Baurecht

Bauvorbescheid für ein Einfamilienhaus mit Doppelgarage

Aktenzeichen  M 1 K 18.4466

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32654
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
VwGO § 42 Abs. 1, § 67 Abs. 2 S. 1, § 75 S. 2
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 23 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Im unbeplanten Innenbereich ist bei der Festlegung der überbaubaren Grundstücksfläche der maßgebliche Bereich idR enger zu begrenzen als bei der Art der baulichen Nutzung.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Besteht bei nebeneinanderliegenden Grundstücken die Besonderheit, dass sich die östlichen Außenwände der Baukörper in einer Flucht befinden und die Gebäude nahezu in einer Linie stehen, kann angenommen werden, dass es sich um eine rahmengebende faktische Baulinie handelt, an der sich auch hinzutretende Bebauung orientieren muss. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bodenrechtlich beachtliche Spannungen werden begründet oder erhöht, wenn das Bauvorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unzulässig (I.). Sie wäre überdies unbegründet (II.).
I.
Die Verpflichtungsklage, die sich in Form der Versagungsgegenklage gegen den Ablehnungsbescheid vom 8. August 2018 wendet, ist unzulässig. Die Klägerin (vgl. unter 1.) verfügt nicht über das erforderliche Rechtschutzbedürfnis (vgl. 2.).
1. Klägerin ist die Vorerbin, die im gerichtlichen Verfahren durch den Rechtsanwalt und Testamentsvollstrecker vertreten wird. Der Rechtsanwalt und Testamentsvollstrecker hat ausweislich der Klageschrift vom *. September 2018 nicht in eigenem Namen Klage erhoben, sondern handelt in Vertretung der Klägerin (§ 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dies ergibt sich aus der in der Klageschrift bezeichneten Partei („In Sachen … … […] vertreten durch den Testamentsvollstrecker […], Herrn RA … … […]“) sowie aus der Formulierung „Namens und in Vollmacht der Klägerin erhebe ich hiermit Klage […]“.
2. Die Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage setzt nach § 42 Abs. 1 VwGO voraus, dass der Kläger vor Klageerhebung bei der Behörde den entsprechenden Antrag gestellt hat, auf den sich sein Verpflichtungsbegehren im Klageantrag bezieht. Dies ergibt sich etwa aus der Regelung des § 75 Satz 2 VwGO, wonach eine Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes erhoben werden kann. Hingegen fehlt einer Klage das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Kläger vor Erhebung der Klage noch keinen derartigen Antrag bei der Behörde gestellt hat.
Den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids hat nicht die Klägerin, sondern ihr im gerichtlichen Verfahren bevollmächtigter Vertreter – im Antragsformular bezeichnet als Rechtsanwalt und Testamentsvollstrecker – gestellt (vgl. Blatt 2 ff. der Behördenakte). Es ist dem Antragsformular gerade nicht zu entnehmen, dass dies in Vertretung der Klägerin erfolgte, vielmehr wird ihr Name überhaupt nicht genannt. Die Unterschrift des Antrags erfolgte unter Ankreuzen des Kästchens „Antragsteller/Bauherr“ und gerade nicht des Kästchens „Vertreter“. Daher erging der ablehnende Bescheid zutreffend an den Testamentsvollstrecker. Da dieser Bescheid nicht vom Adressaten angegriffen wurde, sondern unbehelflich von der Klägerin als Dritte, ist dieser nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in Bestandskraft erwachsen.
II.
Ohne dass es hiernach noch darauf ankommt, wäre die Klage auch unbegründet.
Die Klägerin hätte keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), mit dem die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach Art. 71 Satz 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) BayBO i.V.m. mit §§ 29 ff. BauGB abgefragt wurde. Denn das Vorhaben wäre planungsrechtlich nicht zulässig.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung eines Einfamilienhauses samt Garagen auf dem östlichen Grundstücksteil der FlNr. 350/5 Gem. … richtet sich nach § 34 BauGB, weil es sich in der maßgeblichen Umgebung um unbeplanten Innenbereich handelt.
Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nur zulässig, wenn es sich (auch) hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ausnahmsweise kann auch ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben zulässig sein, wenn es trotz der Überschreitung keine bodenrechtlich beachtlichen, städtebaulichen Spannungen hervorruft.
Das Vorhaben fügt sich bei Betrachtung der hier maßgeblichen näheren Umgebung (vgl. unter 1) hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksgrenzen wegen einer faktischen Baulinie (2.) nicht in die nähere Umgebung ein. Das Vorhaben ist auch nicht ausnahmsweise zulässig, weil es bodenrechtliche Spannungen hervorrufen würde (3.).
1. Welcher Bereich als nähere Umgebung maßgebend ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits die Ausführung des geplanten Vorhabens auf die benachbarte Bebauung und andererseits diese Bebauung auf den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägend auswirken. Dabei ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen. Bei der überbaubaren Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als etwa bei der Art der baulichen Nutzung, weil die von den überbauten Grundstücksflächen ausgehende Prägung in ihrer Reichweite im Allgemeinen hinter den von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkungen zurückbleibt (BayVGH, B.v. 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 19; VG München, U.v. 29.11.2016 – M 1 K 16.3789 – juris Rn. 17). Es ist stets eine Einzelfallbetrachtung anzustellen.
Nach den Erkenntnissen des Augenscheins hält die Kammer den Bereich westlich des H* …wegs von dem südlich gelegenen Grundstück FlNr. 350/8 bis zum nördlich gelegenen Grundstück FlNr. 350, wiederum nach Westen begrenzt durch die Bahnlinie, als nähere Umgebung maßgeblich. Der Eindruck vor Ort bestätigte die Regel, dass der für die überbaubare Grundstücksfläche maßgebliche Bereich enger zu ziehen ist und die gegenüberliegende Straßenseite insoweit unbeachtlich ist. Wenngleich der H* …weg eine untergeordnete, schmale Straße darstellt, ist gleichwohl eine deutliche Trennung zu den östlich gelegenen Grundstücken wahrzunehmen. Die in diesem Bereich vorhandene Bebauung weist eine deutlich wahrnehmbare Heterogenität im Hinblick auf ihre Lage auf und unterscheidet sich damit von dem Bereich westlich des H* …wegs. Dieser Bereich ist geprägt durch einreihige Bebauung in ähnlichem Abstand zueinander und zur Straße. Ferner ist der Bereich östlich des H* …wegs auch deswegen nicht mit dem westlich gelegenen Bereich vergleichbar, weil jener über eine weitere Erschließungsmöglichkeit über die östlich verlaufende K* …straße verfügt. Unmaßgeblich ist ferner das Grundstück FlNr. 350/2 angesichts seiner beträchtlichen Entfernung von etwa 100 m zum Vorhabengrundstück. Es ist überdies durch seine Situierung nicht vergleichbar, weil es nicht westlich des H* …wegs liegt, sondern jenseits eines Wendehammers.
2. In dem so gefundenen maßgeblichen Bereich der näheren Umgebung fügt sich das Bauvorhaben im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche nicht ein. Beim Augenschein hat sich für die Kammer ergeben, dass eine faktische Baulinie vorhanden ist, mit der das Bauvorhaben nicht vereinbar ist.
Bei der überbaubaren Grundstücksfläche kann zur Konkretisierung dieser Anforderungen auf die Vorschrift des § 23 BauNVO als Auslegungshilfe zurückgegriffen werden (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, 138. EL Mai 2020, BauGB, § 34 Rn. 38).
Die Hauptbaukörper H* …weg Hausnummern 1 bis 13 schaffen eine einheitliche städtebauliche Situation, die einen Bereich kennzeichnet, der unbebaut bleiben soll. Sie bilden mit ihren östlichen Außenwänden eine faktische Baulinie für Hauptgebäude (vgl. § 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Es handelt sich bei der Stellung der Gebäude um eine städtebaulich verfestigte Situation und kein bloßes Zufallsprodukt ohne eigenen Aussagegehalt (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 12 m.w.N.). Sowohl auf dem Vorhabengrundstück, als auch bei den anderen nördlich und südlich sich anschließenden Grundstücken besteht die Besonderheit, dass sich die östlichen Außenwände der Baukörper in einer Flucht befinden. Die Gebäude stehen nahezu auf einer Linie; die sich östlich davon erstreckenden Garten-/Zufahrtsflächen sind durchgehend von Hauptbaukörpern freigehalten. Die vorgefundene Situation genügt zur Annahme, dass es sich um eine rahmengebende faktische Baulinie handelt, an der sich auch hinzutretende Bebauung orientieren muss. Die Vegetation hat hierbei außer Betracht zu bleiben. Die geringfügigen Abweichungen von der deutlich wahrnehmbaren Linie, die etwa auf den Grundstücken FlNrn. 350/3, 350/4 sowie 350/8 zu verzeichnen sind, hält das Gericht nach dem Eindruck beim Augenschein nicht für maßgeblich. Dies wird auch in Anlehnung an die Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 BauNVO bestätigt, wonach ein Vor- und Zurücktreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden kann; ferner durch die Regelung in § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, wonach Nebenanlagen auch auf nicht bebaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden können.
3. Da das Vorhaben nicht an dieser gedachten Linie orientiert ist, hält es den vorhandenen Rahmen nicht ein. Es würde bodenrechtlich bewältigungsbedürftige Spannungen verursachen, sodass es auch nicht ausnahmsweise zulässig ist.
Bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen werden begründet oder erhöht, wenn das Bauvorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen. Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens für andere Bauvorhaben auf Nachbargrundstücken in vergleichbarer Lage aus (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 17 m.w.N.). Hier wäre eine solche Wirkung gegeben, weil die Zulassung des begehrten Vorhabens eine Vorbildwirkung auf die benachbarten Grundstücke hätte. Das Vorhaben, mit dem erstmals eine weitere Baureihe auf der vorderen Grundstücksfläche eröffnet würde, zöge ähnliche Bauwünsche auf den vergleichbaren Grundstücken nördlich und südlich nach sich.
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht billigerweise erstattungsfähig, weil die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich damit auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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