Baurecht

Baugenehmigung für Nutzungsänderung in Wettbüro, Vorbescheid zu Nutzungsänderung in Wettbüro, Kino als Anlage für kulturelle Zwecke, Abgrenzung Schank- und Speisewirtschaft und Vergnügungsstätte, Gemengelage mit überwiegendem Wohnanteil, kein Mischgebiet

Aktenzeichen  M 8 K 18.6197, M 8 K 20.1074

Datum:
11.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33493
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68
BayBO Art. 71
BauGB § 34
BauNVO § 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Verfahren M 8 K 18.6197 und M 8 K 20.1074 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Klagen werden abgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2021 ihr Einverständnis zum Übergang in das schriftliche Verfahren erteilt haben, § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die beiden anhängigen Verfahren konnten gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden, da die beiden Streitgegenstände – Vorbescheid und Baugenehmigung für dasselbe Baugrundstück und die gleiche beantragte Nutzung – im Zusammenhang stehen (vgl. zu den Voraussetzungen des § 93 VwGO: Rennert in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 93 Rn. 2).
Die zulässigen Klagen bleiben in der Sache ohne Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung (M 8 K 18.6197) (1.) und auf Erteilung eines positiven Vorbescheids (M 8 K 20.2074) (2.). Die streitgegenständlichen Bescheide vom 28. November 2018 und 27. Februar 2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Eine Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO). Unabhängig vom Genehmigungsverfahren gehören jedenfalls stets die bauplanungsrechtlichen Vorschriften der Zulässigkeit der baulichen Anlagen i.S.d. §§ 29 ff. Baugesetzbuch (BauGB) zum Prüfungsumfang (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. a, Art. 60 Satz 1 Nr. 1 lit. a BayBO). Das dem Bauantrag zugrundeliegende Vorhaben fügt sich nach der Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 BauGB.
1.1. Die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung richtet sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. Die Eigenart der näheren Umgebung lässt sich keinem Baugebiet der Baunutzungsverordnung (BauNVO) zuordnen. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht insbesondere nicht einem Mischgebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO.
Berücksichtigung findet die Umgebung nach der Rechtsprechung insoweit, als sich das Vorhaben auf die Umgebung auswirken kann und als die Umgebung den boden-rechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks prägt. Die Reichweite der wechselseitigen Prägung bestimmt sich nach den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien (BVerwG, U.v. 11.2.1993 – 4 C 15/92 – juris Rn. 20) und muss im Einzelfall festgestellt werden. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in der sich das Vorhabengrundstück befindet (BayVGH, U.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze und nach dem Ergebnis des Augenscheins wird die maßgebliche nähere Umgebung durch die Aufweitung des … Platzes südlich der … Straße einschließlich des westlichen und des östlichen Eckgrundstücks – somit die Anwesen … Straße 44, … Straße 46, … Straße 52 und … Straße 2 – gebildet. Diese Grundstücke geben sich aufgrund der platzartigen Aufweitung der … Straße ihr wechselseitiges Gepräge. Dies gilt auch für die rückwärtigen, nach Süden zurückversetzen Gebäude in diesem Bereich, die mit Durchgängen an die platzartige Straßenaufweitung angebunden sind. Im Einzelnen es handelt sich hierbei um die Anwesen … Straße 46 a, … straße 13 und … straße 12 sowie um die Rückgebäude der … straße 46 und der … straße 52. Nicht mehr zur näheren Umgebung zählt der Bereich der Aufweitung des … Platzes auf der Nordseite der … Straße. Nach dem Ergebnis des Augenscheins kommt der … Straße, einer vielbefahrenen Straße, die im hier maßgeblichen Bereich sechs Fahrspuren und einen mittigen Grünstreifen aufweist, trennende Wirkung zu. Aufgrund der Weite des … Platzes ist auch die Bebauung östlich der … straße nicht mehr zur näheren Umgebung zu rechnen. Ob die Bebauung entlang der … Straße bis zur Ecke … straße – mithin die Gebäude … straße 38 bis 42 – zur maßgeblichen Umgebung gehören, muss nicht entschieden werden, da sich die Nutzungsstrukturen dieses Bereichs und der Aufweitung am … Platz nicht unterscheiden, sodass sich im Hinblick auf die Qualifizierung der Gebietsart kein unterschiedliches Ergebnis ergibt. Keine prägende Wirkung geht von den Gebäuden aus, die sich westlich, nach der Straßenkreuzung … straße/ … straße – anschließen.
1.2 Die maßgebliche nähere Umgebung kann – entgegen der Ansicht der Klägerin – nicht als faktisches Mischgebiet i.S.d. § 6 BauNVO qualifiziert werden. Ein Mischgebiet dient dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Diese allgemeine Zweckbestimmung verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die beiden in dem Gebiet zulässigen Hauptnutzungsarten im Sinne einer etwa gleichgewichtigen und gleichwertigen Durchmischung vorhanden sind. Wohnen und nicht wesentlich störendes Gewerbe müssen sich zwar nicht – etwa bezogen auf die Geschossflächen oder die Zahl der Betriebe im Verhältnis zu den Wohngebäuden – die Waage halten. Jedoch darf keine der beiden Hauptnutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere haben bzw. optisch eindeutig dominieren (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51/96 – juris Rn. 6).
Dies zugrunde gelegt, stehen sich die im maßgeblichen Gebiet überwiegend vorhandene Wohnnutzung und die überwiegend nur in den Erdgeschossenen vorhandene gewerbliche Nutzung nicht gleichwertig und gleichgewichtig gegenüber. Die Gebäude entlang der Aufweitung des … Platzes sind in den Erdgeschossen gewerblich genutzt und in den vier bis sechs Obergeschossen überwiegend wohngenutzt. In dem streitgegenständlichen Anwesen finden sich im Vordergebäude und Rückgebäude gewerbliche Nutzungen im Erdgeschoss und ausschließlich Wohnnutzungen in den fünf Obergeschossen. In der … Str. 46 befinden sich ein Optiker, eine Apotheke, ein Kino mit Café, eine …bar und ein Leihhaus, sowie die Gaststätte „… …“ im Erdgeschoss. Die sechs Obergeschosse sind, abgesehen von einer freiberuflichen Nutzung als Arztpraxis (§ 13 BauNVO), ausschließlich wohngenutzt. Die Anwesen der …str. 2 und 2a sind im Erdgeschoss gewerblich und in den oberen Geschossen wohngenutzt. Die in allen diesen Gebäuden in den Obergeschossen untergebrachten Wohneinheiten übertreffen von ihrer Quantität her die gewerblichen Einheiten im jeweiligen Anwesen deutlich und dominieren auch optisch das maßgebliche Gebiet. Die fünf- und sechsgeschossigen Anwesen der … straße 12 und 13 sowie das Rückgebäude der … Str. 46 sind reine Wohnhäuser. Lediglich die … Str. 52 weist ausschließlich gewerbliche und freiberufliche Nutzungen auf. An der sowohl zahlenmäßigen als auch optisch wahrnehmbaren Dominanz der Wohnnutzung ändert dies jedoch nichts. Die im maßgeblichen Gebiet vorhandenen Gewerbebetriebe haben auch hinsichtlich ihres Störungsgrads kein besonderes Gewicht. Insgesamt ist die erforderliche quantitative und qualitative Durchmischung von Wohnen und Gewerbe nicht in einem Ausmaß vorhanden, das die Qualifizierung des Gebiets als Mischgebiet rechtfertigt. Diese Nutzungsstruktur setzt sich auch bei den Gebäuden der Grundstücke … Str. 38 bis 42 fort, sodass sich auch bei deren Einbeziehung in das maßgebliche Gebiet keine unterschiedliche Beurteilung ergeben würde.
1.3 In diese als Gemengelage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zu qualifizierende maßgebliche Umgebung fügt sich das streitgegenständliche Vorhaben nicht ein. Das Vorhaben fügt sich in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es den Rahmen der Umgebungsbebauung einhält. Bei der Charakterisierung und Bewertung der vorhandenen Nutzungen ist, auch bei der Beurteilung der Zulässigkeit nach § 34 Abs. 1 BauGB, auf die in der BauNVO typisierten Nutzungsarten abzustellen. Ein Vorhaben, das den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet, fügt sich dennoch in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es keine bewältigungsbedürftigen Spannungen verstärkt oder begründet (Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauG, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 30f.)
Das streitgegenständliche Wettbüro ist bauplanungsrechtlich als Vergnügungsstätte zu klassifizieren. Unter den Begriff „Wettbüro“ fallen Räumlichkeiten, in denen zwischen dem Kunden (Spieler), dem Wettbüro (Vermittler) und dem – meist im europäischen Ausland ansässigen – Wettunternehmen Transaktionen abgeschlossen werden, wobei es sich um Sportwetten bzw. um Wetten auf diverse sonstige Ereignisse handelt. Hinzu kommt im Regelfall, dass die Räumlichkeiten – insbesondere durch die Anbringung von Bildschirmen – Gelegenheit bieten, die Wettangebote bzw. -ergebnisse live mit zu verfolgen (OVG NRW, B.v. 14.2.2014 – 2 A 1181/13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Eine Nutzung als Wettbüro ist beantragt und ergibt sich auch aus den Bauvorlagen, insbesondere der Betriebsbeschreibung.
Zu unterscheiden sind kerngebietstypische und nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten. Für die Abgrenzung spielt die Größe des Betriebs eine maßgebliche Rolle. Für Spielhallen hat die Rechtsprechung einen Grenzwert von 100 m² Nutzfläche etabliert, wobei dies keinen absoluten Wert darstellt und die Umstände des Einzelfalls betrachtet werden müssen (so bspw. BVerwG, B.v. 29.10.1992 – 4 B 103/92 – NVwZ-RR 1993, 287). Dieser Grenzwert kann auch auf andere Vergnügungsstätten übertragen werden (VG Augsburg, U.v. 9.3.2016 – Au 4 K 15.1371 – BeckRS 2016, 46320). Vorliegend wird ein Wettbüro mit einer Fläche von unter 100 m² beantragt. Besondere Umstände, die dennoch die Annahme einer kerngebietstypischen Vergnügungsstätte angezeigt erscheinen, bestehen nicht.
Eine Rahmenverträglichkeit des streitgegenständlichen Vorhabens wäre nur anzunehmen, wenn in der maßgeblichen Umgebung bereits Vergnügungsstätten vorhanden wären oder keine bodenrechtlichen Spannungen begründet werden würden.
Weitere Vergnügungsstätten sind jedoch nach dem Ergebnis des Augenscheins und dem Heranziehen der Behördenakten nicht vorhanden.
1.3.1 Das Kino in der … Str. 46 stellt keine Vergnügungsstätte, sondern eine Anlage für kulturelle Zwecke dar.
Herkömmliche Kinos (Lichtspieltheater) mit „normalen“ bzw. „üblichen“ Filmen gehören nicht zu den Vergnügungsstätten; lediglich bei solchen Einrichtungen mit Film- bzw. Videovorführungen etwa sexuellen Charakters handelt es sich um Vergnügungsstätten (HessVGH, B.v. 25.8.2008 NVwZ-RR 2009, 143; VG München, U.v. 14.1.2013 – M 8 K 11.794 – juris Rn. 56; U.v. 7.5.2012 – M 8 K 11.667 – juris Rn. 33). Auch Großkinos (insbesondere sog. Multiplexkinos) sind als kerngebietstypische Vergnügungsstätten zu behandeln (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2001 – 15 ZS 01.2570, NVwZ-RR 2003, 9).
Das Kino in der … Str. 46 erfüllt die Voraussetzungen für eine Vergnügungsstätte nicht. Genehmigt wurde ein Kino mit zwei Vorstellungsräumen und 365 bzw. 124 Plätzen (Plan-Nr. …*). Ein Großkino liegt damit nicht vor. Auch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Kino auf die Vorführung von Filmen mit sexuellem Charakter ausgelegt ist.
1.3.2 Auch die Gaststätte („… … … Bar“) im Untergeschoss des Anwesens … Str. 46 stellt keine Vergnügungsstätte, sondern eine Schank- und Speisewirtschaft dar.
Ob eine Schank- und Speisewirtschaft oder eine Vergnügungsstätte vorliegt, ist anhand des Schwerpunkt des Betriebs zu beurteilen (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Mai 2021, BauNVO § 4 Rn. 60). Unter den planungsrechtlichen Begriff Schank- und Speisewirtschaft fallen Gewerbebetriebe, in denen Getränke aller Art allein oder zusammen mit zubereiteten Speisen an Gäste zum Zwecke des Verzehrs in den Wirtschaftsräumen verabreicht werden (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Mai 2021, BauNVO § 4 Rn. 58). Vergnügungsstätten sind wirtschafts- und gewerberechtlich eine besondere Art von Gewerbebetrieben, die – in unterschiedlicher Weise – durch kommerzielle Freizeitgestaltung und Amüsierbetrieb gekennzeichnet sind (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: Mai 2021, BauNVO § 4a Rn. 69). Bei der Abgrenzung von Schank- und Speisewirtschaften und Vergnügungsstätten ist deswegen entscheidend, welche Bedeutung der Verabreichung von Speise und Getränken zukommt und ob die kommerzielle Unterhaltung und Freizeitgestaltung im Vordergrund steht (BayVGH, B.v. 29.4.2008 – 15 CS 08.455 – juris Rn. 16). Gaststätten sind erst dann nicht mehr als Schank- und Speisewirtschaften einzuordnen, wenn sich ein gaststättenfremdes Gepräge ergibt und der Charakter der Schank- und Speisewirtschaft zurücktritt (vgl. VGH BW, U.v. 28.11.2019 – 5 S 1790/17 – juris Rn. 35). Sofern das Angebot von Speisen und Getränken nur einen untergeordneten Nebenzweck im Rahmen einer anderen bauplanungsrechtlichen Nutzungskategorie darstellt, beurteilt sich die Zulässigkeit nur nach der planungsrechtlich prägenden Hauptnutzung (BayVGH, B.v. 9.6.2004 – 25 CS 04.440 – juris Rn. 4).
Gemessen hieran stellt die Gaststätte im Untergeschoss der … Str. 46 eine Schank- und Speisewirtschaft dar.
Mit Baugenehmigung vom 1. Juli 2014 und Änderungsgenehmigung vom 1. Dezember 2014 wurde der Einbau einer Gaststätte als Hauptnutzung mit Musikdarbietung und Tanz genehmigt (PlanNr. … und PlanNr. …*). In der Betriebsbeschreibung wird die Gaststättennutzung als Hauptnutzung deklariert, Musik und Tanz sollen der Unterhaltung dienen. In der Baugenehmigung hält sich die Beklagte ausdrücklich vor, Tanzveranstaltungen und Musikdarbietungen nachträglich (zahlenmäßig) zu beschränken. Musikdarbietungen und der Tanz dürfen nur in einem Maße durchgeführt werden, „dass keine Vergnügungsstättennutzung entsteht“ (S. 2 Baugenehmigung vom 1. Juli 2014).
Zu Recht weist der Bevollmächtigte der Klägerin zwar darauf hin, dass es nicht allein auf die Bezeichnung des Vorhabens als „Gaststätte/keine Diskothek“ ankommt (vgl. z.B. HessVGH, B.v. 22.2.2012 – 3 A 1112/11.Z – juris). Dem Gericht obliegt es den tatsächlichen Nutzungsumfang festzustellen (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 142. ErgL Mai 2021, BauNVO § 6 Rn. 44). Die Bezeichnung steht jedoch in Einklang mit dem aus der Baugenehmigung und den zugrundeliegenden Bauvorlagen hervorgehenden Nutzungsumfang.
Bei dem Betrieb handelt es sich nach wertender Betrachtung seines Erscheinungsbilds und seines Angebotsspektrums um eine Schank- und Speisewirtschaft. Musikdarbietungen und Tanz können nach der Baugenehmigung nur in einem Maße durchgeführt werden, die nicht zu einer Charakterisierung der Nutzung als Vergnügungsstätte führt. Hiergegen kann nicht vorgebracht werden, dass die Beklagte die Anzahl der Musikdarbietungen und Tanzveranstaltungen hätte festlegen müssen bzw. diese so unbeschränkt zugelassen hat. Dies würde verkennen, dass es letztlich Sache des Bauherrn ist, die genehmigte Nutzung auszuüben. Hierfür bestand außerdem kein Bedürfnis, da die Gaststätte als Hauptnutzung festgelegt war und damit eine Nutzung mit einem Umfang von Tanz und Musik, der zu Qualifizierung des Betriebs als Vergnügungsstätte führt, nicht genehmigt wurde. Zum anderen ist die Festlegung bspw. einer gewissen Anzahl von solchen Veranstaltungen für die Bauaufsichtsbehörde mit Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden, da die Abgrenzung von Schank- und Speisewirtschaften und Vergnügungsstätte nicht nur von der Häufigkeit von Tanz und Musik, sondern von den Umständen des Einzelfalls (insbesondere, ob Einzelkünstler auftreten, Veranstaltungen gegen Eintritt stattfinden und ob es sich um bloße Hintergrundmusik handelt usw.) abhängig ist.
Auch die Tatsache, dass der Betrieb über eine Tanzfläche verfügt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Aus den genehmigten Plänen ergibt sich, dass eine ca. 16 m² große Tanzfläche mit anschließendem Podest genehmigt wurde. Sie nimmt jedoch gegenüber der Gastraumfläche von 129,2 m² nur einen untergeordneten Teil ein. Die Gaststättennutzung bzw. die Verabreichung von Speisen und Getränken tritt hierdurch nicht in den Hintergrund. Musik und Tanz sollten – ausweislich der Betriebsbeschreibung – der Unterhaltung dienen und nur ein Nebenzweck erfüllen. Es steht der Charakterisierung als Schank- und Speisewirtschaft nicht entgegen, dass in ihr gelegentlich Tanz und Musik geboten wird (HessVGH, B.v. 22.2.2012 – 3 A 1112/11.Z – juris Rn. 10).
Die Verabreichung von Speisen und Getränken steht in der Gaststätte „… …“ im Vordergrund. Aus den Plänen ergibt sich, dass eine große Fläche durch Kücheneinrichtungen eingenommen wird. Der Gastraum verfügt über 91 Gastplätze. Zuletzt spricht auch die Lage der Gaststätte im Untergeschoss nicht gegen die Annahme einer Schank- und Speisewirtschaft. Zu der Bandbreit der Schank- und Speisewirtschaften gehören auch Gaststätten, die im Untergeschoss liegen. Dies ist gerade bei größeren Wirtschaften nicht unüblich (vgl. VGH BW, U.v. 28.11.2019 – 5 S 1790/17 – juris Rn. 38).
Die Beklagte hat nur eine Schank- und Speisewirtschaft genehmigt. Soweit, hiervon abweichend, tatsächlich eine Vergnügungsstätte ausgeübt wird, handelt es um eine formell illegale Nutzung. Diese könnte nur dann als Vorbild i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB herangezogen werden, wenn Anhaltspunkte bestehen würden, dass die Beklagte die Nutzung duldet (BVerwG, B.v. 23.11.1998 – 4 B 29/98 – NVwZ-RR 1999, 364). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
1.4. Vorhaben, die den durch die Umgebung vorgegebenen Rahmen überschreiten, können sich dennoch in die maßgebliche Umgebung einfügen. Das Vorhaben fügt sich in die maßgebliche Umgebung ein, wenn keine bodenrechtlich beachtlichen Spannungen begründet oder erhöht werden. Denn das Kriterium des Einfügens bezweckt keine Einheitlichkeit, sondern Harmonie (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 47). Bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – juris Rn. 17, BayVGH, B.v. 4.7.2016 – 14 ZB 15.891 – juris Rn. 11). Betrachtet werden müssen die konkreten Wirkungen des Vorhabens in seiner konkreten Umgebung; nur abstrakte, entfernt gegebene Möglichkeiten genügen nicht (BayVGH, U.v. 2.8.2017 – 2 B 17.544 – juris Rn. 24; Jeromin in: Kröninger/Jaschke/Jeromin, BauGB, 4. Auflage 2018, § 34 Rn. 33). Die bodenrechtlichen Spannungen können darin bestehen, dass das Vorhaben aufgrund seiner Vorbildwirkung eine solche Verschlechterung nach sich zieht (BVerwG, U.v.15.12.1994 – 4 C 13/93 – juris Rn. 22). Es entspricht einem städtebaulichen Erfahrungssatz, dass sich Vergnügungsstätten zumindest, wenn sie in einem Gebiet gehäuft vorkommen, negativ auf die Umgebung auswirken, in dem sie einen sog. Trading down Effekt auslösen (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 13/93 – NvWZ 1995, 698, 700).
Solche städtebaulichen Spannungen sind anzunehmen. In der näheren Umgebung sind einige, gewerbliche genutzte Räumlichkeiten in den Erdgeschossen vorhanden, die grundsätzlich für die Ansiedlung weiterer Vergnügungsstätten in Frage kommen (Optiker, Apotheke und Leihhaus in der … Str. 46; Bankfiliale und Handy-Shop in der … Str. 52). Diese kommen insbesondere wegen ihrer Lage und Größe als weitere Vergnügungsstätte in Betracht. Aus einer Vielzahl von Verfahren ist bekannt, dass die Nachfrage an geeigneten Flächen für Vergnügungsstätten, insbesondere Wettbüros und Spielhallen, groß ist. Solchen Bauanträgen könnte nicht die fehlende Rahmenverträglichkeit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung entgegengehalten werden.
1.5. Selbst, wenn man – entgegen den sich aus dem Augenschein vom 14. Juni 2021 ergebenden tatsächlichen Gegebenheiten – die so gefundene maßgebliche Umgebung als „Mischgebiet“ qualifizieren würde, wäre das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig.
In einem faktischen Mischgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 6 BauNVO wären Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO in den Teilen des Gebietes, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind, allgemein zulässig (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO).
Es handelt sich bei dem streitgegenständlichen Anwesen nicht um einen Bereich der i.S.d. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO überwiegend gewerblich geprägt ist. Das sechsgeschossige Gebäude ist nur im Erdgeschoss gewerblich genutzt; das 1. bis 5. Obergeschoss dient dem Wohnen.
Es bestünde auch kein Anspruch auf eine ausnahmsweise Zulassung gem. § 6 Abs. 3 BauNVO, da die Ausnahme gem. § 31 Abs. 2 BauGB nicht städtebaulich vertretbar ist.
Im Hinblick auf die Öffnungszeiten und die Tatsache, dass die nähere Umgebung überwiegend wohngenutzt ist, ist anzunehmen, dass nachbarliche Interessen in relevanter Weise berührt werden. Die erstmalige Ansiedlung einer Vergnügungsstätte führt nicht nur dazu, dass einer weiteren Vergnügungsstätte nicht die fehlende Rahmenverträglichkeit entgegengehalten werden könnte, sondern auch zu nicht unerheblichen Belastungen durch milieubedingte Auswirkungen für die Umgebung.
2. Auf Antrag des Bauherrn ist schon vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen (Art. 71 Satz 1 BayBO). Gem. Art. 71 Satz 4 i.V.m. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist ein positiver Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit abgefragt wurde, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Klägerin fragt vorliegend – unter Heranziehung von Ziffer 6 des Antragsformulars zum 4. Februar 2020 – die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines 86,45 m² großen Wettbüros ab. Die Planung, die dem Vorbescheid zugrunde liegt ist im Wesentlichen – abgesehen von unerheblichen Abweichungen in der Inneneinrichtung – mit der Planung des ebenfalls streitgegenständlichen Bauantrags vom 8. Juni 2016 identisch.
Eine positive Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfrage scheitert deswegen ebenfalls daran, dass sich das Wettbüro als nichtkerngebietstypische Vergnügungsstätte nach ihrer Art nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. oben).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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