Baurecht

Baugenehmigung für eine Werbetafel

Aktenzeichen  Au 4 K 16.348

Datum:
24.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132518
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayBO Art. 59, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Es besteht kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbetafel, da nach Art. 14 Abs. 2 BayBO die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf. Dies ist der Fall, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht wird oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird, insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch die Anlage abgelenkt wird. (Rn. 26 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es wird berücksichtigt, dass die Werbeanlage aufgrund des Fehlens weiterer Werbeanlagen in der näheren Umgebung zu ungleich größerer Ablenkung führt mangels Gewöhnung der Kraftfahrer an Werbeanlagen im innerörtlichen Bereich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, weil Vorschriften des Bauordnungsrechts dem Bauvorhaben entgegenstehen, auf die sich der Beklagte berufen hat (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS 2 BayBO). Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 17. Mai 2016 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Dem Vorhaben steht Art. 14 Abs. 2 BayBO entgegen, wonach die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs durch bauliche Anlagen nicht gefährdet werden darf. Zwar zählt die Vorschrift nicht zum Prüfprogramm des hier anzuwenden Art. 59 BayBO. Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS 2 BayBO darf die Bauaufsichtsbehörde den Bauantrag jedoch auch dann ablehnen, wenn das Bauvorhaben gegen sonstige öffentlichrechtliche Vorschriften verstößt. Dabei ist unschädlich, dass sich der Beklagte nicht schon im Ablehnungsbescheid, sondern erst in der Klageerwiderung in der Sache auf Art. 14 Abs. 2 BayBO berufen hat. Ein Nachschieben von Gründen im Verwaltungsprozess ist grundsätzlich zulässig, es sei denn – wofür hier nichts ersichtlich ist – der Verwaltungsakt würde in seinem Wesen verändert oder die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage § 113 Rn. 64 m.w.N.). Bei der hier vorliegenden Verpflichtungsklage hinsichtlich einer gebundenen Entscheidung ist zudem zu berücksichtigen, dass sich bei Ablehnung des Antrags mit rechtswidriger Begründung nichts an der Erfolglosigkeit der Klage ändert, wenn die Anspruchsvoraussetzungen fehlen (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 113 Rn. 232). Zudem handelt es sich bei Art. 68 Abs. 1 Satz 1 HS 2 BayBO lediglich um eine Verfahrensvorschrift, aus der eine Rechtsverletzung nicht abgeleitet werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris Rn. 15).
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 27.10.2011 – 50 ZB 10.2409 – juris Rn. 6; B.v. 24.2.2003 – 2 CS 02.2730 – juris Rn. 16) wird die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs – konkret – gefährdet, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit hinreichender oder – anders ausgedrückt – „bloßer“ Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass durch die Anlage ein Verkehrsunfall verursacht wird oder der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird insbesondere ein Durchschnittskraftfahrer durch sie abgelenkt wird. Der Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit hierfür sind nicht erforderlich. Zur Annahme einer Gefahrenlage genügt daher die Feststellung, dass die konkrete Situation die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Geht es dabei um die Gefährdung von Leben und Gesundheit sind an die Feststellung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen. So liegt der Fall hier. Die vom Beklagten im Klageverfahren eingeholte Stellungnahme der Polizeiinspektion … vom 1. Juli 2016 hat sich gegen die Errichtung der Werbeanlage ausgesprochen. Die Polizei kommt dabei zu dem Ergebnis, dass in der Langgasse in … aus Gründen der Verkehrssicherheit die Geschwindigkeit auf maximal 30 km/h beschränkt worden sei, unter anderem wegen z.T. unübersichtlicher Straßenführung, zahlreicher Hofein- und Ausfahrten sowie regem Fußgängerverkehr mit Fahrbahnüberquerungen, was vom Verkehrsteilnehmer die volle Aufmerksamkeit erfordere. Eine Werbeanlage der beantragten Größenordnung direkt neben der Fahrbahn stelle aus Sicht der Polizei deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit dar und könne nicht befürwortet werden.
Dieser fachlichen Einschätzung schließt sich die Kammer an und kommt auch aufgrund eigener Würdigung der Situation anhand der beim Augenscheinstermin gefertigten Fotos sowie der vorgelegten Lagepläne bzw. ausgedruckter Luftbilder zu dem Ergebnis, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im Falle der Errichtung der Werbeanlage in rechtlich erheblicher Weise gefährdet wäre. Dies ist der Fall, auch wenn die Werbeanlage nur aus einer Richtung, von Süden kommend, sichtbar ist.
Die Problematik bzw. die Gefahr einer Ablenkung des Durchschnittskraftfahrers ergibt sich aus dem vorgesehenen Aufstellungsort unmittelbar vor Beginn einer Linkskurve für die aus Richtung Süden auf der Langgasse fahrenden PKW’s. Durch das bis zur Straße vorspringende Gebäude auf Fl.Nr. … Gemarkung … ist für den aus Süden kommenden Kraftfahrer nicht erkennbar, ob auf der Gegenfahrbahn ein Fahrzeug entgegenkommt. Ziemlich genau dort, wo die Streckenführung sich ändert und in die scharfe Linkskurve übergeht, und damit volle Konzentration erforderlich ist, insbesondere weil auch Schwerverkehr die Straße befährt und daher unbedingt die eigene rechte Spur einzuhalten ist, soll die Werbeanlage errichtet werden. Dies wird nicht dadurch relativiert, dass es sich um „Erinnerungswerbung“ handelt; möglicherweise ist gerade die im Einzelfall dort vorhandene Werbung für unterschiedliche Verkehrsteilnehmer besonders relevant bzw. von Interesse. Zu der Unübersichtlichkeit durch die Kurvenführung kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass nur auf einer Seite ein durchgehender Gehweg vorhanden ist, was bedeutet, dass im Bereich der streitgegenständlichen Werbeanlage mit querenden Fußgängern gerechnet werden muss. Darüber hinaus ist im Bereich der Kurve der Gehweg auf der östlichen Seite überbaut und mit einer Mauer, auf der sich drei Säulen zur Abstützung des Überbaus des Hauses befinden, zur Straße hin abgegrenzt. Diese Situation erfordert volle Konzentration, da zwar auf der rechten Seite gefahren werden muss, aber es darf auch nicht zu weit rechts gefahren und der Gehsteig mitbenutzt werden, da sonst mit einer Kollision mit der Mauer zu rechnen ist. Der Auffassung des Klägerbevollmächtigten, der Situation vor Ort sei bereits durch die Reduzierung der Geschwindigkeit auf 30 km/h ausreichend Rechnung getragen worden, kann nicht gefolgt werden. Auch bei Tempo 30 km/h ist die volle Konzentration des Kraftfahrers an dieser Stelle erforderlich. Dies ergibt sich daraus, dass die Situation der anschließenden Kurve und dem überbauten Gehweg äußerst komplex ist.
Insoweit kann auch durchaus berücksichtigt werden, dass die Werbeanlage zwar als gewerbliche Nutzung nach der Art der baulichen Nutzung im hier gegebenen faktischen Dorfgebiet ohne weiteres zulässig ist, dass sich aber in der näheren Umgebung bislang keine weitere Werbeanlage findet, so dass die Ablenkung am vorgesehenen Standort ungleich größer ist, als wenn bereits eine Gewöhnung der Kraftfahrer an Werbeanlagen im innerörtlichen Bereich eingetreten wäre. Es liegt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit nach Art. 14 Abs. 2 BayBO vor, dass durch die Anlage ein Durchschnittskraftfahrer abgelenkt wird. Ein Nachweis, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist oder eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür sind eben gerade nicht erforderlich, so dass es auch keine Rolle spielt, dass dem Gericht keine Dokumentation über bereits erfolgte Unfälle vorgelegt worden ist.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), trägt er seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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