Baurecht

Ausschluss aus dem Prüfungssystem für die Lieferung von Oberbaumaterial

Aktenzeichen  Z3-3/3194/1/45/11/16

Datum:
13.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB GWB § 125 Abs. 1 Nr. 2, § 126 Nr. 2
RL 2014/25/EU Art. 77, Art. 80
RL 2014/24/EU Art. 57 Abs. 4 lit. d), Abs. 6, Abs. 7
AEUV AEUV Art. 267

 

Leitsatz

1. Entscheidungen zu Qualifizierungssystemen als vorweggenommene Eignungsprüfung können insbesondere dann Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein, wenn es um den Ausschluss aus einem Qualifizierungssystem geht. (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Richtlinie 2014/24/EU wird im Gegensatz zu § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht gefordert, dass der Wirtschaftsteilnehmer für eine erfolgreiche Selbstreinigung auch aktiv mit dem öffentlichen Auftraggeber und nicht nur mit den Ermittlungsbehörden die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen umfassend aufzuklären hat. (redaktioneller Leitsatz)
3. Strengere Anforderungen hat der deutsche Gesetzgeber nicht stellen dürfen, da dadurch die Selbstreinigung erschwert und der Wettbewerb eingeschränkt wird. (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Ereignis gem. § 126 Nr. 2 GWB, ab dem die dreijährige Frist für den Ausschluss von Vergabeverfahren beginnt, kann insbesonder bei langjährigen Ermittlungen nicht die Entscheidung der Kartellbehörde, sondern nur die Beendigung der Taten sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU von der Vergabekammer Südbayern folgende Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgelegt:
a. Ist eine mitgliedsstaatliche Regelung, die zur Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbstreinigung eines Wirtschaftsteilnehmers macht, dass dieser die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit nicht nur mit den Ermittlungsbehörden, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber umfassend klärt, mit den Vorgaben des Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU vereinbar?
b. Für den Fall, dass Vorlagefrage 1.a) mit nein beantwortet wird: Ist Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der der Richtlinie 2014/24/EU im Zusammenhang dahingehend auszulegen, dass der jeweilige Wirtschaftsteilnehmer für eine erfolgreiche Selbstreinigung jedenfalls insoweit gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet ist, dass dieser beurteilen kann, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen (technische, organisatorische und personelle Maßnahmen und Schadenskompensation) geeignet und ausreichend sind.
c. Für die unter Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU geregelten fakultativen Ausschlussgründe beträgt gemäß Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU der höchstzulässige Zeitraum bzw. die Frist für einen Ausschluss drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis. Ist unter dem betreffenden Ereignis schon die Verwirklichung der unter Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführte Ausschlussgründe zu verstehen oder ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Auftraggeber über gesicherte und belastbare Kenntnis über das Vorliegen des Ausschlussgrundes verfügt?
d. Ist demnach bei einer Verwirklichung des Ausschlusstatbestands des Art. 54 Abs. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU durch Beteiligung eines Wirtschaftsteilnehmers an einem Kartell das betreffende Ereignis i. S. d. Art. 54 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU die Beendigung der Kartellbeteiligung oder die Erlangung gesicherter und belastbarer Kenntnis des Auftraggebers von der Kartellbeteiligung?
2. Das Verfahren wird bis zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV des Gerichtshofes der Europäischen Union über diese Fragen ausgesetzt.
3. Die Entscheidungsfrist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB wird entsprechend auf den Zeitpunkt von 4 Wochen nach Eingang der Entscheidung des EuGH verlängert.

Gründe

I. Im Jahr 2011 hat die Antragsgegnerin das Prüfungssystem … für die Lieferung von Oberbaumaterial eingeführt und in der Folgezeit mehrfach verlängert. Maßgeblich ist gegenwärtig die Fassung in der Bekanntmachung vom 22.12.2015.
Gegenstand des streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahrens ist der von der Antragsgegnerin auf die in §§ 124 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GWB (§ 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO a. F.) geregelten fakultativen Ausschlussgründe gestützte Ausschluss der Antragstellerin von dem für den Bereich der Beschaffung von Oberbaumaterialien eingerichteten Prüfungssystem i. S. v. § 24 SektVO a. F.
Nachdem sich die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin in einem konkreten Vergabeverfahren um die Lieferleistung „Weichenkonstruktionen und Schienen“ (Az. …) beworben hatte, erhielt sie ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 15.06.2016, in welchem diese wegen einer Beteiligung der Antragstellerin an dem sog. „Schienenkartell“ und unter Bezugnahme auf den vom Bundeskartellamt gegen die Antragstellerin im März 2016 erlassenen Bußgeldbescheid Zweifel an der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit der Antragstellerin äußerte und für eine Beantwortung von Fragen zu den ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen eine Frist bis zum 16.06.2016 setzte.
Mit Schreiben vom 16.06.2016 nahm die Antragstellerin hierzu Stellung und erläuterte, dass sie die Beteiligung an Absprachen bzgl. Weichen zwar nicht bestreite, aber gegen den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes Einspruch eingelegt habe. Zudem habe sie die organisatorischen und personellen Vorkehrungen und Maßnahmen beschrieben, damit kartellrechtsrelevante Verhaltensweisen aus der Vergangenheit aufgeklärt würden und in der Zukunft ausgeschlossen seien. Weiter erklärte sich die Antragstellerin bereit, einen durch ihr Fehlverhalten verursachten, bei der Antragsgegnerin vorhandenen Schaden gemäß ihrer rechtlichen Verpflichtungen auszugleichen.
Diese abgegebenen Erklärungen hielt die Antragsgegnerin nicht für ausreichend, um vor dem Hintergrund der Beteiligung der Antragstellerin an wettbewerbswidrigen Absprachen im Zusammenhang mit dem „Schienenkartell“ den Nachweis ausreichender Selbstreinigungsmaßnahmen zu erbringen, und teilte dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.06.2016 mit. Demnach sehe die Antragsgegnerin auch die Voraussetzungen des fakultativen Ausschlussgrunds des Verstoßes gegen das Verbot wettbewerbswidriger Absprachen derzeit als erfüllt an und behalte sich vor, vor dem Hintergrund der damit verbundenen fehlenden vergaberechtlichen Zuverlässigkeit der Antragstellerin von diesem Ausschlussgrund noch Gebrauch zu machen.
Diese Einschätzung rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 21.06.2016 als vergaberechtlich fehlerhaft und legte dar, dass sie die gesetzlich vorgegebenen Anforderungen an eine ausreichende Selbstreinigung erfülle. Insbesondere nahm sie dazu Stellung, dass eine mit den gesetzlichen Vorgaben des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 GWB konforme Vorgehensweise hinsichtlich einer Aufklärung und eines Schadensausgleichs vorliege.
Mit Schreiben vom 30.06.2016 bestellte die Antragsgegnerin in den Vergabeverfahren Az. … bei der Antragstellerin die Lieferung von Konstruktionen und Schienen.
Die Antragsgegnerin wies mit Schreiben vom 04.07.2016 vorsorglich zur Klarstellung darauf hin, dass sie die Erklärungen der Antragstellerin in den Schreiben vom 16.06.2016 und 21.06.2016 nach wie vor nicht als Nachweis hinreichender Selbstreinigungsmaßnahmen ansehe. Ein Gebrauch machen von dem genannten fakultativen Ausschlussgrund erfolge – allein vor dem Hintergrund der Eilbedürftigkeit der ausschreibungsgegenständlichen Beschaffung – nicht, bleibe für die Zukunft jedoch vorbehalten. Insoweit werde zu gegebener Zeit eine erneute Prüfung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit der Antragstellerin erfolgen.
Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.09.2016 mit, dass die vergaberechtliche Eignung der Antragstellerin in Zweifel stehe. Die Antragstellerin erhielt die Gelegenheit, noch einmal ausführlich die Erfüllung der unter § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 GWB definierten Kriterien für eine erfolgreiche Selbstreinigung darzulegen und nachzuweisen. Die Antragsgegnerin sehe sich sonst gezwungen, die Antragstellerin von dem im Bereich Oberbaumaterialien eingerichteten und praktizierten Prüfungssystem auszuschließen.
Die Antragstellerin einigte sich mit der Antragsgegnerin auf ein persönliches Gespräch, um die Problematik der vergaberechtlichen Rahmenbedingungen und einer etwaigen Aberkennung der Präqualifizierung möglichst einer Lösung zuführen. Das persönliche Gespräch fand am 02.11.2016 am Geschäftssitz der Antragsgegnerin statt. In dem Gespräch konnte keine einvernehmliche Lösung der Problematik erreicht werden.
Daher teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 04.11.2016 mit, dass sie gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3, 4 GWB (§ 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO a. F.) mit sofortiger Wirkung vom Prüfungsverfahren ausgeschlossen werde.
Den erfolgten Ausschluss aus dem Prüfungssystem rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 07.11.2016 und forderte die Antragsgegnerin auf, den hiermit begangenen Vergabefehler zu korrigieren. Mit Schreiben vom 11.11.2016 wies die Antragsgegnerin diese Rüge zurück und teilte mit, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde.
Weil die vorangegangene Rüge die Antragsgegnerin nicht zur Änderung ihrer Rechtsauffassung bewegte, beantragte die Antragstellerin am 17.11.2016 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und weiter:
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den mit Schreiben vom 04.11.2016 mitgeteilten Ausschluss aus dem Prüfungssystem aufzuheben;
2. der Antragstellerin Einsicht in die der Vergabekammer vorliegenden Akten zu gewähren;
3. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;
4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin begründete ihren Antrag damit, dass der Ausschluss der Antragstellerin aus dem Prüfungssystem vergaberechtswidrig sei und die Antragstellerin in ihren Rechten verletze. So sei die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht nur deshalb fehlerhaft, weil sie die in § 125 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB enthaltenen Tatbestände falsch ausgelegt und angewendet habe, sondern auch schon deshalb, weil sie die gesetzlichen Vorgaben des § 125 Abs. 2 GWB an eine ordnungsgemäße Bewertung und Begründung missachtet habe.
In ihrem Schreiben vom 04.11.2016 habe sich die Antragsgegnerin nicht festgelegt, ob sie im Zeitpunkt der Entscheidung die Anforderungen des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB als erfüllt ansehe oder nicht. Aus der Vorkorrespondenz und auch den Hinweisen in dem Schreiben vom 11.11.2016 ergebe sich, dass sie ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der Antragstellerin wohl auf § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB gestützt habe. Auch insofern sei die Auslegung und Anwendung von § 125 Abs. 1 GWB rechtsfehlerhaft. Bereits vor der Vergaberechtsnovelle von 2016 sei diskutiert worden, ob bzw. inwieweit die Wiedergutmachung des durch die Verfehlung entstandenen Schadens ein für eine Selbstreinigung aussagekräftiges Kriterium sein könne. Einem Unternehmen dürfe gegebenenfalls nicht das Recht genommen werden, einen streitigen Schadensersatzanspruch vor einem Zivilgericht nach den für dieses Verfahren geltenden prozessualen Regeln zu klären. Wenn es ausreichen müsse, „wenn das Unternehmen sich generell zum Ersatz des durch seine Beteiligung an einem Kartell entstandenen Schadens bereit erklärt“ und wenn § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB explizit eine Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs für ausreichend erachte, dann sei hier nicht an einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Schadenswiedergutmachung seitens der Antragstellerin zu zweifeln. Die Antragstellerin habe sich gegenüber der Antragsgegnerin mehrfach generell bereit erklärt, einen durch ihre Beteiligung an einem Kartell entstandenen Schaden zu ersetzen. Dem stehe nicht entgegen, dass eine gerichtliche Klärung erforderlich sein könne, ob im konkreten Fall überhaupt ein Schaden entstanden sei. Es sei daher von einer fehlerhaften Anwendung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GWB auszugehen.
In ihrem Schreiben vom 04.11.2016 habe sich die Antragsgegnerin ebenfalls nicht festgelegt, ob sie im Zeitpunkt der Entscheidung die Anforderungen des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB als erfüllt ansehe oder nicht. Aus der Vorkorrespondenz und aus dem Schreiben vom 11.11.2016 ergebe sich, dass sie ihre Zweifel an der Zuverlässigkeit der Antragstellerin wohl auch auf § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB gestützt habe. Auch insofern sei die Auslegung und Anwendung von § 125 Abs. 1 GWB rechtsfehlerhaft. Soweit § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB von einer Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber bei der Aufklärung spreche, sei zu beachten, dass dieses Erfordernis nicht in dem der Neufassung des § 125 GWB zugrundeliegenden Art. 57 Abs. 6 Richtlinie 2014/24/EU entspreche, der nur die aktive Zusammenarbeit mit den „Ermittlungsbehörden“ fordere. Die öffentlichen Auftraggeber seien aber keine „Ermittlungsbehörden“, da den öffentlichen Auftraggebern von ihrer Funktion her nicht die Aufgabe zukomme, allgemein wegen etwaiger Verfehlungen Ermittlungsaktivitäten vorzunehmen. Mit den Ermittlungsbehörden, namentlich dem Bundeskartellamt, habe die Antragstellerin intensiv zur Sachverhaltsaufklärung zusammengearbeitet. Unmittelbar nach Aufdeckung der ersten Anzeichen einer möglichen Beteiligung der Antragstellerin an kartellrechtsrelevanten Verhaltensweisen im Produktsegment Weichen seien intern alle relevanten Sachverhalte mit großem Aufwand zügig und vollständig aufgeklärt worden. Neben der internen Aufklärung habe die Antragstellerin insbesondere mit dem Bundeskartellamt zur Aufarbeitung aller relevanten Umstände und zum nachhaltigen Abstellen sämtlicher kartellrechtsrelevanter Verhaltensweisen zusammengearbeitet; was das Bundeskartellamt auch ausdrücklich gewürdigt und nach der Bonusregelung honoriert habe. Die Aufklärung habe ergeben, dass die Antragstellerin als reine Weichenherstellerin allein an Absprachen bezüglich Weichen beteiligt sein konnte und eben nicht an dem „Schienenkartell“. Zudem sei im Verhältnis zu der Antragsgegnerin eine Sachverhaltsaufklärung erfolgt, um mögliche kartellrelevante Verhaltensweisen bei Vergabevorgängen der Antragsgegnerin zu ermitteln. Insoweit habe die Antragstellerin nicht bestritten, an kartellrechtlich relevanten Absprachen bzgl. Weichen beteiligt gewesen zu sein. Dies führe dazu, dass bei fünf Vergabevorgängen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie Gegenstand von kartellrelevanten Verhaltensweisen gewesen seien. Auch eine Aufklärung der Umstände und Tatsachen, die mit einem etwaigen Schaden im Zusammenhang stehen, wurde seitens der Antragstellerin vorgenommen.
Zu diesem Zweck habe die Antragstellerin – vor dem Hintergrund des anhängigen Zivilrechtsstreits – ein ökonomisches Gutachten von L. erstellen lassen, welches die von etwaigen Kartellabsprachen in den Vergabevorgängen ausgehenden, möglichen Kartelleffekte bewerten solle. Das ökonomische Gutachten liege nunmehr vor und komme zu dem Ergebnis, dass es keinen Kartelleffekt und damit auch keinen messbaren Schaden gebe. Im Ergebnis sei damit sowohl intern als auch im Verhältnis zu externen Stellen eine Aufklärung erfolgt, welche den Anforderungen des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GWB genüge.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Ausschluss ohnehin nur für drei Jahre „ab dem betreffenden Ereignis“ hätte ausgesprochen werden dürfen. Da das allgemeine Bekanntwerden der Kartellvorgänge schon länger als drei Jahre zurück liege, hätte ein Ausschluss wegen der zeitlichen Sperrwirkung des § 126 Nr. 2 GWB ohnehin nicht mehr erfolgen dürfen.
Auch wenn sich im GWB hierzu keine ausdrückliche Regelung finde, gehe die Antragstellerin entsprechend den in § 169 GWB niedergelegten Rechtsgrundsätzen davon aus, dass mit Einleitung des Nachprüfungsverfahrens die Wirksamkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin über den Ausschluss der Antragstellerin aus dem Prüfungssystem gehemmt werde; mit der Konsequenz, dass die Antragsgegnerin gegenwärtig und für die Dauer des Hauptverfahrens von dem fortbestehenden Status der Präqualifizierung auszugehen und die Antragstellerin weiterhin an den von ihr eingeleiteten Vergabeverfahren zu beteiligen habe. Sollte die Vergabekammer stattdessen davon ausgehen, dass der von der Antragstellerin eingelegte Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung entfalte, werde dann beantragt,
mittels vorläufiger Maßnahmen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfes anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, die Antragstellerin bei Vergabeverfahren im Zusammenhang mit dem Prüfungssystem … einzubeziehen.
Die Vergabekammer informierte die Antragsgegnerin über den Nachprüfungsantrag mit Schreiben vom 17.11.2016. Diese legte die Vergabeunterlagen vor.
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über eine evtl. Beiladung, den Umfang der Akteneinsicht sowie im Falle eines Rücknahmebeschlusses auf den Vorsitzenden und den hauptamtlichen Beisitzer übertragen.
Die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 23.11.2016 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 13.12.2016, um 10.00 Uhr geladen.
Mit Antragserwiderung vom 28.11.2016 beantragte die Antragsgegnerin:
1. Der Nachprüfungsantrag ist als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.
2. Der Antrag der Antragstellerin auf Akteneinsicht wird zurückgewiesen.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
4. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin.
Ein Vergabenachprüfungsverfahren sei nach § 155 i. V. m. § 106 Abs. 1, 2 GWB nur für die Vergabe oberhalb der Schwellenwette liegender öffentlicher Aufträge statthaft. Gegenstand des vorliegenden Vergabenachprüfungsverfahrens sei weder die Vergabe eines öffentlichen Auftrags noch erreichen die ggf. noch bis zum Ablauf des Prüfungssystems zu vergebenden Aufträge den maßgeblichen Schwellenwert. Bei dem i. S. v. § 24 SektVO A. F. eingerichteten Prüfungssystem handle es sich nicht um ein Vergabeverfahren, sondern um eine vorweggenommene Eignungsprüfung. Der Entzug der Präqualifizierung könne daher nur dann Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens sein, wenn die weitere Beteiligung am Prüfungssystem Voraussetzung für oberhalb der maßgeblichen Schwellenwerte liegenden Ausschreibungen sein könne. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall. Das Prüfungssystem ende gem. § 24 Abs. 8 S. 3 GWB zum Ende des Jahres bzw. müsse zum 01.01.2017 verlängert werden. Mit Veröffentlichung der entsprechenden Bekanntmachung erhalte die Antragstellerin Gelegenheit, sich erneut für die Aufnahme in das Prüfungssystem zu bewerben. Die Antragsgegnerin plane zudem im Zeitraum bis zum 31.12.2016 nicht mehr, über das Prüfungssystem öffentliche Aufträge zu vergeben, welche den aktuell gem. § 106 Abs. 2 Nr. 2 GWB i. V. m. Artikel 15 der Richtlinie 2014/25/EU maßgeblichen Schwellenwert übersteigen.
Die durch das Bundeskartellamt festgestellte und von der Antragstellerin inzwischen auch teilweise eingeräumte Beteiligung an Kartellabsprachen erfülle die fakultativen AusschIussgründe gem. § 124 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GWB (§ 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO). Auch die Antragstellerin habe dies in ihrem Nachprüfungsantrag nicht in Zweifel gezogen.
Die Antragsgegnerin treffe in Bezug auf etwaige von der Antragstellerin ergriffene Selbstreinigungsmaßnahmen keine eigene Ermittlungs- und Recherchepflicht. Vielmehr habe die Antragstellerin ihre Maßnahmen darzulegen und unter Beweis zu stellen. Diese Darlegungen habe die Antragsgegnerin zu prüfen und zu bewerten. Bei der Bewertung verfüge sie über einen weiten Beurteilungsspielraum. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Prognose bzw. Einschätzung nicht ausreichender Selbstreinigungsmaßnahmen sei im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens nur darauf zu kontrollieren, ob die Antragsgegnerin ihren weiten Beurteilungsspielraum überschritten habe.
Soweit die Antragstellerin der Auffassung sei, der Ausschluss hätte nicht mehr erfolgen dürfen, weil das Bekanntwerden der Kartellvorgänge schon länger als drei Jahre zurückliegen würde, sei auf Folgendes hinzuweisen: Ein auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB gestützter Ausschluss erfordere eine nachweislich schwere Verfehlung. Vor diesem Hintergrund würden schlichte Verdachtsmomente nicht ausreichen. In besonderem Maße gelte dies, wenn an Absprachen beteiligte Unternehmen jede Aufklärung ihrer Beteiligung ablehnten und jede klare Aussage hierzu vermieden. Hätte die Antragsgegnerin einen Ausschluss der Antragstellerin schon im Zeitraum vor dem Erlass des Bußgeldbescheids erklärt, hätte sich die Antragstellerin ganz sicher auf den Standpunkt gestellt, eine Beteiligung an Kartellabsprachen sei durch die zuständige Kartellbehörde (noch) nicht festgestellt worden.
Außerdem habe die Antragstellerin jede – im Rahmen von Lieferbeziehungen eigentlich übliche kooperative und zielgerichtete Auseinandersetzungen mit der Antragsgegnerin verweigert. Bis auf den Termin am 02.11.2016 habe sie jeden Gesprächsversuch abgelehnt und die Antragsgegnerin gezwungen, zur Vermeidung von Verjährungsrisiken zwei Güteverfahren, ein Mahnverfahren und schließlich ein KIageverfahren einzuleiten. Bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 16.10.2012 habe die Antragsgegnerin erklärt, dass aktuelle Berichte aus der Tagespresse darauf hindeuten würden, dass sich wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Zeitraum 01.01.1986 bis 31.12.2011 insbesondere auch auf die Belieferung von Konzernunternehmen der Antragsgegnerin bezogen hätten und derzeit das Bundeskartellamt sowie die Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei beschäftigen würden. Die Antragsgegnerin sei gehalten gewesen, sich gegen das Risiko einer Verjährung möglicher Schadenersatzansprüche mittels eines Verzichts auf die Einrede der Verjährung durch die Antragstellerin abzusichern, da sie den Abschluss der laufenden Ermittlungsverfahren nicht habe abwarten können. Mit Schreiben vom 03.12.2012 habe die Antragstellerin den Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis einschließlich 31.12.2013 erklärt. Um die Möglichkeit einer außergerichtlichen Regulierung der durch das kartellrechtswidrige Verhalten der Antragstellerin entstandenen Schäden nicht von Anfang an auszuschließen, habe die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.10.2013 aufgefordert, die Erklärung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung bis zum 31.12.2014 zu verlängern. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.10.2013 habe die Antragstellerin mitgeteilt, dass sie an kartellrechtsrelevanten Verhaltensweisen, wie sie Gegenstand der Bußgeldbescheide vom 23.07.2013 seien, nicht beteiligt gewesen sei und sie vor diesem Hintergrund einen weitergehenden Verjährungsverzicht nicht abgeben werde. Am 20.12.2013 sei daher die Einleitung eines ersten Güteverfahrens erfolgt. Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin am 13.06.2014 ein Angebot zu einer einvernehmlichen verjährungshemmenden Maßnahme und Klageverzicht unterbreitet, was von der Antragstellerin jedoch mit Schreiben vom 23.06.2014 abgelehnt worden sei. Es sei daher am 08.07.2014 die Einleitung eines weiteren Güteverfahrens erfolgt. Mit Schreiben vom 16.01.2015 habe die Antragsgegnerin einen weiteren Versuch zu einvernehmlichen verjährungshemmenden Maßnahmen unternommen, der von der Antragstellerin mit Schreiben vom 27.01.2015 abgelehnt worden sei, worauf hin die Antragsgegnerin am 05.02.2015 die Einleitung eines Mahnverfahrens beantragt habe. Nachdem die Antragstellerin hiergegen Widerspruch eingelegt hatte, habe die Antragsgegnerin am 17.08.2015 eine Klage beim Landgericht eingereicht.
Die Antragstellerin nahm mit Schreiben vom 06.12.2016 zur Antragserwiderung Stellung. Demnach würden die Ausführungen schon insofern fehlgehen, da als Voraussetzung genannt werde, dass „im konkreten Fall die Schwellenwerte erreicht werden“ müssten. Bei einem Nachprüfungsverfahren über den Entzug einer Präqualifikation gebe es gerade keine „konkrete“ Vergabe. Mithin gebe es keinen Auftragswert und es könne folglich auch das Erreichen der Schwellenwerte nicht maßgeblich sein. Entscheidend sei, ob grundsätzlich im Zusammenhang mit dem betreffenden Prüfungssystem Aufträge oberhalb der Schwellenwerte vergeben werden. Auch können die Ausführungen der Antragsgegnerin zum angeblichen „Ende“ des Prüfungssystems nicht überzeugen. Eine Beendigung des Prüfungssystems werde auch nicht durch § 24 Abs. 8 S. 3 SektVO a. F. angeordnet. Dieser regele lediglich, dass die Bekanntmachung eines Prüfungssystems dann jährlich zu veröffentlichen sei, wenn das Prüfungssystem mehr als drei Jahre umfasse. Hier erfolgt aus Transparenzgründen eine Wiederholung der Publikation, ohne dass dies rechtliche Auswirkungen auf den Fortbestand des Prüfungssystems hätte. Die Antragstellerin habe zudem ein Interesse an dem Fortbestand ihres Status als präqualifiziertes Unternehmen in dem betreffenden Prüfungssystem für Oberbaumaterial, um auch zukünftig als Lieferantin der Antragsgegnerin mit Weichen zu fungieren. Insofern würde jedenfalls ein ausreichendes Interesse bestehen, dass die Vergabekammer feststellt, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen habe.
Höchst vorsorglich beantragte die Antragstellerin die Feststellung, dass der Ausschluss aus dem Prüfungssystem rechtswidrig war (vgl. § 168 Abs. 2 S. 2 GWB).
Darüber hinaus gelinge es der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung nicht zu widerlegen, dass die formalen Anforderungen des § 125 Abs. 2 GWB missachtet worden seien und eine genügende Bewertung vorgenommen worden sei.
Soweit die Antragsgegnerin rüge, die Antragstellerin hätte den – ohnehin erst im März 2016 – erlassenen Bußgeldbescheid nicht zur Verfügung gestellt und sich in dem Rechtsstreit nur insoweit eingelassen, als dies zur Vermeidung prozessualer Nachteile erforderlich gewesen sei, könne dies kein Kriterium für eine vergaberechtlich relevante Sachverhaltsaufklärung darstellen. Das Vergaberecht verlange nämlich in streitigen Fällen wie dem vorliegenden gerade kein Anerkenntnis bzw. die Aufgabe einer berechtigten zivilprozessualen Verteidigungsposition. Dies gelte insbesondere, soweit die Antragstellerin die Kartellbefangenheit des Beschaffungsvorgangs „N.“ bestreitet.
Mit ihren Ausführungen zu § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB messe die Antragstellerin dem Merkmal der Schadenskompensation bzw. der Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs eine Bedeutung bei, welche sich nicht in der Rechtsnorm und auch nicht in der Rechtsprechung wiederfinde. Die Antragstellerin habe eine Schadenskompensation in einem Maße vorgenommen, wie sie von § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB gefordert werde. Die Antragstellerin habe sich auch dem Grunde nach bereit erklärt, den durch einen Kartellvorgang verursachten Schaden zu ersetzen. Dies könne aber eben nicht bedeuten, dass die Antragstellerin nur die Möglichkeit habe, eine von der Antragsgegnerin begehrte Schadensersatzforderung zu akzeptieren, um weiter als vergaberechtlich zuverlässig zu gelten.
Nicht überzeugend sei schließlich, wenn die Antragsgegnerin für den Beginn der 3-Jahres-Frist frühestens auf das Bekanntwerden der kartellbehördlichen Entscheidung abstellen wolle. Wenn es der Antragsgegnerin nicht um eine Sanktionierung der Antragstellerin gehe, dann müsse es letztlich entscheidend sein, wie lange der Kartellvorgang bereits zurückliege. Auf diese Weise könnten dann Vorgänge, die lange zurück lägen, eben nicht mehr herangezogen werden, weil allein schon wegen des Zeitlaufs die Zuverlässigkeit nicht in Frage gestellt werden könne. Hier lägen die fraglichen Kartellvorgänge aber schon mehr als fünf Jahre zurück.
Hierzu äußerte sich die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12.12.2016 und fasste den relevanten Sach- und Streitstoff noch einmal zusammen.
Ergänzend zu ihrem Vortrag vom 28.11.2016 trug die Antragsgegnerin vor, dass sie die formalen Anforderungen des § 125 Abs. 2 GWB eingehalten habe. Ihre Vorgehensweise und Abwägungen habe sie in ordnungsgemäßer Art und Weise in der Vergabeakte dokumentiert.
Auch sei die Erstreckung der Aufklärungspflicht auf das Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber europarechtlich zulässig. Hierbei handle es sich nicht um eine inhaltliche Modifikation, sondern um eine Erweiterung der Verpflichtung. Die in § 126 Abs. 1 S. 1 GWB geregelten Selbstreinigungskriterien seien autonom und rein vergabebezogen auszulegen, und würden nicht durch legitime Verteidigungsrechte anderen Ursprungs begrenzt oder eingeschränkt werden.
Die mündliche Verhandlung fand am 13.12.2016 in den Räumen der Regierung von Oberbayern statt. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung wird verwiesen. Die Verfahrensbeteiligten erhielten bis zum 13.01.2017 Schriftsatzfrist.
Mit Schreiben vom 20.12.2016 legte die Antragstellerin den Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts vor, aus dem hervorgeht, dass sie neben der Vorlage von Informationen und Beweismitteln ununterbrochen und uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt zusammengearbeitet hat.
Die Antragsgegnerin trug mit Schriftsatz vom 16.01.2017 vor, dass sie mit Bekanntmachung vom 28.12.2016 das in dem laufenden Vergabenachprüfungsverfahren streitgegenständliche Prüfungssystem beendet habe und ein neues Qualifizierungssystem gem. § 48 SektVO öffentlich bekannt gemacht habe. Mit der Beendigung des Prüfungssystems habe sich das anhängige Vergabenachprüfungsverfahren gem. § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt. Die mit dem Nachprüfungsantrag begehrte Rücknahme des Ausschlusses aus dem Prüfungssystems sei nicht möglich bzw. erforderlich.
Zudem habe am 11.01.2017 vor dem LG München I (Az.: …) die erste mündliche Verhandlung in dem Schadensersatzprozess der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin stattgefunden. Die Zivilkammer habe dort eine vergleichsweise Lösung angeregt. Die Antragstellerin habe jedoch eine Einigung – anders als die Antragsgegnerin – kategorisch ausgeschlossen. Als Grund habe sie die Auseinandersetzungen mit anderen geschädigten Unternehmen und die damit verbundene Gesamttaktik ihrer Verteidigungsstrategie angegeben.
Mit Schreiben vom 19.01.2017 erklärte die Antragstellerin den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt, nachdem die Antragsgegnerin das bisherige Prüfungssystem für die Lieferung von Oberbaumaterialies mit Wirkung zum 31.12.2016 aufgehoben habe. Zugleich habe die Antragsgegnerin erklärt, das anhängige Nachprüfungsverfahren habe sich erledigt.
Vor dem Hintergrund von übereinstimmenden Erledigungserklärungen durch die Parteien des Verfahrens beantragte sie,
die Kosten des in der Hauptsache erledigten Nachprüfungsverfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Hilfsweise beantragte sie für den Fall, dass die Antragsgegnerin an der Erledigungserklärung nicht festhalten sollte, die Feststellung, dass der Ausschluss aus dem Prüfungssystem vergaberechtswidrig war (§ 168 Abs. 2 S. 2 GWB).
Hierauf teilte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.01.2017 mit, dass sie in ihrem Schriftsatz vom 13.01.2017 keine einseitige Erledigungserklärung abgegeben habe, sondern lediglich darauf hingewiesen habe, dass sich das Vergabenachprüfungsverfahren durch die Beendigung des Prüfungssystems zum 31.12.2016 – rein faktisch – gem. § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt habe.
Der Erledigungserklärung der Antragstellerin schließe sich die Antragsgegnerin vor diesem Hintergrund nur unter der Maßgabe an, dass die Vergabekammer im Rahmen der gem. § 182 Abs. 3 S. 4 GWB im Bereich der Kosten zu treffenden Ermessensentscheidung eine Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit des Nachprüfungsantrags zum Zeitpunkt der Erledigung vornehme, und beantragte:
1. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin.
2. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
Andernfalls beantragte sie:
1. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses aus dem Prüfungssystem wird zurückgewiesen,
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin.
3. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei zum Zeitpunkt der Erledigung durch Beendigung des Prüfungssystems unzulässig bzw. jedenfalls unbegründet gewesen.
In dem vorliegenden Verfahren stellten sich bedeutende und für die zu treffende Entscheidung erhebliche Rechtsfragen zur europarechtlichen Anwendbarkeit und Auslegung der §§ 125, 126 GWB in Umsetzung der Vorgaben die Richtlinie 2014/24/EU i. V. m. Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU.
Vor diesem Hintergrund rege sie daher an, dem Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der Richtlinie 2014/24/EU i. V. m. Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU den Sachverhalt zur Vorabentscheidung nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEÜV) vorzulegen.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II. 1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, insbesondere ist die Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern gegeben.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs.1, 158 Abs.2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV. Der Antragsgegner ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 100 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107-109 GWB liegt nicht vor.
Gem. § 155 GWB unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen der Nachprüfung durch die Vergabekammern.
Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern ist der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen eröffnet. Entscheidungen zu Qualifizierungssystemen im Sinne des Art. 77 der Richtlinie 2014/25/EU können Gegenstand von Nachprüfungsverfahren sein.
Ein Qualifizierungssystem selbst ist zwar kein Vergabeverfahren, sondern eine vorweggenommene Eignungsprüfung (Opitz, in: Eschenbruch/Opitz, Kommentar zur SektVO, 2012, § 24 Rn. 2). Dies ändert aber nichts daran, dass insbesondere der Ausschluss aus einem Qualifizierungssystem zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht werden kann. (VK Bund, Beschluss vom 27.01.2015 – VK 2-123/14; Opitz, in: Eschenbruch/Opitz, a. a. O., § 24 Rn. 31; Greb/Müller, Kommentar zur SektVO, 2010, § 24 Rn. 38; Hänsel, in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. (2013), § 24 SektVO, Rn. 22).
Hiervon geht auch der Gemeinschaftsgesetzgeber aus, indem er im 2. Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66 EG ausführt:
„Die Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG gelten daher nur für Aufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG gemäß der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften fallen, und zwar unabhängig von dem gewählten Vergabeverfahren … einschließlich der Wettbewerbe, Prüfungssysteme oder …“
Die Vergabekammer Südbayern schließt sich der Rechtsprechung der Vergabekammer des Bundes und den genannten Literaturstimmen auch deshalb an, weil derzeit faktisch nur so effektiver Rechtsschutz gegen einen Ausschluss aus einem Qualifizierungssystem im Sinne des Art. 77 der Richtlinie 2014/25/EU erreicht werden kann.
Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern spielt es für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags gegen einen Ausschluss aus einem Qualifizierungssystem im Sinne des Art. 77 der Richtlinie 2014/25/EU keine Rolle, ob über das konkrete Qualifizierungssystem noch Aufträge vergeben werden, die die Schwellenwerte des Art. 15 der Richtlinie 2014/25/EU überschreiten, solange über dieses Qualifizierungssystem überhaupt Aufträge vergeben wurden, die die Schwellenwerte überschreiten, was vorliegend unstrittig der Fall ist.
Ein Qualifizierungssystem stellt selbst kein Vergabeverfahren dar. Einen Auftragswert im Sinne des Art. 16 der Richtlinie 2014/25/EU gibt es nicht. Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtschutzes ist es daher geboten, beim Ausschluss aus einem Qualifizierungssystem die Anwendbarkeit des vierten Teils des GWB auch dann zu bejahen, wenn nicht festgestellt werden kann, ob der maßgebliche Schwellenwert erreicht ist (VK Bund, Beschluss vom 27.01.2015 – VK 2-123/14).
2. Der Ausgang des streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren, in dem nach Beendigung des streitgegenständlichen Qualifizierungssystems noch über den Feststellungsantrag der Antragstellerin, dass der Ausschluss rechtwidrig war und die Kostenfolge (unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des ursprünglichen Nachprüfungsantrags) zu entscheiden ist, hängt in der Sache maßgeblich von der Beantwortung der Vorlagefragen unter 1 a) und b) sowie 1 c) und d) ab.
2.1 Nach derzeitiger vorläufiger Rechtsauffassung der Vergabekammer Südbayern nach Durchführung der mündlichen Verhandlung erfüllt die Antragstellerin die Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbstreinigung gem. Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU, nicht aber das Erfordernis der Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber in § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB.
Die Antragstellerin hat sich – zumindest im Rahmen der Schriftsätze im Vergabefachprüfungsverfahren – in ausreichender Form gem. Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, umgesetzt in § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB, verpflichtet, Ausgleich für jeglichen durch ihre Kartellbeteiligung verursachten Schaden zu leisten. Dass die Antragstellerin entschieden bestreitet, dass der Antragsgegnerin ein entsprechender Schaden durch ihre Kartellbeteiligung entstanden ist und diese Frage Gegenstand eines Rechtsstreits vor den Zivilgerichten ist, ändert daran nichts. Einem Unternehmen darf durch die Regelungen zur Selbstreinigung nicht das Recht genommen werden, einen der Höhe nach streitigen Schadensersatzanspruch vor einem Zivilgericht nach den für dieses Verfahren geltenden prozessualen Regeln zu klären (so auch die Begründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz BT-DRS 18/6281 S. 105). Ein Unternehmen ist dabei auch nicht zu Erklärungen verpflichtet, die seine prozessuale Situation verschlechtern, wie zum von der Antragsgegnerin immer wieder geforderten Verzicht auf die Einrede der Verjährung.
Die Antragsgegnerin zieht auch nicht in Zweifel, dass die Antragstellerin mittlerweile die nötigen konkreten technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen im Sinne des Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, umgesetzt in § 125 Abs. 1 Nr. 3 GWB, ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden.
Weiterhin steht schon aufgrund der Begründung des Bußgeldbescheids des Bundeskartellamts vom 09.03.2016 … fest, dass die Antragstellerin die Tatsachen und Umstände umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den zuständigen Ermittlungsbehörden, insbesondere dem Bundeskartellamt geklärt hat. Die Antragstellerin hat mit ihrem Bonusantrag vom 04.11.2011 dem Bundeskartellamt Informationen und Beweismittel vorgelegt, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Tat nachzuweisen. Sie hat daher auch eine Reduzierung ihrer Bußgeldsumme in erheblichem Umfang bewirken können.
Damit wären die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Selbstreinigung nach den Vorgaben des Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU erfüllt.
Nicht erfüllt ist demgegenüber die nicht in der Richtlinie 2014/24/EU enthaltene, aber in § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB für eine erfolgreiche Selbstreinigung erforderliche Anforderung, dass der Wirtschaftsteilnehmer die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit auch mit dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat.
Die Antragstellerin hat diesbezüglich mit dem Auftraggeber nicht in nennenswertem Maße zusammengearbeitet. Sie ist nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2011 nicht auf die Antragsgegnerin zugekommen und hat ihr gegenüber auch keine Initiative zur umfassenden Klärung des Sachverhalts ergriffen. Erst im Jahr 2016 hat sie gegenüber der Antragsgegnerin nicht mehr bestritten, an kartellrechtlich relevanten Absprachen bzgl. Weichen beteiligt gewesen zu sein und eingeräumt, dass bei fünf Vergabevorgängen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie Gegenstand von kartellrelevanten Verhaltensweisen gewesen sein könnten.
Kontaktversuche erfolgten – wenn auch vorrangig mit dem Ziel, durch Erwirken von Verjährungsverzichtserklärungen mögliche Schadensersatzansprüche sichern – regelmäßig stets auf Initiative der Antragsgegnerin und nicht der Antragstellerin. Sie blieben, abgesehen von einem einmalig im Jahr 2012 erklärten Verzicht auf die Einrede der Verjährung, der aber keine aktive Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber zur umfassenden Klärung der Tatsachen und Umstände darstellt, erfolglos.
Der deutsche Gesetzgeber hat – wie am vorliegenden Fall deutlich ersichtlich ist – mit dem Erfordernis der aktiven Zusammenarbeit auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zur umfassenden Klärung der Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, in § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB, strengere Anforderungen an die Selbstreinigung geknüpft als die zugrundeliegenden Richtlinien.
In der Gesetzesbegründung zu § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB wird diese Abweichung mit dem Argument gerechtfertigt, dass der Richtlinienbegriff der „Ermittlungsbehörden“ dabei weit zu verstehen sei. Zur Aufklärung des Sachverhalts müsse das Unternehmen zum einen mit den Ermittlungsbehörden im engeren Sinne aktiv zusammenarbeiten. Zum anderen müsse es aber auch mit dem öffentlichen Auftraggeber zur Aufklärung des Sachverhalts aktiv zusammenarbeiten (so bisher schon die nationale Rechtsprechung zur früheren Rechtslage: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. April 2003 – Verg 66/02; Beschluss vom 28. Juli 2004 – Verg 42/05; LG Berlin, Urteil vom 22. März 2006 – 23 O 118/04). Für dieses weite Verständnis des in Artikel 57 Absatz 6 der Richtlinie 2014/24/EU verwandten Begriffs der „Ermittlungsbehörden“ spreche neben dem Sinn und Zweck der Regelung insbesondere auch die englische Sprachfassung der Richtlinie, in der von „investigating authorities“ die Rede ist, sowie die französische Sprachfassung, die von „autorités chargées de l’enquête“ spricht. Diese Sprachfassungen legten nahe, dass nicht „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne, sondern „ermittelnde Behörden“ gemeint seien. Der öffentliche Auftraggeber müsse zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Bieters in der Lage sein, die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des bestehenden Ausschlussgrundes zu beurteilen (Begründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz BT-DRS 18/6281 S. 106).
Die Vergabekammer Südbayern ist der Auffassung, dass dem nicht zwingend zu folgen ist. Die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die öffentlichen Auftraggeber keine „Ermittlungsbehörden“ sind, da den öffentlichen Auftraggebern – anders als etwa dem BundeskarteIIamt oder der Staatsanwaltschaft – von ihrer Funktion her nicht die Aufgabe zukommt, allgemein wegen etwaiger Verfehlungen Ermittlungen vorzunehmen. Zudem sind die öffentlichen Auftraggeber nicht wie die Ermittlungsbehörden zu einer unparteiischen Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet und in vielen Fällen dazu auch gar nicht in der Lage. Dies zeigt sich gerade im vorliegenden Fall, in dem die Antragsgegnerin selbst von den unzulässigen Kartellabsprachen betroffen war und möglicherweise durch die Preisabsprachen auch geschädigt war. Eine solche Stelle kann aus nachvollziehbaren Gründen keine neutralen und ergebnisoffenen Ermittlungen führen und ist daher auch nicht als „Ermittlungsbehörde“ anzusehen.
In gleicher Weise konzipiert ist im Übrigen auch die englische Sprachfassung von Art. 57 Abs. 6 Richtlinie 2014/24/EU. Diese spricht bei der betreffenden Textstelle von „investigating authorities“. Soweit die englische Fassung die „öffentlichen Auftraggeber“ meint, spricht sie hingegen von „contracting authorities“.
Die Vergabekammer Südbayern hat weiterhin auch Zweifel, dass der nationale Gesetzgeber in § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB an die Selbstreinigung strengere Anforderungen stellen durfte, als die Richtlinie 2014/24/EU dies vorsieht. Der nationale Gesetzgeber ist regelmäßig befugt, strengere Anforderungen an die Transparenz oder die Gleichbehandlung ggü. den zugrundeliegenden Richtlinien zu stellen oder in größerem Umfang Wettbewerb zu schaffen, als es die Richtlinie erfordert. Die Erschwerung der Selbstreinigung führt aber zu einer Beschränkung des Wettbewerbs auf dem europäischen Binnenmarkt, weil Unternehmen, die nach den Vorgaben der Richtlinie an Vergabeverfahren teilnehmen könnten, ggf. mangels Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber von dieser Teilnahme ausgeschlossen bleiben.
Vertretbar erscheint allenfalls eine Verpflichtung des Wirtschaftsteilnehmers gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Sachverhaltsaufklärung insoweit, dass dieser beurteilen kann, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen (technische, organisatorische und personelle Maßnahmen und Schadenskompensation) geeignet und ausreichend sind.
Da die Vergabekammer Südbayern ein formelles Bundesgesetz wie § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB nicht unangewandt lassen kann, bittet sie den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Vorlagefragen 1.a) und 1.b).
2.2 Klärungsbedürftig ist aus Sicht der Vergabekammer Südbayern weiterhin, welches Ereignis im Zusammenhang mit einer Verfehlung gem. Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU den Beginn der Frist von höchstens drei Jahren für einen Ausschluss gemäß Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU auslöst.
§ 126 Nr. 2 GWB setzt die entsprechenden Vorgaben der Richtlinie dahingehend in nationales Recht um, dass ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt und das keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB ergriffen hat, bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann.
Dies ist im vorliegenden Fall entscheidungserheblich, weil die Kartelltaten der Antragstellerin im Frühjahr 2011 beendet waren und seitdem bereits zum Zeitpunkt der Ausschlussentscheidung der Antragsgegnerin im Herbst 2016 mehr als drei Jahre vergangen waren.
Die Gesetzesbegründung zu § 126 GWB vertritt insoweit die Auffassung, dass beim fakultativen Ausschlussgrund eines Verstoßes gegen Wettbewerbsrecht nach § 124 Absatz 1 Nr. 4 GWB das betreffende Ereignis insbesondere die Entscheidung der zuständigen Kartellbehörde über das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes sein könne. Begründen lässt sich dies damit, dass für einen Ausschluss nach § 124 Absatz 1 Nr. 4 GWB schlichte Verdachtsmomente nicht ausreichen. Die nötige sichere Tatsachengrundlage hat ein öffentlicher Auftraggeber daher gerade dann, wenn ein Unternehmen nicht aktiv mit ihm zusammenarbeitet, in vielen Fällen erst mit der Entscheidung der Kartellbehörde.
Gegen diese Auffassung lässt sich allerdings vorbringen, dass damit schon der Beginn der Ausschlussfrist des § 126 Nr. 2 GWB erst dann zu laufen beginnt, wenn die teilweise jahrelangen Ermittlungen der Kartellbehörden abgeschlossen sind und die Sanktion ggf. lange Zeit nach Beendigung der Kartelltat eintritt. Zudem führt diese Auffassung zu Divergenzen mit dem Recht der Ordnungswidrigkeiten und dem Strafrecht, wo jeweils die Verfolgungsverjährung gem. § 78a StGB bzw. § 31 Abs. 3 OWiG beginnt, sobald die Handlung beendet ist.
Je nachdem, welcher Auffassung man vorliegend folgt, war zum Zeitpunkt des Ausschlusses der Antragstellerin aus dem Qualifizierungssystem der Antragsgegnerin am 04.11.2016 die Frist gem. Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU in Verbindung mit Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 126 Nr. 2 GWB abgelaufen oder nicht.
Die Vergabekammer Südbayern legt dem Gerichtshof daher auch diese Frage zur Vorabentscheidung vor.
Die Vergabekammer Südbayern bittet den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung über die gestellten Vorlagefragen.
Eine Kostenentscheidung ist im momentanen Verfahrensstand nicht veranlasst.
Hinweis
Diese Aussetzung ist als prozessuale Zwischenentscheidung nicht selbstständig mit der sofortigen Beschwerde nach § 171 GWB angreifbar, sondern erst mit der Entscheidung in der Hauptsache (OLG München, Beschluss vom 18.10.2012 – Az.: Verg 13/12).


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