Baurecht

Baugenehmigung für Ferienwohnungen in allgemeinem Wohngebiet

Aktenzeichen  15 CS 19.1609

Datum:
12.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34543
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 4, § 13a

 

Leitsatz

1. Zu der Frage, ob Ferienwohnungen als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe in allgemeinen Wohngebieten ausnahmsweise zulässig sind.  (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Neuregelung in § 13a BauNVO kommt keine Rückwirkung zu. Die vom Verordnungsgeber beigemessene inhaltliche Bedeutung ist insoweit rechtlich nicht ausschlaggebend.   (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 S 19.996 2019-07-23 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg wird in den Ziffern I. und II. geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem ihr Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen eine mit Ausnahmen und Befreiungen versehene Baugenehmigung des Beklagten vom 30. Januar 2019 für die Errichtung eines Ferienhauses auf einem im Südwesten angrenzenden Grundstück abgelehnt wurde, hat Erfolg.
Die ihnen am Samstag, den 2. Februar 2019, zugestellte Bauerlaubnis für ein zweigeschossige Ferienhaus mit einem Hauptgrundriss von rund 14,5 m x 8 m und insgesamt sechs Wohneinheiten für maximal 10 selbstversorgende Gäste verletzt nach summarischer Prüfung den Anspruch der Antragsteller, die am Montag, den 4. März 2019, Nachbarklage erhoben haben (RO 7 K 19.404), auf Bewahrung der Gebietsart (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151= juris Ls 2 und Rn. 12-16; U.v. 24.2.2000 – 4 C 23/98 – DVBl 2000,1340 = juris Rn. 12-14; BayVGH, B.v. 27.12.2017 – 15 CS 17.2061 – juris Rn. 16f.). Das Vorhaben ist an Ort und Stelle nicht gebietsverträglich. Hierauf hebt auch die Beschwerdebegründung ab (§ 146 Abs. 4 Satz 5 VwGO).
Das Ferienhaus soll in einem nach den vorliegenden Akten seit dem 16. August 1967 gemäß § 4 BauNVO (1962) festgesetzten allgemeinen Wohngebiet verwirklicht werden. Dort sind nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BauNVO in allen seit 1962 bis heute erlassenen Fassungen (1962, 1968, 1977, 1990, 2017) zwar Betriebe des Beherbergungsgewerbes und sonstige nicht störende Gewerbebetriebe ausnahmsweise zulässig. Der erstinstanzliche Beschluss hat unter Bezugnahme auf eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (VGH BW, B.v. 19.7.2016 – 5 S 2220/15 – BauR 2016, 1736 = juris Ls und Rn. 7-10) die konkrete Zuordnung des Vorhabens zu einer der beiden eben genannten Nutzungsarten offen gelassen (BA S. 7/8) und sich im Ergebnis jener Entscheidung angeschlossen. Die zitierte Entscheidung hat die gewerbliche Zurverfügungstellung von Appartements und Wohnungen auch als Ferien- und Wochenendwohnungen im Rahmen eines sonstigen, das Wohnen nicht wesentlich störenden Gewerbebetriebs für allgemein zulässig gehalten; sie ist jedoch zu einem Vorhaben ergangen, das sich abweichend von dem vorliegenden Fall in einem faktischen Mischgebiet befand. Diese planungsrechtliche Situation ist aus der Sicht des Senats aber mit der hier vorliegenden nicht vergleichbar.
In jüngerer Zeit haben mehrere Entscheidungen der in der Literatur verbreitet geäußerten Auffassung (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 13a Rn. 3 spricht insoweit von einer hM) widersprochen, dass Ferienwohnungen – je nach Ausgestaltung jedenfalls auch – als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe beispielsweise gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in allgemeinen Wohngebieten ausnahmsweise zulässig wären und entschieden, dass diese Vorhaben sondergebietspflichtig seien (OVG MV, U.v. 19.2.2014 – 3 L 212/12 – BauR 2015, 81 = juris Rn. 50; NdsOVG, U.v. 15.1.2015 – 1 KN 61/14 – DVBl 2015, 379 = juris Rn. 25; HessVGH, B.v. 5.2.2015 – 4 B 1756/14.N – BRS 83 Nr. 47 = juris Rn. 23, VG München, U.v. 18.6.2018 – M 8 K 17.4323 – juris Rn. 48, 54-58).
Der Verordnungsgeber hat darauf mit der Einfügung von § 13a BauNVO (in Kraft seit 13.5.2017, BGBl 2017 I S. 1057) reagiert. Die Entwurfsbegründung (BT-Drs. 18/10942 S. 33/35) spricht unscharf von einer „im Wesentlichen klarstellenden Ergänzung“ als Beitrag zur Rechtssicherheit vor dem Hintergrund, dass der zitierten Rechtsprechung des OVG Greifswald und des OVG Lüneburg eine jahrzehntelange abweichende städtebauliche Praxis gegenüberstehe. Abgesehen davon, dass der angesprochenen Neuregelung keine Rückwirkung auf den vorliegenden Fall zukommt, ist auch die ihr vom Verordnungsgeber beigemessene inhaltliche Bedeutung rechtlich nicht ausschlaggebend (vgl. BVerwG, U.v. 18.10.2017 – 4 CN 6/17 – ZfBR 2018, 158 = juris Rn. 7-9). Der im bauaufsichtlichen Verfahren zum Ausdruck gekommenen gegenteiligen Ansicht (Schreiben des Landratsamts vom 11.12.2018 an die Beigeladenen, Bl. 6 der Bauakte „Schriftverkehr“, Empfehlung einen Antrag auf Ausnahme nach § 4 Abs. 3 Nr. 2, § 13a BauNVO zu stellen; nachgereichtes Einvernehmen seitens der Gemeinde zur Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB, Bl. 8 Rs der Bauakte „Schriftverkehr“) ist die erstinstanzliche Entscheidung zu Recht nicht gefolgt (BA S. 8/9).
Für die Fälle, die nach der bis zum 12. Mai 2017 geltenden Rechtslage zu beurteilen sind, dürfte jedoch der auch von der Beschwerde vertretenen Ansicht der Vorzug gebühren. Der Aufenthalt in Ferienwohnungen ist kein Wohnen im Sinn der Baunutzungsverordnung (BVerwG, U.v. 18.10.2017 – 4 CN 6/17 – a.a.O. Ls 1 und Rn. 14), weil es an der für die Erfüllung der Voraussetzungen dieses Begriffs erforderlichen Dauerhaftigkeit fehlt. Mangels jeglicher über die bloße Überlassung der Räumlichkeiten hinausgehenden Leistungen der Vermieter liegt auch keine Beherbergung vor. Zwar könnte der hier zu beurteilende Sachverhalt theoretisch auch unter den Begriff des sonstigen nicht störenden Gewerbebetriebs subsumiert werden. Dieser Gesetzesauslegung stand einerseits aber bis zu den mit § 13a BauNVO ohne Rückwirkung eingeführten Ergänzungen wohl schon die typisierende Systematik (vgl. dazu näher BayVGH, U.v. 8.3.2013 – 15 B 10.2922 – juris Rn. 22-25) der Baunutzungsverordnung entgegen, die genau diese Nutzungsform seit dem 1. Oktober 1977 in § 10 Abs. 1 und 4 BauNVO ausdrücklich geregelt hat (vgl. zu dieser Spezialität bereits OVG MV, B.v. 28.12.2007 – 3 M 190/07 – juris Ls 1 und 2 und Rn. 4 bis 11; NdsOVG, U.v. 24.7.2013 – 1 LB 245/10 – BauR 2014, 229 = juris Ls 2 und Rn. 20, dort zu Campingplätzen i.S.v. § 10 Abs. 5 BauNVO).
Andererseits ist die hier zu beurteilende Nutzung auch für sich betrachtet nicht wohngebietsverträglich. Entgegen den teilweise missverständlichen Formulierungen und Vorschriftenzitaten in den Bauakten hat die untere Bauaufsichtsbehörde hier keine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet allgemein bzw. ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten erteilt. Eine solche wäre städtebaulich nicht vertretbar (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 23/98 – ZfBR 2000, 388 = juris Rn. 11-14, Unzulässigkeit von Diskotheken im Industriegebiet). Ein Vorhaben wie das vorliegende, bei dem auf zwei Geschossen insgesamt sechs Ferienwohneinheiten (2 x 51,66 m², 4 x 23,44 m²) untergebracht werden, unterscheidet sich qualitativ entscheidend von einem – vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 13. Juni 2019 an das Verwaltungsgericht (vgl. Bl. 62 der VG-Akte RO 7 S 19.996) zum Vergleich herangezogenen – Zweifamilien-Wohnhaus. Neben der bei einer Feriennutzung doch regelmäßig, hier von den Beigeladenen auch erwarteten, deutlich höheren Belegungsdichte (nach Aktenlage wie eingangs erwähnt maximal 10 Personen) wird die Unterschiedlichkeit auch bereits von außen anhand der dreimal so hohen Zahl der erforderlichen und vom Antragsgegner genehmigten Stellplätze deutlich (sechs statt zwei, vgl. dazu auch Nr. 1.2 einerseits und Nr. 1.4 andererseits der Anlage zur GaStellV). Daneben werden Feriengäste in der Regel auch ein vom „gewöhnlichen Wohnen“ abweichendes Verhalten an den Tag legen, was die Intensität und den zeitlichen Rahmen ihrer Aktivitäten beispielsweise auch auf den Freiflächen des Ferienhausgrundstücks betrifft. Nach der Betriebsbeschreibung ist vor Ort keinerlei Betreuung vorgesehen, sodass zum Feiern Entschlossenen buchstäblich den ganzen Tag und rund um die Uhr Tür und Tor offenstehen. Die Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens wäre deshalb geeignet, den Ansatz für eine dem Gebietscharakter abträgliche Verfremdung zu bilden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, nachdem sie sich nicht am Verfahren beteiligt haben (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO).
Streitwert: §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt als Anhang in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019).
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 GKG.


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