Baurecht

Beeinträchtigung eines Denkmals (Lagermauer mit Wachturm einer KZ-Gedenkstätte) durch Bebauuung

Aktenzeichen  M 11 K 16.1981

Datum:
19.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 Satz 2
BauGB BauGB Art. 6 Abs. 1 Satz 2
BauGB BauGB Art. 6 Abs. 2 Satz 2
BayBO BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1. Einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme kann hinsichtlich denkmalschutzrechtlicher Belange nur angenommen werden, wenn die Bebauung an der konkreten Stelle an sich zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der denkmalschutzrechtlichen Belange führte. Dies wäre lediglich dann denkbar, wenn ein Denkmal durch einen Neubau unabhängig davon beeinträchtigt wird, um was für ein Denkmal es sich im konkreten Fall handelt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Beeinträchtigung des Ortsbildes kann nicht darauf gestützt werden, dass jedwede Bebauung an einer bestimmten Stelle das Ortsbild beeinträchtigt. § 34 Abs. 1 BauGB ermöglicht es nicht, zum Schutz des Ortsbildes die vollständige Freihaltung eines Grundstücks im Innenbereich zu verlangen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund des besonderen Wesens eines Baudenkmals “Lagermauer mit Wachturm” eines ehemaligen Konzentrationslagers führt jedwede Wohnbebauung unabhängig von ihren optischen Auswirkungen an einer Stelle, die die beherrschende Stellung des Wachturms deutlich aufweicht, zu einer Beeinträchtigung des Wesens bzw. des überlieferten Erscheinungsbildes des Denkmals. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Unter Aufhebung von Nr. 1 des Bescheids vom 10.03.2016 wird die Beklagte verpflichtet, Frage 1 des Antrags auf Vorbescheid vom 14.07.2015 dahingehend zu beantworten, dass das im beigefügten Antragsplan dargestellte Doppelhaus mit einer Grundfläche von 144 Quadratmetern und 2 Vollgeschossen planungsrechtlich zulässig ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.
1. Hinsichtlich Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist die zulässige Klage begründet.
Die Klägerin hat, auf die zulässige Fragestellung im Vorbescheidsantrag hin, einen Anspruch auf Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Der Ablehnungsbescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO).
Das streitgegenständliche Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 34 BauGB zu beurteilen. Östlich und südlich schließt sich unmittelbar Wohnbebauung an. Im Westen wird das Geviert durch die … begrenzt, die insoweit eine topographische Grenze darstellt.
Das Vorhaben fügt sich auch gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Vorliegend spricht vieles dafür, dass die Lagermauer mit Gedenkstätte nach Norden hin eine Zäsur darstellt, sodass hinsichtlich der Gedenkstätte einerseits und der südlich angrenzenden Wohnbebauung andererseits von zwei unterschiedlichen faktischen Gebieten auszugehen ist, sodass das Einfügen der Art nach unproblematisch zu bejahen ist. Allerdings kann dies letztlich offenbleiben, da auch bei Vorliegen einer Gemengelage sich das Vorhaben der Art der Nutzung nach einfügen würde und jedenfalls davon auszugehen ist, dass sich die Wohnbebauung aufgrund ihres Gewichts im vorliegenden Bereich keinesfalls als Fremdkörper darstellt.
Auch ist das Vorhaben nicht wegen Verstoßes gegen das aus dem Merkmal des „Einfügens“ nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abgeleitete Gebot der Rücksichtnahme unzulässig. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kann allein auf bodenrechtliche Gesichtspunkte gestützt werden. Die Beeinträchtigung eines Denkmals durch Bebauung in unmittelbarer Umgebung, die zu einer Beeinträchtigung des Wesens des konkreten Denkmals führen kann, ist allerdings ein rein denkmalschutzrechtlicher Aspekt, dessen Regelung in der Kompetenz des Landesgesetzgebers liegt. So liegt der Fall aber hier. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot und mithin Bauplanungsrecht kann nur angenommen werden, wenn die Nutzung des Grund und Bodens, mithin die Bebauung an der konkreten Stelle an sich zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung denkmalschutzrechtlicher Belange führt. Dies wäre – wenn überhaupt – lediglich dann denkbar, wenn ein Denkmal durch eine Neubebauung unabhängig des Umstands beeinträchtigt wird, um was für ein Denkmal es sich im konkreten Fall handelt, wenn also eine Beeinträchtigung ohne Ansehen des jeweils konkreten Denkmals bejaht werden könnte. Dies ist aber vorliegend gerade nicht der Fall. Eine Beeinträchtigung (s.u.) wird hier gerade nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls, nämlich des Wesens des konkreten Denkmals „Ensemble Ehemaliges Konzentrationslager“ bzw. des Einzeldenkmals „Lagermauer mit Wachturm“ und der damit verbundenen Geschichte und Wirkung angenommen. Aus denkmalschutzrechtlicher Sicht wären bei einer – unterstellten – anderen Art eines Denkmals, beispielsweise einer Kirche, andere denkmalschutzrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen und ausschlaggebend. Es ist daher gerade nicht ersichtlich, warum planungsrechtlich eine Bebauung dieses Grundstücks von vorneherein zu einer Beeinträchtigung jedweden Denkmals führen würde.
Auch ist eine Ortsbildbeeinträchtigung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. BauGB durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht gegeben. Denn jedenfalls kann eine Beeinträchtigung des Ortsbildes nicht darauf gestützt werden, dass jedwede Bebauung an einer bestimmten Stelle das Ortsbild beeinträchtigt. § 34 Abs. 1 BauGB ermöglicht es nicht, zum Schutz des Ortsbildes die vollständige Freihaltung eines Grundstücks im Innenbereich zu verlangen (BVerwG, U. v. 23.05.1980 – IV C 79.77 – juris Rn. 15).
Der Klage war daher insoweit stattzugeben.
2. Hinsichtlich Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids ist die zulässige Klage unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 DSchG.
Frage 2 kann so ausgelegt werden, dass im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 Satz 1 DschG, Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO eine bindende Entscheidung begehrt wird, ob eine Baugenehmigung erteilt werden wird oder die Erteilung einer Baugenehmigung aus denkmalschutzrechtlichen Gründen versagt werden wird.
Allerdings besteht auch insoweit kein Anspruch auf Feststellung, dass im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens denkmalschutzrechtliche Gründe der Erteilung einer Baugenehmigung nicht entgegenstehen.
Die Kammer hat im Rahmen des Ortstermins die Örtlichkeit und den Vorhabenstandort aus verschiedenen Blickwinkeln in Augenschein genommen, nämlich auf dem Vorhabengrundstück selbst, aus dem Inneren der Gedenkstätte und auch von dem Bereich vor dem Besucherzentrum aus, also dem Bereich, den die Besucher vom Parkplatz zum …haus entlanggehen.
In diesem Rahmen hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, dass sowohl das BLfD in seiner Stellungnahme vom 13. Mai 2015 als auch die Beklagte im Ablehnungsbescheid vom 10. März 2016 zu Recht davon ausgegangen sind, dass das Vorhaben gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG zu einer Beeinträchtigung des Wesens bzw. des überlieferten Erscheinungsbildes des Denkmals „Lagermauer mit Wachturm“ führen würde und dass gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustandes sprechen. Die insoweit vom Landesamt geäußerten Bedenken treffen zu. Der Wachturm und die Lagermauer sind die ersten authentischen Bauwerke des ehemaligen Lagers, die Besucher, vom Besucherzentrum aus kommend, erblicken. Wohnbebauung in diesem Bereich wirkt in der Tat störend auf die überlieferte Topographie. Aus dem Inneren der Gedenkstätte würde die geplante Bebauung insbesondere den südwestlichen Wachturm entwerten, da zwischen ihm und der übrigen Wohnbebauung im Osten noch ein wesentlicher Abstand besteht und auch die Bebauung im Süden, wenn sie auch höher als das geplante Gebäude ist, dennoch erkennbar deutlich weiter entfernt und damit abgerückt ist. Der Wachturm nimmt also, trotz der bereits vorhandenen Wohnbebauung, immer noch eine deutlich exponierte Stellung ein. Insbesondere springt er aufgrund des Abstands der bereits vorhandenen Wohnbebauung, sowohl in östlicher als auch in südlicher Richtung, unvermittelt vom angrenzenden Mauerbereich deutlich in die Höhe und nimmt daher eine beherrschende Stellung der Szenerie in diesem Bereich ein. Durch die Realisierung des streitgegenständlichen Vorhabens, dessen gesamtes Obergeschoss deutlich unmittelbar hinter der Mauer erkennbar wäre, würde diese beherrschende Stellung des Wachturms aufgrund der Reduzierung des wahrgenommenen Höhenunterschieds zur unmittelbaren Umgebungsbebauung deutlich aufgeweicht. Die Verwirklichung des streitgegenständlichen Vorhabens würde also, trotz der bereits bestehenden Wohnbebauung, zu einer weiteren, deutlich spürbaren Beeinträchtigung des Wesens und des überlieferten Erscheinungsbildes des Denkmals führen. Diese Beeinträchtigung wird auch nicht durch die von der Klägerin beabsichtigte rücksichtsvolle Gestaltung und die insoweit beabsichtigten architektonischen Maßnahmen abgefangen. Die Kammer teilt die Auffassung, dass aufgrund des besonderen Wesens dieses Denkmals jedwede Wohnbebauung unabhängig von ihren optischen Auswirkungen an dieser Stelle zu einer Beeinträchtigung i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG führen würde. Insbesondere ist somit auch der Baumbestand von vorneherein nicht geeignet, eine Beeinträchtigung i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG auszuschließen.
Zwar kann, trotz Vorliegen des Tatbestandes, eine Erlaubnis nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG nach pflichtgemäßer Ermessensausübung erteilt werden. Vorliegend ist allerdings nicht ersichtlich, warum das eröffnete Ermessen zugunsten der Klägerin in Richtung der Erteilung einer Erlaubnis auf Null reduziert sein sollte.
Auch steht der Klägerin kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, da die Beklagte im Rahmen der Beantwortung der Frage 2 im streitgegenständlichen Bescheid das ihr eingeräumte Ermessen erkennbar ausgeübt hat und auch keine Ermessensfehler ersichtlich sind. Insbesondere sind auch die Interessen der Klägerin nicht aufgrund der beabsichtigten „architektonischen Zurückhaltung“ im Verhältnis zum Interesse der Allgemeinheit falsch gewichtet worden, da jedwede Bebauung, unabhängig von der äußeren Gestaltung der baulichen Anlagen zu einer Beeinträchtigung i.S.d. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 DSchG führen würde.
Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da beide Parteien je zur Hälfte obsiegen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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