Baurecht

Baugenehmigung, Berufung, Zulassung, Sondernutzungserlaubnis, Zulassungsantrag, Ausnahmegenehmigung, Anordnung, Anspruch, Vorhaben, Zeitpunkt, Genehmigung, Form, Halteverbot, Voraussetzungen, Zulassung der Berufung, milderes Mittel, kein Anspruch

Aktenzeichen  2 ZB 21.2098

Datum:
28.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9280
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 8 K 21.1170 2021-07-19 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt wurden (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der in der Baugenehmigung vom 1. Februar 2021 enthaltene Widerrufsvorbehalt ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass der Widerrufsvorbehalt in dieser Form nicht von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG gedeckt ist, da er nicht geeignet ist, die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung sicherzustellen. Die Beklagte hat als Grundannahme, dass bereits zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 BayBO (dauerhafte Freihaltung der Aufstellfläche für die Feuerwehr) nicht gegeben sein sollen, da die Klägerin weder einen Anspruch auf Freihaltung des öffentlichen Verkehrsraums habe noch dessen Freihaltung dinglich gesichert werden könne. Daran ändert aber auch der Widerrufsvorbehalt nichts und wäre entsprechend nicht geeignet, die Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens herzustellen. Der Widerrufsvorbehalt kann eine dauerhafte Sicherung der Freihaltung der nötigen Aufstellflächen nicht gewährleisten. Denn ausweislich der Begründung der Baugenehmigung will die Beklagte mit dem Widerrufsvorbehalt ausdrücklich sicherstellen, dass es ihr nicht verwehrt wird, Änderungen in der Straßensituation herbeizuführen und auf solche künftigen Entwicklungen der Sachlage reagieren zu können. Der Widerrufsvorbehalt dient daher lediglich der Absicherung künftiger Entwicklungen, die im jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind. Er dient ausdrücklich nicht dazu, die Freihaltung der nötigen Aufstellflächen dauerhaft zu sichern, sondern soll es ermöglichen, bei einer Änderung der tatsächlichen Situation die Baugenehmigung zu widerrufen. Er dient somit nicht der Herstellung der Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens, sondern erleichtert deren Wegfall. Insoweit wäre es aber ein milderes Mittel, auf der Grundlage der bauordnungsrechtlichen Generalklausel des Art. 54 BayBO nachträgliche Anordnungen zu treffen.
Ausweislich des Rundschreibens des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr vom 5. September 2018 (Az. 27-4112.424-1-7) ist für einen zweiten Rettungsweg über Rettungsgerät der Feuerwehr ausgehend vom öffentlichen Straßenraum keine rechtliche Sicherung erforderlich. Dies erscheint auch stimmig, da regelmäßig keine konkrete Fläche für die Aufstellung der Rettungsfahrzeuge freizuhalten wäre, sondern diese sich auf die gesamte Länge der Straße erstrecken würde, an welcher das Gebäude anliegt. Eine öffentliche Straße ist per se zur Aufnahme des fließenden Verkehrs gedacht und daher grundsätzlich freizuhalten. Eine zusätzliche rechtliche Sicherung ist insoweit obsolet. Würde man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen, würde bei vielen unmittelbar am öffentlichen Verkehrsraum anliegenden Gebäuden die baurechtliche Genehmigungsfähigkeit fehlen, da in diesen Fällen in der Regel der öffentliche Verkehrsraum, sei es der Fuß-/Radweg oder die öffentliche Straße, als Aufstellfläche für Rettungsgerät der Feuerwehr für den zweiten Rettungsweg dient. Eine Freihaltung der Aufstellfläche mag bei privaten Flächen, also z.B. im Innenhof, nötig sein, so dass diese von baulichen Anlagen, Ablagerungen etc. freizuhalten sind. Öffentliche Verkehrsflächen für den fließenden Verkehr sind jedoch per se freizuhalten. Etwas Anderes könnte nur dann der Fall sein, wenn in einem konkreten Einzelfall ausschließlich ganz bestimmte Bereiche der öffentlichen Verkehrsfläche, z.B. ein Parkstreifen, als Aufstellfläche geeignet wären, so dass deren Freihaltung durch eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung erforderlich wäre. Dies ist aber vorliegend gerade nicht der Fall.
Die Beklagte weist insoweit auf die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. U.v. 12.12.2016 – 11 K 90.16 – juris; U.v. 25.7.2019 – 11 K 425.16 – juris) sowie den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – juris) hin. In diesen Entscheidungen standen jedoch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen für die Freihaltung konkreter Flächen (Anliegerzone bzw. absolutes Halteverbot für eine Aufstellfläche) inmitten. Im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – juris) wurde ausdrücklich festgestellt, dass die dortige Antragstellerin auch aus ihrer Baugenehmigung kein Anspruch auf Erhalt der durch verkehrsrechtliche Anordnung errichteten Lieferzone für ihr Ladengeschäft zusteht. Auch eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis oder straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung sei nicht erteilt worden. Vorliegend geht es um die Anleiterbarkeit von Fenstern, für die gerade keine besondere Fläche auf der öffentlichen Straße freizuhalten ist und entsprechend auch keine verkehrsrechtliche Anordnung ergangen ist oder ergehen musste. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. U.v. 12.12.2016 – 11 K 90.16 – juris; U.v. 25.7.2019 – 11 K 425.16 – juris) beschäftigen sich ebenfalls mit straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen. Zwar befasst sich das Verwaltungsgericht Berlin mit dem nach Bauordnungsrecht erforderlichen zweiten Rettungsweg, stellt aber fest, dass dieser in dem zu entscheidenden Fall weiterhin gewährleistet sei. Im Übrigen könne bei einer Änderung der tatsächlichen Situation auf der Grundlage der bauordnungsrechtlichen Generalklausel eingeschritten werden (vgl. U.v. 25.7.2019 – 11 K 425.16 – juris). Im anderen Verfahren stellte das Verwaltungsgericht Berlin (vgl. U.v. 12.12.2016 – 11 K 90.16 – juris) fest, dass dem Kläger kein Anspruch auf eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung (absolutes Halteverbot für eine Aufstellzone für die Feuerwehr) zustehe. Beides ist nicht Gegenstand im vorliegenden Verfahren.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Denn sie verursacht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine größeren, d.h. überdurchschnittlichen, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten und es handelt sich auch nicht um einen besonders unübersichtlichen oder kontroversen Sachverhalt, bei dem noch nicht abzusehen ist, zu welchem Ergebnis ein künftiges Berufungsverfahren führen wird. Vielmehr ist der Rechtsstreit im tatsächlichen Bereich überschaubar und die entscheidungserheblichen rechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1. verwiesen. Die Beklagte wiederholt insoweit nur nochmals den Hinweis auf die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Verwaltungsgerichts Berlin zu straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen.
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, diese höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2010 – 14 ZB 09.1289 – juris). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt kein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Die Beklagte hält es für grundsätzlich bedeutsam,
inwieweit ein Privater einen Anspruch darauf hat, den öffentlichen Raum für sein Vorhaben dauerhaft zu nutzen und mit genehmigt zu bekommen bzw.
ob insoweit ein Anspruch auf uneingeschränkte Genehmigung des (im hiesigen Fall) zweiten Rettungswegs über öffentlichen Grund besteht und der Eigentümer auch einen dauerhaften Anspruch auf Beibehaltung der Straßensituation aus der Genehmigung heraus für sich beanspruchen kann.
Die genannten Fragen stellten sich bereits für das Erstgericht nicht. Im Übrigen hat die Klägerin keine dauerhafte Genehmigung zur Nutzung öffentlichen Raums beantragt. Eine solche ist auch nicht Gegenstand der Baugenehmigung selbst. Der genehmigte Brandschutznachweis sieht den zweiten Rettungsweg für einzelne Wohnungen über anleiterbare Fenster zur öffentlichen Straße hin vor. Eine dezidierte Ausweisung von freizuhaltenden Aufstellflächen von Feuerwehr- und sonstigen Rettungsfahrzeugen auf der öffentlichen Straße ist schon nicht Inhalt des Brandschutznachweises oder gar der Baugenehmigung. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Straßensituation unverändert beizubehalten wäre. Bei einer Änderung der Straßensituation müsste die Beklagte ggfs. berücksichtigen, dass eine Anleiterbarkeit weiterhin gewährleistet wäre – dies beträfe jedoch auch alle anderen an der betreffenden Straße liegenden Gebäude.
Weiter werfe das Urteil die Frage auf,
in welchem Verhältnis die Art. 59 und 60 BayBO zu einer hoheitlichen Prüfung des Brandschutznachweises stehen, insbesondere ob die hoheitliche Prüfung das Prüfprogramm erweitert oder falls nicht, ob eine Nebenbestimmung in Bezug auf Vorschriften außerhalb des Prüfprogramms überhaupt möglich wäre.
Auch diese Frage stellte sich dem Erstgericht nicht und lässt sich zudem aus dem Gesetz beantworten, da sowohl Art. 59 Satz 2 BayBO als auch Art. 60 Satz 2 BayBO ausdrücklich klarstellen, dass die Art. 62 bis 62b BayBO unberührt bleiben. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats (vgl. B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris; B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – BayVBl 2000, 377), dass auch für den Fall der Prüfungsbedürftigkeit der Brandschutznachweise dies nicht zur Erweiterung des Prüfprogramms der Bauaufsichtsbehörde führt. Eine darüberhinausgehende Klärungsbedürftigkeit hat die Beklagte nicht dargelegt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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