Baurecht

Antragsbefugnis für Normenkontrollantrag gegen Bebauungsplan wegen Zunahme des Verkehrslärms

Aktenzeichen  15 NE 19.636

Datum:
6.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 17753
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 2, Abs. 6
BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Ist die antragstellende Person eines Normenkontrollantrages gegen einen Bebauungsplan nicht Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinen Rechten verletzt wird. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dabei ist ein durch die Ausweisung eines Baugebiets insgesamt verursachter Verkehrslärm prinzipiell zwar abwägungserheblich. Eine Größenordnung von 24 hinzukommenden Wohneinheiten ist aber von vorneherein nicht geeignet, eine über die Bagatellgrenze von bis zu rund 200 Verkehrsbewegungen pro Tag hinausgehende Belastung des Grundstücks des Antragstellers durch Verkehrslärm herbeizuführen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Nachbarn gegen den am 8. August 2018 bekannt gemachten Bebauungsplan „Z…weg II“ der Antragsgegnerin. Dieser setzt auf einer im Osten an das Grundstück der Antragsteller anschließenden, bisher unbebauten Fläche von insgesamt ca. 9.100 m², die nach der Planzeichnung auf einer Distanz von rund 68 m um etwa 4m abfällt, ein allgemeines Wohngebiet fest. Der Plan weist auf den ursprünglich ungeteilten FlNr. 138, 139 TF und 849 TF (Gemarkung M.) zehn Bauparzellen mit Größen zwischen ca. 610 und 830 m² aus. Diese können in offener Bauweise mit maximal zwei Vollgeschosse (E+I oder E+D) umfassenden Einzel- oder Doppelhäusern unter Einhaltung einer Grundstücksmindestgröße von 450 m² bebaut werden. Die von der angrenzenden, erst noch herzustellenden Erschließungsstraße, die das Baugebiet praktisch mittig von Nord nach Süd durchläuft, aus zu messenden traufseitigen Wandhöhen dürfen 6,50 m nicht übersteigen.
Die Antragsteller haben am 22. März 2019 Normenkontrollantrag (15 N 19.633) und zugleich Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO gegen den Bebauungsplan gestellt. Sie tragen im Wesentlichen vor: Der Plan hätte nicht im Verfahren nach § 13b BauGB aufgestellt werden dürfen. Entgegen § 4a Abs. 4 BauGB seien der Inhalt der ortsüblichen Bekanntmachung nach § 3 Abs. 2 Satz 2 und die nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB auszulegenden Unterlagen nicht zusätzlich in das Internet eingestellt und über ein zentrales Internetportal des Landes zugänglich gemacht worden. Der Plan sei auch nicht erforderlich und verstoße gegen § 1 Abs. 3 BauGB, jedenfalls gegen § 1 Abs. 7 BauGB. Der tatsächliche Bedarf an Bauflächen sei nicht ermittelt, Nachverdichtungsmöglichkeiten seien nicht ausgeschöpft worden. Die Bauleitplanung diene nicht den Interessen der Gemeinde sondern nur jenen des privaten Investors und Eigentümers der überplanten Flächen. Bei einer vollständigen Umsetzung des Bebauungsplans mit 24 Wohneinheiten wäre mit 192 Fahrzeugbewegungen pro Tag zu rechnen, mit der daraus für das angrenzende Baugebiet resultierenden Belastung habe sich die Antragsgegnerin nicht befasst. Die Erschließungsplanung über die B* …straße im Norden und den H…weg im Süden sei nicht umsetzbar, es fehle an der nötigen Fahrbahnbreite, die nicht erweitert werden könne. Die im Westen an das Plangebiet angrenzende Bebauung bestehe aus erdgeschossigen, maximal mit ausgebautem Dachgeschoss ausgestatteten Häusern; der streitgegenständliche Bebauungsplan lasse eine zweigeschossige Bebauung zu, was zu einer Beeinträchtigung der Angrenzer hinsichtlich Belüftung und Belichtung und Besonnung führe. Auch wenn man das Gefälle von 7% auf einer Länge von 65 m berücksichtige, lasse sich eine Wandhöhe von 6,50 m nicht rechtfertigen; diese führe bei einer Gebäudebreite von 14 m und einer Dachneigung von 35° zu Firsthöhen von bis zu 12,70 m. Gesunde Wohnverhältnisse für die im Westen angrenzende Bebauung seien nicht mehr gegeben. Nachdem am 29. Juli 2019 mit den Erschließungsmaßnahmen im Baugebiet begonnen werde, sei eine Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eilbedürftig.
Die Antragsteller beantragen,
den Bebauungsund Grünordnungsplan Allgemeines Wohngebiet (WA)
„Z…weg II“ gemäß § 47 Abs. 6 VwGO bis zur Entscheidung über
den Normenkontrollantrag außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unzulässig, jedenfalls unbegründet. Die Antragsteller trügen nicht ausreichend für einen ihnen drohenden schweren Nachteil im Sinn von § 47 Abs. 6 VwGO vor. Bei dem streitgegenständlichen Plan handele es sich um eine eigenständige Planung, die ihrerseits den Vorgaben des § 13b BauGB entspreche. Die behaupteten Entwicklungspotentiale an anderer Stelle in der Gemeinde gebe es nicht. Ein Verstoß gegen das Abwägungsgebot liege nicht vor; bereits die Grundannahmen zum hinzutretenden Fahrzeugverkehr seien nicht realistisch. Die Größe der zugelassenen Bebauung beeinträchtige die Angrenzer nicht, da die Abstandsflächenvorschriften einzuhalten seien, eine unzumutbare Verschattung werde nicht eintreten. Die Erschließung sei gesichert, auf den mit dem Vorhabenträger geschlossenen Vertrag gemäß § 123 BauGB werde verwiesen. Der Grundstückseigentümer habe inzwischen alle Parzellen an Bauwerber veräußert. Die Bekanntmachung sowie die planlichen und textlichen Festsetzungen seien auf der Homepage der Antragsgegnerin veröffentlicht worden, obwohl zu dieser Zeit noch keine Pflicht dazu bestanden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Planaufstellungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Bejahung der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren sind nicht erfüllt.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontroll(eil) antrag stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist die antragstellende Person nicht Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung ihrer privaten Belange gemäß § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 9.11.1979 – 4 N 1/78, 4 N 2/79, 4 N 3/79, 4 N 4/79 – BVerwGE 59, 87 = juris Ls und Rn. 44 ff; U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2/98 – BVerwGE 107, 215 = juris Ls 2 und Rn. 15 bis 21). Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in seinen Rechten verletzt wird (BVerwG, B.v. 10.7.2012 – 4 BN 16/12 – BauR 2012, 1771 = juris Rn. 2, 3; B.v. 17.12.2012 – 4 BN 19/12 – BRS 79 Nr. 65 = juris Rn. 3). Sind keine oder nur nicht abwägungserhebliche Interessen des Antragstellers betroffen, scheidet eine Verletzung des Rechts auf fehlerfreie Abwägung von vorneherein aus (König, Baurecht Bayern, 5. Aufl. 2015, Rn. 1012). Für die Prüfung der Antragsbefugnis kommt es grundsätzlich auf die Darlegungen des Antragstellers im Normenkontrollverfahren an. Enthalten sie keine Tatsachen, die die Missachtung eines abwägungserheblichen Belangs als möglich erscheinen lassen, ist die Antragsbefugnis zu verneinen. Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung genügt im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinn von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet.
Gemessen daran fehlt die Antragsbefugnis der Antragsteller.
Die von den Antragstellern zahlreich gerügten Verstöße gegen Verfahrensvorschriften sind grundsätzlich nicht Gegenstand der Abwägung der für die konkrete Bauleitplanung sprechenden Gesichtspunkte mit ihren subjektiven Belangen als Plannachbarn. In der vorliegenden Situation waren nur die Lage sowie die Größe des vom Bebauungsplan in unmittelbarer Nähe zu ihrem Grundstück für zulässig erklärten Wohngebäudes und der durch die Ausweisung des Baugebiets insgesamt verursachte Verkehrslärm prinzipiell abwägungserheblich. Selbst wenn die von den Antragstellern für die Verkehrszunahme genannten Zahlen zutreffen sollten, läge diese unterhalb der Bagatellgrenze und wäre abwägungsirrelevant (vgl. BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 15 N 15.1485 – BayVBl 2018, 307 = juris Rn. 23 m.zahlr.w.N.). Die hier von den Antragstellern behauptete Größenordnung von 24 hinzukommenden Wohneinheiten ist von vorneherein nicht geeignet, eine über die Bagatellgrenze von bis zu rund 200 Verkehrsbewegungen pro Tag hinausgehende Belastung des Grundstücks der Antragsteller durch Verkehrslärm herbeizuführen. Hier kommt hinzu, dass die fraglichen Kraftfahrzeugbewegungen im Norden und Süden jeweils in rund 50 m Entfernung von den jeweiligen Grenzen des Grundstücks der Antragsteller in West-Ost-Richtung stattfinden werden und nicht über den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Z* …weg, der das Eigentum der Antragsteller erschließt. Soweit die Antragsteller befürchten, dass das im Osten künftig an ihr Grundstück angrenzende Wohnhaus wegen seiner Lage und Höhe zu relevanten Beeinträchtigungen von Belichtung, Belüftung und Besonnung und darüber hinaus insgesamt zu ungesunden Wohnverhältnissen führen werde, lässt sich auch darin kein Verstoß gegen das Gebot gerechter Abwägung mit ihren schützenswerten Belangen erkennen. Es wird weder vorgetragen noch ist etwas dafür ersichtlich, dass es ausnahmsweise geboten sein könnte, die neue Bebauung weiter nach Osten abzurücken, als es auf der Grundlage der hier uneingeschränkt geltenden Vorschriften des Art. 6 BayBO der Fall sein wird. Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass sich – nach I.2.1 der Festsetzungen des Bebauungsplans – der Fußpunkt für die Berechnung der höchstens zulässigen Wandhöhe von 6,50 m jeweils auf der Seite der neuen Erschließungstrasse befinden soll, die aufgrund des nach Osten abfallenden Geländes rund 2 m tiefer liegen dürfte als das Niveau des Grundstücks der Antragsteller.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO.
Streitwert: § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 8 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.8.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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