Baurecht

Baugenehmigung, Baugenehmigungsverfahren, Genehmigungsverfahren, Gemeinde, Nachbarklage

Aktenzeichen  W 5 K 20.344

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30655
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 49, Art. 50 Abs. 1 S. 1, Art. 51 Abs. 1 S. 1, Art. 54 Abs. 2, Art. 64 Abs. 4 S.1, Art. 75 Abs. 1
BauNVO § 15
VwGO § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, § 113 Abs. 1 S. 1, § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3, § 167 Abs. 2
UVPG § 5 Abs. 1 S. 1
GKG § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 2 S. 1
BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
ZPO § 708
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage gegen die Baugenehmigung des Landratsamts M.-S. vom 13. Februar 2020 ist unbegründet.
Ein Nachbar hat nicht schon dann einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr muss der Nachbar durch die Baugenehmigung gerade in seinen eigenen Rechten verletzt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn Normen verletzt sind, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienen, mithin drittschützenden Charakter haben (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris). Eine solche Verletzung des Klägers in drittschützenden Rechten liegt hier nicht vor.
1. Anders als die Klägerbevollmächtigte meint, führt die unterlassene Benennung eines neuen Entwurfsverfassers nach dem Tod des Architekten M … am 14. Dezember 2019 – d.h. noch vor Erteilung der Baugenehmigung – nicht zum Erfolg der Klage.
Gerügt ist damit offenbar ein Rechtsverstoß gegen die Grundpflichten des Art. 49 BayBO („Bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und der Beseitigung von Anlagen sind der Bauherr und im Rahmen ihres Wirkungskreises die anderen am Bau Beteiligten dafür verantwortlich, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden.“) und der Vorgabe des Art. 50 Abs. 1 Satz 1 BayBO, wonach der Bauherr zur Vorbereitung, Überwachung und Ausführung eines nicht verfahrensfreien Bauvorhabens sowie der Beseitigung von Anlagen geeignete Beteiligte nach Maßgabe der Art. 51 und 52 BayBO zu bestellen hat, soweit er nicht selbst zur Erfüllung der Verpflichtungen nach diesen Vorschriften geeignet ist. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayBO muss der Entwurfsverfasser nach Sachkunde und Erfahrung zur Vorbereitung des jeweiligen Bauvorhabens geeignet sein. Er ist für die Vollständigkeit und Brauchbarkeit seines Entwurfs verantwortlich (Art. 51 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Der Entwurfsverfasser hat dafür zu sorgen, dass die für die Ausführung notwendigen Einzelzeichnungen, Einzelberechnungen und Anweisungen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechen (Art. 51 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Ob diese Regelungen es dem Bauherrn gebieten, einen neuen Entwurfsverfasser auch dann noch zu benennen, wenn der verstorbene Entwurfsverfasser den Bauantrag und die Baupläne – wie hier – vor seinem Tod entsprechend der Regelung des Art. 64 Abs. 4 Satz 1 BayBO unterschrieben und bei der Gemeinde eingereicht hatte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Verstoß gegen die Pflichten der Art. 49 ff. BayBO wirkt sich nämlich nicht per se auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung aus. Der Bauherr läuft „lediglich“ Gefahr, dass Rechtsverstöße bei der Planung oder bei der Ausführung des Bauvorhabens, ihrerseits zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führen oder Anlass für bauaufsichtliche Maßnahmen – namentlich die Einstellung von Arbeiten nach Art. 75 Abs. 1 BayBO (vgl. hierzu Jäde in PdK BayF-3, Stand: März 2013, Ziff. 2.1.1 Rn. 2) – bieten können. Der gerügte Verstoß ist damit von vornherein nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung unmittelbar zu beeinflussen.
Im Übrigen sind die Regelungen der Art. 49, 50 und 51 BayBO nicht drittschützend (Würfel in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 137. EL Juli 2020, Art. 49 Rn. 4 und Art. 50 Rn. 6, Shirvani in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 137. EL Juli 2020, Art. 51 Rn. 9). Die Vorschriften sollen vor allem festlegen, wen und in welcher Eigenschaft die Bauaufsichtsbehörde gem. Art. 54 Abs. 2 BayBO heranziehen kann. Sie geben insoweit zum einen verfahrensmäßig und zum anderen materiell in Bezug auf die wirkungskreisbezogene Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten den Bauaufsichtsbehörden vor, an wen sie sich zu wenden haben. Die Vorschriften der Art. 49 ff. BayBO dienen damit insbesondere dazu, die Bauordnungsbehörden von umfangreichen Nachforschungen über die internen Verantwortlichkeiten der am Bau Beteiligten zu entlasten. Sie gewährleisten dadurch eine effektive und schnelle Bauaufsicht (Würfel in Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, 137. EL Juli 2020, Art. 49 Rn. 10). Mangels nachbarschützender Funktion kann der Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt werden.
2. Weiterhin musste die Baugenehmigungsbehörde entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten nicht gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 UVPG die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung feststellen.
Ausweislich Nr. 7.8 der in Anlage 1 zum UVPG enthaltenen Liste „UVPpflichtige Vorhaben“ besteht bei Errichtung und Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Sauen einschließlich dazugehöriger Ferkel (Ferkel bis weniger als 30 kg Lebendgewicht) eine standortbezogene Vorprüfungspflicht ab 560 Plätzen, eine allgemeine Vorprüfungspflicht ab 750 Plätzen und eine UVP-Pflicht ab 900 Plätzen. Hier wird die Schwelle von 560 Sauen durch das erweiterte Vorhaben nicht erreicht; vielmehr bliebt die Anzahl der Sauen völlig unverändert. Die Ferkel bis weniger als 30 kg Lebendgewicht sind bei den Stallplätzen nicht gesondert anzurechnen und bleiben deswegen unberücksichtigt. Das ergibt sich aus der Systematik der Nrn. 7.7 bis 7.9 der Anlage 1 zum UVPG. Danach ist davon auszugehen, dass die Grenzwerte aller drei Nummern ein annähernd gleiches Störpotential abbilden sollen. Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass nach Nr. 7.7 erst 1.500 Mastschweine über 30 kg Lebendgewicht die Vorprüfungspflicht auslösen sollen, während dies im Rahmen von Nr. 7.8 bereits ab 560 Sauen der Fall ist. Dieses Missverhältnis ist nur dann erklärbar, wenn bei jeder Sau nach Nr. 7.8 eine beträchtliche, über die bei dem Muttertier säugenden Jungen hinausgehende Anzahl von Ferkeln mitberücksichtigt wird (so auch OVG Lüneburg, U.v. 15.6.2017 – 1 LC 17/16 – juris). Nach dem Betriebskonzept des Klägers ist vorgesehen, dass die Ferkel nach dem Absetzen von der Sau bei einem Gewicht von ca. 6 kg in die Kistenveranda und ab einem Gewicht von ca. 10 kg in den Ferkelaufzuchtstall verbracht werden, ehe sie mit ca. 25 kg als Qualitätsferkel an einen Mäster verkauft werden (vgl. das zum Gegenstand des Bauantrags gemachte Schreiben des AELF vom 19.10.2012, Bl. 7 der Bauakte). Damit gehören sie zu den nach Nr. 7.8 nicht separat gezählten „dazugehörigen Ferkeln“, weshalb die Schwelle zu einem UVPpflichtigen bzw. vorprüfungspflichtigen Vorhaben nicht erreicht wird.
Nicht einschlägig ist weiterhin Nr. 7.9 der in Anlage 1 zum UVPG enthaltenen Liste „UVPpflichtige Vorhaben“, weil es bei dem Vorhaben des Beigeladenen nicht um die Erweiterung einer Anlage zur getrennten Intensivaufzucht von Ferkeln mit einem Lebendgewicht von 10 bis weniger als 30 kg, sondern um eine Aufzuchtstelle für Ferkel mit einem Lebendgewicht von lediglich ca. 6 bis 10 kg geht. Im Übrigen besteht insoweit erst ab 4.500 Plätzen eine standortbezogene Vorprüfungspflicht, ab 6.000 Plätzen eine allgemeine Vorprüfungspflicht und eine UVP-Pflicht ab 9.000 Plätzen. Diese Größenordnung wird von der durch das hier streitgegenständliche Vorhaben erweiterten Anlage des Beigeladenen bei weitem nicht erreicht.
3. Soweit die Klägerbevollmächtigte reklamiert, die Baugenehmigung verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), verhilft auch dies der Klage nicht zum Erfolg.
Eine Baugenehmigung kann Rechte des Nachbarn verletzen, wenn sie hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen unbestimmt ist und daher im Falle der Umsetzung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist. D.h., ein Dritter kann sich dann auf eine unzureichende inhaltliche Bestimmtheit mit der Folge eines entsprechenden Abwehranspruchs berufen, soweit der Bestimmtheitsmangel eine Regelung betrifft, die ihre Grundlage in einer zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehörenden und gerade dem Schutz dieses Dritten dienenden materiell-rechtlichen Norm hat, und der Dritte infolge des Bestimmtheitsmangels auch insoweit qualifiziert und individualisiert betroffen ist, als er nicht feststellen kann, ob bzw. in welchem Maße eine Verletzung dieser drittschützenden Norm durch die Genehmigung möglich scheint (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris Rn. 16; B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 6). Eine Verletzung von Nachbarrechten ist also dann gegeben, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft oder wenn infolge der Unbestimmtheit einer Baugenehmigung nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (vgl. Lechner, in: Simon/Busse, BayBO, 137. EL Juli 2020, Art. 68 Rn. 465 ff.). Eine Baugenehmigung ist etwa dann aufzuheben, wenn wegen des Fehlens oder der Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205; U.v. 16.10.2013 – 15 B 12.1808 – beide juris).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes ist die Baugenehmigung des Landratsamts M.-S. vom 17. Februar 2020 nicht zu unbestimmt. Insbesondere fehlt es nicht an inhaltlich so umfassenden und konkreten Bauantragsunterlagen, dass eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden könnte. Bei sachgerechter Auslegung der Baugenehmigung ergibt sich, dass in Erweiterung der bestehenden Kistenveranda mit 320 Ferkelplätzen (8 x 40 Plätze) lediglich weitere 160 Ferkelplätze (4 x 40 Plätze) geschaffen werden sollten. Art, Umfang und Standort des Erweiterungsvorhabens ergeben sich in eindeutig erkennbarer Weise aus der Baubeschreibung und den Bauzeichnungen, die zum Gegenstand der Baugenehmigung gehören. Gleiches gilt für das angegebene Gewicht der Ferkel, die sich in den vier neuen Einheiten der Kistenveranda aufhalten dürfen. Aus den Antragsunterlagen geht unmissverständlich hervor, dass das Lebendgewicht der in den neu geschaffenen Einheiten untergebrachten Ferkel zwischen ca. 6 bis 10 kg betragen soll. Eine Unklarheit besteht auch nicht darüber, ob mit der angegriffenen Baugenehmigung eine Erhöhung des genehmigten Ferkelbestands verbunden und aus diesem Grund eine Nachbarrechtsverletzung nicht auszuschließen ist. Weder im Bauantragsformular noch in der Nutzungsbeschreibung noch in den weiteren Baugenehmigungsunterlagen, namentlich den Planzeichnungen, findet eine Erhöhung der Ferkelzahlen ausdrücklich Erwähnung. Ein Anhaltspunkt für diese Annahme findet sich allenfalls in den Planzeichnungen, in denen von 4 x „40 Plätze[n]“ die Rede ist (vgl. Anlage P1). Es ist jedoch bei Betrachtung der Bauantragsunterlagen insgesamt und unter Berücksichtigung der Vorgenehmigungen für den Kläger hinreichend klar zu erkennen, dass es bei dem Vorhaben des Beigeladenen lediglich um die zusätzliche Schaffung von 160 Ferkelplätzen im Freien ging, ohne dass damit an der genehmigten Gesamtzahl an Ferkeln etwas geändert werden sollte. Die Gesamtzahl an Ferkeln war zuletzt Gegenstand der Baugenehmigung vom 17. November 2011 i.d.F. vom 8. Februar 2012, wonach sich der genehmigte Ferkelbestand auf 1.200 Ferkel beläuft (vgl. Anlage P 2 zur Bauplanmappe …: „1.200 Ferkel“; zur inhaltlichen Berücksichtigung dieser Bestandsaufstockung im Baugenehmigungsverfahren vgl. insbesondere die fachtechnische Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 16.11.2011, Bl. 32 der Bauplanmappe … ). Mit Baugenehmigung vom 22. Oktober 2013 wurden sodann lediglich die vorhandenen acht Einheiten der Kistenveranda genehmigt, mit der keine Bestandsaufstockung verbunden war (vgl. das zum Gegenstand des damaligen Bauantrags gemachte Schreiben des AELF Würzburg vom 19.10.2012, Bl. 7 der Behördenakte zum Verfahren … ). Aus der Bezeichnung und der Nutzungsbeschreibung des hier in Streit stehenden Vorhabens ergibt sich eindeutig, dass es hierbei nur um eine „Erweiterung“ der aus acht Einheiten „bestehenden“ Kistenveranda um weitere vier Einheiten gehen sollte. Weshalb im Rahmen dessen trotz der vergleichbaren Einzeichnungen in den damaligen Planunterlagen (8 x „40 Plätze“, vgl. Anlage P2 der Behördenakte zum Verfahren … ) und der identischen Betriebsweise beider Vorhaben nunmehr eine Bestandsaufstockung der Ferkelzahl beantragt worden sein sollte bzw. eine entsprechende Unklarheit hierüber bestehen sollte, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Eine entsprechende Unklarheit lässt sich ferner nicht aus dem vom Beigeladenen in Auftrag gegebenen privaten Geruchsgutachten der Fa. M … vom 21. Juni 2018 ableiten, in dem von einer Erweiterung auf maximal 2.698 Tierplätze die Rede ist. Denn das Gutachten ist zwar Bestandteil der Verfahrensakte, bezieht sich jedoch – wie schon anhand der Tierzahlen zweifelsfrei zu erkennen ist – nicht auf den hier genehmigten Bauantrag, sondern auf ein gänzlich anderes, nicht zur Genehmigung gestelltes Vorhaben des Beigeladenen.
4. Schließlich verletzt das streitgegenständliche Vorhaben des Beigeladenen nicht das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
Hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Geruchsbelastung ist als bauplanungsrechtlicher Maßstab auf das Gebot der Rücksichtnahme abzustellen, das für die Beurteilung von Außenbereichsvorhaben – wie hier das Vorhaben des Beigeladenen – in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankert ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16; BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231; BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 2 B 16.231; BayVGH, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.1890 – alle juris). Diesem kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris). Es wird zulasten des Nachbarn verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747; BayVGH, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.1890 – beide juris). Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen – hier der Geruchsbelastung – ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.1890 – juris m.w.N.). Das Rücksichtnahmegebot ist in der Regel nicht verletzt, wenn die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte der TA Luft, TA Lärm oder vergleichbarer Regelwerke eingehalten werden (vgl. BVerwG, U.v. 30.9.1983 – 4 C 74/78 – juris).
Im vorliegenden Einzelfall ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass den Kläger eine nachwirkende Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf die benachbarten landwirtschaftlichen Betriebe trifft. Die Pflicht, Geruchsbelästigungen hinzunehmen, erhöht sich nämlich immer dann, wenn das in Rede stehende Wohnhaus selbst der Landwirtschaft dient(e) (BayVGH, B.v. 27.5.2020 – 15 ZB 19.2305 – juris m.w.N.). In diesem Fall besteht eine Schicksalsgemeinschaft der emittierenden landwirtschaftlichen Betriebe. Dies gilt auch dann, wenn auf einem Grundstück im Außenbereich die Landwirtschaft aufgegeben wurde und ein Übergang zum allgemeinen Wohnen erfolgt ist. In einem solchen Fall des Ausscheidens aus der Schicksalsgemeinschaft der Landwirte ist das vormalig landwirtschaftlich genutzte Grundstück im Außenbereich weiterhin mit einer nachwirkenden Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf benachbarte landwirtschaftliche Betriebe belastet (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2015 – 2 ZB 14.2665; OVG Lüneburg, U.v. 26.11.2014 – 1 LB 164/13 – beide juris). Diese Situation ist auch im vorliegenden Fall gegeben. Das Nachbargrundstück des Klägers wurde früher landwirtschaftlich genutzt und dient mittlerweile Wohnzwecken. Darüber hinaus besteht eine räumliche Nähebeziehung zu den umliegenden Betrieben, die eine erhebliche Größe aufweisen und das Gebiet nach wie vor durch ihre landwirtschaftlichen Nutzungen prägen. Hieraus resultiert eine gesteigerte Pflicht des Klägers, Geruchsimmissionen aus diesen landwirtschaftlichen Betrieben – wie hier aus der bestehenden Ferkelzucht des Beigeladenen – hinzunehmen. Wenn also der Kläger Schutz für eine Wohnnutzung auf seinem Nachbargrundstück beansprucht, ist dieser Schutzanspruch in Bezug auf Geruchsimmissionen deutlich eingeschränkt.
Unter Heranziehung dieser Grundsätze erweist sich das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Anwesen des Klägers nicht als rücksichtslos. Der Vertreter der Immissionsschutzbehörde hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sich durch das Vorhaben keine relevanten Unterschiede gegenüber dem bisherigen Bestand ergeben. Das gelte selbst dann, wenn mit dem Vorhaben eine Erhöhung der Ferkelzahlen um 160 einhergehe. Die Zahl von 160 Ferkeln entspreche 3,2 Großvieheinheiten. Das diffuse Entweichen der Abluft sehe er angesichts der Einhausung und der meteorologischen Daten nicht als problematisch an. Damit hat der Immissionsschützer das Ergebnis seiner immissionsschutzrechtlichen Stellungnahme vom 4. Februar 2020 (Bl. 32 der Behördenakte), wonach keine Bedenken gegen die Erweiterung des Ferkelstalls um vier Einheiten bestehen, in einer für die Kammer nachvollziehbaren Weise bestätigt. Die Klägerseite hat die fachtechnischen Ausführungen des Immissionsschützers in der mündlichen Verhandlung auch nicht substantiiert angegriffen, geschweige denn, widerlegen können, weshalb an deren Tragfähigkeit keine Zweifel bestehen. Für die Kammer ist eine unzumutbare Belastungssituation des benachbarten Klägers aufgrund des zur Genehmigung gestellten Vorhabens des Beigeladenen nicht einmal ansatzweise zu erkennen. Wie vorstehend ausgeführt geht das Vorhaben mit keiner Erhöhung der genehmigten Ferkelzahlen einher, sondern eröffnet lediglich für weitere 160 der 1.200 genehmigten Ferkel die Möglichkeit einer vorübergehenden Unterbringung im gekennzeichneten Freibereich. Angesichts des Abstands des dafür neu vorgesehenen Freibereichs von ca. 120 m zum Wohnanwesen des Klägers, der konkreten Ausgestaltung der baulichen Anlage und der im Verhältnis zum Gesamtvorhaben geringen Zahl an Ferkeln bzw. Großvieheinheiten sieht die Kammer übereinstimmend mit den Aussagen des Immissionsschützers in der mündlichen Verhandlung keinen relevanten Unterschied gegenüber der bisherigen, sich aus den vorerteilten Baugenehmigungen ergebenden Genehmigungssituation. Infolge dessen kann von keiner Verschlechterung der Geruchssituation im Sinne einer Unzumutbarkeit ausgegangen werden, so dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht zulasten des Klägers verletzt ist.
5. Nach alldem erweist sich die Klage als unbegründet und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Da sich der Beigeladene durch eigene Antragsstellung am Prozessrisiko beteiligt hat, entsprach es der Billigkeit, die ihm entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen, § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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