Baurecht

Baugenehmigung, Bebauungsplan, Gemeinde, Wohngebiet, Festsetzungen, Nachbarklage, Minderung, Verpflichtungsklage, Einschreiten, Befreiung, Widerspruch, Gemarkung, Beseitigungsanordnung, Nachbar, bauaufsichtliches Einschreiten, allgemeines Wohngebiet, Kosten des Verfahrens

Aktenzeichen  AN 17 K 20.00311

Datum:
18.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31459
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 11, 59 Satz 1 Nr. 1a), 76 Satz 1
LAI/Licht-Richtlinie
VwGO § 75

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  2.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. 
3.Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.  

Gründe

Die Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten, wird als noch zulässig angesehen (1.), ist aber unbegründet (2) und deshalb abzuweisen.
1. a) Die Verpflichtungsklage in Form der Untätigkeitsklage, §§ 42 Abs. 1 Alt. 2, 113 Abs. 5, 75 VwGO, ist statthaft; die Klage ist auf den Erlass von Beseitigungsanordnungen nach Art. 76 Satz 1 BayBO gerichtet, über die der Beklagte bislang nicht durch Bescheid entschieden hat.
b) Eine Verpflichtungsklage erfordert vor der Klageerhebung allerdings grundsätzlich einen Antrag bei der zuständigen Behörde (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 75 Rn. 7, vor § 40 Rn. 11, § 42 Rn. 6). Eine Untätigkeitsklage ist nach § 75 Satz 3 VwGO darüber hinaus erst nach erfolglosem Ablauf von drei Monaten ab der Antragstellung zulässig. Einen Antrag auf Erlass einer Beseitigungsanordnung haben die Kläger beim Landratsamt … vor der Klageerhebung zwar nicht gestellt, aber mit dem Klageschriftsatz, den das Verwaltungsgericht dem Beklagten in regulären Geschäftsgang zugestellt hat, jedenfalls nachgeholt. Entgegen der Gegenansicht (vgl. Kopp/Schenke, § 75 Rn. 7, vor § 40 Rn. 11, § 42 Rn. 6) sieht das Gericht jedenfalls in der vorliegenden Drittanfechtungssituation (wenn auch keine Drittanfechtungsklage vorliegt) in dem notwendigen Behördenantrag keine Zugangsvoraussetzung für die Klage, sondern nur eine einfache Zulässigkeitsvoraussetzung, die erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegeben sein muss. Die zunächst unzulässigerweise erhobene Klage ist nach Ablauf der 3-Monats-Frist des § 75 Satz 2 VwGO damit in Zulässigkeit erwachsen.
Durch das durchgeführte Baugenehmigungsverfahren und den – allerdings nicht statthaften, vgl. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGVwGO – „Widerspruch“ der Kläger ist die Bauaufsichtsbehörde hier nicht mit einem völlig neuen Sachverhalt überzogen worden, so dass das Prinzip der Gewaltenteilung, das die Gegenmeinung heranzieht (vgl. Kopp/Schenke, § 42 Rn. 6 mit Verweis auf BVerwG, NWvZ 2008, 577), als Argument nicht verfängt. Mit dem Widerspruch gegen den Nachtragsbescheid vom 27. August 2019 haben die Kläger schon vor Klageerhebung zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der Genehmigung des Stahltrapezdaches nicht einverstanden sind. Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass ein Beseitigungsbegehren über ein Begehren, einen für rechtswidrig erachteten Genehmigungsbescheids aufzuheben, hinausgeht und ein bauaufsichtliches Einschreiten zusätzliche Voraussetzungen hat, eine Drittanfechtungsklage, die vorliegend auch in Betracht gekommen und wohl auch richtiger gewesen wäre, hätte aber ebenfalls ohne weiteres von den Klägern erhoben werden können.
Auch für das Begehren auf Beseitigung der Solarmodule, das die Kläger an die Bauaufsichtsbehörde vor Klageerhebung nicht herangetragen haben, steht der fehlende Behördenantrag der Zulässigkeit der Klage nach Ansicht des Gerichts nicht entgegen. Zum einen war der Beklagte mit dieser Fragestellung ebenfalls bereits vor der Klageerhebung befasst, da ein anderer Nachbar die Frage aufgeworfen hatte und der Beklagte auf die Einleitung eines Verfahrens bei der Gemeinde hingewirkt und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten als nicht möglich erachtet wird. Ein Antrag der Kläger wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht erfolgreich gewesen und ist deshalb hier als rein verzögernde „Förmelei“ als entbehrlich anzusehen. Zum anderen bestehen auch keine schutzwürdigen Belange der übergangenen Behörde für eine Zugangsvoraussetzung. Diese kann, wenn ein zureichender Grund nicht gegeben ist, nur eine Frist von drei Monaten, § 75 Satz 2 VwGO, zur Bearbeitung eines Antrags beanspruchen. Diese Frist wird aber nicht geschmälert, wenn ein Antrag erstmals bei Gericht gestellt wird. In diesem Fall beginnt die 3-Monats-Frist des § 75 Satz 2 VwGO erst mit der Zustellung des Klageschriftsatzes. Die Beklagte ist auch vor dem Tragen der Kosten eines übereilten Gerichtsverfahrens durch die Kostenvorschriften der § 156 VwGO (sofortige Anerkenntnis), § 161 Abs. 2 und Abs. 3 VwGO (bei übereinstimmender Hauptsacheerledigung) und § 154 Abs. 4 VwGO (Kostentragung aufgrund von Verschulden eines Beteiligten), die bei einem „Nachgeben“ der Behörde innerhalb der drei Monate zum Einsatz kämen, ausreichend geschützt. Die vorzeitige Klageerhebung stellt allein ein Risiko für den Kläger dar. Weitere schutzwürdige Belange der Behörde sind nicht erkennbar. Eine Nachholung des Antrags im Gerichtsverfahren wird deshalb für möglich erachtet (so auch BVerwG, U.v. 4.8.1993 – 11 C 15/92 – juris bzw. NWvZ 1995, 76 sogar im 2-Personen-Verhältnis; offengelassen: BVerwG, U.v. 31.8.1995 – 5 C 11/94 – juris bzw. NJW 1996, 1977, a.A. VG Würzburg, U.v. 4.8.2016 – W 5 K 14.429 Rn. 27 f.)
c) Die Klage des Klägers zu 1) ist auch nicht deshalb unzulässig, weil dieser die ursprünglichen Baupläne für das Nachbaranwesen unterzeichnet hat (Art. 66 Abs. 1 BayBO). Die vom Kläger zu 1) am 14. Juli 2019 unterzeichneten Baupläne vom 24./25. März 2019 enthielten das Stahltrapezdach und die Solaranlage noch nicht, so dass er durch seine Unterschrift diesbezüglich keinen Klageverzicht ausgesprochen hat. Das Stahltrapezdach wurde erst nachfolgend mit den Tekturplänen vom 19. Juli 2019, die beide Kläger nicht unterzeichnet haben, beantragt und mit Nachtragsbescheid vom 27. August 2019 genehmigt. Die Sonnenkollektoren wurden von der Gemeinde im Wege einer isolierten Befreiung am 27. November 2019 genehmigt. Die Kläger waren in diesem Verfahren nicht beteiligt. Sie wären deshalb mit einer Anfechtungsklage gegen die erteilten Genehmigungen nicht ausgeschlossen gewesen und sind dies genauso wenig mit einer Verpflichtungsklage mit der gleichen Zielrichtung.
d) Eine Unzulässigkeit der Klage ergibt sich schließlich nicht aus dem Vorhandensein der Baugenehmigung für das Trapezblechdach und der isolierten Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „…“ für die Aufständerung der Solarmodule. Eine gegebenenfalls bestehende legalisierende Wirkung aus diesen unangefochtenen Genehmigungen steht einem bauaufsichtlichen Einschreiten nicht bereits auf der Ebene der Zulässigkeit als fehlendes Rechtschutzbedürfnis entgegen, sondern gegebenenfalls erst der Begründetheit. Zwar erledigt sich grundsätzlich eine auf Beseitigung einer baulichen Anlage gerichtete Nachbarklage mit nachfolgender bauaufsichtlicher Genehmigung, selbst wenn diese vom Nachbarn angefochten wird (BVerwG, B.v. 15.8.1988 – 4 B 89/88 – juris), vorliegend besteht jedoch die umgekehrte zeitliche Konstellation und ist der Umfang der Legalisierungswirkung wegen des begrenzten Prüfungsumfangs im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO und beim Verfahren der isolierten Befreiung vom Bebauungsplans, § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. Art. 63 Abs. 2 und Abs. 3 BayBO, schwierig; die Genehmigungen stehen dem Begehren auf bauaufsichtliches Einschreiten jedenfalls nicht offensichtlich und nicht aus einem vom Vorbringen unabhängigen Grund entgegen.
2. Die Klage ist jedoch sowohl hinsichtlich des Stahltrapezdaches (a) als auch hinsichtlich der aufgeständerten Solaranlage (b) unbegründet. Ein Anspruch der Kläger auf Beseitigung besteht nicht, § 113 Abs. 5 VwGO.
a) Eine Beseitigung von baulichen Anlagen kommt nach Art. 76 Satz 1 BayBO nur in Betracht, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurden. Dies setzt nach ganz herrschender Meinung und gefestigter Rechtsprechung die formelle und materielle Illegalität des Vorhabens voraus (Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 76 Rn. 79 m.w.N.).
aa) Formell illegal ist eine Anlage dann, wenn sie genehmigungsbedürftig, aber nicht genehmigt ist. Ist eine Anlage genehmigt und damit legalisiert, scheidet die Beseitigung nach § 76 Satz 1 BayBO grundsätzlich aus. Dies ist für das Stahltrapezdach der Fall.
Die existierende Baugenehmigung vom 16. Juli 2019 in der Fassung vom 27. August 2019 legalisiert das Stahltrapezdach in der ausgeführten Weise. Das gilt selbst dann, wenn die Baugenehmigung rechtwidrig sein sollte; sie ist – worauf es ankommt – existent und damit wirksam und zwar auch den Klägern gegenüber, denen die Baugenehmigung bekannt ist und die diese nicht angefochten haben. Solange eine Baugenehmigung weder aufgehoben noch nichtig ist, entfaltet sie ihre legalisierende Wirkung.
Soweit die Genehmigungswirkung der Baugenehmigung reicht, ist eine Beseitigungsanordnung nach § 76 Satz 1 BayBO damit ausgeschlossen. Keine Legalisierungswirkung hat eine Baugenehmigung zwar im Hinblick auf rechtliche Belange, die im Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft werden. Solche Belange wurden hier jedoch nicht geltend gemacht; eine Blend- und Spiegelungswirkung, die von einem Anwesen ausgeht, ist auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO als bauplanungsrechtlicher Belang, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB, zu prüfen. Die bauplanungsrechtliche Prüfung umfasst die Übereinstimmung mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans einschließlich der Erteilung von Befreiungen, §§ 30 Abs. 2, 31 Abs. 2 BauGB und, soweit ein Bebauungsplan nicht existiert, das Einfügen in die nähere Umgebung, § 34 Abs. 1 BauGB. Unabhängig davon, in welchem bauplanungsrechtlichen Gebiet ein Vorhaben liegt, ob im beplanten oder im unbeplanten Innenbereich, ist auch das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme als bauplanungsrechtlicher Aspekt zu prüfen; dieses Gebot ist in § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1 BauGB, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO niedergelegt und für alle Plangebiete gültig. Von einem Vorhaben ausgehende Emissionen werden regelmäßig als Ausprägung des Rücksichtnahmegebots geprüft (vgl. für Lärm BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305; BayVGH, U.v. 29.7.2002 – 1 B 98.3159; BVerwG, U.v. 23.9.1999, 4 C 6/98 – jeweils juris; für Geruch BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – juris Rn. 11 u. 19 ff.; VG Ansbach, U.v. 16.4.2021 – AN 17 K 19.01249 – juris Rn. 32). Gleiches gilt für Lichtemissionen, die von einem Vorhaben ausgehen (so auch VG Neustadt, U.v. 17.10.2012 – 4 K 481/12.NW – juris Rn. 25; VG Augsburg, U.v. 27.10.2011 – Au 5 K 11.595- juris Rn. 52; a.A. wohl VG Ansbach, U.v. 29.1.2004 – AN 9 K 03.00966 – juris Rn. 36 Einstufung als bauordnungsrechtlicher Belang nach Art. 11 BayBO). Die geltend gemachten Blend- und Spiegelungswirkungen des Trapezdaches wären prozessual somit richtigerweise mit der Drittanfechtungsklage gegen die Baugenehmigung gelten zu machen (gewesen).
bb) Das Strahltrapezdach ist in jedem Fall auch materiell rechtmäßig, was einem bauaufsichtlichen Einschreiten ebenso entgegensteht.
(1) Eine materielle Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen Ziffer 3.1 des Bebauungsplans „…“ bzw. aus einer fehlerhaften Befreiung gegen die Festsetzungen zur Dachneigung und zum zulässigen Material der Dacheindeckung. Der Bebauungsplan „…“ ist nämlich formell fehlerhaft und deshalb unwirksam und nicht zu beachten.
Der Bebauungsplan wurde von der Gemeinde laut den Verfahrensvermerken und telefonischer Bestätigung der Gemeindeverwaltung gegenüber dem Gericht am 8. Juni 2015 vom Gemeinderat als Satzung beschlossen und am 1. September 2015 ortsüblich bekanntgemacht und damit in Kraft gesetzt. Die Ausfertigung durch den ersten Bürgermeister erfolgt jedoch erst am 14. September 2015 und damit nach der Bekanntmachung. Gemäß § 26 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung (GO) und dem allgemeinen verfassungsrechtlich verankerten Rechtstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 3 Abs. 1 BV) sind Bebauungspläne wie alle Satzungen aber auszufertigen, bevor sie durch Bekanntmachung in Kraft gesetzt werden (BayVGH, U.v. 4.4.2003 – 1 N 01.2240 – juris Rn. 17). Mit der Ausfertigung wird nämlich eine Satzung als Originalurkunde hergestellt und vom Bürgermeister als zuständigem Organ beglaubigt, dass die Satzung, so wie sie vorliegt, vom Gemeinderat auch beschlossen worden ist (sog. Identitätsfunktion, BayVGH, U.v. 10.11.2020 – 1 N 17.333 – juris, Rn. 20, BVerwG B.v. 21.6.2018 – 4 BN 34.17 – juris). Eine Ausfertigung nach Bekanntmachung kann diese Funktion nicht mehr erfüllen. Dieser Verfahrensfehler führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans; der Fehler ist nicht gem. § 214 ff. BauGB unbeachtlich. Eine Unbeachtlichkeit nach § 214 Abs. 1 BauGB kommt nach dessen ausdrücklichem Wortlaut nur für einzelne Verstöße gegen spezielle bauplanungsrechtliche Verfahrensregelungen, nicht aber bei einem Verstoß gegen Art. 26 GO bzw. das Rechtsstaatsgebot in Betracht. Es handelt sich dabei um einen offensichtlichen Fehler, der vom erkennenden Gericht von Amts wegen auch ohne Aufgreifen seitens der Parteien zu berücksichtigen war.
Ob die Regelungen zur Dachgestaltung im Bebauungsplan „…“ zugunsten der Kläger einen Abwehranspruch begründet hätten – was nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise der Fall ist – kann deshalb dahinstehen.
(2) Die Dachgestaltung verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 34 Abs. 1 BauGB oder gegen ein alternativ einschlägiges bauordnungsrechtliches Rücksichtnahmegebot nach Art. 11 BayBO. Der inhaltliche Maßstab beider Regelungen unterscheidet sich dabei nicht.
Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt stets von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessensbewertung ist ausschlaggebend, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigung sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983, a.a.O., und B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit seinem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013, a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O. – juris Rn. 40).
Immissionen sind dann als unzumutbar anzusehen, wenn sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, § 3 Abs. 1 BImSchG. Anders als bei Lärmimmissionen (vgl. insoweit BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305; BayVGH, U.v. 29.7.2002 – 1 B 98.3159; BVerwG, U.v. 23.9.1999,4 C 6/98 – jeweils juris) existiert keine verbindliche Regelung dazu, wann Lichtimmissionen, Reflexionen und Blendwirkungen schädliche Umwelteinwirkungen darstellen. Die Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz vom 13. September 2012 (LAI) haben weder quasi-normativen Charakter (VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.3.2012 – 3 S 2658/10; VG Neustadt, U.v. 17.12.2012 – 4 K 481/12.NW – juris Rn. 29) noch erfassen sie Reflexionen von Sonnenlicht, sondern beschäftigen sich allein mit lichtemittierenden künstlichen Anlagen wie Leuchtreklamen, Scheinwerfern oder Lasern (vgl. dort unter 2. Anwendungsbereich). Die Aussagen können deshalb nur bedingt zugrunde gelegt werden und allenfalls einen groben Anhalt für die Beurteilung geben (VG Augsburg, U.v. 27.10.2011 – Au 5 K 11.595 – juris Rn. 55). Die LAI unterscheiden – was insoweit als allgemeine fachliche Aussage herangezogen werden kann – zwischen einer physiologischen und psychologischen Blendwirkung. Während die physiologische Blendung eine Minderung des Sehvermögens verursacht, ist die psychologische Wirkung durch eine ständige und ungewollte Ablenkung der Blickrichtung zur Lichtquelle hin gekennzeichnet. Von Belang sind diese Wirkungen nach den LAI vor allem für besonders schutzwürdige Wohnräume und Terrassen. Neben der Art, Stärke und Dauer der Lichteinwirkungen sind nach der Rechtsprechung auch die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz von lichtemittierenden oder -reflektierenden Anlagen zu berücksichtigen (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 11.6.2010 – 1 a 10474/10.OVG – juris; VG Augsburg, a.a.O Rn. 54; VG Neustadt, a.a.O. Rn. 29; VG Düsseldorf, U.v. 18.3.2008 – 16 K 3722/07 – juris).
Dies zugrunde gelegt, ergibt sich für das Gericht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für die Lichtreflexionen, die vom Stahltrapezblech-Dach ausgehen, keine unzumutbare Belästigung für die Kläger. Eine Gesundheitsgefährdung ist erst recht nicht zu erkennen.
Die Sonnenlicht-Reflexionen, die vom Hausdach ausgehen, geben die Kläger mit einer Zeitdauer von 9.30 bis 16.30 Uhr an. Realistischerweise erfolgt eine Reflexion von Sonnenlicht aber nicht auf die gesamte Terrasse und in alle Wohnräume gleichzeitig, sondern ist zu jedem Zeitpunkt immer nur ein Teilbereich betroffen. Das klagegegenständliche Dach ist außerdem in jeder Hinsicht sozialadäquat, seine Ausgestaltung ist nicht rücksichtslos. Stahltrapezblechdächer in schwarz sind weder allgemein noch speziell im Wohngebiet der Kläger ungewöhnlich, noch sind diese grundsätzlich mehr belastend als Ziegeldächer, die ebenso wie Blechdächer matt oder glänzend ausgestaltet sein können. Hier wurde ein nicht glänzendes Material verwendet. Das gleiche Material haben die Kläger auch für ihr Garagendach, ebenfalls ein Flachdach, verwendet. Die Betroffenheit der Kläger ergibt sich eher aus den unterschiedlichen Höhenlagen der beiden Häuser zueinander und der niedrigen Höhe des Hauses der Beigeladenen. Die Bungalow-Bauweise stellt jedoch ebenfalls eine gängige und grundsätzlich zulässige Bauweise in einem Wohngebiet dar. Auch Nebengebäude wie Garagen haben regelmäßig ähnliche Höhen und ebenfalls Flachdächer. Mit niedrigeren Gebäuden in Wohngebieten muss also stets gerechnet werden. Eine auf seine eigene Wandhöhe angepasste Bebauung kann der Nachbar grundsätzlich nicht beanspruchen, schon gar nicht bei vorhandenen Geländesprüngen oder selbst vorgenommenen Geländeauffüllungen (für die umgekehrte und in der baurechtlichen Praxis deutlich häufigere Fallgestaltung einer zu hoch empfundenen Nachbarbebauung – „Einmauerungseffekt“, „erdrückende Wirkung“, vgl. etwa BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 f: 12-geschossiges neben 2-geschossigem Gebäude oder BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15: 11,5 m hohe Siloanlage neben Wohngebäude). Eine Blendwirkung auf Augenhöhe können die Kläger vor allem aber auch durch eigene Sonnenschutz-Maßnahmen wie Markisen, Jalousien, Sonnenschirm, Sicht- und damit Sonnenschutzwand, Bepflanzung gut und zuverlässig ausschließen. Da Lichtimmissionen bei jeder Form der Wohnbebauung typisch und nahezu unvermeidbar sind, müssen diese grundsätzlich akzeptiert werden und ist ein Nachbar regelmäßig auf den Eigenschutz zu verweisen (so auch VG Neustadt, a.a.O. Rn. 32).
b) Die Klage ist auch hinsichtlich der aufgeständerten Solaranlage unbegründet.
aa) Der von der Gemeinde erteilten isolierten Befreiung vom Bebauungsplan kommt dabei wohl keine legalisierende Wirkung zu, wie dies nach den vorstehenden Ausführungen hinsichtlich der Baugenehmigung für das Trapezblechdach der Fall ist. Da der Bebauungsplan „…“ unwirksam ist (vgl. Ausführungen unter 2a) bb) (1)), war eine Befreiung von seinen Festsetzungen nicht erforderlich; die gleichwohl erteilte Befreiung vom 27. November 2019 ist damit als gegenstandslos zu betrachten und entfaltet deshalb wohl keine Legalisierungswirkung, steht einem bauaufsichtlichen Einschreiten damit nicht entgegen.
bb) Eine Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO kommt bei baugenehmigungsfreien Vorhaben wie nachträglichen Solaranlagen auf Gebäuden, vgl. Art. 57 Abs. 1 Nr. 3a) aa) BayBO, bei Vorliegen materiell-rechtlicher Baurechtsverstöße in Betracht. Ein solcher Verstoß ist aber nicht gegeben. Das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf Lichtreflexionen ist auch insoweit nicht verletzt.
Nach Aussage der Klägerseite spiegelt sich das Sonnenlicht lediglich am Gestänge des Metallständers und dies auch nur für die Zeit von ca. 16.30 bis 19.00 Uhr. Diese Beeinträchtigung haben die Kläger hinzunehmen. Sie ist vom Ausmaß her zeitlich mit nur wenigen Stunden am Tag und nur an Sonnentagen überhaupt und bei der Entfernung der Blendquelle vom Einwirkungsort als nicht besonders erheblich anzusehen. Metallische Ständer in einer Breite von wenigen Zentimetern zur Befestigung von Solarmodulen sind allgemein üblich und sozialadäquat. Vergleichbare Reflexionswirkungen gehen etwa von Straßenlaternen und Verkehrsschildern aus, treffen damit eine Vielzahl von Wohnraum- und Terrassennutzern und sind hinzunehmen. Eine gegebenenfalls bestehende besondere Sensibilität der Kläger für Lichteinwirkungen ist nicht zu berücksichtigen. Die Belästigungswirkung ist vielmehr am Empfinden eines durchschnittlichen Betroffenen zu messen (VG Augsburg, a.a.O. Rn. 55 mit Hinweis auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung).
c) Die Klage ist damit insgesamt unbegründet. Da die Voraussetzungen der Beseitigungsanordnung nach Art. 76 Satz 1 BayBO schon nicht erfüllt sind, erübrigen sich Überlegungen zu einer Ermessensreduzierung auf Null, die ein bauaufsichtliches Begehren eines Nachbarn grundsätzlich erfordert (VG Ansbach, U.v. 29.1.2004 – AN 9 K 03.00966 – juris Rn 37).
3. Die Kostenentscheidung der ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3, die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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