Baurecht

Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur Höhenkote

Aktenzeichen  M 1 K 19.4109

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26832
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Bei den Festsetzungen zur maximal zulässigen Oberkante des fertigen Fußbodens (Höhenkote) handelt es sich um einen tragenden Grundsatz des Planungskonzepts, wenn der Bebauungsplan für sämtliche Parzellen der Grundstücke Festsetzungen zur Höhenkote enthält und die Gemeinde damit deutlich gemacht hat, dass dem gesamten Baugebiet eine planerische Festlegung beigemessen werden soll. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Klage, die darauf gerichtet ist, den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids zur Erteilung der Baugenehmigung zu verpflichten, hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Die Ablehnung war rechtmäßig, da den Klägern kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung unter Befreiung der Festsetzungen über die Höhenkote zusteht, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Das sich im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans befindende Vorhaben ist nicht genehmigungsfähig, da es den Festsetzungen des Bebauungsplans „…-Ort“ hinsichtlich der dort festgesetzten Höhenkote widerspricht, § 30 Abs. 1 BauGB. Unstreitig weicht das klägerische Gebäude von der festgesetzten Höhenkote um 0,48 m ab.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Befreiung von dieser Festsetzung des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB. Danach kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe des Wohls der Allgemeinheit, einschließlich der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung und des Bedarfs zur Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden, die Befreiung erfordern, die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Die Erteilung einer Befreiung von der maximal zulässigen Höhenkote berührt bereits die Grundzüge der Planung.
Was die Grundzüge der Planung sind, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Befreiung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 31 Rn. 29). Das planerische Grundkonzept ist das als Ausfluss der gemäß Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Planungshoheit den Gemeinden zuzurechnende Gesamtkonzept, das sich in den einzelnen Festsetzungen des Bebauungsplans manifestiert und bestimmte Planungsziele verfolgt. Die Grundzüge der Planung sind insbesondere dann berührt, wenn dieselbe städtebauliche Situation bei allen oder jedenfalls einer großen Zahl von Grundstücken gegeben ist, sodass bei diesen mit derselben Berechtigung eine Befreiung erfolgen könnte (BayVGH, U.v. 19.10.1988 – 15 B 97.337 – juris Rn. 27).
a) Bei den Festsetzungen zur maximal zulässigen Oberkante des fertigen Fußbodens (Höhenkote) handelt es sich um einen tragenden Grundsatz des Planungskonzepts. Der Bebauungsplan enthält für sämtliche Parzellen der Grundstücke FlNr. 113, 113/12, 113/13 und 113/14 Festsetzungen zur Höhenkote gemäß §§ 16 Abs. 2 Nr. 4, 18 BauNVO. Damit hat die Gemeinde deutlich gemacht, dass dem gesamten Baugebiet eine planerische Festlegung beigemessen werden soll.
Entgegen der Auffassung des Klägervertreters war Motivation der Gemeinde zur einschlägigen Änderung des Bebauungsplans nicht lediglich die Vermeidung eines größeren Niveauunterschieds zur bestehenden nördlichen Bebauung. Dies stellt nur einen Teil der Begründung zur 15. Änderung des Bebauungsplans dar. Der Gemeinde kam es vielmehr gleichermaßen darauf an, dass sich die Bebauung an das natürliche Geländeniveau auf sämtlichen Grundstücken anpasst, also auch die Bebauung auf dem Grundstück der Kläger, wie die Begründung („und“) zeigt. Unerheblich ist damit die konkrete Lage des klägerischen Grundstücks innerhalb des Gebiets. Dieses Ziel konnte nur durch die Festlegung einer maximal zulässigen Höhenkote für sämtliche Parzellen des Grundstücks FlNr. 113 erreicht werden.
b) Nicht von Belang für die Beurteilung des planerischen Grundkonzepts ist die 13. Änderung des Bebauungsplans, ausgefertigt am 14. Dezember 2004. Maßgeblich für die Beurteilung des planerischen Grundkonzepts der Gemeinde ist allein der planerische Wille der jeweiligen Bebauungsplanänderung. Etwaige vorangegangene Fassungen entfalten keinerlei Wirkung für die Zukunft, da sich nur in der jeweils gültigen Fassung des Bebauungsplans die aktuelle planungsrechtliche Motivation der Gemeinde manifestiert. Jede Änderung eines gültigen Bebauungsplans stellt gleichzeitig die Änderung eines bestehenden bzw. die Aufstellung eines neuen planerischen Grundkonzepts dar.
c) Entgegen der Ansicht des Klägervertreters führt auch der Verweis auf das Nachbargebäude FlNr. 113/14 zu keiner anderen Beurteilung.
Dies folgt schon daraus, dass das Nachbargebäude bereits unter Geltung der 13. Änderung des Bebauungsplans errichtet wurde. Der klägerische Einwand, der Bebauungsplan in seiner 15. Änderung sei funktionslos und damit unwirksam, weil das Nachbargebäude die Höhenkote der 15. Änderung nicht einhält, führt zu keinem Widerspruch zu der Festsetzung. Vielmehr kann dies gerade zur Bestätigung des planerischen Grundkonzepts herangezogen werden, da die Gemeinde – trotz Kenntnis oder Unkenntnis von der Situation des Nachbargebäudes – für sämtliche Parzellen konkrete Höhenkoten festlegte. Die Baufirma konnte nicht davon ausgehen, der Bebauungsplan in der 15. Änderung sei unwirksam, da das Nachbarsgebäude die Höhenkote nicht einhielt. Die Kläger als Bauherrn bzw. die anderen am Bau Beteiligten tragen die Verantwortung für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften, Art. 49 BayBO.
d) Das Landratsamt als Genehmigungsbehörde war schließlich nicht an das Einvernehmen der Gemeinde gebunden.
Die Ansicht des Klägervertreters, dass die Genehmigungsbehörde das von der Gemeinde erteilte Einvernehmen zu berücksichtigen habe und sich nicht über diese Entscheidung hinwegsetzen könne, verkennt, dass es Aufgabe der Baugenehmigungsbehörde ist, die jeweiligen rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen. Insbesondere hindert das gemeindliche Einvernehmen die Genehmigungsbehörde nicht. Zwar kann ohne das erforderliche Einvernehmen der Gemeinde die Baugenehmigung nicht erteilt werden, § 36 Abs. 1 BauGB. Andererseits bedeutet die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nicht, dass die Bauaufsichtsbehörde eine beantragte Genehmigung zwangsläufig erteilen muss. Sie muss vielmehr auch selbständig prüfen, ob die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt sind („2-Schlüssel-Prinzip“) (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 36 Rn. 6; BVerwG, B.v. 16.12.1969 – IV B 121/69). Ausdruck der gem. Art. 28 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierten Planungshoheit der Gemeinde ist der allgemeingültige Bebauungsplan in seiner jeweiligen Fassung und nicht die lediglich einzelfallbezogene Erteilung des Einvernehmens. Für eine solche unabhängige Beurteilung durch die Genehmigungsbehörde spricht schließlich auch die Möglichkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach Art. 67 BayBO. Der Möglichkeit der Ersetzung bedürfte es nicht, wenn die Baugenehmigungsbehörde an die Entscheidung der Gemeinde gebunden wäre.
e) Diese planerischen Grundzüge würden durch die Erteilung der Baugenehmigung unter Befreiung von der Festsetzung berührt. Die Befreiung würde einen Bezugsfall schaffen und bodenrechtliche Spannungen auslösen, da weiteren Grundstückseigentümern eine Befreiung nicht mehr ohne weiteres verwehrt werden könnte (vgl. VG München, U. v. 6. April 2017 – M 11 K 16.1253 – juris Rn. 28). Im Ergebnis handelt es sich daher um eine erhebliche Abweichung von der planerischen Grundkonzeption des Bebauungsplans, die nicht über eine Befreiung, sondern nur im Wege einer Planänderung verwirklicht werden kann.
Auf die weiteren Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB kam es danach nicht an.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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