Baurecht

Baugenehmigung, Vorhaben, Wohnnutzung, Bescheid, Anfechtungsklage, Bauantrag, Denkmalschutz, Hinterlegung, Verletzung, Denkmaleigenschaft, Drittschutz, Zulassung, Baugenehmigungsverfahren, Bauvorhaben, Kosten des Verfahrens, Art der baulichen Nutzung, nachteilige Auswirkungen

Aktenzeichen  AN 17 K 19.00739

Datum:
30.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 8172
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayBO Art. 59
BayBO Art. 6
BayBO Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3
BayBO Art. 10 Satz 3
BayBO Art. 68 Abs. 5
BayDSchG Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2

 

Leitsatz

1. Keine abstandsflächenrelevante Änderung, wenn im Verhältnis zum gleichbleibend vorhandenen Bestand nur geringfügige Anbauten erfolgen und ansonsten der bauliche Bestand der giebelseitigen Außenwand weder hinsichtlich seiner Lage, noch in der Höhenentwicklung oder bei der Dachneigung Veränderung erfährt (BayVGH, B.v. 21.2.2018 – 15 CS 17.2569 – juris Rn. 10).
2. Nachträgliche Änderung der Rechtslage kann im Lichte des Art. 14 GG zugunsten des Bauherren berücksichtigt werden.
3. Der Eigentümer eines Baudenkmals kann sich im Rahmen einer Nachbarklage auf denkmalschutzrechtliche Belange nur berufen, wenn von dem beklagten Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbilds oder der künstlerischen Wirkung des Denkmals ausgeht und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen (BayVGH, U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – juris Rn. 30).
4. Der Aspekt der Standsicherheit des Nachbargebäudes gemäß Art. 10 Satz 3 BayBO ist nicht Teil des Prüfprogrammes des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens. Im Übrigen vermittelt Art. 10 Satz 3 BayBO schon keinen Drittschutz, wenn sich die Gefährdung der Standsicherheit aus der Art und Weise der Bauausführung und nicht aus dem genehmigten Bauvorhaben als solchem ergibt.
5. Der Belang der Standsicherheit ist grundsätzlich nicht über das Rücksichtnahmegebot rügbar (BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2582 – juris Rn. 2).
6. Eine öffentlich-rechtliche Baugenehmigung legalisiert keinen Überbau (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Dieser ist ggf. zivilrechtlich anzugreifen.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar. 
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Die Klage ist unbegründet und damit abzuweisen, weil der dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigungsbescheid vom 26. März 2019 die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dafür genügt nicht die objektive Verletzung einer Rechtsnorm. Die Rechtsverletzung muss sich aus einer Norm ergeben, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, s. BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 16.920 – BayVBl 2019, 596 Rn. 8). Zudem müssen die als verletzt gerügten Normen Teil des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren sein, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 66 Rn. 537).
Eine Verletzung drittschützender Normen des Prüfprogramms durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung scheidet aus. Das Prüfprogramm bemisst sich vorliegend nach Art. 59 BayBO (vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren), da das durch den Beigeladenen sanierte Wohnhaus in der … * kein Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO ist.
a) Es liegt kein Verstoß der Baugenehmigung gegen die gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 – 38 BauGB vor. Sowohl das Grundstück der Klägerin als auch das des Beigeladenen liegen unstreitig im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Die vom Beigeladenen für sein renoviertes Anwesen vorgesehene Wohnnutzung fügt sich sowohl im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, als auch nichts dafür spricht, dass hier eines der faktischen Baugebiete im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der BauNVO vorliegt, welches eine Wohnnutzung ausschließt. Insofern kann dahinstehen, ob § 34 Abs. 1 oder § 34 Abs. 2 BauGB zur planungsrechtlichen Beurteilung des Vorhabens des Beigeladenen herangezogen wird.
b) Auch ist keine Verletzung des nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO zu prüfenden Abstandsflächenrechts festzustellen.
Es mangelt nämlich schon an einer abstandsflächenrelevanten Änderung durch das genehmigte Vorhaben des Beigeladenen. Zwar lösen nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bauliche Änderungen eines Gebäudes grundsätzlich eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung aus, wenn sich im Vergleich zum bisherigen Zustand spürbar nachteilige Auswirkungen auf die von diesen Änderungen betroffenen Nachbargrundstücke hinsichtlich der durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange ergeben (BayVGH, B.v. 24.3.2017 – 15 B 16.1009 – juris Rn. 5). Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die abstandsrelevanten baulichen Änderungen nur die vom Grundstück des klagenden Nachbarn aus gesehen abgewandte, seitliche oder rückwärtige Außenwandseite des Vorhabens betreffen (BayVGH a.a.O.). Konkreter gefasst scheidet eine abstandsflächenrelevante Änderung aus, wenn im Verhältnis zum gleichbleibend vorhandenen Bestand nur geringfügige Anbauten erfolgen und ansonsten der bauliche Bestand der giebelseitigen Außenwand weder hinsichtlich seiner Lage, noch in der Höhenentwicklung oder bei der Dachneigung Veränderung erfährt (BayVGH, B.v. 21.2.2018 – 15 CS 17.2569 – juris Rn. 10).
So liegt es hier, da der Beigeladene den äußeren Zuschnitt des Vorhabengebäudes bis auf den Einbau zweier Schleppdachgauben auf dessen Traufseite zur … hin ausgerichtet – also auf der dem klägerischen Anwesen abgewandten Nordseite – unverändert lässt. Die beiden Schleppdachgauben sind jeweils 1,10 m breit, etwa einen Meter von der Traufe zurückgesetzt und weisen eine Traufhöhe von 7 m auf. Dabei ist die Seitenwand der westlichen, am nächsten zur Grundstücksgrenze zur Klägerin liegenden Gaube in etwa 3 m von dieser entfernt. Die direkt an die Giebelseite des klägerischen Anwesens anschließende Giebelseite des Beigeladenen-Vorhabens bleibt unverändert. Insofern sind keine nachteiligen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange, also insbesondere Belichtung, Belüftung, Besonnung und sozialen Wohnfrieden, durch das Bauvorhaben erkennbar.
Zu diesem Ergebnis führt auch der mit Gesetz vom 23. Dezember 2020 (GVBl. S. 663) mit Wirkung zum 1. Februar 2021 neu gefasste Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BayBO, nach dem bei der Bemessung der Abstandsflächen bei Gebäuden an der Grundstücksgrenze die Seitenwände von Vorbauten und Dachaufbauten, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden, außer Betracht bleiben. Diese Rechtsänderung liegt zwar nach dem grundsätzlich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblichen Datum des Erlasses der Baugenehmigung vom 26. März 2019, allerdings kann die nachträgliche Änderung der Rechtslage zugunsten des Bauherren im Lichte des Art. 14 GG berücksichtigt werden (BVerwG, B.v. 22.4.1996 – 4 B 54/96 – NVwZ-RR 1996, 628; Edenharter in Spannowsky/Manssen, BeckOK BauordnungsR Bayern, 17. Ed. 1.1.2021, Art. 66 BayBO Rn. 120).
c) Gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO ebenfalls im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfende beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO von Vorschriften, welche gerade die Klägerin schützen sollen, sind nicht ersichtlich. Der Beigeladene hat lediglich eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von den Abstandsflächen zum südlich und östlich angrenzenden Grundstück FlNr. … beantragt. Dies betrifft die Klägerin mit ihrem westlich an das Grundstück des Beigeladenen (FlNr. …*) angrenzenden Anwesen (FlNr. …*) nicht.
d) Schließlich liegt auch keine Verletzung der Klägerin in denkmalschutzrechtlichen Belangen vor, die hier wegen Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayDSchG Prüfungsgegenstand sind.
Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG bedarf der Erlaubnis, wer in der Nähe von Baudenkmälern Anlagen errichten, verändern oder beseitigen will, wenn sich dies auf den Bestand oder Erscheinungsbild eines der Baudenkmäler auswirken kann. Da das Anwesen der Klägerin in der … … wie auch das des Beigeladenen als Baudenkmäler geführt werden, war für das Bauvorhaben des Beigeladenen im Ausgangspunkt eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG erforderlich, da zumindest die Möglichkeit bestand, dass Auswirkungen auf Bestand und Erscheinungsbild des Baudenkmals der Klägerin auftreten. Ist ein Vorhaben baugenehmigungspflichtig, entfällt diese Erlaubnis gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayDSchG (formelle Konzentrationswirkung der Baugenehmigung). Jedoch sind die materiell-rechtlichen Anforderungen des Denkmalschutzgesetzes nunmehr im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfen. Diese formuliert Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG dahingehend aus, dass die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis versagt werden kann, „soweit das Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbilds oder der künstlerischen Wirkung eines Baudenkmals führen würde und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen“.
Allerdings kann sich die Klägerin im Rahmen der Nachbarklage auf denkmalschutzrechtliche Belange wiederum nur berufen, wenn und soweit diese Drittschutz vermitteln, also der Klägerin subjektive denkmalbezogene Rechte zuweisen (BayVGH, U.v. 25.6.2013 – 22 B 11.701 – juris Rn. 30). Für den Eigentümer eines Denkmals wird dies angenommen, wenn von dem beklagten Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung des Wesens, des überlieferten Erscheinungsbilds oder der künstlerischen Wirkung des Denkmals ausgeht und gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen (BayVGH a.a.O.). Zur Einschätzung des Denkmalwerts eines Baudenkmals und seiner Beeinträchtigung ist das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 BayDSchG berufene Fachbehörde. Deren Einschätzung kommt tatsächliches Gewicht zu, wenn sie auch keine rechtliche Bindung für die (Verwaltungs-)Gerichte bedeutet (BayVGH a.a.O. Rn. 33). Auf Anfrage des Gerichts, ob durch das nunmehr durchgeführte Bauvorhaben die Denkmaleigenschaft des klägerischen Anwesens beeinträchtigt sei, teilte das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege mit Schreiben vom 10. Februar 2021 im Wesentlichen mit, dass die entsprechend der Baugenehmigung durchgeführte Sanierung bzw. der Umbau im Gebäudeteil … * nach aktueller Aktenlage keine Auswirkung auf die Denkmaleigenschaft der Gebäudeteile … und … habe. Auf Grund seiner geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung erfülle das Objekt …, … und … weiterhin die Kriterien nach Art. 1 BayDSchG. Dieser fachlichen Einschätzung schließt sich das Gericht an und geht aufgrund dessen nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung des Baudenkmals der Klägerin aus. Zwar ist mit der Klägerseite zuzugeben, dass die durch den Beigeladenen eingebauten Dachgauben im Anwesen … * auf den zur Akte gereichten Fotos keinen historischen Charakter aufweisen und durchaus eine Beeinträchtigung des historischen Erscheinungsbildes mit sich bringen, aber eben keine erhebliche in Bezug auf die Klägerin, da die Denkmaleigenschaft nicht nur des klägerischen Gebäudes, sondern aller drei Anwesen (Nr., … und **) trotzdessen fortbesteht. Im Übrigen wird das Anwesen der Klägerin in denkmalschutzrechtlicher Hinsicht nicht durch die Renovierungen am Gebäude des Beigeladenen beeinträchtigt, allenfalls ließe sich diskutieren, ob der Beigeladene selbst die Denkmaleigenschaft verliert. Damit fehlt es auch an den gewichtigen Gründen des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes im Sinne der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs.
e) Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass die Standsicherheit ihres Gebäudes durch die Ausführung des Bauvorhabens des Beigeladenen, insbesondere durch die Dacherneuerung, gefährdet sei, macht sie rechtlich das Erfordernis der Standsicherheit gemäß Art. 10 Satz 3 BayBO geltend. Nach dieser Vorschrift darf die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes des Nachbargrundstückes nicht durch das streitgegenständliche Bauvorhaben gefährdet werden.
Art. 10 Satz 3 BayBO ist allerdings nicht Teil des Prüfprogrammes, welches der Beklagte im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu behandeln hätte. Die erteilte Baugenehmigung regelt die Standsicherheit nicht und musste es auch nicht, weswegen sich die Klägerin hierauf im Rahmen der Nachbarklage nicht berufen kann (BayVGH, B.v. 23.6.2017 – 15 ZB 17.58 – juris Rn. 14; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 66 Rn. 537). Im Übrigen vermittelt Art. 10 Satz 3 BayBO schon keinen Drittschutz, wenn sich die Gefährdung der Standsicherheit aus der Art und Weise der Bauausführung und nicht aus dem genehmigten Bauvorhaben als solchem ergibt (Nolte in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 10 BayBO Rn. 20).
Auch aus den Vorschriften zur Vorlage eines Standsicherheitsnachweises durch den Bauherren gemäß Art. 62, 62a BayBO, deren Geltung Art. 59 Satz 2 BayBO unberührt lässt, kann die Klägerin keinen Drittschutz ableiten. Zum einen ist die Vorlage des Standsicherheitsnachweises nach Art. 62, 62a BayBO keine Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO, sondern nur Voraussetzung für die Bauausführung (vgl. Art. 68 Abs. 6 Nr. 2, Abs. 7 Satz 3 BayBO; Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 59 BayBO Rn. 83). Zum anderen entfalten die Art. 62 bis 62b BayBO grundsätzlich keine drittschützende Wirkung, sondern dienen dem Schutz der Allgemeinheit (Weinmann in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 17. Ed. 1.6.2020, Art. 62 BayBO Rn. 47). Schließlich liegen überhaupt keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beigeladene zu Beginn der Bauausführung den Standsicherheitsnachweis nicht vorgelegt hätte.
Von alldem abgesehen hat die Klägerseite die gefährdete Standsicherheit des eigenen Gebäudes bislang nur behauptet und nicht substantiiert. Zwar gilt im Verwaltungsprozess gemäß § 86 Abs. 1 VwGO die Pflicht zur Amtsermittlung, jedoch musste sich dem Gericht hier nach dem Vortrag der Klägerin nicht aufdrängen, dass die Standsicherheit tatsächlich problematisch sein könnte.
d) Der von der Klägerin geltend gemachte rechtswidrige Überbau des Beigeladenen auf ihr Grundstück ist, sollte er überhaupt vorliegen, kein Belang der im Rahmen des (vereinfachten) Baugenehmigungsverfahrens und in Folge durch die Verwaltungsgerichte zu überprüfen ist. Die Baugenehmigung wird gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt, sprich sie trifft keine Aussage zur privatrechtlichen Realisierbarkeit des Bauvorhabens. Auch berechtigt eine erteilte Baugenehmigung den Bauherrn überhaupt nicht zum Überbau und belastet den Nachbarn insofern nicht. Die Klägerin muss einen Überbau freilich nicht wehrlos hinnehmen, sondern kann vor den Zivil-, nicht aber den Verwaltungsgerichten auf dessen Beseitigung hinwirken beziehungsweise, falls sie gemäß § 912 BGB zur Duldung des Überbaus verpflichtet ist, eine Geldrente einfordern (BayVGH, B.v. 11.7.2013 – 15 ZB 13.1238 – juris Rn. 6; Greim-Diroll in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 17. Ed 1.1.2021, Art. 68 BayBO Rn. 71 m.w.N.).
Soweit die Richtigkeit des sich aus dem Liegenschaftskatasterauszug ergebenden Grenzverlaufs zwischen den Grundstücken der Klägerin und des Beigeladenen seitens der Klägerin in Zweifel gezogen wird, ist zu bemerken, dass der Auszug aus dem Liegenschaftskataster von der Baugenehmigungsbehörde zu Grunde gelegt werden darf, wenn er nicht substantiiert bestritten wurde und keine konkreten Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit vorliegen. Ansonsten handelt es sich um eine zivilrechtliche Vorfrage (Greim-Diroll in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 17. Ed 1.1.2021, Art. 68 BayBO Rn. 75). Ein solches substantiiertes Bestreiten ist seitens der Klägerin nicht erfolgt. Schließlich wäre die von der Klägerseite angeführte Unrichtigkeit des Grenzverlaufs sowieso nur dann drittschützend und könnte sie sich im Rahmen der Nachbarklage auf sie berufen, wenn dadurch ein drittschützender baurechtlicher Belang berührt würde, wofür insbesondere die gemäß Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen in Betracht kommen, da sie grundsätzlich auf dem eigenen Baugrundstück liegen müssen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Da hier aber wegen der geschlossenen Bauweise der Anwesen … …, … und … von den jeweiligen Gebäuden zueinander keine Abstandsflächen eingehalten werden können und der Beigeladene dies aufgrund des im Wesentlichen gleichbleibenden Zuschnitts seines Anwesens sowie der Regelung des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 BayBO auch nicht muss (s.o. unter 1. b)), wäre auch bei einem wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung handschriftlich in den ausgedruckten Auszug aus dem BayernAtlas (zu den Akten genommen) eingezeichneten, leicht zu ihren Gunsten modifizierten Grenzverlauf zum Beigeladenengrundstück, keine Änderung der abstandsflächenrechtlichen Beurteilung angezeigt.
e) Schließlich kann auch das in § 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verortete Rücksichtnahmegebot der Klägerin nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit die Klägerin den Belang der Standsicherheit über das Gebot der Rücksichtnahme zur Geltung bringen möchte, ist ihr dies zum einen schon deshalb nicht möglich, weil die Gefährdung der Standsicherheit sich bislang in der reinen Behauptung derselben erschöpft (s.o.), zum anderen ist das Rücksichtnahmegebot keine allgemeine Härtefallklausel, die über den Vorschriften des öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften, hier entweder nach § 34 Abs. 1 BauGB – Gebot des Einfügens in die nähere Umgebung – oder § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO, der eine Ausprägung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung darstellt (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 34 BauGB Rn. 65). Insofern ist die klägerseits befürchtete Gefährdung der Standsicherheit des eigenen Gebäudes kein im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu prüfender Belang (BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2582 – juris Rn. 2).
Auch ansonsten ist angesichts der obigen Ausführungen insbesondere zum Denkmalschutz, dem Überbau und dem Grenzverlauf nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Gebot der Rücksichtnahme verletzt sein könnte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem der Beigeladene einen Antrag gestellt, sich konstruktiv am Verfahren beteiligt und sich damit dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten ersetzt erhält, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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