Baurecht

Berufung, Wohnnutzung, Bescheid, Zulassung, Zulassungsantrag, Nutzung, Abgrenzung, Entfernung, Bedeutung, Berufungsverfahren, Tatsachenfrage, Absturzsicherung, Dachterrasse, Beweiserhebung, Zulassung der Berufung, baulichen Nutzung, keinen Erfolg

Aktenzeichen  2 ZB 20.1803

Datum:
8.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1974
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

Au 4 K 20.168 2020-06-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt wurden (§ 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Erstgerichts, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hat und er durch die Ablehnung nicht in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a) Der Kläger hält zunächst den vom Erstgericht gezogenen Rahmen für die maßgebliche nähere Umgebung für zu eng. Die Gebäude H-Straße 50, 58 und 64 seien nicht miteinbezogen worden. Insbesondere wiesen die Gebäude 58 und 64 voluminöse Dachaufbauten auf, die eine Wohnnutzung bis in den vierten Stock auswiesen.
Maßgebliche nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB ist nach der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – NVwZ 2019, 1456), insoweit sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei sind die Grenzen nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris). Die nähere Umgebung ist für jedes der Merkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesondert zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 – NVwZ-RR 1998, 539; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246). Im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Art der baulichen Nutzung (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 2 ZB 14.1965 – juris). Entscheidend ist bei der Abgrenzung der näheren Umgebung die Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die vom Erstgericht getroffene Abgrenzung der näheren Umgebung nicht zu beanstanden. Das Erstgericht hat seine Abgrenzung insbesondere anhand des eingereichten Lageplans und nach den im Rahmen einer Beweiserhebung durch einen Augenschein durch den Berichterstatter gewonnenen Eindrücken, welche dieser der Kammer anhand der gefertigten Lichtbilder vermittelte, getroffen. Das Erstgericht hat dabei ausgeführt, dass jedenfalls nach dem Gebäude 38b durch den bei der Kirche vorhandenen Grünstreifen eine städtebauliche Zäsur vorliegt. Dabei wurde bereits die Einbeziehung der Gebäude 36 bis 38b als zweifelhaft betrachtet. Bereits bis zur Stichstraße bei den Gebäuden 30 bis 34 beträgt die Entfernung zum klägerischen Grundstück mehr als 100 m. Die vom Kläger angeführten Gebäude 50, 58 und 64 (jeweils H-Straße) liegen noch um das Doppelte weiter entfernt und sind zudem durch die sich von Süden nähernde Bahnlinie geprägt. Eine Prägung des klägerischen Grundstücks kann bei dieser Entfernung und zudem städtebaulich unterschiedlichen Struktur nicht mehr angenommen werden.
b) Das Gebäude fügt sich im Ergebnis nicht in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein. Das ist nur dann der Fall, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – BVerwGE 157,1). Auch dies ist eine Frage des Einzelfalls. Die bauordnungsrechtliche Absturzsicherung einer Dachterrasse kann sich dabei auf die Höhe eines Gebäudes auswirken ebenso wie beispielsweise eine Attika oder andere Dachaufbauten abhängig von deren Größe. Entsprechend sind solche Bauteile auch abstandsflächenrelevant (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 2 ZB 18.267 – n.v.; B.v. 26.3.2015 – 2 ZB 13.2395 – juris).
Bereits die Beklagte hat im angegriffenen Bescheid festgestellt, dass dem erst kürzlich genehmigten klägerischen Gebäude das größtmögliche Ausmaß in Kubatur und Höhenentwicklung zugrundlag, das gerade noch genehmigungsfähig war. Mit der nun geplanten Dachterrasse wird die Höhe nochmals um die 0,90 m der erforderlichen Absturzsicherung aufgestockt. Diese reicht an der Nord- und Südseite zudem bis auf 1 m bzw. 1,10 m an die geplante Gebäudekante heran, so dass diese jedenfalls von Norden und Süden her gut sichtbar in Erscheinung tritt. Auch auf der Ostseite beträgt der Abstand zur Gebäudekante des darunterliegenden Terrassengeschosses lediglich 2,265 m. Lediglich nach Westen hin ist der Abstand zur Gebäudekante mit 5,265 m etwas größer. Dazu kommt, dass in der Regel bei einer Dachterrasse im Rahmen der Nutzung nicht genehmigungspflichtige schattenspendende Einrichtungen wie Sonnensegel oder Sonnenschirme den optischen Eindruck im Hinblick auf die Höhe des Gebäudes noch erhöhen. Hierdurch ergibt sich bei einer wertenden Gesamtbetrachtung für die nähere Umgebung eine geschossähnliche Wirkung der Dachterrasse (vgl. VG München, U.v. 3.12.2012 – M 8 K 11.5745 – juris), welche im Rahmen der Höhenentwicklung beim Maß der baulichen Nutzung zu berücksichtigen ist. In diese Gesamtbetrachtung fließt zudem ein, dass die nötige Absturzsicherung von allen Seiten her gut sichtbar sein wird und mit einem Gesamtmaß von 8,86 m mal 5,43 m keinen lediglich untergeordneten Dachaufbau mehr darstellt. Vielmehr nimmt die geplante Dachterrasse samt ihrer Absturzsicherung einen beträchtlichen Teil des Flachdachs ein. Es handelt sich außerdem bei der Absturzsicherung nicht um einen bloßen technischen Aufbau, wie z.B. eine Aufzugsüberfahrt, Technikräume oder Oberlichter, die in der Regel auf Flachdächern vorkommen und gegenüber der Gebäudekubatur untergeordnet sind (vgl. VG München, U.v. 3.12.2012 – M 8 K 11.5745 – juris).
c) Ernstliche Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass das Erstgericht davon ausgeht, dass keine Referenzobjekte in der Nähe vorhanden seien. Der Kläger will solche Referenzobjekte in den Gebäuden F-Straße 31 und 33 sehen. Bei diesen Gebäuden gibt es Dachterrassen, allerdings nur auf der Höhe des obersten Terrassengeschosses und nicht auf dem das Gebäude abschließenden Flachdach. Auch beim bereits genehmigten Gebäude des Klägers ist eine Dachterrasse auf der Ebene des Terrassengeschosses genehmigt worden. Referenzobjekte für Dachterrassen auf dem das Gebäude abschließende Flachdach nennt auch der Kläger nicht. Dachterrassen auf einem Terrassengeschoss zählen zu diesem Geschoss und sind nicht Bestandteil eines das Gebäude abschließenden Gebäudeteils.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, diese höchstrichterlich oder – bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen – durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.10.2010 – 14 ZB 09.1289 – juris). Gemessen an diesen Grundsätzen liegt kein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Der Kläger hält es für grundsätzlich bedeutsam,
ob die beabsichtigte Nutzung eines Flachdachs als Dachterrasse mit bauordnungsrechtlicher Absturzsicherung im Rahmen der Prüfung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB ein maßstabbildendes Kriterium ist.
Die Frage ist in der Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Ein Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es dort Referenzobjekte gibt, die bei einer wertenden Gesamtbetrachtung von Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung auch nach dem Verhältnis zur Freifläche, vergleichbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – BVerwGE 157,1). Ob und inwieweit eine Dachterrasse mit bauordnungsrechtlicher Absturzsicherung im Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung zu berücksichtigen ist, hängt zudem vom konkreten Einzelfall ab und ist einer allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich. Dabei kann die Höhe der Absturzsicherung und deren genaue Platzierung auf dem Dach und der Umfang der Dachterrassennutzung eine Rolle spielen. Im Übrigen kommt es nicht nur auf die Nutzung an, sondern auch auf damit verbundenen baulichen Einrichtungen. Die Frage stellt sich daher für den Senat nicht in entscheidungserheblicher Form.
Weiter hält es der Kläger für grundsätzlich bedeutsam,
ob bei uneinheitlicher, ohne eine Planungsabsicht erkennbare vorhandene Bebauung die nähere Umgebung für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB weiter zu fassen ist, als bei einer einheitlichen Bebauung oder bei einer vorhandenen Bebauung, die ein Planungskonzept erkennen lässt.
Auch diese Frage ist in der Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Wie das Erstgericht ausgeführt hat, ist maßgebliche nähere Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB die Umgebung, insoweit sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – juris). Die Grenzen sind dabei nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen. Die nähere Umgebung ist für jedes der Merkmale des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesondert zu ermitteln (vgl. BayVGH, U.v. 18.12.2009 – 2 B 08.2154 – juris). Bei dem hier in Rede stehenden Maß der baulichen Nutzung ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Art der baulichen Nutzung (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 2 ZB 14.1965 – juris). Maßgeblich ist jedoch stets eine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris). Da der konkrete Einzelfall zu betrachten ist, ist die Frage zudem keiner allgemeingültigen Klärung zugänglich.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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