Baurecht

Antrag auf Sicherungsmaßnahmen bei Missachtung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung einer Drittanfechtungsklage abgelehnt

Aktenzeichen  M 1 E 16.751

Datum:
11.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO §§80 V, 80a I Nr. 2, III 1

 

Leitsatz

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Durchsetzung des mit Beschluss des Gerichts vom 10. Februar 2016 im Verfahren gemäß §§ 80a, 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verfügten Baustopps.
Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. … Gemarkung … (… Straße …), das südlich an die Kreisstraße grenzt. Unter dem 20. April 2015 beantragte die Beigeladene für die Grundstücke FlNr. …, … und …, die sich nordwestlich vom Anwesen der Antragstellerin und jenseits der Kreisstraße befinden, eine Baugenehmigung für den „Neubau einer Produktionshalle mit Brauerei und deren zugehörige Logistikhalle, Büros, Bewirtungsraum und einem Getränkeladen (…)“. Mit Bescheid vom …. Mai 2015 erteilte das Landratsamt Traunstein die beantragte Baugenehmigung.
Mit Beschluss vom 10. Februar 2016 (M 1 SN 15.4734) ordnete das Bayerische Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung der Klage vom 11. Juni 2015 (M 1 K 15.2408) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung an. Wegen der Gründe wird auf den Beschluss vom 10. Februar 2016 Bezug genommen.
Mit E-Mail vom …. Februar 2016 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner, die rechtswidrig betriebenen Bauarbeiten sofort einzustellen. Hierauf erwiderte der Antragsgegner mit E-Mail vom selben Tag, dass die Beigeladene zugesichert habe, nur noch Bauarbeiten durchzuführen, die zur Sicherung des bis 12. Februar 2016 erreichten Baufortschritts erforderlich seien. Eine Baueinstellung sei daher unverhältnismäßig.
Im Rahmen einer Besprechung am 15. Februar 2016 zwischen Vertretern des Antragsgegners und der Beigeladenen wurde festgehalten, dass seitens der Beigeladenen nur noch Sicherungsarbeiten an der Baustelle durchgeführt würden, die schriftlich gegenüber dem Antragsgegner benannt würden. Unter dem 16. Februar 2016 teilte die Beigeladene dem Antragsteller Art und Umfang der beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen mit. Es wird u. a. das Setzen und Betonieren von Front- und Winkelwänden sowie einer Zwischendecke genannt. Diese Maßnahmen seien nötig, um das Auflager für den Stahlbau zu schaffen. In einer begleitenden E-Mail der Beigeladenen wird erläutert, dass die Wände benötigt würden, um den wahrscheinlich nötigen Stahlrahmen zu setzen.
Laut einem Bericht des Antragsgegners über eine Baukontrolle vom 25. Februar 2016 zur Überprüfung der Bauarbeiten im Hinblick auf die Baueinstellung und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen seien zum Zeitpunkt der Baukontrolle keine konstruktiven Bauarbeiten ausgeführt worden. In den vergangenen Tagen seien für die noch fehlenden Stahlträger Betonwände gesetzt und eine Decke errichtet worden. Es wird beschrieben, welche statisch erforderlichen Baumaßnahmen am 29. Februar 2016 und am 1. März 2016 noch durchgeführt werden sollen. Insbesondere handelt es sich dabei um die Errichtung von Stahlrahmenbindern.
Laut einem Bericht des Antragsgegners über eine Baukontrolle zur Überprüfung der Bauarbeiten im Hinblick auf die Baueinstellung und die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen vom 1. März 2016 seien zum Zeitpunkt der Baukontrolle keine konstruktiven Bauarbeiten ausgeführt worden. Es wird beschrieben, welche Stahlrahmenbinder noch montiert werden dürfen. Laut einem Aktenvermerk des Antragsgegners vom selben Tag habe die Beigeladene angegeben, die Arbeiten auf der Baustelle am 26. Februar 2016 vormittags eingestellt zu haben. Die Sicherungsmaßnahmen seien nicht abgeschlossen. Die Mitarbeiter der Stahl- und Massivbaufirmen hätten die Baustelle geräumt, der Baukran solle noch diese Woche abgebaut werden.
Am …. Februar 2016 beantragte die Antragstellerin,
1. der Beigeladenen aufzugeben, die Bauarbeiten auf den Grundstücken FlNr. 621, 627 und 628 sofort einzustellen und alle Maßnahmen zur Ausführung des genehmigten Vorhabens zu unterlassen und
2. dem Antragsgegner aufzugeben, die Einstellung der Bauarbeiten auf den vorgenannten Grundstücken anzuordnen und der Beigeladenen die weitere Bauausführung zu untersagen.
Obwohl dem Antragsgegner und der Beigeladenen der Beschluss vom 10. Februar 2016 seit 12. Februar 2016 vorliege, setze die Beigeladene die Bauarbeiten uneingeschränkt weiter fort. Es fänden Rohbauarbeiten statt, mittels Kran würden Betonaußenwandteile aufgesetzt und es würden Betonierarbeiten zur Herstellung eines weiteren Geschosses durchgeführt. Die Erwartung, dass die übrigen Beteiligten die angeordnete aufschiebende Wirkung der Klage respektieren würden, habe sich als unbegründet erwiesen. Es handele sich bei den Bauarbeiten nicht um bloße Sicherungsmaßnahmen. An der Darstellung der Beigeladenen, dass die Errichtung eines weiteren Stockwerks durch das Aufstellen der Betonelemente eine Sicherungsmaßnahme sein solle, bestünden erhebliche Zweifel.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es würden auf dem streitgegenständlichen Grundstück allein Maßnahmen durchgeführt, die erforderlich seien, um weitergehende Gefahren für Leben und Gesundheit von sich auf dem Gelände aufhaltenden Personen sowie Schäden für die bereits errichtete Bausubstanz abzuwenden.
Die Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es seien bis 26. Februar 2016 morgens nur noch Sicherungsmaßnahmen am Rohbau umgesetzt worden. Im Rohbauzustand unmittelbar nach Erlass des Eilbeschlusses vom 10. Februar 2016 sei eine ausreichende Standsicherheit für die ausgeführte Abspannung nicht nachweisbar gewesen.
Sie legt eine statische Berechnung der bauausführenden Firma … … vom 17. Februar 2016 vor. Im Begleitschreiben wird ausgeführt, dass es nicht möglich sei, eine ausreichende Standsicherheit für die ausgeführte Abspannung ab 16. Februar 2016 für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten nachzuweisen. Für den nicht absehbaren Zustand des Baustopps sei es dringend erforderlich, eine die Abspannung ersetzende Konstruktion zu erstellen. Alternativ bestehe die Möglichkeit, die Konstruktion kostenpflichtig zurückzubauen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag der Antragstellerin wird nach § 88 VwGO dahin ausgelegt, dass sie Sicherungsmaßnahmen gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO begehrt, da sie ihren Antrag darauf stützt, dass die Beigeladene die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage missachte. Die beantragten Sicherungsmaßnahmen finden ihre Rechtsgrundlage in § 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO. Diese Normen stellen eine eigenständige verfahrensrechtliche Grundlage zum Schutz und zur realen Durchsetzung der aufschiebenden Wirkung dar, die neben der Möglichkeit steht, bauaufsichtliche Maßnahmen ggf. mit einem Antrag nach § 123 VwGO zu erzwingen (vgl. VGH BW, B.v. 9.4.2014 – 8 S 1528/13 – juris Rn. 22 m. w. N.). Zwar macht die Antragstellerin auch geltend, dass die Voraussetzungen für eine Baueinstellung gemäß Art. 75 Bayerische Bauordnung (BayBO) gegeben seien. Der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entspricht es aber, ihren auf §§ 80 Abs. 5, 80a VwGO gestützten Antrag als solchen auf Erlass von Sicherungsmaßnahmen i. S. d. § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 VwGO zu verstehen.
Nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Gericht im Falle eines Rechtsbehelfs eines Dritten gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt auf Antrag des Dritten zur Sicherung von dessen Rechten einstweilige Maßnahmen treffen. Der Erlass solcher Sicherungsmaßnahmen ist nach dem Wortlaut des § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO von keinen Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere nicht von denen des Art. 75 BayBO oder von einer Ermessensreduzierung auf Null, abhängig, setzt als Annex zur Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts aber einen hinreichend konkreten Grund voraus (VG Würzburg, B.v. 30.9.2014 – 22 CS 14.2378 – juris Rn.24 f. m. w. N.; BayVGH, B.v. 27.11.2014 – 22 CS 14.2378 – juris Rn. 11). Ein hinreichender Grund liegt etwa in der Missachtung oder drohenden Missachtung der aufschiebenden Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 80a Rn. 40a).
Nach dem Ergebnis der Baukontrolle vom 1. März 2016 bestehen erhebliche Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin, nachdem die Bauarbeiten – seien es Sicherungsmaßnahmen oder konstruktive, dem Baufortschritt dienende Maßnahmen gewesen – eingestellt worden sind. Darüber hinaus ist auch nicht davon auszugehen, dass die Beigeladene die am 10. Februar 2016 angeordnete aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (M 1 K 15.2408) missachtet hat.
1. Zwar trug die Antragstellerin zuletzt unter dem 20. Februar 2016 vor, es würden weiterhin Rohbaumaßnahmen durchgeführt. Insbesondere seien Betonaußenwandteile gesetzt und ausbetoniert worden. Allerdings waren – wie der Antragsgegner und die Beigeladene nachvollziehbar gemacht haben – diese Maßnahmen unumgänglich, um das Gebäude statisch abzusichern. Die noch einbetonierten Wände und Decken waren als Auflage für die aus statischer Sicht notwendigen Stahlträger erforderlich.
Dies ergibt sich aus der von der Beigeladenen vorgelegten statischen Berechnung vom 17. Februar 2016 und dem Begleitschreiben, wonach es erforderlich ist, eine die vorläufige Abspannung ersetzende Konstruktion zu erstellen. Sämtliche von der Beigeladenen durchgeführten Sicherungsmaßnahmen waren mit dem Antragsgegner abgestimmt. Mit Schreiben vom 16. Februar 2016 benannte die Beigeladene gegenüber dem Antragsgegner konkret die Art und den Umfang der beabsichtigten Sicherungsmaßnahmen. Es wird nachvollziehbar beschrieben, dass das Setzen und Betonieren von Front- und Winkelwänden sowie einer Zwischendecke erforderlich war, um eine Auflage für die noch nötigen Stahlrahmen und Stahlträger zu bieten. Die Abstimmung der Sicherungsmaßnahmen mit dem Antragsgegner spricht gegen die Missachtung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Vielmehr wird hieraus und aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht respektiert werden sollte und die durchgeführten Maßnahmen allein der Absicherung der Baustelle dienten. Allein dem Baufortschritt dienende Bauarbeiten haben zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr stattgefunden. Insbesondere erscheint es nachvollziehbar, dass die Maßnahmen zur statischen Absicherung bei dem statisch anspruchsvollen Vorhaben der Beigeladenen in hängigem Gelände umfangreicher sind als bei kleineren Bauvorhaben, so dass ein Einstellen der Arbeiten erst nach Durchführung der statisch erforderlichen Sicherungsmaßnahmen möglich ist.
2. Unabhängig davon, ob es sich bei den von der Beigeladenen durchgeführten Arbeiten um Sicherungsmaßnahmen handelte, finden jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Bautätigkeiten mehr auf dem Grundstück der Beigeladenen statt, so dass es auch keinen hinreichenden Grund für den Erlass von Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO gibt.
Dies ergibt sich aus den Protokollen der Ortsbesichtigungen des Antragsgegners vom 25. Februar 2016 und vom 1. März 2016. Am 25. Februar 2016 wurde festgestellt, dass keine konstruktiven Bauarbeiten stattfanden. Die noch durchzuführenden Sicherungsmaßnahmen wurden beschrieben und sollten am 29. Februar 2016 und am 1. März 2016 durchgeführt werden. Am 1. März 2016 wurde festgestellt, dass ebenfalls keine konstruktiven Bauarbeiten ausgeführt wurden. Des Weiteren wurde auf Nachfrage des Antragsgegners bestätigt, dass sämtliche Arbeiten auf der Baustelle am 26. Februar 2016 eingestellt wurden. Nicht einmal die Sicherungsmaßnahmen wurden abgeschlossen, Mitarbeiter der Stahl- und Massivbaufirmen haben die Baustelle verlassen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte bleibt daher der Antrag auf Erlass von Sicherungsmaßnahmen nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 VwGO im Ergebnis ohne Erfolg.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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