Baurecht

Baugenehmigung, Gemeinde, Bescheid, Vorhaben, Versorgung, Gemarkung, Zufahrt, Bauvorhaben, Nutzung, Innenbereich, Umgebungsbebauung, Genehmigung, Streupflicht, Nachbar, baulichen Nutzung, Kosten des Verfahrens, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  RN 6 K 20.2195

Datum:
26.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49482
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts D. vom 06.08.2020 verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf das Grundstück des Nachbarn fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – juris; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94 – juris; BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77 – juris; VG Würzburg, U.v. 11.8.2016 – W 5 K 15.830 – juris, Rn. 51). Es ist daher unerheblich, ob die Baugenehmigung einer vollständigen Rechtmäßigkeitsprüfung standhält, insbesondere ob die Vorschriften des jeweiligen Verfahrens eingehalten wurden.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht bestimmt sich die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung, beurteilt sich gemäß § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre.
Das Vorhaben fügt sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nämlich des Wohnens in die von Wohnnutzung geprägte Umgebung unstreitig ein.
Soweit der Kläger geltend macht, dass ein Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht vorliege, folgt daraus keine Rechtsverletzung. Ob sich das Vorhaben objektiv nach dem Maß der baulichen Nutzung nach der Bauweise und nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, denn die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. VG München U.v. 29.2.2016 – M 8 K 14.3232, BeckRS 2016, 50220, beck-online unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94, UPR 1994, 267 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris RdNr. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 12.7.2010 – M 8 SN 10.2346 – juris Rn. 53). Unabhängig stellt die von der Klägerseite thematisierte Zahl der im Gebäude vorgesehenen Wohneinheiten keine Frage des Maßes der baulichen Nutzung dar.
Eine Rechtsverletzung kann nur dann angenommen werden, wenn ein Verstoß gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme vorliegt. Für einen solchen Verstoß reicht es nicht aus, dass ein Vorhaben sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, der durch die Bebauung der Umgebung gebildet wird. Hinzukommen muss objektivrechtlich, dass es im Verhältnis zu seiner Umgebung bewältigungsbedürftige Spannungen erzeugt, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich ziehen, und subjektivrechtlich, dass es die gebotene Rücksichtnahme auf die speziell in seiner unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung vermissen lässt (VG München, B.v. 20.5.2011 – M 1 SN 11.2167 – juris unter Bezugnahme auf BVerwG v. 13.11.1997, NVwZ – RR 1998,540).
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen ab (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, welcher das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2010 – 2 CS 10.2137 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbar billigerweise noch zumutbar ist.
Das Vorhaben der Beigeladenen kann dem Klägern gegenüber nicht als abwehrfähig rücksichtslos bzw. unzumutbar angesehen werden. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Hinblick auf die Kubatur des Bauvorhabens ist in aller Regel bereits ausgeschlossen, wenn die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten werden, da dann grundsätzlich kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme bezüglich Belichtung, Belüftung und Besonnung anzunehmen ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85; B.v. 22.11.1984 – 4 B 244/84; BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101; B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9; B.v. 31.3.2010 – 2 CS 10.307).
Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung infolge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens wird ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung im Übrigen nur angenommen werden können bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78: 2½-geschossiges Gebäude des Klägers an der engsten Stelle nur 15 m vom 11-geschossigen Hochhaus des Beigeladenen entfernt; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85: 11,5 m hohe Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen auf lediglich 7 m breitem Grundstück). Vorliegend grenzt das Bauvorhaben nicht an das Grundstück des Klägers an, daher kann von vornherein nicht von einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots auf Grund der Kubatur des Gebäudes ausgegangen werden. Auch im Übrigen ist kein Gesichtspunkt erkennbar, dass hier von einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung in dem von der Rechtsprechung entwickelten Maß gesprochen werden könnte.
Die befürchteten Belästigungen durch den Zu- und Abfahrtsverkehr, der über ein gesichertes Geh- und Fahrtrecht über das Grundstück des Klägers führt, können hier zu keiner Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen. Grundsätzlich sind die von dem Zufahrts- und Abfahrtsverkehr zu Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall als sozialadäquat hinzunehmen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass durch die im Lageplan dargestellte mindestens 3,5 Meter breite Zufahrt zu den nun entstehenden 6 Wohneinheiten eine für den Kläger unzumutbare Beeinträchtigung entstehen könnte. Die als Stichstraße geplante Zufahrt ist gerade und in der vollen Länge einsehbar. Der genehmigte Eingabeplan sieht eine Wende- und Haltemöglichkeit auf dem Vorhabengrundstück vor. Die Entstehung unzumutbarer Verkehrsverhältnisse ist nicht zu befürchten.
Der Kläger kann sich nicht auf eine Rechtsverletzung aus einer behaupteten fehlenden oder unzureichenden Erschließung berufen. Die Erschließung eines Baugrundstückes ist nicht nachbarschützend, da die ausreichende Erschließung eines Grundstückes nicht im Interesse der Nachbarn des Baugrundstückes besteht, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse (Umwälzung der Erschließungskosten) und im Interesse des Bauherrn (Zugang zum öffentlichen Verkehrs- und Versorgungsnetz; vgl. BayVGH, B.v. 29.08.2014 – 15 CS 14.615 -; VG Gelsenkirchen, U.v. 23.06.2015 – 6 K 71/14 -, jeweils zitiert nach juris).
Die Entstehung eines Notwegerechts zu Lasten des Klägers ist bereits deshalb auszuschließen, da auf seinem Grundstück zu Gunsten des Vorhabengrundstücks ein Geh- und Fahrtrecht eingetragen ist. Das eingetragene Geh- und Fahrtrecht umfasst unstreitig eine Mindestzufahrtsbreite von 3 Metern, die die Regelungen der Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen vorsehen. Unbeachtlich ist daher, dass der derzeit genutzte Weg sich darüber hinaus auch auf das Grundstück Fl.Nr. 225 erstreckt. Dessen Nutzung ist zum einen nicht notwendig, zum anderen könnte dies auch nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers führen. Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte, dass die Genehmigung einer Wohnnutzung in der dargestellten Kubatur nicht von dem im Übrigen nicht ausdrücklich auf die bisherige Nutzung beschränkten Geh- und Fahrtrecht umfasst wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass sich aus den im behördlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen in irgendeiner Weise eine Einschränkung des ohne Beschränkungen eingetragenen Geh- und Fahrtrechts ergeben könnte. Hierfür ist auch unbeachtlich, dass das herrschende Grundstück damals unbebaut war, da auch zu diesem Zeitpunkt von einer künftigen Wohnnutzung auszugehen war. Maßgebend für den Umfang einer Dienstbarkeit und das Ausmaß der Benutzung ist das jeweilige – nicht das im Zeitpunkt der Bestellung vorhandene – Bedürfnis des herrschenden Grundstücks. Dabei kommt es auf den allgemeinen, der Verkehrsauffassung entsprechenden und äußerlich für jedermann ersichtlichen Charakter des herrschenden Grundstücks an. Neben der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ist insbesondere auch einer Bedarfssteigerung Rechnung zu tragen, so dass dadurch zugleich der Bereich der dem Eigentümer eingeräumten Befugnisse wächst (Grziwotz/Lücke/Saller NachbarR-HdB,KapVO.4. Das Grundstück und seine Nutzung durch Dritte, beck-online). Die hier vorliegende Bedarfssteigerung durch Nutzung von 6 Wohneinheiten stellt eine der Art nach gleichbleibenden Benutzung des Grundstücks dar und ist auch nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare oder willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen. Eine Erweiterung des auf dem klägerischen Grundstück eingetragenen Geh- und Fahrtrechts, ist damit nicht zu befürchten.
Es steht auch keine Entstehung eines Notleitungsrechts zu Lasten des Klägers zu befürchten. Die bereits bestehende Abwasserleitung ist nach den von der Gemeinde vorgelegten Bestandsplänen vom Baugrundstück ohne Inanspruchnahme von Grundstücken privater Dritter zum gemeindlichen Kanal verlegt. Hinsichtlich der zum Baugrundstück führenden Wasserleitung, die bereits im Grundstück des Klägers verlegt ist, kommt es nicht darauf an, ob diese Verlegung durch das bestehende Geh- und Fahrtrecht gedeckt ist (so bisherige ständige Rechtsprechung des BayVGH, B.v. 28.8.2008, Az. 4 ZB 08.1071 – juris sowie der Kammer) oder der Kläger nunmehr unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des BGH, U.v. 26.01.2018, V ZR 47/17, juris eine Unterlassung der Nutzung des Grundstücks zur Leitungsführung verlangen könnte. Eine Notlage i. S. des § 917 BGB ist bereits deshalb nicht zu befürchten, da im Hinblick auf die dargestellte Trassenführung der Abwasserleitung eine andere Grundstücksverbindung besteht, durch die eine ordnungsgemäße Benutzung gewährleistet ist (Busse/Kraus/Wolf, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 4 Rn. 190). Die Gemeinde hat im Zusammenhang mit der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ausdrücklich erklärt, dass gegebenenfalls auch eine neue Wasserleitung zu verlegen wäre. Dies ist nach den vorgelegten Plänen auch ohne Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks über andere Grundstücke (östlich gelegener Sportplatz, öffentliche Grünfläche auf Fl.Nr. 130/5) ohne weiteres möglich. Gleiches gilt ggfs. auch für die Versorgung des Vorhabengrundstücks mit Strom, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Frage der Erschließung im engeren Sinn handelt und ob sich eine Besitzberechtigung des Versorgers bzw. eine Duldungspflicht von Leitungen bereits aus § 12 NiederspannungsanschlussVO (NAV) ergibt, wonach Leitungen und Anlagen zu dulden sind, die der Versorgung anderer Anschluss- und Teilnehmer dienen (siehe auch BGH, U.v. 9.12.2016 – V ZR 231/15 – juris). Eine aus der bestandskräftigen Baugenehmigung resultierende Rechtsverletzung des Klägers durch (künftigen) Eingriff in sein Eigentum ist daher nicht gegeben.
Soweit sich der Kläger darauf bezieht, dass eine Bereitstellung der Mülltonnen im Bereich des …wegs nicht möglich wäre, dass die Räum- und Streupflicht auf der Privatstraße nicht geklärt sei sowie die bauordnungsrechtliche Erschließung des Grundstücks gem. Art. 4, 5 BayBO nicht gegeben wäre, ist dies nicht Gegenstand der Baugenehmigung. Weitere Anhaltspunkte dafür, dass die streitgegenständliche Genehmigung in bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Normen verletzt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, sind nicht ersichtlich.
Nach alledem musste die Klage mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen werden. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben