vorliegend genutzt worden, um ihn von der Teilnahme auszuschließen. Er habe ein erhebliches Interesse an dem Auftrag und sei auch in der Lage, die abgefragte Leistung zu erbringen.
Bei der Markterkundung habe er angegeben, dass die Sonderzulassung des von ihm angebotenen Schnelltests durch das BfArM beantragt worden sei und kurz vor dem Abschluss stehe. Er befürchte, dass sachfremde Erwägungen, etwa die Unternehmensgröße, zur Auftragsvergabe an die Beigeladene geführt haben könnten. Es werde die fehlende Transparenz und eine Ungleichbehandlung gerügt. Der Antragsteller behauptet, der bei der Markterkundung von ihm angegebene Schnelltest sei am 24. Februar 2021 vom BfArM zur Eigenanwendung zugelassen worden, ebenso wie der Schnelltest der Beigeladenen. Mangels Vortrags des Antragsgegners zu den objektiven Auswahlkriterien müsse ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot gemäß § 97 Abs. 2 GWB vermutet werden. Der Antragsgegner habe angegeben, dass er jene Bieter ausgewählt und zur Abgabe eines Angebots aufgefordert habe, bei denen eine Zulassung des Produkts durch das BfArM unmittelbar bevorgestanden habe. Dies sei entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch für das Produkt des Antragstellers der Fall gewesen. Daher sei nicht davon auszugehen, dass objektiv erkennbare Unterschiede im Stand des Zulassungsverfahrens für die beiden Produkte vorgelegen hätten, auf die der Antragsgegner seine Entscheidung hätte stützen dürfen. Zum Zeitpunkt der Markterkundung habe kein Unternehmen guten Gewissens Angaben dazu machen können, wann es eine Sonderzulassung erhalten werde.
Der Antragsteller hat beantragt,
die Unwirksamkeit des am 11. Februar 2021 geschlossenen Liefervertrags für Diagnoseausrüstung festzustellen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen und die Hinzuziehung seines Bevollmächtigten für erforderlich zu erklären.
Der Antragsteller habe lediglich eine rudimentäre Sachverhaltsdarstellung abgegeben und die gewählte Verfahrensart inhaltlich nicht in Frage gestellt, sodass der Antrag bereits unzulässig sei, da es an der zwingend notwendigen Behauptung einer Rechtsverletzung fehle, § 161 Abs. 2 GWB. Es fehle auch die Antragsbefugnis, da der Antragsteller weder einen Verstoß gegen § 135 Abs. 1 GWB noch einen sonstigen Vergabeverstoß behauptet habe. Bei der Befürchtung, dass sachfremde Erwägungen wie die Unternehmensgröße eine Rolle gespielt hätten, handele es sich um eine bloße Behauptung ins Blaue hinein.
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Er – der Antragsgegner – habe zu Recht die Ausschreibung auf Grundlage eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb vergeben, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV. Der Beschaffungsbedarf basiere auf äußerst dringlichen, zwingenden Gründen im Zusammenhang mit Ereignissen, die von ihm nicht hätten vorausgesehen werden können und die es nicht zugelassen hätten, Mindestfristen für ein anderes Vergabeverfahren einzuhalten. Grundlage der Verfahrenswahl sei eine Prüfung gewesen, nach der selbst bei Verkürzung der für ein offenes oder nichtoffenes Verfahren zur Verfügung stehenden Fristen der Zeitrahmen für die Zuschlagserteilung nicht ausgereicht hätte.
Das Verfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auf Grundlage der Markterkundung seien nur diejenigen Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert worden, bei denen eine Zulassung des Produkts durch das BfArM unmittelbar bevorgestanden habe. Dies habe auf die Beigeladene, nicht jedoch auf den Antragsteller zugetroffen. Die Auswahlentscheidung habe sich somit an objektiven Gesichtspunkten orientiert und dabei den Gleichheitsgrundsatz gewahrt.
Mit der Beteiligung von drei Unternehmen habe er die Verfahrensvoraussetzungen eingehalten. Die Behauptung des Antragstellers, die Verfahrenswahl sei dazu genutzt worden, um (zumindest) sein Unternehmen von der Teilnahme auszuschließen, sei unzutreffend. Die durchgeführte Markterkundung habe im Schwerpunkt dazu gedient, der Vergabestelle einen Überblick über den Markt an Antigen-Schnelltests zur Fremdanwendung zu verschaffen. Aus Dringlichkeitsgründen seien drei Unternehmen zur Beteiligung am Vergabeverfahren ausgewählt worden. Mit der Auswahl auf Basis der Information, welches Produkt die zeitnächste Zulassung habe erwarten lassen, sei den Anforderungen an eine pflichtgemäße und nachvollziehbare Ermessensauswahl der Bieter sowie an eine Eignungsprüfung in einem formlosen Verfahren vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe entsprochen worden.
Auf Nachfrage der Vergabekammer hat das BfArM mit Schreiben vom 26. April 2021 unter anderem mitgeteilt, dass das beteiligte KMU erst am 8. März 2021 einen Antrag auf Zulassung eines Schnelltests zur Selbsttestung gestellt habe.
Mit Schreiben vom 27. April 2021 hat der Antragsgegner vorgetragen, weder die Rückäußerungen der im Rahmen der Markterkundung angefragten Unternehmen noch das Ergebnis der Markterkundung sei für seine Auswahlentscheidung maßgeblich gewesen. Die Auswahl der Bieter sei vielmehr auf Grundlage der begründeten Erwartung erfolgt, dass diejenigen, deren Anträge auf Sonderzulassung beim BfArM prioritär bearbeitet worden seien, am ehesten und schnellsten zur Abdeckung des benötigten Bedarfs in der Lage sein würden. In Bezug auf das ausgewählte KMU sei eine Ausnahme gemacht worden. Dieser Anbieter sei wegen der zunächst bestehenden Aussicht auf Lieferung von „Spucktests“ einbezogen worden, deren baldige Zulassung im Rahmen eines vorab zugeleiteten Informationsschreibens beworben worden sei. Dabei sei das KMU am 20. Januar 2021 seitens des Präsidenten des BfArM ebenfalls als eines derjenigen Unternehmen benannt worden, die die besten Aussichten auf eine Sonderzulassung gehabt hätten.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 6. Mai 2021 festgestellt, dass der mit Zuschlagserteilung vom 11. Februar 2021 zustande gekommene Vertrag zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen von Anfang an unwirksam sei (Ziffer 1.) und dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens auferlegt (Ziffer 2.). Zur Begründung hat sie im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Antragsteller sei gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, weil er sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsgegner seiner Auswahlentscheidung bei vergaberechtskonformer Vorgehensweise andere Kriterien zugrunde gelegt hätte und der Antragsteller auf Basis dieser Kriterien zur Angebotsabgabe aufgefordert worden wäre.
Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet.
Bei § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV handele es sich um eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen sei. Dringliche und zwingende Gründe kämen nur bei akuten Gefahrensituationen und höherer Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Gefahren und Schäden für Leib und Leben ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erforderten. Der Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 stelle nach allgemeiner Ansicht ein solch unvorhersehbares Ereignis dar. Der Beschaffungsbedarf von Antigen-Schnelltests zur Eigenanwendung falle grundsätzlich darunter.
Die Vergabekammer hat jedoch Zweifel an der Dringlichkeit geäußert, weil der Antragsgegner laut Vergabevermerk bereits am 8. Dezember 2020 mit Umsetzungsmaßnahmen zur Testung von Schülern befasst worden sei. Sie hat die Frage allerdings offengelassen, da der Nachprüfungsantrag des Antragstellers auch bei unterstellter Dringlichkeit Erfolg habe.
§ 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV eröffne auf der Rechtsfolgenseite die Vergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Die Wahl dieser Verfahrensart stehe jedoch ausweislich des Wortlauts der Ausnahmevorschrift im Ermessen des Auftraggebers. Dieser sei auch in dieser Situation verpflichtet, so viel Wettbewerb wie möglich zu gewährleisten, sodass die Entscheidung, ob und in welcher Weise er Wettbewerb im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb schaffe, der eingeschränkten Überprüfbarkeit durch die Vergabenachprüfungsinstanzen unterliege.
Bereits die Tatsache, dass der Antragsgegner die im Vergabevermerk dokumentierten Auswahlgründe im Laufe des Nachprüfungsverfahrens (mehrfach) revidiert habe, entspreche kaum dem Grundsatz einer transparenten Verfahrensführung. Nach den im Vergabevermerk dokumentierten Erwägungen sei die Bieterauswahl unter anderem auf Grundlage der Ergebnisse einer vorangegangenen Markterkundung unter Anbietern von Schnelltests getroffen worden, in der mehrere Anbieter von Schnelltests auch danach befragt worden seien, ob eine Möglichkeit zur Selbstanwendung bestehe. Die Entscheidung über die Auswahl der Bieter sei anhand der Unmittelbarkeit einer bevorstehenden Zulassung des Produktes durch das BfArM getroffen worden. Gemäß Schriftsatz vom 16. April 2021 sei es für den Antragsgegner notwendig gewesen, ehestmöglich eine hinreichende Anzahl von Bietern zur Angebotsabgabe aufzufordern. Dabei sei die Herstellung bzw. der Vertrieb von Selbsttests zuvor bei den ausgewählten Bietern abgeklärt worden. Mit Schriftsatz vom 27. April 2021 habe der Antragsgegner schließlich ausgeführt, dass die Auswahl der Bieter auf Grundlage der begründeten Erwartung erfolgt sei, dass jene Antragsteller, deren Anträge auf Sonderzulassung beim BfArM prioritär bearbeitet worden seien, am ehesten und schnellsten zur Abdeckung des benötigten Bedarfs in der Lage sein würden. In Bezug auf das ausgewählte KMU sei eine Ausnahme gemacht worden. Dieser Anbieter sei wegen der zunächst bestehenden Aussicht auf Lieferung von „Spucktests“ einbezogen worden. Dabei sei das KMU seitens des BfArM ebenfalls als eines derjenigen Unternehmen benannt worden, die die besten Aussichten auf eine Sonderzulassung hätten. Gehe man mit den im Vergabevermerk dokumentierten Erwägungen davon aus, dass die Bieterauswahl unter anderem auf Grundlage der Ergebnisse der Markterkundung getroffen worden sei, sei diese Auswahl ermessensfehlerhaft gewesen, weil der zugrundeliegende Sachverhalt unzutreffend ermittelt worden sei.
Der Antragsteller habe im Rahmen der Markterkundung angegeben, dass die Zulassung seines Schnelltests zur Eigenanwendung durch das BfArM unmittelbar vor dem Abschluss gestanden habe. In der Tabelle der Markterkundungsergebnisse, welche der Antragsgegner der Vergabekammer als Teil der Vergabeakte habe zukommen lassen, sei für den Antragsteller in der Spalte für die erwartete Zulassung jedoch nur vermerkt gewesen, dass die Sonderzulassung beantragt sei, nicht jedoch wie bei den anderen zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen, dass diese kurz vor Abschluss stehe. Wie der Antragsgegner zu seiner in der Tabelle der Markterkundungsergebnisse dokumentierten Einschätzung gekommen sei, lasse sich weder der Vergabedokumentation entnehmen noch habe dies im Rahmen des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage aufgeklärt werden können. Die vom Antragsteller und der Beigeladenen vertriebenen Tests seien jene gewesen, welche als erste eine Sonderzulassung durch das BfArM erhalten hätten.
Indem der Antragsgegner das am Vergabeverfahren beteiligte KMU erklärtermaßen nicht danach ausgewählt habe, dass es zu den vom BfArM prioritär bearbeiteten Zulassungsantragstellern gezählt habe, habe er gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 97 Abs. 2 GWB verstoßen. Bei der Einbeziehung dieses Bieters wegen der zunächst bestehenden Aussicht auf Lieferung von „Spucktests“ handele es sich zudem um eine sachwidrige Erwägung, da das Vergabeverfahren mangels entsprechender Fachlose, auf die sich das KMU erfolgreich hätte bewerben können, in keiner Weise darauf ausgerichtet gewesen sei, eine Beschaffung derartiger „Spucktests“ zu gewährleisten. Für das beteiligte KMU habe auch keine Rückmeldung aus der durchgeführten Markterkundung vorgelegen. Das Unternehmen habe zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung noch keinen Antrag auf Sonderzulassung seines Schnelltests zur Eigenanwendung gestellt und die Sonderzulassung zum Zeitpunkt der Anfrage Ende April 2021 auch noch nicht erhalten gehabt.
Durch die ermessensfehlerhafte Auswahl der zur Angebotsaufforderung ausgewählten Unternehmen sei der Antragsteller in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Es sei nicht auszuschließen, dass er auf Basis einer ermessensfehlerfreien Entscheidung zur Angebotsabgabe aufgefordert worden wäre. Der Antragsgegner habe aufgrund der durchgeführten Markterkundung gewusst, dass der Antragsteller als grundsätzlich tauglicher und zudem auch erkennbar interessierter Anbieter in Betracht gekommen sei.
Eine Rechtsverletzung des Antragstellers würde allenfalls dann ausscheiden, wenn der Antragsgegner gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3, § 17 Abs. 5 VgV ermessensfehlerfrei weniger als drei Unternehmen zur Angebotsabgabe hätte auffordern dürfen. Dies sei in Anlehnung an § 51 Abs. 2 VgV nicht der Fall gewesen. Da der Antragsgegner Kenntnis davon gehabt habe, dass mehrere Unternehmen geeignet gewesen seien, hätte er sogar mehr als drei Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern müssen, sofern dies nicht zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung der Beschaffung geführt hätte. Weder aus dem Vergabevermerk noch aus dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragsgegners hätten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, insbesondere da die vorgegebenen Leistungsanforderungen überschaubar gewesen seien und eine reine Preiswertung stattgefunden habe. Da der Antragsgegner nachvollziehbar nach der bevorstehenden Zulassung von Antigen-Schnelltests zur Eigenanwendung von einer sprunghaft steigenden Nachfrage ausgegangen sei und befürchtet habe, nicht genügend Schnelltests beschaffen zu können, sei nicht nachvollziehbar, warum nicht mehr als drei Anbieter zur Angebotsabgabe aufgefordert worden seien, obwohl diese die Anforderung erfüllt hätten. Stattdessen habe der Antragsgegner aus nicht dokumentierten und nicht nachvollziehbaren Erwägungen nur drei Unternehmen aufgefordert, darunter das offensichtlich und auf absehbare Zeit nicht leistungsfähige KMU, das dann auch kein zuschlagsfähiges Angebot habe abgeben können.
Da der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB zulässig und begründet sei, sei die Unwirksamkeit festzustellen gewesen.
Gegen den ihm am 10. Mai 2021 zugestellten Beschluss der Vergabekammer wendet sich der Antragsgegner mit seiner sofortigen Beschwerde vom 21. Mai 2021, die am 23. Mai 2021 bei Gericht eingegangen ist. Der Antragsgegner wiederholt sein Vorbringen aus dem Nachprüfungsverfahren; ergänzend führt er aus:
Der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig gewesen, da es an der erforderlichen Antragsbefugnis und an den Mindestanforderungen gemäß § 161 Abs. 2 GWB gefehlt habe. Das Angebot des Antragstellers habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt, da sich aus der Mitteilung des BfArM vom 26. April 2021 ergebe, dass für das vom Antragsteller benannte Produkt kein Antrag vorgelegen habe.
Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet.
Die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sei zulässigerweise erfolgt, § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV. Erst nach der Telefonschaltkonferenz der Gesundheitsminister am 20. Januar 2021 und dem Inkrafttreten der 3. Änderungsverordnung zur Medizinprodukteverordnung (MPAV) zum 2. Februar 2021 habe die Möglichkeit einer Ausschreibung eines Vertrags bestanden. Das Inkrafttreten habe zu einem schlagartig entstehenden bundesweiten Bedarf an diesen Produkten geführt, weshalb zeitnah das gegenständliche Ausschreibungsverfahren initiiert und zum Abschluss gebracht worden sei, um noch ausreichend Kapazitäten am Markt vorzufinden. Am 8. Dezember 2020, auf den die Vergabekammer abstelle, sei ein konkreter Beschaffungsbedarf nicht entstanden. Insoweit hätte die Vergabekammer die Frage nicht offenlassen dürfen.
Das Verfahren sei auch vergaberechtskonform durchgeführt worden. Die von der Vergabekammer vorgenommene Ausweitung der Kontrolle des dem öffentlichen Auftraggeber zur Wahl der Vergabeverfahrensart aus § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV eröffneten Ermessens auf die inhaltliche Gestaltung des Verfahrens sei in den Vergabevorschriften nirgends normiert. Die von der Vergabekammer vorgenommene allgemeine Überprüfung auf Ermessensfehler sei nicht zulässig. Insbesondere hätten sich die Maßstäbe der Kontrolle an den Umständen zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung zu orientieren, was zu einer Beschränkung der Ermittlungstiefe führe.
Es liege auch wegen der kritisierten Dokumentation kein Fall der fehlenden Transparenz in der Verfahrensführung vor. Die Dokumentation erfülle keinen Selbstzweck, sondern habe dienende Funktion. Die Darstellung im Schriftsatz vom 27. April 2021 habe lediglich den Sachverhalt ergänzt.
Zu Unrecht gehe die Vergabekammer davon aus, dass der Antragsteller aufgrund der Markterkundung in den Kreis der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Bieter hätte einbezogen werden müssen. Die Auswahl der zur Angebotsabgabe aufgeforderten Anbieter sei nicht ermessensfehlerhaft gewesen. Sie sei aufgrund einheitlicher Kriterien getroffen worden und nicht aufgrund sachwidriger Erwägungen. Der Präsident des BfArM habe das ausgewählte KMU als eines derjenigen Unternehmen benannt, welche beste Aussichten auf eine Sonderzulassung gehabt hätten. Alle zur Abgabe aufgeforderten Anbieter hätten die gleichen Voraussetzungen (Schnelltest zur Selbsttestung; voraussichtlich zeitnah vor Zulassungsentscheidung) erfüllt. Bei dem Antragsteller hätten diese Voraussetzungen gemäß Mitteilung der BfArM vom 26. April 2021 nicht vorgelegen. Auch bei dem „Spucktest“ des KMU habe es sich um einen Schnelltest gehandelt. Die Vergabekammer habe auch nicht berücksichtigt, dass die zur Einbeziehung in die Aufforderung zur Angebotsabgabe vorgenommene Prognose nur auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Informationslage vorgenommen werden könne.
Die Vergabekammer gehe aufgrund ihrer unrichtigen Einschätzung zu den Spielräumen des Antragsgegners zu Unrecht davon aus, dass die Bieterauswahl ermessensfehlerhaft gewesen sei und der Antragsteller in seinen Rechten verletzt worden sei. Er – der Antragsgegner – hätte auch weniger als drei Unternehmen zur Angebotsabgabe auffordern dürfen. Keines der Unternehmen habe zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung eine Sonderzulassung gehabt. Ein Verstoß gegen die Verpflichtung, ein „Mindestmaß an Wettbewerb“ zu gewährleisten, liege nicht vor. Die Vergabekammer könne angesichts der Dringlichkeit der Vergabe nicht davon ausgehen, dass eine Vielzahl von Bietern zur Angebotsabgabe einzubeziehen sei.
Der Antragsgegner beantragt,
1.Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 6. Mai 2021 (Gz. 3194.Z3-3_01-21-9) wird aufgehoben.
2.Der Vergabenachprüfungsantrag des Antragstellers vom 1. März 2021 wird zurückgewiesen.
3.Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen.
Der Antragsteller beantragt,
1.Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 6. Mai 2021, Gz. 3194.Z3-3_01-21-9, wird zurückgewiesen.
2.Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragstellers.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2021 beantragt der Antragsteller zudem:
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller durch den Antragsgegner in seinen Rechten verletzt ist.
Er wiederholt sein Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass er als Vertriebspartner der T. GmbH über ein zugelassenes Produkt verfüge. Den Antrag auf Sonderzulassung habe die T. GmbH gestellt. Bereits seit Dezember 2020 seien dieses Unternehmen und auch der Antragsteller beim BfArM für Schnelltests gelistet gewesen.
Der Vortrag des Antragsgegners, bei der Telefonschaltkonferenz der Gesundheitsminister am 20. Januar 2021 habe der Präsident des BfArM erklärt, dass das beteiligte KMU beste Aussichten auf eine Sonderzulassung habe, erstaune, nachdem ausweislich der Mitteilung des BfArM vom 26. April 2021 das KMU noch nicht einmal ein Antrag auf Sonderzulassung gestellt habe.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten der Vergabekammer und der Vergabestelle sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2021 Bezug genommen.
B.
Die zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist zum überwiegenden Teil begründet. Der Beschluss der Vergabekammer ist aufzuheben, soweit er die Unwirksamkeit des Vertrags feststellt, da Unwirksamkeitsgründe nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen für ein Vergabeverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV lagen vor und es ist auch nicht zu beanstanden, dass nur drei Interessenten zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden. Nicht nachvollzogen werden kann die nur unzureichend dokumentierte Auswahl der drei Unternehmen, was allerdings nicht zur Unwirksamkeit der Auftragsvergabe gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 WB führt, sondern nur zur Feststellung einer Verletzung der Rechte des Antragstellers.
I.
Die Beschwerde ist gemäß § 171 Abs. 1 GWB statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Insbesondere die ordnungsgemäße Vertretung des Antragsgegners ist dargetan. Das gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 VertrV a. F. grundsätzlich zuständige Staatsministerium der Finanzen hat für das vorliegende Verfahren gemäß § 15 Abs. 2 VertrV a. F. die Prozessvertretung auf das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege übertragen.
Die Zwei-Wochen-Frist gemäß § 172 Abs. 1 GWB ist gewahrt. Die Beschwerdebegründung genügt auch den Anforderungen des § 172 Abs. 2 GWB.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zum überwiegenden Teil begründet.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die nach § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB maßgebliche 30-tägige Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit seit Information über den Abschluss des Vertrags ist eingehalten.
b) Die Antragsbefugnis des Antragstellers ist gegeben, da dieser sein Interesse am Auftrag und eine Verletzung bieterschützender Vorschriften dargelegt hat, § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB. Bieterschützend ist § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV (vgl. Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, 3. Aufl. 2022, VgV § 14 Rn. 92) i. V. m. § 97 Abs. 6 GWB. Die Rechtsverletzung muss ursächlich zurückgehen auf die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften. Letztendlich hat ein Antragsteller darzulegen, dass ihm durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder dass jedenfalls die Gefahr eines Schadenseintritts besteht (Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl. 2017, GWB § 160 Rn. 24).
aa) Der Antragsteller hat sein Interesse an dem Auftrag durch Teilnahme an der Markterkundung belegt. Er hat zudem eine Verletzung seiner Rechte nach § 97 Abs. 6 GWB i. V. m. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV behauptet, indem er beanstandet, zu Unrecht nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert worden zu sein (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 11. November 2021, 17 Verg 4/21 – Luca II, NZBau 2022, 50 Rn. 16 [juris Rn. 24]; Kling in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, GWB § 135 Rn. 45).
bb) Der Antragsteller hat einen auf Vergaberechtsverstöße zurückgehenden möglichen Schaden dargelegt, § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB. Hierzu genügt, dass er bei einem Verstoß im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB in vergaberechtswidriger Weise nicht am Verfahren beteiligt wurde. Dies stellt eine Verschlechterung der Zuschlagsaussichten und damit einen potentiellen Schaden dar (BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597 [juris Rn. 27, noch zum alten Recht]; vgl. Kling in Immenga/Mestmäcker, GWB § 135 Rn. 52). An die Darlegung des entstandenen oder drohenden Schadens werden keine sehr hohen Anforderungen gestellt (vgl. BVerfG VergabeR 2004, 597 [juris Rn. 28] m. w. N.).
Für die Antragsbefugnis und die Möglichkeit eines Schadenseintritts ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte, wenn der behauptete Vergabefehler nicht vorgelegen hätte. Ausreichend ist vielmehr, dass die Zuschlagserteilung an diesen Bieter jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 39).
Der Antragsteller hat dargelegt, dass ein Antrag auf Sonderzulassung des von ihm vertriebenen Produkts (jedenfalls von der T. GmbH) gestellt worden sei, er also Selbsttests hätte anbieten können, bei denen Aussicht auf baldige Zulassung bestanden habe. Es genügt, dass das angebotene Produkt die Chance hatte, eine Zulassung zu erhalten.
c) Die Rügen des Antragstellers sind nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB fordert für den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des erteilten Auftrags keine Rüge. Eine entsprechende ausdrückliche Ausnahme von der Rügeobliegenheit statuiert § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB (vgl. auch Kling in Immenga/Mestmäcker, GWB § 135 Rn. 52).
2. Der Nachprüfungsantrag ist allerdings unbegründet, soweit er darauf gerichtet ist, die Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB festzustellen. Der Beschluss der Vergabekammer ist insoweit aufzuheben, da es keiner europaweiten Ausschreibung bedurfte.
Der Antragsgegner durfte den streitgegenständlichen Auftrag in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und somit ohne europaweite Bekanntmachung vergeben, da ein Fall der äußersten Dringlichkeit im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorlag. Dahinstehen kann, ob trotzdem ein Auftrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam sein kann, wenn zu Unrecht völlig auf Wettbewerb verzichtet wurde. Hier hat ein ausreichender Wettbewerb stattgefunden. Die fehlerhafte Auswahl der Bieter führt dagegen nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
a) Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV lagen vor.
Zur Erfüllung der Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes müssen drei Tatbestandsmerkmale kumulativ gegeben sein: Zum einen müssen äußerst dringliche, zwingende Gründe vorliegen, diese dürfen zum anderen für den Auftraggeber nicht voraussehbar gewesen sein, und die die äußerste Dringlichkeit begründenden Umstände dürfen schließlich dem Auftraggeber nicht zuzurechnen sein.
Beim Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb kann Wettbewerb von vornherein nur zwischen den Unternehmen stattfinden, die der öffentliche Auftraggeber direkt anspricht. Deshalb handelt es sich bei § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV um eine Ausnahmevorschrift, deren Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen sind (OLG München, Beschluss vom 28. September 2020, Verg 3/20, VergabeR 2021, 487 [juris Rn. 34] m. w. N; Kulartz in Röwekamp/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2. Aufl. 2022, § 14 Rn. 35; Dörn in Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 47; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert VgV, 4. Aufl. 2018, § 14 Rn. 29; Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 119 Rn. 24; Roth/Landwehr NZBau 2021, 441 [442]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Oktober 2008, VII Verg 46/08 [juris Rn. 37] – zum vergleichbaren Problem bei § 3a Nr. 2 VOL/A).
Nach der Zielsetzung des Vergaberechts ist der Regelfall die transparente Vergabe, die Eröffnung und der Schutz des Wettbewerbs, nicht dessen Einschränkung (OLG München VergabeR 2021, 487 [juris Rn. 34]). An das Erfordernis der äußerst dringlichen und zwingenden Gründe werden hohe Anforderungen gestellt (Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 58; Dörn in Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 47; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, VgV § 14 Rn. 71). Vorausgesetzt ist eine drohende gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung für den Fall, dass ein reguläres Vergabeverfahren durchgeführt würde (Dörn in Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 47; Pünder in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, VgV § 14 Rn. 71; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, VgV § 14 Rn. 72). Insoweit sind die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts einerseits und die vergaberechtliche Verpflichtung zur Durchführung eines wettbewerblichen und transparenten Vergabeverfahrens andererseits gegeneinander abzuwägen.
aa) Die Corona-Pandemie stellt nach allgemeiner Ansicht ein solch unvorhergesehenes und unvorhersehbares Ereignis dar, das zu kurzfristigen Beschaffungsbedarfen führen kann (OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2020, 17 Verg 4/20 – Corona-Tests, VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 79]; Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 62; Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-Krise verursachten Notsituation vom 1. April 2020: 2020/C 108 I/01). Aufträge zur Deckung des Bedarfs im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie betreffen oftmals Ereignisse, die der öffentliche Auftraggeber nicht vorhersehen konnte und für die eine zwingende Dringlichkeit ohne die Möglichkeit zur Einhaltung der allgemeinen Fristen bestehen kann, wobei stets der Einzelfall konkret zu prüfen ist.
bb) Äußerste Dringlichkeit hat im Streitfall vorgelegen. Sie ist regelmäßig bei unaufschiebbaren, nicht durch den Auftraggeber verursachten Ereignissen anzunehmen, bei denen eine gravierende Beeinträchtigung für die Allgemeinheit und die staatliche Aufgabenerfüllung droht, etwa durch einen schweren, nicht wiedergutzumachenden Schaden. Als dringliche und zwingende Gründe kommen akute Gefahrensituationen und höhere Gewalt in Betracht, die zur Vermeidung von Schäden der Allgemeinheit ein sofortiges, die Einhaltung von Fristen ausschließendes Handeln erfordern (OLG Celle, Beschluss vom 29. Oktober 2009, 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 [juris Rn. 63]; Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, § 14 Rn. 35).
Der Beschaffungsbedarf hat hier auf äußerst dringlichen, zwingenden Gründen im Zusammenhang mit Ereignissen basiert, die vom Antragsgegner nicht vorausgesehen werden konnten und die es nicht zugelassen haben, die in anderen Verfahrensarten geltenden Mindestfristen einzuhalten.
(1) Das Merkmal der äußersten Dringlichkeit wird ausgefüllt durch den Verweis auf die Mindestfristen, die in Verfahren mit einer EU-Auftragsbekanntmachung vorgeschrieben sind. Der Grad der Dringlichkeit muss demgemäß so hoch sein, dass selbst die auf ein zulässiges Maß verkürzten Teilnahme- und Angebotsfristen zu lang sind, um den Beschaffungsbedarf rechtzeitig zu decken.
Die Vergabekammer hat die Frage, ob eine äußerste Dringlichkeit vorgelegen habe, offengelassen, jedoch gewisse Zweifel daran geäußert, da am 8. Dezember 2020 der Ministerrat das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege damit beauftragt habe, die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen zur Durchführung der notwendigen Testungen mittels Antigen-Schnelltests in die Wege zu leiten.
Der Senat teilt diese Überlegungen nicht. Auch wenn bereits im Dezember 2020 das Offenhalten der Schulen – begleitet von Sicherheitsmaßnahmen – angestrebt worden war, standen zu diesem Zeitpunkt noch keine Schnelltests zur Selbsttestung zur Verfügung. Erst im Laufe des Januar 2021 konkretisierte sich die Möglichkeit, solche Selbsttests einzusetzen.
Es kann dahinstehen, ob mit dem Antragsgegner auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der 3. ÄnderungsVO zur Medizinprodukte-AbgabeVO am 2. Februar 2021 oder ob entsprechend dem Vorbringen des Antragstellers bereits auf den Regierungsentwurf vom 22. Januar 2021 abzustellen ist.
Jedenfalls ist von einem Beschaffungsbedarf für Schnelltests zur Selbsttestung nicht vor dem 22. Januar 2021 auszugehen, da vor diesem Zeitpunkt die rechtlichen Anforderungen an solche Tests noch nicht hinreichend sicher absehbar waren.
Folgt man insoweit dem Vortrag des Antragstellers, ist der Antragsgegner in nicht zu beanstandender Weise bei Zugrundelegung der abgekürzten Mindestfristen bei einem offenen Verfahren von einem Zeitraum von etwa sechs Wochen bis zur Zuschlagserteilung ausgegangen. Es ist im Vergabevermerk dargelegt, dass eine verkürzte Angebots-Mindestfrist bei besonderer Dringlichkeit von mindestens fünfzehn Tagen möglich gewesen wäre (§ 15 Abs. 3 VgV). Hinzu käme der für die Ausschreibung über das Portal e-Vergabe notwendige Zeitrahmen von ca. zehn Tagen sowie die vorherige Erstellung der notwendigen Unterlagen (Vergabevermerk, Bedarfsprüfung, Prüfung/Bereitstellung der Haushaltsmittel, Leistungsbeschreibung sowie Vertragserstellung).
Ausgehend davon, dass der Beschaffungsbedarf ab 22. Januar 2021 bestand, hätte bei einem förmlichen EUweiten Vergabeverfahren frühestens am 5. März 2021 der Zuschlag erteilt werden können. Da der Bedarf bereits ab 15. Februar 2021 gedeckt werden sollte, wäre das offene Verfahren daher nicht rechtzeitig durchführbar gewesen. Dasselbe gilt für das nicht offene Verfahren gemäß § 16 VgV und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, da auch hier gemäß § 16 Abs. 3 VgV und § 17 Abs. 3 VgV Mindestfristen von 15 Tagen vorgesehen sind.
Der Antragsgegner ging nachvollziehbar davon aus, dass mit Inkrafttreten der 3. ÄnderungsVO zur Medizinprodukte-AbgabeVO der Bedarf an Schnelltests zur Selbsttestung schlagartig ansteigen würde und leitete die Beschaffung von solchen Schnelltests unverzüglich ein. Ein weiteres Zuwarten hätte die durch die 3. ÄnderungsVO eröffnete Möglichkeit des Einsatzes von Selbsttests ernsthaft gefährdet. Darüber hinaus ging er davon aus, dass aufgrund unvorhersehbar steigender Infektionszahlen weitere Ansteckungen zu befürchten seien. Bei der Durchführung eines regulären Vergabeverfahrens mit den entsprechenden Fristen hätte wegen der Ausweitung der Pandemie, der der Einsatz der Tests entgegenwirken sollte, eine Gefahr der Beeinträchtigung der Rechtsgüter Leib und Leben bestanden.
(2) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass das Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb ausschließlich dann zulässig sei, wenn nur ein Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein werde, den Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit auferlegten technischen und zeitlichen Zwänge zu erfüllen. Eine derartige Beschränkung kann insbesondere § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV nicht entnommen werden, wie schon der Vergleich mit der – auf die Leistungsfähigkeit eines einzigen Unternehmens abstellenden – Regelung des § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV zeigt.
b) Die Vergabestelle hat ausreichenden Wettbewerb durchgeführt, indem sie drei Bieter zur Abgabe eines Angebots aufgefordert hat. Diese Begrenzung ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden und hat den Antragsteller daher nicht in seinen Rechten verletzt. Schon deshalb lässt sich damit eine Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GBW nicht begründen.
aa) Es kann dahinstehen, ob trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV eine Vergabe gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam sein kann, wenn zu Unrecht völlig auf Wettbewerb verzichtet wird.
(1) Nach dem Wortlaut des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB kann im Fall einer unmittelbaren Direktvergabe ohne vorherige Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union die Unwirksamkeit des von dem Auftraggeber abgeschlossenen Vertrags nicht festgestellt werden, wenn die Direktvergabe gesetzlich gestattet gewesen ist. Die Feststellung der Unwirksamkeit eines ohne vorherigen öffentlichen Wettbewerb geschlossenen Vertrags auf Grundlage von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB scheidet mithin immer dann aus, wenn die in Rede stehende Vergabe im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb ausnahmsweise zulässig ist (Wirner in BeckOK Vergaberecht, 22. Ed. 31. Januar 2021, § 135 GWB Rn. 36).
(2) In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV die Einschränkung des Wettbewerbs verhältnismäßig, insbesondere erforderlich sein müsse und daher ein gänzliches Abstehen vom Wettbewerbsprinzip ermessensfehlerhaft sein könne (OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 85]; Wirner in BeckOK Vergaberecht, § 135 GWB Rn. 38 f.; Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 53: „Alle Defacto-Vergaben sind erfasst.“). Ein solches Abweichen vom Gebot europaweiter Ausschreibung führe zur Unwirksamkeit des Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB (OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 88]). Bezugspunkt des vergaberechtlichen Vorwurfs wäre die unterbliebene Veröffentlichung bereits dann, wenn sie nicht so weit wie gesetzlich vorgesehen kompensiert werde, der Transparenz- und der Wettbewerbsgrundsatz also über das notwendige (und zugelassene) Maß hinaus eingeschränkt werde (OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 89]). Andernfalls könnten gröbste Verstöße gegen das Vergaberecht nie sanktioniert werden (Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 52). Der Regelungszweck des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB bestehe darin, den stärksten Verstoß gegen das europäische Vergaberecht zu sanktionieren.
(3) Nach anderer Ansicht (Roth/Landwehr NZBau 2021 441, [444 ff.] m. w. N.; Fett in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, GWB § 135 Rn. 38) spricht gegen dieses Verständnis von § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, dass nach der Vorschrift des § 168 Abs. 1 Nr. 2 GWB ein einmal erteilter Zuschlag grundsätzlich nicht aufgehoben werden könne, sofern nicht die gesetzlich definierten Unwirksamkeitsgründe vorlägen.
(4) Diese Frage bedarf keiner Klärung, da – aus den unter bb) dargelegten Gründen – ein ausreichender Wettbewerb stattgefunden hat.
bb) Abweichend von der Vergabekammer sieht der Senat keinen Anlass, die Begrenzung der Anzahl der Bieter auf drei Unternehmen vergaberechtlich zu beanstanden, § 14 Abs. 4 Nr. 3, § 17 Abs. 5 VgV.
(1) Die Vergabekammer hat in ihrer Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass der Auftraggeber verpflichtet ist, ein Mindestmaß an Wettbewerb durch Aufforderung mehrerer geeigneter Unternehmen zu gewährleisten, § 17 Abs. 5 VgV. Im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz müssen daher auch im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb regelmäßig mehrere Bieter beteiligt werden (Antweiler in Ziekow/Völlink, GWB § 119 Rn. 24; Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 31). Ein Mindestmaß an Wettbewerb ist allerdings gewahrt, wenn in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zumindest drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011, X ZB 4/10 – S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr BGHZ 188, 200 Rn. 72; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, VergabeR 2021, 338 [juris Rn.
40); Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 14 Rn. 18; Goldbrunner in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 51 Rn. 10; Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, VgV § 14 Rn. 75; Pünder/Klafki in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, VgV § 17 Rn. 19). Nach § 51 Abs. 2 VgV darf die Mindestzahl der aufzufordernden Bewerber beim nicht offenen Verfahren nicht unter fünf und bei allen anderen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht unter drei liegen (Goldbrunner in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 51 Rn. 10). § 17 Abs. 4 VgV, der auf § 51 VgV verweist, gilt zwar nur für Verhandlungsverfahren mit
Teilnahmewettbewerb. Für Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb können aber keine höheren Anforderungen gelten (vgl. auch Dieckmann in Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, UVgO, VgV § 51 Rn. 8). Die äußerste Dringlichkeit, die Voraussetzung für die Zulässigkeit dieses Verfahrens ist, rechtfertigt es erst recht, dass nicht alle in Betracht kommenden Unternehmen beteiligt werden.
(2) Unzutreffend geht die Vergabekammer allerdings davon aus, der Antragsgegner habe sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Beteiligung weiterer Unternehmen angesichts der bestehenden Dringlichkeit auch tatsächlich zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verzögerung der Beschaffung führen würde. Damit überspannt sie die Anforderungen vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der Vergabe. Auch das in diesem Zusammenhang von der Vergabekammer zitierte Oberlandesgericht Rostock fordert zwar einen möglichst großen Wettbewerb, folgert daraus aber nur, dass in der Regel mehrere Angebote einzuholen seien. Dementsprechend betont es, dass ein völliger Verzicht auf Wettbewerb nur als ultima ratio in Betracht komme (OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 85]). In diesem Kontext ist die Formulierung „so viel Wettbewerb wie möglich“ dahingehend zu verstehen, dass ein angemessenes Maß an Wettbewerb erforderlich ist. Das Oberlandesgericht Rostock stellt nicht die Forderung auf, bei dringlichen Vergaben so viele Bieter zur Angebotsabgabe aufzufordern wie möglich.
(3) Im Nachprüfungsverfahren ist daher lediglich zu überprüfen, ob unter den gegebenen Umständen ein ausreichender Wettbewerb stattgefunden hat. Die Aufforderung von drei Anbietern genügt im vorliegenden Fall, um einen ausreichenden Wettbewerb zu gewährleisten.
c) Zwar erweist sich die Auswahl der Bieter aus nachfolgenden Gründen (siehe unter 3.) als fehlerhaft. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
aa) Ein Verstoß im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB hat die anfängliche Unwirksamkeit des Vertrags zur Rechtsfolge. Vorausgesetzt wird ein besonders schwerwiegender Verfahrensverstoß gegen das Vergaberecht, der in der rechtswidrigen Vergabe eines Auftrags ohne die gebotene vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union liegt (vgl. Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 10). Ein solcher Verstoß liegt hier nicht vor, da die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gegeben sind (siehe oben unter a]).
bb) Ein Teil der Literatur ist der Auffassung, dass der Bieter dann die Wirksamkeit des Vertrags hinnehmen muss, er also keine Chance mehr auf den Auftrag habe (vgl. Roth/Landwehr NZBau 2021, 441 [444 ff.] m. w. N.; Fett in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, GWB § 135 Rn. 38). Teilweise wird vertreten, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB sei dahingehend auszulegen, dass die vergaberechtliche Zulässigkeit nicht nur den Verzicht auf die Bekanntmachung, sondern „die Vergabe“ und damit das gewählte Verfahren bis zur Auftragserteilung als Ganzes betreffe. Eine Ausnahme, die „dies aufgrund Gesetzes gestatte“, sei mithin nur dann gegeben, wenn der Auftraggeber das Verfahren, welches das Gesetz anstelle der Bekanntmachung vorsehe, auch eingehalten habe (Dreher/Hoffmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 31; vgl. OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325 [juris Rn. 89]). Das wird indes nur im Zusammenhang mit einer Direktvergabe erörtert.
cc) Bislang nicht entschieden ist dagegen der Fall, dass zwar die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorliegen und ein Wettbewerb stattgefunden hat, aber die Auswahl der in ausreichender Zahl zur Abgabe eines Angebots aufgeforderten Bieter fehlerhaft erfolgt ist.
Für diese Konstellation sieht es der Senat nicht als gerechtfertigt an, über den Gesetzeswortlaut hinausgehend die Unwirksamkeit des Vertrags anzunehmen. § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB i. V. m. § 14 Abs. 4 VgV entsprechen insoweit Art. 2 d) Abs. 1 Buchst. a) der RL 2007/66/EG i. V. m. Art. 32 Abs. 2 Buchst. c) der RL 2014/24/EU. Da § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB eine Ausnahme von § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB ist, ist die Vorschrift eng auszulegen. Sie stellt lediglich darauf ab, dass die Vergabe ohne europaweite Bekanntmachung erfolgt ist, obwohl dies nicht aufgrund Gesetzes gestattet war. Danach führt nicht jeder nachfolgende Fehler im berechtigt gewählten Verfahren ohne europaweite Bekanntmachung zur Unwirksamkeit, auch wenn er zur Folge hatte, dass der Antragsteller keine Chance an einer Teilnahme am Wettbewerb hatte. Ist dem Wettbewerbsgrundsatz durch eine Beteiligung einer ausreichenden Anzahl von Unternehmen Genüge getan, besteht kein Anlass für die schwerwiegende Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Auftrags. In diesem Fall bleibt lediglich eine Feststellung der Rechtswidrigkeit (siehe unten unter 3.).
3. Der Antragsteller ist durch die Auswahl der am Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb beteiligten Bieter in seinen Rechten verletzt. Dieser Verstoß führt nicht zu einer Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, kann jedoch Gegenstand einer gesonderten Feststellung einer Rechtsverletzung sein.
a) Der Antrag auf Feststellung der Rechtsverletzung (im Folgenden nur: Feststellungantrag) ist in entsprechender Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB i. V. m. § 178 Satz 4 GWB zulässig.
aa) Allerdings kommt ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht in Betracht, da der Zuschlag bereits erteilt wurde. Dieser setzt in unmittelbarer Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 178 Satz 4 GWB voraus, dass sich das Nachprüfungsverfahren nach dessen Einleitung erledigt hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 [juris Rn. 25 ff.] noch zu § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB a. F.; OLG München, Beschluss vom 30. Januar 2020, Verg 28/19, VergabeR 2021, 136).
bb) Der zunächst als Zwischenfeststellungsantrag bezeichnete Antrag ist als Feststellungsantrag jedoch in entsprechender Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB zulässig.
Zwar war der Zuschlag auch im Streitfall bereits vor der Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erteilt, allerdings ist ein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel der Feststellung der Unwirksamkeit des Auftrags bei strittigen Defacto-Vergaben gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB in Abweichung zu § 168 Abs. 2 GWB zulässig. Als doppelrelevante Tatsache entscheidet die Nachprüfungsinstanz über die Wirksamkeit des Zuschlags im Rahmen der Begründetheit (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2017, VII-Verg 38/16, juris Rn. 23, noch zu § 101b Abs. 1 GWB a. F.; Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, GWB § 135 Rn. 103b). § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB erfordert ausdrücklich, dass der zur Unwirksamkeit des Auftrags führende Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird; einem Antragsteller kann es deshalb nicht zum Nachteil gereichen, dass er dieses Verfahren eben wegen des Verstoßes erst nach vollzogener Vergabe einleiten kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2003, X ZB 43/02, BGHZ 154, 32 [juris Rn. 15 ff.] zum Fall der ebenfalls erst nachträglich angreifbaren Aufhebung der Ausschreibung).
Der Normzweck des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB besteht darin, den Antragsteller nicht um den Ertrag der Früchte seiner bisherigen Verfahrensführung zu bringen, wenn sich das Nachprüfungsverfahren durch Beendigung des Vergabeverfahrens erledigt hat; zudem soll eine unökonomische nochmalige Überprüfung derselben Sach- und Rechtslage in einem nachfolgenden Schadensersatzprozess vermieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000, X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 [juris Rn. 27]; BayObLG vom 7. Oktober 1999, 2 Verg 3/99, BayObLGZ 1999, 318 [juris Rn. 14]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. April 2004, VII-Verg 8/04, juris Rn. 10). Diese Gesichtspunkte gebieten in den Fällen, in denen der Antragsteller zunächst einen zulässigen Antrag auf Primärrechtschutz nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB gestellt hat, sich aber im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens ergibt, dass zwar keine Unwirksamkeit vorliegt, die Rechte des Antragstellers aber gleichwohl verletzt sein können, eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB.
Der Bundesgerichtshof hat eine solche Antragstellung in einem Verfahren gebilligt, in denen sich der Bieter gegen die „Aufhebung der Aufhebung“ gewandt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13, VergabeR 2014, 538 Rn. 21, noch zu § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB a. F.), obwohl § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB seinem Wortlaut nach nicht einschlägig ist, wenn das Vergabeverfahren aufgehoben worden ist, bevor der Nachprüfungsantrag gestellt worden ist.
Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Der Antragsteller hatte im Nachprüfungsverfahren die Feststellung der Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung beantragt. Da der Zuschlag jedoch nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam ist (s. o. unter 2.]), wurde dieser wirksam erteilt, bevor der Nachprüfungsantrag gestellt wurde. Gleichwohl sind im Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf die Unwirksamkeit des Auftrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB bereits Feststellungen zu treffen. Gerade der Aspekt der Prozesswirtschaftlichkeit spricht hier dafür, dass diese bereits erarbeiteten Ergebnisse erhalten bleiben. Auch hier muss in entsprechender Anwendung des § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB die Umstellung von einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des am 11. Februar 2021 geschlossenen Liefervertrags, der sich nunmehr als aussichtlos herausgestellt hat, auf einen Feststellungsantrag zulässig sein.
cc) Dass der Antragsteller den Antrag ursprünglich als Zwischenfeststellungantrag bezeichnet hat, der nicht an ein erledigendes Ereignis gebunden sei und auch im Beschwerdeverfahren noch gestellt werden könne, um eine Bindungswirkung für einen späteren Schadenersatzprozess zu erreichen, steht der Zulässigkeit des Feststellungantrags nicht entgegen. Dabei ist der Antragsteller zunächst davon ausgegangen, dass die Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung weiterhin festzustellen sei. Anträge sind auszulegen und auch eine Falschbezeichnung schadet nicht, soweit das Rechtsschutzbegehren erkennbar ist. Der Senat hatte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass er nach vorläufiger Auffassung abweichend von der Vergabekammer nicht von der Unwirksamkeit der Zuschlagserteilung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ausgehe. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass der Senat die Möglichkeit der Geltendmachung weiterer Fehler im Rahmen eines Feststellungsantrags nach § 168 Abs. 2 GWB analog zur Wahrung eines effektiven Rechtschutzes für zulässig erachtet.
Der Feststellungantrag ist daher als Minus des ursprünglichen Antrags auszulegen. Letztlich verfolgt der Antragsteller damit lediglich mit anderen Worten einen Teil seines ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens weiter, mit dem er vor der Vergabekammer Erfolg gehabt hat (vgl. auch BGH, Urt. v. 19. März 2015, I ZR 4/14, NJW 2015, 3576 – Green-IT Rn. 28).
dd) Ein Feststellunginteresse ist gegeben, da nicht auszuschließen ist, dass der Antragsteller eine Chance auf Auftragserteilung gehabt hätte.
Ausreichend ist insoweit jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. OLG München, Beschluss vom 19. Juli 2012, Verg 8/12, VergabeR 2012, 856 [juris Rn. 56]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Mai 2009, VII-Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 [juris Rn. 126] jeweils noch zu § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F.; Steck in Ziekow/Völlink, GWB § 168 Rn. 40; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB § 168 Rn. 54).
Ein derartiges Interesse kann sich aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Bieters gegen den öffentlichen Auftraggeber im Falle des Vorliegens eines Vergaberechtsverstoßes ergeben, es sei denn, ein Schadensersatzanspruch ist offensichtlich nicht gegeben und eine auf seine Durchsetzung gerichtete Klage aussichtslos (vgl. OLG München VergabeR 2012, 856 [juris Rn. 56]). Zur Substantiierung des Feststellungsinteresses wegen möglicher Schadensersatzansprüche sind diese in aller Regel zwar näher zu begründen, auch kann verlangt werden, dass der Antragsteller darlegt, dass er bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vergabeverfahrens den Zuschlag erhalten hätte (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. August 2019, VII-Verg 9/19, NZBau 2020, 190 Rn. 17 [juris Rn. 20] unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 20. November 2012, X ZR 108/10, NZBau 2013, 180 Rn. 16 – Friedhofserweiterung; Blöcker in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 168 Rn. 97; Steck in Ziekow/Völlink, GWB § 168 Rn. 40). Ist der Auftrag indes nicht ausgeschrieben worden und liegen deshalb keine Vergabeunterlagen mit den einzelnen Bedingungen der Auftragsvergabe vor, ist es einem am Auftrag interessierten potenziellen Bieter nicht möglich, konkrete Angaben dazu zu machen, aus welchen Gründen er den Zuschlag erhalten hätte. Die Anforderungen an die Darlegung eines Schadensersatzbegehrens dürfen in einem solchen Fall nicht überspannt werden (OLG Düsseldorf NZBau 2020, 190 Rn. 17 [juris Rn. 20]).
Dies trifft auch hier zu. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Antragsteller keine Chance auf die Erteilung des Auftrags gehabt hätte und daher ein Schadensersatzanspruch von vornherein ausgeschlossen wäre. Für das von ihm vertriebene Produkt war seitens der T. GmbH ein Antrag auf Zulassung gestellt worden und der Antragsteller hatte vortragen, auch in der Lage zu sein, die abgefragte Leistung zu erbringen.
b) Der Feststellungantrag ist begründet. Denn der Antragsgegner hat seinen Ermessensspielraum bei der Auswahl der drei zur Abgabe eines Angebots aufgeforderten Unternehmen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
aa) Bei der Auswahl der Bieter dürfen keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung einfließen, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte müssen angemessen und vertretbar gewichtet und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen bzw. Maßstab muss beachtet werden (vgl. OLG München VergabeR 2018, 437 [juris Rn. 50]; OLG München, Beschluss vom 7. April 2011, Verg 5/11, NZBau 2011, 439 [juris Rn. 137]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Februar 2010, Verg 42/09 [juris Rn. 32]).
Grundsätzlich bietet im Vergabeverfahren die Dokumentation die Informationsgrundlage dafür, ob diese Vorgaben eingehalten wurden (§ 8 VgV, OLG München VergabeR 2018, 437 [juris Rn. 51]). Der Auftraggeber ist allerdings nicht generell daran gehindert, die sachliche Richtigkeit einer angefochtenen Vergabeentscheidung nachträglich zu verteidigen und seine Erwägungen, auch wenn sie im Vergabevermerk nicht zeitnah niedergelegt worden sind, im Nachprüfungsverfahren ergänzend darzulegen und zu belegen (vgl. BGHZ 188, 200 – S-Bahn-Verkehr Rhein/Ruhr Rn. 73; OLG München VergabeR 2018, 437 [juris Rn. 55]).
bb) Vorliegend enthält die vorgelegte Vergabeakte keinerlei Dokumentation dazu, aufgrund welcher Erwägungen und unter Berücksichtigung welcher Aspekte sich der Antragsgegner für die drei zur Abgabe eines Angebots aufgeforderten Unternehmen entschieden hat.
Der Vortrag des Antragsgegners zu den maßgeblichen Kriterien für die Auswahl der Bieter, die zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden, hat im Verlauf des Nachprüfungsverfahrens mehrfach gewechselt. Zuletzt hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass diejenigen Bieter zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollten, bei denen am ehesten mit einer Sonderzulassung der Schnelltests zur Selbsttestung zu rechnen war.
Selbst wenn der Senat zugunsten des Antragsgegners davon ausgeht, dass dies das maßgebliche Kriterium gewesen sei, kann nicht nachvollzogen werden, dass dieses hier auch durchgängig angewandt wurde
(1) Die Dokumentation enthält auch hierzu keine Informationen. Es existieren auch keine später erstellten Vermerke.
Im Vergabevermerk ist lediglich ausgeführt, dass eine Markterkundung durchgeführt worden sei und die Auswahl der Unternehmen „auch auf Grundlage der hier gewonnenen Erkenntnisse“ erfolgt sei. Später lässt sich der Antragsgegner dahingehend ein, dass die Rückäußerungen auf die Markterkundung nicht, „schon gar nicht ausschließlich alleine“ ausschlaggebend gewesen seien. In einem weiteren Schriftsatz hat er ausgeführt, die Auswahl der Bieter sei auf Grundlage der begründeten Erwartung erfolgt, dass jene Unternehmen, deren Anträge auf Sonderzulassung beim BfArM prioritär bearbeitet würden, am ehesten und schnellsten zur Abdeckung des benötigten Bedarfs in der Lage sein würden. In Bezug auf das ausgewählte KMU sei eine Ausnahme gemacht worden. Dieser Anbieter sei wegen der zunächst bestehenden Aussicht auf Lieferung von „Spucktests“ einbezogen worden. Dabei sei das KMU seitens des Präsidenten des BfArM in der Telefonkonferenz am 20. Januar 2021 ebenfalls als eines derjenigen Unternehmen benannt worden, das die besten Aussichten auf eine Sonderzulassung hätte.
(2) In der mündlichen Verhandlung konnten die anwesenden Mitarbeiter des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege lediglich berichten, dass telefonisch vom BfArM mitgeteilt worden sei, bei den später ausgewählten drei Unternehmen (darunter dem KMU) sei prioritär mit einer Zulassung zu rechnen. Die Angaben bezüglich der zu erwartenden Sonderzulassung hätten sich zum Teil aus den Informationen in der Telefonschaltkonferenz vom 20. Januar 2021 ergeben. Der Präsident des BfArM habe dort angegeben, welche Unternehmen am nächsten vor der Sonderzulassung stünden. Es habe sich insoweit um prognostische Aussagen gehandelt.
Es sei entscheidend auf die voraussichtliche Zulassung der Schnelltests zur Selbsttestung angekommen. Die Informationen hierzu seien im Wesentlichen mündlich erholt worden. Es habe größtenteils keine Verschriftung und damit auch keine Dokumentation der mündlich erholten Informationen stattgefunden. Aus den eingeholten Informationen habe sich allerdings ergeben, bei welchen Unternehmen am ehesten mit einer baldigen Zulassung zu rechnen gewesen sei. Diese Einholung von Informationen habe nicht auf Fachebene stattgefunden, sondern durch die „Hausspitze“ des Ministeriums und auf der Ebene politischer Gremien, z. B. Gesundheitsministerkonferenzen. Diese Informationen seien von der „Hausspitze“ dann mündlich an die Fachreferate weitergegeben worden.
Für die Auswahlentscheidung sei ausschlaggebend gewesen, bei welchen Produkten zuerst mit einer Zulassung zu rechnen war. Es sei den Mitarbeitern von der „Hausspitze“ dann mitgeteilt worden, wer die „heißesten Kandidaten“ gewesen seien.
(3) Diese Darstellung ist nicht plausibel. Denn aufgrund der Mitteilung des BfArM vom 26. April 2021 steht fest, dass das KMU erst am 8. März 2021 eine Zulassung beantragt hatte; welchen Anlass das BfArM gehabt haben könnte, gerade für dieses KMU gleichwohl eine günstige Zulassungsprognose zu geben, erschließt sich nicht. Das Protokoll der Telefonschaltkonferenz vom 20. Januar 2021 enthält hierzu keinen Anhaltspunkt. Es war in der mündlichen Verhandlung kein Mitarbeiter des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege anwesend, der an dieser Telefonschaltkonferenz oder anderen Besprechungen teilgenommen hätte und über deren Inhalt aufgrund eigener Wahrnehmung hätte berichten konnte.
Da letztlich nicht nachvollzogen werden kann, warum die drei tatsächlich zur Abgabe eines Angebots aufgeforderten Bieter ausgewählt wurden, kann der Senat nicht von der Rechtmäßigkeit der Auswahl ausgehen.
cc) Weitere Fehler des Antragsgegners im Verfahren sind entgegen der Auffassung der Vergabekammer allerdings nicht ersichtlich.
(1) Die Vergabekammer stellt darauf ab, wann welches Unternehmen einen Antrag auf Sonderzulassung gestellt und eine solche erhalten hat. Sie kommt sodann zu dem Ergebnis, dem Antragsgegner habe klar gewesen sein müssen, dass das KMU, welches auch zur Abgabe eines Angebots aufgefordert wurde, keine Aussicht auf den Zuschlag gehabt habe. Gemäß einer Rückfrage am 20. April 2021 habe es noch keine Sonderzulassung erhalten, während die vom Antragsteller und der Beigeladenen vertriebenen Schnelltests jene gewesen seien, die als erste eine Sonderzulassung durch das BfArM erhalten hätten.
Damit verkennt die Vergabekammer, dass grundsätzlich darauf abzustellen ist, wie sich die Situation zum Zeitpunkt der Aufforderung der Unternehmen zur Abgabe eines Angebots, also am 4. Februar 2021, dargestellt hat. Es kommt nicht darauf an, wie sich die Situation nach Aufforderung zur Abgabe eines Angebots im weiteren Verfahren entwickelt hat. Dies kann allenfalls im Rahmen der Plausibilität des Beteiligtenvortrags herangezogen werden (siehe oben unter bb] [3]).
(2) Es stellt für sich genommen keine sachfremde Erwägung dar, dass das KMU trotz fehlender Antwort auf die Markterkundung zur Angebotsabgabe aufgefordert worden ist, denn das Unternehmen hat, wie die anderen Unternehmen, durch sein Schreiben vom 28. Januar 2021 sein Interesse an der Abgabe eines Angebots von Schnelltests zur Selbsttestung deutlich gemacht.
(3) Keine sachfremde Erwägung ist darin zu sehen, dass auch „Spucktests“ herangezogen worden sind. Die Ausführungen der Vergabekammer, dass das Vergabeverfahren schon mangels entsprechender Fachlose fehlerhaft gewesen sei, auf die sich das KMU erfolgreich hätte bewerben können, ist ebenso unzutreffend wie die Ausführungen, dass die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots nicht darauf ausgerichtet gewesen sei, eine Beschaffung derartiger „Spucktests“ zu gewährleisten. Da der „Spucktest“ auch als zur Selbsttestung geeignet angegeben wurde, erfüllte er das vom Antragsgegner vorgegebene entsprechende Kriterium.
c) Die Frage, ob der Antragsteller tatsächlich zur Abgabe eines Angebots aufgefordert worden wäre oder hätte werden müssen und ob er dann auch den Zuschlag erhalten hätte, bedarf im hiesigen Verfahren keiner Klärung. Anders als die Vergabekammer kann der Senat nicht feststellen, dass sich aufgedrängt hätte, gerade den Antragsteller neben zwei weiteren Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern, zumal auch die T. GmbH im Rahmen der Markterkundung geantwortet und sie – anders als der Antragsteller – eine Sonderzulassung für Schnelltests zur Selbsttestung beim BfArM beantragt hatte. Letztlich muss es der Prüfung und Beurteilung des Zivilgerichts in einem etwaigen Schadensersatzprozess vorbehalten bleiben, ob es dem Antragsteller gelingt, einen konkreten Schaden infolge des vom Senat festgestellten Vergaberechtsverstoßes nachzuweisen.
C.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 175 Abs. 2 i. V. m. § 71 Satz 1 GWB, da die Beschwerde des Antragsgegners zum größeren Teil erfolgreich ist.
Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer beruht auf § 182 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 GWB. Angesichts der tatsächlich und rechtlich schwierigen Fragen war auf Antrag des Antragsgegners im Verfahren vor der Vergabekammer festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten in dem Verfahren vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war (§ 182 Abs. 4 GWB).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 50 Abs. 2 GKG. Ausgehend von den Angaben des Antragstellers und der bestellten Menge von monatlich 5,3 Millionen Schnelltests für drei Monate, mithin 15,9 Millionen Schnelltests, war der Streitwert auf 5% der Bruttoauftragssumme festzusetzen.
Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht vorliegen, insbesondere der Senat nicht von den tragenden Gründen der Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock (OLG Rostock – Corona-Tests VergabeR 2021, 325) abweicht.


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