Baurecht

Auslegung des Klageantrags und des Urteilstenors

Aktenzeichen  22 ZB 15.551

Datum:
19.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 88
BayUIG BayUIG Art. 8 I 1 Nr. 3, II

 

Leitsatz

1. Ein Verwaltungsgericht geht nicht unter Verstoß gegen § 88 VwGO über das Klagebegehren hinaus, wenn es im Urteilstenor einen Begriff verwendet, der zwar für sich genommen mehrdeutig ist, dem jedoch von den Beteiligten im konkreten Rechtsstreit und insbesondere im Klageantrag übereinstimmend derselbe Bedeutungsgehalt zur Kennzeichnung des Klagebegehrens beigemessen wurde, und auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Gericht diesem Begriff eine weiter gehende Bedeutung beigemessen hätte. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Beigeladene.
III.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Akteneinsicht in Unterlagen, die das von der Beigeladenen entwickelte Projekt „Mobilitätsdrehscheibe Augsburg“ zur Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs in Augsburg betreffen und seitens der Beigeladenen der Regierung von Schwaben vorgelegt worden sind, um Fördermittel für dieses Projekt zu erhalten. Verschiedene Teile des – inzwischen teilweise verwirklichten – Projekts sind kommunalpolitisch umstritten; Kritiker halten die Planung u. a. für unwirtschaftlich. Bei den genannten Förderunterlagen handelt es sich um eine sog. „Standardisierte Bewertung“; zu den Unterlagen gehören neben Bewertungen in Gestalt von Fließtext auch ausgefüllte Formblätter, die Angaben hinsichtlich der für die Förderfähigkeit des Projekts maßgeblichen Kriterien enthalten. Die vom Kläger begehrte Einsicht in die aktualisierte „Standardisierte Bewertung“ der „Mobilitätsdrehscheibe Augsburg“ lehnte die Regierung von Schwaben mit Bescheid vom 9. Juli 2012 ab.
Mit Urteil vom 3. Februar 2015 hob das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg den angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 2012 auf und verpflichtete den Beklagten, dem Kläger Akteneinsicht in die vollständige „Standardisierte Bewertung“ zum Projekt „Mobilitätsdrehscheibe Augsburg“ zu gewähren.
Die Beigeladene hat beantragt, die Berufung gegen dieses Urteil zuzulassen. Sie macht geltend, mit der vom Verwaltungsgericht dem Kläger zugesprochenen Akteneinsicht würden diesem unter Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 BayUIG Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen zugänglich gemacht, obwohl das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe das Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen nicht überwiege (Schriftsatz vom 10.4.2015, Nr. B.I.1, S. 2 ff.). Außerdem gehe der Urteilsspruch rechtsfehlerhaft über das richtig verstandene Klagebegehren hinaus (Schriftsatz vom 10.4.2015, Nr. B.I.2, S. 12 ff.). Beide Umstände berechtigten zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieses leide auch an dem Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), dass das Verwaltungsgericht seine Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO verletzt und den Vortrag der Beigeladenen zur Geheimhaltungsbedürftigkeit entscheidungserheblich als „zu vage und unsubstantiiert“ gewertet habe, wogegen die Beigeladene ihren Vortrag bei entsprechendem Hinweis substantiiert und dadurch zur weiteren Aufklärung des – aus Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen – Sachverhalts beigetragen hätte (Schriftsatz vom 10.4.2015, Nr. B.II, S. 14).
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil als richtig und frei von Verfahrensmängeln und beantragt, die Berufung nicht zuzulassen.
Der Beklagte hat erklärt, er sehe von einem eigenen Antrag ab. Was die gegensätzlichen Ansichten des Klägers und der Beigeladenen über die Deckungsgleichheit von Klageantrag und Urteilstenor angehe, so sehe der Beklagte jedenfalls keine Gründe, dem Kläger die Akteneinsicht in solche Unterlagen zu verwehren, mit deren Bekanntgabe die Beigeladene sich einverstanden erklärt habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsverfahrensakte und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Vorbemerkung: Dem Streit der Beteiligten liegen folgende Begriffsverständnisse zugrunde:
Mit dem auch im Urteilstenor verwendeten Begriff „Standardisierte Bewertung“ werden in den vorliegenden Verwaltungsverfahrens- und den Gerichtsakten in der Regel diejenigen Unterlagen bezeichnet, in die (oder in Teile von diesen) der Kläger Akteneinsicht begehrt. Dieser Begriff ist weder gesetzlich noch wirtschaftswissenschaftlich exakt definiert. Er wurde von der staatlichen Förderpraxis für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur entwickelt. Er meint im Allgemeinen die – so die ungekürzte Bezeichnung – „Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs“. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren zur gesamtwirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Untersuchung von ÖPNV-Projekten in Deutschland, für das sich die Kurzbezeichnung „Standardisierte Bewertung“ eingebürgert hat (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Standardisierte_Bewertung). Für die Durchführung eines solchen Bewertungsverfahrens im Allgemeinen gibt es eine von der Fa. Intraplan Consult GmbH (nachfolgend: Intraplan) und vom Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH im Auftrag des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (kurz: Bundesverkehrsminister) erstellte Anleitung (zuletzt in der Version aus dem Jahr 2006). Diese Anleitung wird auf der Internetseite von Intraplan (http://www.intraplan.de/?r=7) überschrieben mit „Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs und Folgekostenrechnung – Version 2006“. Der genannten Internetseite zufolge lassen sich innerhalb dieses Bewertungsverfahrens verschiedene Elemente oder Teile unterscheiden, so wird z. B. die gesamtwirtschaftliche Bewertung durch die Folgekostenrechnung ergänzt, in der die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen eines Vorhabens für einen Zeitraum von 30 Jahren dargestellt werden. Die Verfahrensanleitung des Bundesverkehrsministers zur Standardisierten Bewertung enthält Erläuterungen zur gesamtwirtschaftlichen Bewertung nach dem Regelverfahren und zur Folgekostenrechnung (vgl. http://www.intraplan.de/?r=7). Hierbei ist für die Bewilligung einer Förderung der – in der gesamtwirtschaftlichen Bewertung zu ermittelnde – Nutzen-Kosten-Indikator E1 maßgeblich, nicht dagegen der Inhalt der – zur Darstellung der finanziellen Auswirkungen für Investoren und Betreiber gedachten – Folgekostenrechnung (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Standardisierte_Bewertung#Verfahren; sowie Drucksache 13/4228 des Deutschen Bundestags vom 26.3.1996: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, Antwort zu Frage Nr. 3). Vorliegend betrifft der Streit unter den Beteiligten, soweit es um den von der Beigeladenen geltend gemachten Verstoß gegen § 88 VwGO geht, die Frage, welche Unterlagen oder Teile der Förderunterlagen mit dem Begriff „Standardisierte Bewertung“ gemeint sind.
Der Kläger hat im Zulassungsverfahren Deckblätter der Verfahrensanleitung des Bundesverkehrsministers (Versionen 2000 und 2006) vorgelegt (Anlagen zum Schriftsatz vom 5.6.2015, Bl. 111 und 112 der VGH-Akte). Auf diesen Deckblättern werden die Begriffe a) „Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV“ und b) „Folgekostenrechnung“ optisch gleichberechtigt nebeneinander gestellt, was der Kläger als Beleg dafür ansieht, dass der Begriff „Standardisierte Bewertung“ etwas Anderes meine als der Begriff „Folgekostenrechnung“, so dass vorliegend das Begehren nach und die Verpflichtung zur Akteneinsicht in die „Standardisierte Bewertung“ nicht die Akteneinsicht in die „Folgekostenrechnung“ umfasse (Schriftsatz vom 5.6.2015, S. 2-4). Die Beigeladene weist demgegenüber darauf hin, dass die vorliegend im konkreten Fall im August 2006 (durch die „Beratende Ingenieure S… GmbH“) für die Stadtwerke Augsburg erstellte Förderunterlage, soweit es um den textlichen Aufbau und die Bezeichnungen auf den Deckblättern geht, von der Verfahrensanleitung des Bundesverkehrsministers insofern abweiche, als in dieser Förderunterlage vom August 2006 sowohl im Titel von Bd. I (Untertitel „Nutzen-Kosten-Untersuchung“) als auch im Titel von Bd. II (Untertitel „Folgekostenrechnung“) der Oberbegriff „Standardisierte Bewertung“ verwendet wird (vgl. Anlage B7 zum Schriftsatz vom 15.9.2015, Bl. 168 ff. der VGH-Akte). Die Beigeladene folgert hieraus (u. a. im Schriftsatz vom 15.9.2015, S. 2-5), dass im vorliegenden Rechtsstreit der Begriff „Standardisierte Bewertung“ im Klageantrag und im Urteil als Bezeichnung für die gesamten Förderunterlagen zu verstehen sei, dass demnach mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts dem Kläger Akteneinsicht nicht nur in Bd. I, sondern auch in Bd. II (Folgekostenrechnung) zugesprochen worden sei, obwohl dies tatsächlich gar nicht sein Klageziel gewesen sei. Der Kläger macht dagegen geltend, er habe beim Verwaltungsgericht von Anfang an nicht die Akteneinsicht in Bd. II begehrt, sein Klageantrag sei nicht auf eine derart weit gehende Akteneinsicht gerichtet und er habe eine solche auch nicht mit dem angegriffenen Urteil zugesprochen erhalten; demnach sei das Verwaltungsgericht auch nicht über das Klagebegehren hinaus gegangen (Schriftsatz vom 5.6.2015).
2. Die Beigeladene macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend.
2.1. Sie sieht solche Zweifel darin begründet, dass das Verwaltungsgericht mit seinem Urteilsspruch unter Verstoß gegen § 88 VwGO über das Klagebegehren hinausgegangen sei. Allerdings berechtigt ein Verstoß gegen § 88 VwGO für sich genommen nicht zu ernstlichen Zweifeln im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, sondern ein solcher Verstoß kann ein Verfahrensmangel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sein (vgl. BVerwG, B. v. 12.3.2012 – 9 B 7/12 – DÖD 2012, 190; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 88 Rn. 13 m. w. N.). Aber auch dann, wenn man annehmen wollte, dass ein solcher Verstoß grundsätzlich zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteil berechtigen könnte, ergibt sich vorliegend aus den Darlegungen der Beigeladenen nicht, dass ein solcher Verstoß vorliegt.
Die Beigeladene hat ausdrücklich eingeräumt (Schriftsatz vom 9.4.2015, S. 12, Nr. 2), dass der Tenor dem Wortlaut des klägerischen Hauptantrags entspricht. Sie meint indes, das wirkliche, aus dem Vortrag des Klägers und insbesondere aus den gewechselten Schriftsätzen erkennbare Klagebegehren des Klägers sei so zu verstehen, dass es hinter dem weitergehenden Wortlaut des Klageantrags zurückbleibe, wogegen der Urteilstenor eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich sei (Schriftsatz vom 15.9.2015, Nr. 1 auf S. 2), jedenfalls aber in einem umfassenderen Sinn ausgelegt werden müsse (Schriftsatz vom 15.9.2015, Buchst. b auf S. 3 bis 5). Dem ist nicht zu folgen. Es ist nämlich nicht schlüssig dargelegt, weshalb der Urteilstenor nicht in derselben Weise und mit demselben Ergebnis ausgelegt werden können soll wie der insoweit wörtlich gleichlautende Klageantrag. Es ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte bei verständiger Würdigung des angefochtenen Urteils davon auszugehen, dass es (nur) dem Klagebegehren, so wie es aus dem Vortrag des Klägers und aus den gesamten Umständen ermittelt werden konnte, entsprechen wollte. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass das Verwaltungsgericht dem Kläger mehr zusprechen wollte, als er verlangt hat.
Wegen des Fehlens einer gesetzlichen oder wissenschaftlichen Definition des isolierten Begriffs „Standardisierte Bewertung“ und der uneinheitlichen Verwendung dieses Begriffs in der vom Bundesverkehrsminister publizierten Anleitung selbst ist zunächst ohne weiteres vorstellbar, dass mit der Kurzbezeichnung „Standardisierte Bewertung“ im Rechtsverkehr je nach konkreter Fallgestaltung auch ausschließlich die „Nutzen-Kosten-Untersuchung“ gemeint sein kann und hierbei die Folgekostenrechnung nicht umfasst sein soll. Insofern handelt es sich um einen mehrdeutigen Begriff. Wie der Begriff „Standardisierte Bewertung“ im konkreten Fall verwendet wird und welche Unterlagen damit gemeint sind, ist einer Auslegung zugänglich und anhand der konkreten Umstände dieses Falls zu ermitteln.
Was das Klagebegehren angeht, hat der Kläger erstinstanzlich – im Zusammenhang mit der streitigen Frage, ob die begehrte Akteneinsicht Umweltinformationen betreffe – eine Stellungnahme eines Ingenieurbüros vom 26. Oktober 2014 vorgelegt, in der an verschiedenen Stellen ausgeführt wird (z. B. auf S. 4, Bl. 338 der VG-Akte), dass der Antrag des Klägers sich nur auf Unterlagen aus dem ersten Teil (Nutzen-Kosten-Index, Formblätter beginnend mit Buchstabe E) der Standardisierten Bewertung richte, nicht aber auf den zweiten Teil (Folgekostenrechnung, Formblätter beginnend mit Buchstabe F). Die Beigeladene sieht anscheinend einen Widerspruch zu dem schon in der Klageschrift vom 14. August 2012 enthaltenen, in der mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2015 gestellten (vgl. VG-Akte Bl. 394) und – wie die Beigeladene ihn bezeichnet – „vergleichsweise undifferenziert formulierten“ Klageantrag (Schriftsatz vom 9.4.2015, S. 13 unten). Es ist aber nicht ersichtlich und die Beigeladene legt dazu auch nichts dar, inwiefern der Kläger einerseits bei der Klageerhebung und andererseits in der mündlichen Verhandlung bei Stellung des Klageantrags dem Begriff „Standardisierte Bewertung“ – abweichend von dem der Stellungnahme vom 26. Oktober 2014 zugrunde liegenden Begriffsverständnis – einen umfassenderen, auf beide Bände (I und II) gerichteten Bedeutungsgehalt beigemessen haben sollte.
Auch der sonstige Akteninhalt spricht nicht für, sondern gegen die Ansicht der Beigeladenen. So hat der Kläger in der Klagebegründung ausgeführt, bei der Standardisierten Bewertung handle es sich um die „Nutzen-Kosten-Analyse“; er hat zudem auf die beigefügte Anlage 5 verwiesen, bei der es sich um eine Kurzzusammenfassung der „Standardisierten Bewertung“ handle, die auf S. 1 den Untertitel „Nutzen-Kosten-Analyse“ trage (Schriftsatz vom 13.11.2012, S. 4 oben, Bl. 29 der VG-Akte). Was den Umfang der begehrten Akteneinsicht angeht, steht somit der Vortrag des Klägers im Klageverfahren nicht im Widerspruch zu der Stellungnahme vom 26. Oktober 2014, sondern stimmt mit dieser überein. Hierbei besteht unter den Beteiligten kein Streit darüber, dass vorliegend die erstellte Bewertung (bei deren Benennung die Beigeladene das Wort „vollständig“ selbst in Anführungszeichen setzt) aus zwei Bänden besteht, nämlich „Band I: Nutzen-Kosten-Untersuchung“ und „Band II: Folgekostenrechnung“, wobei die beiden Bände wiederum jeweils aus einem zusammenfassenden Fließtext einerseits und einem die Einzeldaten enthaltenden „Formblattwerk“ andererseits bestehen (Schriftsatz der Beigeladenen vom 9.4.2015, S. 12 unten). Die Beigeladene meint offenbar, es könne dann, wenn von einer „vollständigen Standardisierten Bewertung“ die Rede sei, stets nur eine Vollständigkeit im Sinn des Vorhandenseins sowohl von Bd. I als auch von Bd. II dieser Unterlage gemeint sein. Dies ist aber nicht der Fall, weil der Kläger – wie bereits dargelegt – „Vollständigkeit“ in einem anderen Sinn eingefordert hat.
Auch nach dem Vortrag der Beigeladenen ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil keine Anhaltspunkte für ein vom Klagevorbringen abweichendes umfassenderes Verständnis des mehrdeutigen Begriffs der „Standardisierten Bewertung“. Im Gegenteil referiert das Urteil im Tatbestand die Erläuterung des Klägers, bei den begehrten Informationen handele es sich um eine „Nutzen-Kosten-Analyse“ (S. 6 oben). Der Urteilstenor kann daher nicht zulasten der Beigeladenen erweiternd ausgelegt werden.
2.2. Soweit die vom Kläger begehrte und ihm vom Verwaltungsgericht zugesprochene Akteneinsicht solche Unterlagen betrifft, die die Beigeladene als geheimhaltungsbedürftige Betriebsgeheimnisse (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayUIG) ansieht, vermochte die Beigeladene ernstliche Zweifel daran, dass das Urteil im Ergebnis richtig ist, nicht dazulegen. Zu untersuchen sind insoweit nicht mehr diejenigen Teile der Förderunterlagen, die zu Bd. II („Folgekostenrechnung“) gehören und die nicht Gegenstand des angegriffenen Urteils sind (wie oben unter Nr. 2.1 dargelegt). Der Streit um die Geheimhaltungsbedürftigkeit beschränkt sich daher nach übereinstimmenden Angaben auf die Formblätter 6.1, 7.2, 8o, 8m, 13o, 13m, 14o und 14m (Klägerschriftsatz vom 5.6.2015, S. 10 oben; Beigeladenenschriftsatz vom 30.12.2015) sowie auf die Anlage 5 zu Bd. I (Beigeladenenschriftsatz vom 20.12.2015).
2.2.1. Die Gründe, aus denen die Beigeladene insoweit die Geheimhaltungsbedürftigkeit ableiten möchte, sind im Berufungszulassungsverfahren, sofern sie innerhalb offener Begründungsfrist geltend gemacht worden sind, berücksichtigungsfähig, obgleich es die Beigeladene im erstinstanzlichen Klageverfahren insoweit versäumt hat, substantiiert vorzutragen (vgl. UA, S. 14 Rn. 70). Neuer Sachvortrag ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Rechtsmittelkläger den Vortrag in der ersten Instanz unterlassen, möglicherweise sogar fehlerhaften oder unvollständigen Vortrag in erster Instanz selbst verursacht hat (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 20 m. w. N.). Die äußerste zeitliche Grenze bildet allerdings – für neue Tatsachen wie auch (erst Recht) für neuen Vortrag zu erstinstanzlich schon gegebenen Tatsachen – die Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO für die Begründung des Berufungszulassungsantrags (vgl. BayVGH, B. v. 22.10.2015 – 22 ZB 15.1584 – juris Rn. 15 bis 18 m. w. N.). Diese ist hier eingehalten.
2.2.2. Ernstliche Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht eine Geheimhaltungsbedürftigkeit der oben bezeichneten Unterlagen verneint hat, ergeben sich aber auch unter Berücksichtigung des neuen Sachvortrags der Beigeladenen nicht. Insofern können plausible und nachvollziehbare Darlegungen des Betroffenen zwar Beurteilungsgrundlage sein (BVerwG, U. v. 24.9.2009 – 7 C 2.09 – BVerwGE 135, 34 ff., 46 f). Daran fehlt es hier aber.
Zu den Formblättern 13m und 13o zu „Bd. I: Nutzen-Kosten-Untersuchung“ trägt die Beigeladene vor (Schriftsatz vom 9.4.2015, Nr. (1) auf S. 4 bis 6), sie sei Nachfragerin von Bauteilen und -leistungen für das geplante Projekt und erleide Nachteile, wenn den Anbietern der benötigten Teile und Leistungen ihre diesbezüglichen, aus den Formblättern ersichtlichen Preiserwartungen bekannt würden. Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, dass die Offenlegung der Preiserwartungen geeignet sein müsse, exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens – im Wettbewerb mit anderen Verkehrsunternehmen – nachteilig zu beeinflussen (vgl. BVerwG, U. v. 24.9.2009 – 7 C 2/09 – BVerwGE 185, 34 ff.), und dass der Geheimhaltungsschutz zurücktreten müsse, wenn die Marktposition des betroffenen Unternehmens durch die Einsicht in die geheim zu haltenden Unterlagen nicht spürbar geschwächt würde (UA, S. 13). Diesem rechtlichen Ansatz ist die Beigeladene nicht entgegengetreten. Dass es zu einer solchen spürbaren Schwächung ihrer Marktposition kommen würde, ist zwar behauptet, aber nicht schlüssig dargelegt. Insofern hat der Kläger im Schriftsatz vom 5. Juni 2015 (S. 12, zweiter Abschnitt) darauf hingewiesen, dass die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung auf Frage nach den angesetzten Fahrzeugpreisen bestätigt habe, dass gegebenenfalls gewährte Rabatte und Sonderkonditionen in der Standardisierten Bewertung nicht berücksichtigt worden seien, sondern dass man auf den Durchschnitts- bzw. Listenpreis abgestellt habe, und dass dieser Preis der Marktgegenseite hinlänglich bekannt sei. Diesem konkreten Einwand hat die Beigeladene auch im Schriftsatz vom 15. September 2015 nicht substantiiert widersprochen, ihre diesbezüglichen Ausführungen (auf S. 6) sind lediglich allgemein gehalten. Damit handelt es sich hier gerade nicht um exklusives kaufmännisches Wissen.
Zu den Formblättern 14m und 14o trägt die Beigeladene vor (Schriftsatz vom 9.4.2015, Nr. (2) und insb. Buchst. (a) auf S. 6 ff.), sie werde im Wettbewerb mit anderen Anbietern von Linienverkehrsleistungen benachteiligt, wenn die in diesen Formblättern eingetragenen Daten den Konkurrenten bekannt würden. Die genannten Formblätter (und zahlreiche andere, nur in Bd. II vorhandenen Formblätter) enthalten nach Angaben der Beigeladenen Aussagen zu den Kosten für die Fahrzeugbeschaffung (Schriftsatz vom 9.4.2015, Buchst. (a) auf S. 8 unten). Auch insoweit ist aus den Darlegungen der Beigeladenen nicht ersichtlich, inwieweit sich für sie spürbare Nachteile ergeben sollten, wenn die Fahrzeugbeschaffungskosten ihren Konkurrenten bekannt werden. Die Beigeladene trägt selbst vor, dass die Fahrzeugbeschaffungspreise sehr stark differieren, je nach Ausstattung und Zahl der gekauften Fahrzeuge und den an dem Geschäft beteiligten Unternehmen. Konkurrenten am selben Standort, für dasselbe Projekt und zum selben Zeitpunkt sehen sich derartigen Unwägbarkeiten in gleichem Maß ausgesetzt wie die Beigeladene. Inwiefern hier berechtigten Interessen der Beigeladenen Nachteile drohen sollten, ergibt sich aus den Darlegungen nicht in nachvollziehbarer Weise.
Zu den Formblättern 6.1, 7.2, 8o und 8m sowie zur Anlage 5 macht die Beigeladene geltend, diese Unterlagen enthielten Angaben zu den Fahrgastzahlen, die von der Beigeladenen mit beträchtlichem Aufwand ermittelt worden seien und laufend aktualisiert würden; so habe das dafür notwendige automatische Zählsystem 40.000 € gekostet, der Betrieb dieses Systems koste die Beigeladene jährlich 7.500 €; könnten die Konkurrenten der Beigeladenen auf diese Zahlen zurückgreifen, so erlangten sie einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil (Schriftsatz vom 9.4.2015, Buchst. (b) auf S. 10 und 11). Nachvollziehbar ist dies vor allem deshalb nicht, weil nicht ausgeführt wird, inwieweit dies auch bei durch Zeitablauf überholten Daten der Fall sein kann. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang u. a. eingewandt, es sei nicht ersichtlich, inwiefern eine bereits jetzt über zehn Jahre alte Nutzen-Kosten-Untersuchung etwaigen Konkurrenten noch hilfreiche Anhaltspunkte im Wettbewerb liefern könne (Schriftsatz vom 5.6.2015, S. 14 Mitte). Dem ist die Beigeladene nicht entgegengetreten. Sie befasst sich in ihrer Erwiderung zwar mit der – vom Kläger zuvor in Abrede gestellten – konkret vor Ort (Augsburg) und aktuell (im Jahr 2015) gegebenen Wettbewerbssituation mit einem anderen Unternehmen (Schriftsatz vom 15.9.2015, S. 7), geht aber nicht auf das Argument des Klägers ein, dass die Kenntnis von zehn Jahre alten oder noch älteren Verkehrsdaten einem Konkurrenten keinen nennenswerten Vorteil liefern könne. Die Plausibilität dieses klägerischen Einwands wird dadurch noch unterstrichen, dass die Beigeladene – wie ausgeführt – nach eigenem Vortrag jährlich 7.500 € für den Betrieb des Fahrgastzählsystems ausgibt, was nicht erforderlich wäre, wenn man auf ältere, gar auf mehr als zehn Jahre alte Erhebungen zurückgreifen könnte.
2.2.3. Die Beigeladene bemängelt schließlich, dass das Verwaltungsgericht das Geheimhaltungsinteresse der Beigeladenen nicht mit einem etwaigen überwiegenden öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe abgewogen habe (Schriftsatz vom 9.4.2015, S. 11 Mitte). Hierauf kommt es aber nicht an, da – wie ausgeführt – die Darlegungen der Beigeladenen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Standpunkts (Verneinung der Geheimhaltungsbedürftigkeit) nicht infrage zu stellen vermögen und somit eine Abwägung der widerstreitenden Positionen nicht geboten ist.
2.2.4. In Bezug auf den Versagungsgrund aus Art. 8 Abs. 2 BayUIG macht die Beigeladene geltend, sie sei nicht verpflichtet gewesen und habe nicht dazu verpflichtet werden können, dem Beklagten (Regierung von Schwaben) die Standardisierte Bewertung zur Verfügung zu stellen; deshalb sei dieser – vom Verwaltungsgericht nicht geprüfte – selbstständige Versagungsgrund einschlägig (Schriftsatz vom 9.4.2015, Buchst. b auf S. 11/12). Damit kann sie nicht durchdringen. Art. 8 Abs. 2 BayUIG verbietet die Weitergabe solcher Umweltinformationen, die eine informationspflichtige Stelle auf freiwilliger Basis von privaten Dritten erlangt hat, nur unter den weiteren Voraussetzungen, dass die Offenbarung nachteilige Auswirkungen auf die Interessen des Dritten hätte und dass das öffentliche Interesse an der Herausgabe nicht überwiegt. Hier genügt – aus den oben dargelegten Gründen – die Darlegung der Beigeladenen nicht in Bezug auf das Vorliegen der weiteren in Art. 8 Abs. 2 BayUIG enthaltenen Voraussetzung, dass die Offenbarung der Umweltinformationen „nachteilige Auswirkungen auf die Interessen“ des Dritten hätte.
3. Die Beigeladene macht geltend, das Urteil beruhe auf dem Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), dass das Verwaltungsgericht seiner Hinweispflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO nicht nachgekommen sei, weil der Vorsitzende nicht auf eine Ergänzung etwaigen ungenügenden Sachvortrags der Beigeladenen zu den geltend gemachten Geschäftsgeheimnissen hingewirkt habe (Schriftsatz vom 9.4.2015, S. 14 Nr. II). Auch dies vermag die Zulassung der Berufung nicht zu rechtfertigen.
Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Insofern weist der Kläger darauf hin (Schriftsatz vom 5.6.2015, Nr. 5 auf S. 20/21), dass sich das Verwaltungsgericht mit den vom Beklagten und von der Beigeladenen vorgebrachten Geheimhaltungsinteressen im Urteil auseinandergesetzt hat und dass diese Interessen in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert worden seien, dass den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag eingeräumt worden sei und dass ein Gericht nach der Rechtsprechung (BVerwG, U. v. 16.4.1997 – 6 C 9/95 – juris) nicht unbegrenzt eruieren muss, ob der bisherige Vortrag eines Beteiligten gegebenenfalls noch weiter substantiiert werden könnte, obgleich zentrale Fragen des Rechtsstreits in dessen bisherigen Verlauf bereits angesprochen wurden. Dem hat die Beigeladene nichts entgegengesetzt.
Zum Andern würde das angegriffene Urteil nicht auf einem insoweit unterstellten Verfahrensverstoß des Verwaltungsgerichts beruhen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den erst im Zulassungsverfahren angebrachten Sachvortrag der Beigeladenen berücksichtigt (siehe oben 2.2.1), aber nicht für entscheidungserheblich gehalten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert wurde gemäß § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt (wie Vorinstanz).


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