Baurecht

Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses

Aktenzeichen  M 11 K 18.1505

Datum:
5.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46532
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 2, § 214 Abs. 4
BauNVO § 23 Abs. 3 S. 2
BayBO Art. 68 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Ausfertigung ist ein Verfahrensschritt, der der Bekanntmachung des Bebauungsplans vorauszugehen hat. Die Verkündung bildet den Schlusspunkt des Rechtssetzungsverfahrens. Liegt ein Verfahrensfehler vor, ist eine rückwirkende Inkraftsetzung möglich.(Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab; entscheidend ist, ob die Abweichung dem im planerischen Grundkonzept zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde zuwider läuft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich endet der Bebauungszusammenhang unabhängig von der Grundstücksgrenze mit der letzten Bebauung. Anschließende selbständige Flächen gehören zum Außenbereich. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein ungeordnetes Ausufern des Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich ist ein Vorgang einer städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
I.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, da sie keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Dem Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Dies gilt sowohl für den Fall, dass der Bebauungsplan wirksam ist, als auch für den Fall der Unwirksamkeit.
Die Kläger weisen zwar zu Recht darauf hin, dass die Bekanntmachung des Bebauungsplans vor dessen Ausfertigung erfolgt ist. Die Ausfertigung ist ein Verfahrensschritt, der der Bekanntmachung vorauszugehen hat. Die Verkündung bildet den Schlusspunkt des Rechtssetzungsvorganges, denn sie stellt den für die Hervorbringung der Norm notwendigen letzten Akt dar (BVerwG, B.v. 9.5.1996 – 4 B 60/96 – NVwZ-RR 1996, 630 = juris Rn. 3). Fehlt es daran, so liegt ein Verfahrensfehler vor. Ein solcher Mangel kann allerdings nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs durch den Ersten Bürgermeister in eigener Zuständigkeit (Art. 36 Satz 1 GO) behoben werden, ohne dass es dazu im Regelfall eines Gemeinderatsbeschlusses bedürfte. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn der Fehler erst nach vielen Jahren erkannt wird (BayVGH, B.v. 28.9.2000 – 1 ZB 00.2488 – NVwZ-RR 2001, 117). Das ergänzende Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB ist auch auf diese Fehler anwendbar, so dass eine rückwirkende Inkraftsetzung möglich ist (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 10 Rn. 38). Selbst wenn Zweifel bestehen, ob die nachträgliche Bekanntmachung vom 31. Juli 2017 diesen Anforderungen genügt, bedarf die Frage vorliegend keiner Entscheidung. Ebenso kann offenbleiben, ob der Bebauungsplan wegen eines möglichen Etikettenschwindels (vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2002 – 4 CN 5/01 – NVwZ 2002, 1114 = juris Rn. 32; OVG Koblenz, U.v. 21.6.2017 – 8 C 10068/17 – BauR 2017, 1625 = juris Rn. 49) unwirksam ist, weil er ein allgemeines Wohngebiet festsetzt, obwohl die Eigenart des damals bereits bestehenden Baugebiets einem reinen Wohngebiet entsprach (vgl. Nr. 9 der Begründung des Bebauungsplans).
1. Ist der Bebauungsplan wirksam, so wäre die Zulässigkeit des Vorhabens zwar nach § 30 Abs. 1 BauGB zu beurteilen. Es widerspräche allerdings Festsetzungen, von denen eine Befreiung nicht in Betracht kommt.
Das Vorhaben wäre bereits deshalb unzulässig, weil es die festgesetzten Baugrenzen überschreitet. Die Überschreitung beträgt nach den vorgelegten Bauplänen im Süden bis zu ca. 2,51 m auf einer Fläche von ca. 29,90 m² durch Räume der Hauptnutzung und den Balkon. Im Osten beträgt die Überschreitung für das geplante Schwimmbad ca. 2,35 m auf einer Fläche von ca. 10,20 m². Des Weiteren wird die Baugrenze im Osten für den geplanten Windfang und Freisitz bis zu ca. 5,02 m auf einer Fläche von ca. 31,70 m² überschritten. Dies stellt kein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO mehr dar. Maßgeblich für die Beurteilung der Geringfügigkeit einer Baugrenzenüberschreitung ist das Erscheinungsbild des Gebäudes und seine städtebauliche Wirkung (BayVGH, U.v. 28.6.2010 – 1 B 09.1911 – BayVBl 2011, 500 = juris Rn. 62). Nach den Ansichten in den vorgelegten Bauplänen bestimmen die genannten Bauteile auf der Süd- und der Ostseite wegen ihrer optischen Dominanz das Erscheinungsbild des Gebäudes maßgeblich mit, so dass sie nicht mehr als untergeordnet eingestuft werden können.
Eine Befreiung von den Baugrenzen nach § 31 Abs. 2 BauGB scheidet aus, da die Grundzüge der Planung berührt wären. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich jeweils nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 1 ZB 17.4 – juris Rn. 6). Primäres Ziel des Plangebers war, dass der prägend wirkende Moränenhang, der in Nord-Süd-Richtung verläuft, keine dichtere Bebauung mehr erfahren solle (Nr. 6.1. der Begründung des Bebauungsplans). Dies kommt in den Festsetzungen des Bebauungsplans auch hinreichend zum Ausdruck, da die Baufenster bei der Überplanung des bereits bebauten Gebiets im Wesentlichen über die Bestandsgebäude gelegt wurden. Eine Ausdehnung der Bebauung nach Süden sowie nach Osten in Richtung des Sees würde diesem planerischen Grundkonzept zuwiderlaufen. Dies gilt umso mehr, als die Überschreitungen durch das streitgegenständliche Vorhaben erheblich sind (s.o.).
Da das Vorhaben bereits aus diesem Grund unzulässig wäre, kommt es im Übrigen nicht mehr darauf an, ob die weiteren Festsetzungen über private Grünflächen als Siedlungseingrünung und Ausgleichsflächen sowie über Geschossflächen materiell rechtswidrig oder funktionslos sind oder falsch angewendet wurden.
2. Ist der Bebauungsplan unwirksam, so stünden dem Vorhaben zwar nicht dessen Festsetzungen entgegen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens würde sich nach § 34 bzw. § 35 BauGB beurteilen. Es wäre aber gleichwohl unzulässig, da sich der geplante Standort jedenfalls in den Außenbereich erstrecken würde und öffentliche Belange entgegenstünden.
Darüber, wo die Grenze des Bebauungszusammenhangs und damit des Innenbereichs im Sinne des § 34 BauGB verläuft, ist nicht nach geographisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts zu entscheiden (BVerwG, U.v. 6.12.1967 – IV C 94.66 – BVerwGE 28, 268 = juris Rn. 26; U.v. 12.10.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879/880 = juris Rn. 22; U.v. 19. 4.2012 − 4 C 10/11 – NVwZ 2012, 1631/1632 = juris Rn. 11; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – BVerwGE 152, 275 = juris Rn. 16). Grundsätzlich endet der Bebauungszusammenhang unabhängig von der Grundstücksgrenze mit der letzten Bebauung. Die sich ihr anschließenden selbständigen Flächen gehören zum Außenbereich (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – IV C 47.68 – juris Rn. 19; U.v. 12.10.1973 – IV C 3.72 – BauR 1974, 41 = juris Rn. 11; B.v. 12.3.1999 – 4 B 112/98 – NVwZ 1999, 763/765 = juris Rn. 21). Örtliche Besonderheiten können es aber rechtfertigen, dem Bebauungszusammenhang noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind (BVerwG, U.v. 12.10.1990 – 4 C 40/87 – NVwZ 1991, 879/880 = juris Rn. 22; U.v. 16.11.2010 – 4 C 7/10 – NVwZ 2011, 436 = juris Rn. 12).
Gemessen an diesen Grundsätzen endet der Innenbereich nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck nach Süden jedenfalls an der Außenwand des Bestandsgebäudes. Hieran schließt sich keine prägende Bebauung mehr an. Das Schwimmbad muss dabei außer Betracht bleiben, da es sich bei ihm nicht um ein Gebäude handelt, das zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmt ist. Dem F* …weg kommt keine trennende Wirkung zu. Nach dem Ergebnis des Augenscheins handelt es sich bei ihm um einen kleinen Weg ohne große verkehrliche Bedeutung. Die südlich des Weges gelegenen Grundstücke Fl.Nr. 1316/3 und 1316/4 sind unbebaut. Diese Freiflächen werden auch nicht durch das kleinere Wohngebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 1316/2 geprägt.
Als sonstiges Bauvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB ist das klägerische Vorhaben im Außenbereich nicht zulässig, weil es die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen würde (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Der prägend wirkende Moränenhang soll von Bebauung freigehalten werden. Außerdem bestünde im Hinblick auf eine Bezugsfallwirkung auch die Gefahr eines ungeordneten Ausuferns des Bebauungszusammenhangs in den Außenbereich hinein, was ein Vorgang einer städtebaulich unerwünschten, unorganischen Siedlungsweise ist, die zu vermeiden ein öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB ist (vgl. BVerwG‚ U.v. 25.1.1985 – 4 C 29.81 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 28).
II.
Dem Antrag der Kläger, ihnen eine Schriftsatzfrist einzuräumen, um zur Frage Stellung nehmen zu können, ob das Vorhaben teilweise im Außenbereich liegt, musste nicht entsprochen werden. Das Gericht hat die Problematik in der mündlichen Verhandlung angesprochen und den Beteiligten auch Gelegenheit gegeben, sich hierzu in der Verhandlung zu äußern. Der Umstand, dass die teilweise Außenbereichslage von den Beteiligten im Vorfeld nicht problematisiert worden ist, führt nicht dazu, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) die Einräumung einer Schriftsatzfrist fordert. Die Kläger selbst haben die Unwirksamkeit des Bebauungsplans vorgetragen. Ist ein Bebauungsplan unwirksam, so richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 bzw. § 35 BauGB. Bereits aus den Lageplänen ergibt sich, dass sich das streitgegenständliche Grundstück in Ortsrandlage befindet und die südlich angrenzenden Flächen unbebaut sind. Angesichts dessen war eine Zugehörigkeit des gesamten Grundstücks zum Innenbereich keinesfalls selbstverständlich. Die Beteiligten haben sich möglicherweise durch die formalen Grundstücksgrenzen täuschen lassen. Dass es darauf aber nicht entscheidend ankommt, ist seit langem geklärt (vgl. schon BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 47/68 – juris Rn. 19) und durfte für die Beteiligten daher nicht überraschend sein.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, die Anträge gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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