Baurecht

Beseitigung einer Grundstückseinfriedung im Sichtfeld einer Straßeneinmündung

Aktenzeichen  M 2 K 16.3853

Datum:
3.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 14 Abs. 1
BV BV Art. 103 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1
BayStrWG BayStrWG Art. 29 Abs. 2
LStVG LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Art. 61 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs bei der Freihaltung von Sichtfeldern sind von der Straßenbaubehörde im Einzelnen darzulegen und zu begründen, insbesondere unter Beachtung der anerkannten Regeln der Technik (hier: Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06). (Rn. 19 – 23)
2. Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen einer Anfechtungsklage zu der Prüfung verpflichtet, ob und ggf. in welchem Umfang ein auf eine nicht tragfähige Rechtsgrundlage gestützter Verwaltungsakt mit Blick auf sonstige Rechtsgrundlagen aufrechterhalten werden kann (vgl. rechtsgrundsätzlich BVerwG BeckRS 9998, 169852). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Beschränkung einer privaten Grundstücksnutzung zu Gunsten der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gemäß Art. 29 Abs. 2 BayStrWG bedarf im Lichte des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes einer strengen Bindung an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit und setzt das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus, die nicht durch einfachere und verkehrsbezogene Maßnahmen abgewehrt werden kann (vgl. BayVGH BeckRS 2005, 25548 Rn. 23 – 29). (Rn. 20 und 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2016, Az. …, wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Zustimmung der Beteiligten (vgl. Schreiben vom 31.7. und 2.8.2017) konnte der nach § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zuständige Berichterstatter als Einzelrichter (vgl. Beschluss der Kammer vom 28.7.2017) ohne mündliche Verhandlung in der Sache entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist daher aufzuheben.
Die Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des streitbefangenen Bescheids fußen zwar der Sache nach auf tragfähigen straßen- und sicherheitsrechtlichen Befugnisnormen, auch wenn die Beklagte diese in ihrem Bescheid nicht bzw. nicht zutreffend anführt (1. und 2). Allerdings gebietet Verfassungsrecht eine einschränkende Auslegung dieser Rechtsgrundlagen (3.), der der Bescheid im Ergebnis nicht genügt (4.). Aufgrund dessen erweisen sich auch die Zwangsgeldandrohungen und die Kostenentscheidung in den Nr. 3 bis 6 des Bescheids als rechtswidrig (5.).
1. Rechtsgrundlage für die in Nr. 1.1 und 1.2 des streitbefangenen Bescheids angeordnete Baueinstellungs- und Rückbauverfügung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Bay-StrWG. Sofern man die Eingriffsbefugnis auch unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG herleitet, ändert dies am Ergebnis nichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2009 – 8 ZB 09.469 – juris Rn. 8, grundlegend zum Ganzen: B.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 21 ff.; Wiget in Zeitler/Wiget, BayStrWG, Stand Oktober 2015, Art. 29 Rn. 28).
Zentrale straßenrechtliche Vorschrift für die (nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bußgeldbewehrte) Verpflichtung zur Freihaltung von Sichtfeldern (vgl. zur Terminologie Nr. 6.3.9.3 der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen – RASt 06) ist Art. 29 Abs. 2 BayStrWG. Diese trägt – zumindest dem Grunde – auch die vorliegend streitbefangenen Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 entweder bereits selbständig, jedenfalls aber – wie vorstehend ausgeführt – in Verbindung mit der hier aufgrund der Bußgeldbewehrung nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG einschlägigen Befugnisgeneralklausel des allgemeinen Sicherheitsrechts in Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG.
Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte rechtsirrig Art. 61 Abs. 1 LStVG als Befugnisnorm herangezogen hat. Diese Norm kann vorliegend deswegen nicht als Anordnungsgrundlage dienen, weil sie nur kreisfreie Gemeinden und Landratsämter, nicht aber kreisangehörige Gemeinden wie die Beklagte, im Ermessenswege zum Erlass von Anordnungen zur Vornahme notwendiger Sicherung- und Ausbesserungsarbeiten, Stilllegungen oder Beseitigungsmaßnahmen ermächtigt. Denn wie vorstehend bereits ausgeführt, ist die entsprechende Rechtsfolge im Ermessenswege auch über Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG und Art. 29 Abs. 2 Satz 1, Art. 66 Nr. 4 Bay-StrWG bzw. in unmittelbarer Anwendung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG zu erreichen.
Kommt ein Gericht – wie hier – zu dem Ergebnis, ein Bescheid sei zu Unrecht auf eine nicht tragfähige Rechtsgrundlage gestützt worden, ist es gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch verpflichtet zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bescheid mit Blick auf sonstige Rechtsgrundlagen aufrechterhalten werden kann (vgl. rechtsgrundsätzlich BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – juris LS; aktuell U.v. 31.3.2010 – 8 C 12/09 – juris Rn. 16; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 47 Rn. 7a). Bei einer solchen Konstellation bedarf es keiner (richterlichen) Umdeutung, sodass die Aufrechterhaltung des Bescheides auch nicht davon abhängt, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach Art. 47 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) erfüllt sind. So liegt der Fall hier. Der Regelungsgehalt der Nr. 1.1 und 1.2 des angegriffenen Bescheids bleibt unverändert, wenn die dort verfügten Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zutreffender Weise mit Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 29 Abs. 2, Art. 66 Nr. 4 BayStrWG anstelle des von der Behörde rechtsirrig herangezogenen Art. 61 LStVG begründet werden. Der Austausch der Normen lässt den Tenor der beiden streitigen Grundverfügungen, die Verpflichtung zur Baueinstellung und zum Rückbau, inhaltlich unberührt. Er erforderte zudem als solches auch keine anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen. Hierauf weisen die Beklagtenbevollmächtigten in ihrer Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 auch zutreffend hin.
Nicht Gegenstand des Vollzugs des Straßen- und Wegerechts durch die Beklagte sind hingegen etwaige einschlägige Festsetzungen ihres Bebauungsplans „…- …“. Der Vollzug des Baurechts ist nach Art. 53 Abs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) grundsätzlich Aufgabe der Kreisverwaltungsbehörden als Untere Bauaufsichtsbehörden, sodass die bauaufsichtliche Durchsetzung etwaiger einschlägiger Festsetzungen des vorgenannten Bebauungsplans (vgl. insbesondere § 9 Abs. 1 Nr. 11 Baugesetzbuch – BauGB) zur Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs i.S.d. Art. 14 Abs. 2 BayBO mithin allein Aufgabe des Landratsamts … als zuständiger Unterer Bauaufsichtbehörde, nicht aber der Beklagten als kreisangehöriger Gemeinde ist, der auch keine entsprechenden Zuständigkeiten (vgl. Art. 53 Abs. 2 BayBO) übertragen worden sind. Im Anwendungsbereich der Bayerischen Bauordnung sind die Bestimmungen des Sicherheitsrechts im Verhältnis zu den Befugnissen der Unteren Bauaufsichtsbehörde (vgl. insbesondere Art. 75 f. BayBO) grundsätzlich subsidiär (vgl. Wiget aaO). Nachdem der streitgegenständliche Bescheid indes maßgeblich auf dem Vollzug des Straßen- und Sicherheitsrechts durch die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Straßenbaubehörde fußt, kann folglich vorliegend die Frage, ob der vorgenannte Bebauungsplan der Beklagten aufgrund eines Ausfertigungsmangels gegebenenfalls unwirksam ist (vgl. VG München, U.v. 17.5.2016 – M 1 K 16.629 – juris Rn. 28), offenbleiben. Die entsprechenden, den Bescheid letztlich nicht tragenden Ausführungen im streitbefangenen Bescheid (dort S. 3 Abs. 1 a.E.) gehen mithin ins Leere, führen aber nicht zu seiner Rechtswidrigkeit.
2. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG ermächtigt sodann die Straßenbaubehörde, also bei Gemeindestraßen nach Art. 46 BayStrWG – wie hier mit Blick auf die Einmündung der Gemeindestraße „Am …“ in die Staatsstraße … der Fall – die zuständige Gemeinde nach Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG, solche Anlagen – wenn sie bereits bestehen – zu beseitigen. Gleiches ergibt sich, wie ausgeführt, auch in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG und Art. 66 Nr. 4 BayStrWG. Als Minus zu einer Beseitigungsverfügung kommt bei nicht fertig gestellten störenden Anlagen i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG daneben auch eine Einstellungsverfügung hinsichtlich bereits aufgenommener Arbeiten zur Errichtung in Betracht. Die streitbefangene Einfriedung auf dem Grundstück FlNr. …, die augenscheinlich die Funktion haben soll, das Grundstück zur Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … (… Straße) wie auch zur Ortsstraße „Am …“ hin räumlich abzugrenzen und einzuzäunen, und die zu ihrer Errichtung bereits begonnenen Arbeiten des Klägers waren danach grundsätzlich geeigneter Gegenstand einer Baueinstellungs- und Beseitigungsanordnung im Sinne der genannten Vorschriften.
3. Jedoch bedarf dies der einschränkenden Auslegung im Lichte der Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 103 Bayerische Verfassung (BV).
Mit der Regelung, dass unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht errichtet werden dürfen, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, enthält Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV.
Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Eingriffsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll. Notwendig ist also das Vorliegen einer so genannten konkreten Gefahr (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 aaO Rn. 22 ff.; VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 – juris Rn. 23 ff.).
Die Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit bedeutet konkret, dass die Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr verbundene Möglichkeit, die Beseitigung anzuordnen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG), nicht pauschal und ohne Abstufung auf allen Straßen und Wegen gleichermaßen Anwendung finden können. Der Schwerpunkt ihres Anwendungsbereichs befindet sich vielmehr dort, wo auf Grund der Verkehrsbelastung einer Straße (z.B. erhebliche durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) oder auf Grund ihrer besonderer Beschaffenheit (z.B. unübersichtlicher oder kurvenreicher Straßenverlauf) konkrete Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs drohen, wenn Sichtfelder nicht freigehalten werden oder die Übersichtlichkeit der Straße in sonstiger Weise durch Anlagen im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG beeinträchtigt wird. Das wird vor allem auf freier Strecke, d.h. außerhalb der Ortsdurchfahrten (Art. 4 Abs. 1 BayStrWG), innerorts auf Hauptdurchgangsstraßen und allgemein an Unfallschwerpunkten der Fall sein.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinzukommen muss ferner, dass die konkrete Gefahr nicht hinreichend durch andere, insbesondere einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel wie das Aufstellen von Verkehrsspiegeln, den Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen (insbesondere Verkehrszeichen) und – je nach den örtlichen Gegebenheiten – unter Umständen auch durch den Einsatz von Ampeln oder die Einrichtung von Kreisverkehrsplätzen abgewehrt werden kann. Von Bedeutung sein kann auch, ob das Grundstück mit seiner Einzäunung unmittelbar an die Fahrbahn heranreicht (wie im Fall BayObLG, B.v. 4.4.1995 = BayVBl 1995, 541) oder ob noch – wie hier – ein Gehsteig zwischengeschaltet ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 aaO Rn. 27 f.)
4. Vorstehendes zu Grunde gelegt, erweisen sich die Einstellung- und Rückbauverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 als rechtswidrig. Die Voraussetzungen hierfür sind von der Beklagten unzureichend ermittelt, begründet und bewertet worden.
Zum einen hat die Beklagte das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an der Einmündung der Gemeindestraße „Am …” in die Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … im streitbefangenen Bescheid nicht ausreichend ermittelt und begründet (4.1). Zum anderen hat sie ihrer Beurteilung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend zu Grunde gelegt (4.2). Es ergibt sich sonach ein i.S.d. Art. 40 BayVwVfG erhebliches Ermessensdefizit, dem auch durch die weiteren, vertieften Ausführungen in der Klageerwiderung der Beklagtenbevollmächtigten vom 31. Mai 2017 nicht in ausreichender Weise – im Sinne einer Ergänzung gemäß § 114 Satz 2 VwGO – Rechnung getragen wurde (4.3).
4.1 Die tatsächlichen Ermittlungen und technischen Bewertungen der Beklagten hinsichtlich der Freihaltung des Sichtfeldes erweisen sich als defizitär. Die entsprechenden Ausführungen im Bescheid können sonach das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht in ausreichender Weise begründen.
Zunächst noch zutreffend erfasst die Beklagte die Verkehrsbelastung der Staatsstraße … innerhalb der Ortsdurchfahrt von … und erachtet sie als überdurchschnittlich hoch. Sie geht dabei von einem Verkehr von bis zu 10.000 Fahrzeugen täglich aus. Dies ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend.
Ausweislich der aktuellen Verkehrsmengenkarte 2010 der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (im Folgenden: Oberste Baubehörde) vom 8. März 2010 beträgt der Kfz-Gesamtverkehr/24h in der Ortsdurchfahrt von … (Zählstelle …) 8270, während im Zuständigkeitsbereich des Staatlichen Bauamts … aufgrund der Straßenverkehrszählung 2010 ein entsprechender Mittelwert bei Staatsstraßen von 5025 Kfz/24h festzustellen ist (sämtlich Daten im Internet frei abrufbar unter www.baysis.bayern.de). Damit ist auch zur Überzeugung des Gerichts eine durchaus erheblich überdurchschnittliche tägliche Verkehrsstärke in der Ortsdurchfahrt der Sttaatsstraße … im Bereich der Beklagten zu konstatieren.
Als defizitär erweist sich der Bescheid im Weiteren allerdings sowohl mit Blick auf die Anwendung der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06 als einschlägigem technischem Regelwerk zur Bestimmung des Sichtfeldes als auch bei der Untersuchung der konkreten Unfallgefahr an der Einmündung der Ortsstraße „Am …“ in die Staatsstraße …
4.1.1 Die Beklagte durfte mit der von ihr gegebenen Begründung bei der Bestimmung der Schenkellänge l des Sichtfeldes nicht von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ausgehen.
Nach Art. 10 Abs. 1 BayStrWG haben die Straßenbaubehörden die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Die von der Obersten Baubehörde mit Schreiben vom 11. Februar 2009 in Bayern eingeführten RASt 06 bringen die anerkannten technischen Regeln für die Anlage von Stadtstraßen zum Ausdruck. Ausgehend hiervon wird gegen eine technische Straßenausgestaltung, die sich an den Vorgaben dieser Richtlinien orientiert, regelmäßig nichts zu erinnern sein (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2003 – 9 A 33/02 – juris Rn. 37; VG München aaO Rn. 27).
Die Tabelle 59 zu Nr. 6.3.9.3 der RASt 06 stellt bei der Bestimmung der Schenkellänge maßgeblich auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit Vzul der bevorrechtigten Kraftfahrzeuge, hier also auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb der geschlossenen Ortschaft auf der Staatsstraße … innerhalb der Ortsdurchfahrt ab. Diese bestimmt sich hier unstreitig nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Danach beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften (vgl. dazu Zeichen 310) für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h. Dies deckt sich im Übrigen auch mit auch mit den Maßgaben im o.g. Einführungsschreiben der Obersten Baubehörde vom 11. Februar 2009, mit dem die RASt 06 als technisches Regelwerk in Bayern zur Anwendung empfohlen wurden. Danach ist für die Ortsdurchfahrten u.a. von Staatsstraßen grundsätzlich darauf zu achten, dass in der Regel eine Befahrbarkeit mit der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sicherzustellen ist. Wenn die Beklagte hingegen – entgegen dem Vorstehenden – bei der Bestimmung des Sichtfeldes von einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 60 km/h ausgeht und hierzu angibt, zahlreiche Fahrzeuge im Ortseingangsbereich – und damit auch an der streitbefangenen Einmündung – würden die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h regelmäßig noch überschreiten, führt sie damit keinen Sachverhalt an, der eine entsprechende Abweichung von der Regelbetrachtung anhand der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in Nr. 6.3.9.3 der RASt 06 rechtfertigen könnte. Die Beklagte teilt zur Begründung lediglich mit, sie habe im Monat Juli 2016 eine Geschwindigkeitsanzeigetafel am (gemeint ist wohl der nördliche) Ortseingang von … an der Staatsstraße … aufgestellt. Eine Abweichung von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei der Bestimmung des einschlägigen Sichtfeldes nach Tabelle 59 der RASt 06 hätte indes eine detaillierte Angabe zu den am nördlichen Ortseingang von … auf der Staatsstraße … festgestellten Geschwindigkeiten über einen aussagekräftigen Zeitraum hinweg vorausgesetzt. Daran fehlt es sowohl mit Blick auf die – auch aus den vorgelegten Akten im Übrigen nicht ermittelbare – konkrete Zahl entsprechender Geschwindigkeitsverstöße als auch vor dem Hintergrund der lediglich sehr kurzfristigen Einrichtung der Geschwindigkeitsanzeigetafel vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids im Juli 2016. Auch bleibt die Beklagte den Nachweis dafür schuldig, welche Überwachungsmaßnahmen sie, gegebenenfalls unter Einschaltung der zuständigen Polizeiinspektion, im Übrigen unternommen hat, um Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich der (nördlichen) Ortsdurchfahrt möglichst wirksam zu begegnen.
Des Weiteren erweist es sich als ebenfalls nicht überzeugend, wenn die Beklagte auch aufgrund eines leichten Knicks der Staatsstraße südlich der Ortsstraße „Am …“ von einem (mit 85 m statt 70 m bemessenen und damit „überlangen“) Schenkel des streitigen Sichtfeldes ausgeht. Dies deswegen, weil die Freihaltung des Sichtfeldes hier ausschließlich der Sicherstellung der Sichtverhältnisse in Richtung des unstreitig sehr geraden und übersichtlichen Verlaufs der Staatsstraße nördlich der Ortsstraße „Am …“ zu dienen bestimmt ist, während es auf den weiteren Verlauf nach Süden hin für die streitgegenständliche Entscheidung gerade nicht ankommt. Der geschilderte Straßenverlauf ergibt sich für das Gericht dabei sowohl aus den bei den Akten der Beklagten befindlichen Fotos und dem Lageplan in Anlage zum streitbefangene Bescheid als insbesondere auch aus allgemeinkundigen, im Internet abrufbaren Luftbildern und Karten in deutlicher Weise. Aufgrund dieser Erkenntnismittel bestand für das Gericht auch kein Anlass für eine Inaugenscheinnahme. Das Gericht kann die bestehende Situation bereits anhand zahlreicher von der Beklagten in den Verfahrensakten vorgelegter Licht- und Luftbilder sowie von allgemeinkundigen Lageplänen, Karten und Luftbildaufnahmen, die im Internet frei abrufbar sind, in hinreichender Weise beurteilen. Der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck kann mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erreicht werden.
Die Zugrundelegung einer Schenkellänge l des Sichtfeldes von 85 m ist somit von der Beklagten nicht in ausreichender Weise nach den RASt 06 hergeleitet und begründet worden.
4.1.2 Auch hat die Beklagte das Vorliegen einer besonderen Unfallgeneigtheit an der streitbefangenen Einmündung lediglich behauptet, nicht aber mit entsprechenden Zahlen und Erkenntnissen empirisch belegt. Die bloße Behauptung, es handele sich um einen Unfallschwerpunkt, ist indessen gerade nicht ausreichend. Vielmehr hätte es einer Auseinandersetzung auf entsprechender Faktenbasis bedurft, wozu insbesondere eine Auswertung der Unfallsituation entlang der Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … im Bereich der Beklagten anhand der detaillierten Erkenntnisse und Analysen der Zentralstelle für Verkehrssicherheit im Straßenbau in Bayern (vgl. www.stmi.bayern.de/vum/verkehrssicherheit/unfallkommissionen/index.php) in Betracht gekommen wäre. Die Zentralstelle für Verkehrssicherheit im Straßenbau analysiert alle polizeilich aufgenommenen Verkehrsunfälle in Bayern und erzeugt daraus digitale Unfallkarten. Eine solche Auswertung ist indes nach Aktenlage von Seiten der Beklagten – ebenso wie eine sonstige Untersuchung anhand von vergleichbarem Quellenmaterial – nicht erfolgt. Damit ergibt sich auch insoweit ein Ermittlungsdefizit.
Endlich ist es auch nicht überzeugend, wenn die Beklagte des Weiteren darauf abstellt, dass die Ortsstraße „Am …“ von vielen Jugendlichen und Kindern mit dem Fahrrad genutzt wird, die dort die Staatsstraße überqueren, um zu den gegenüberliegenden Ortsstraßen zu gelangen. Denn die Beklagte weist bereits zutreffend selbst darauf hin, dass sie die Querungssituation der Staatsstraße … im hier zu betrachtenden engeren Umgriff schon dadurch maßgeblich entschärft hat, dass dort gemeinsam mit dem Staatlichen Bauamt … eine Fußgängerampel errichtet wurde und betrieben wird.
Nach alledem hat die Beklagte nicht alle Erwägungen angestellt, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm und technische Regelwerk erforderlich gewesen sind; sie hat den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht tatsächlich nicht vollständig erfasst bzw. die einschlägigen Regeln der Technik nicht zutreffend angewandt und ihrer Bewertung zugrunde gelegt. Mithin erweist sich die Sachverhaltsermittlung- und -bewertung und in der Folge auch die Rechtsanwendung und Begründung im streitigen Bescheid als in erheblichem Umfang defizitär.
4.2 Zudem hat es die Beklagte unterlassen, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen, ob die von ihr (fälschlich; s.o.) ermittelte konkrete Gefahr nicht auch in ausreichender Weise durch andere angemessene Mittel abgewehrt werden kann. Zutreffend weisen die Klägerbevollmächtigten insoweit darauf hin, dass der auch nach Auffassung des Gerichts unter Auswertung des vorliegenden Fotomaterials in den Akten des Beklagten ausreichend durchblickbare Maschendrahtzaun keine „Wandwirkung“ auslöst und die Verkehrssituation an der streitigen Einmündung durch das Aufstellen eines Verkehrsspiegels auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Bereich der Einmündung der …straße in die Staatsstraße … in angemessener Weise mit dem Ziel der Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs jedenfalls angemessen bewältigt werden kann. Zwar ist der Beklagten durchaus zuzugeben, dass auch ein Maschendrahtzaun grundsätzlich die Sichtbeziehungen beeinträchtigen kann, da er eine „gerasterte“ Sicht auf die kreuzende Straße bedingt. Gleichwohl ist aus den in den Akten befindlichen Fotografien im Rahmen der Baukontrolle vom 5. September 2016 erkennbar, dass der Maschendraht auch an den streitigen Pfosten nach Auffassung des Gerichts die Sicht auf die Staatsstraße nach Norden hin nicht in erheblicher Weise erschweren wird (vgl. Bild 8 und 10 der Kontrolle vom 5.9.2016). Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Zaunpfosten der streitigen Reihe selbst, die hier in solchem Abstand zueinander aufgestellt sind, dass sie auch ihrerseits, auch zusammen mit dem dort noch nicht angebrachten Zaungeflecht, keine unzumutbare Sichteinschränkung mit sich bringen. Dies allerdings nur, wenn das Zaungeflecht nur auf der ersten (streitigen) Zaunreihe angebracht wird und gleichzeitig die zweite, vom Kläger (hilfsweise etwas weiter zurückgesetzt) bereits angebrachte Zaunpfostenreihe (einschließlich Zaungeflecht) beseitigt wird (vgl. Bilder 9 und 10 der o.g. Baukontrolle). Die zweite Zaunreihe ist im Übrigen nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsrechtsstreits.
Zu konzedierende leichtere Sichteinschränkungen infolge eines Zauns des Klägers von der Ortsstraße „Am …“ nach Norden auf die Staatsstraße hin können jedenfalls unter Einsatz des vorgenannten Verkehrsspiegels zur Überzeugung des Gerichts in einer die Verkehrssicherheit in ausreichend wahrenden Art und Weise bewältigt werden.
Die Anbringung eines Verkehrsspeigels auf öffentlichem (Straßen-)Grund, nötigenfalls sogar auch unter Heranziehung von Privateigentum im Vollzug von § 5b Abs. 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG), stellt mithin eine einfachere und verkehrssichere Maßnahme zur ausreichenden Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an der Einmündung der Ortsstraße „Am …“ in die Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … dar. Die Kosten für die Anschaffung eines Verkehrsspiegels, die sich nach Auswertung entsprechender Angebote im Internet durch das Gericht voraussichtlich noch in Bereich eines dreistelligen Euro-Betrags bewegen, fallen mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz nicht in erheblicher Weise ins Gewicht. Gleiches gilt für Aufbau und Unterhalt eines solchen Verkehrsspiegels, der aus ohnehin zweckgebundenen Sachmitteln der Beklagten nach Auffassung des Gerichts von ihr ohne weiteres bewältigt werden kann. Im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit des Eingriffs in das Privateigentum des Klägers an seinem Zaun hätte es somit einer entsprechenden Untersuchung der Beklagten bedurft, ob die relativ geringen Aufwendungen für einen Verkehrsspiegel hier ausnahmsweise nicht in Betracht kommen. Auch dies ist nicht erfolgt.
Soweit im Übrigen ein Verkehrsspiegel zu einzelnen Zeiten, insbesondere im Winter, durch Beschlagen, Reif oder Vereisung gegebenenfalls nicht voll funktionsfähig sein sollte, handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um in der Gesamtbetrachtung nur geringfügige Zeiträume, in denen es den Verkehrsteilnehmern auf der Ortsstraße „Am …“ auch zuzumuten ist, sich vorsichtig in die Einmündung hinein zu tasten (vgl. ebenso BayVGH, U.v. 15.12.2004, aaO Rn 32).
Nach dem vorstehend unter 4.1 und 4.2 Ausgeführten ergibt sich ein erhebliches Defizit bei der Sachverhaltsermittlung und -bewertung, das zur Rechtswidrigkeit der sicherheits- bzw. straßenrechtlichen Ermessenentscheidung der Beklagten führt.
4.3 Dieses Ermessensdefizit hat die Beklagte auch durch die ergänzenden und vertieften Erwägungen in der Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO kompensiert.
Zwar kommt ein Nachschieben von Ermessenserwägungen grundsätzlich auch hier in Betracht; allerdings hätte dies einerseits genügend bestimmt und andererseits auch unter Ersetzung fehlerhafter Erwägungen im streitgegenständlichen Bescheid erfolgen müssen. An beidem fehlt es hier.
Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit der Ergänzung von Ermessenserwägungen ergibt sich aus Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG und gilt als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) auch für die Änderung eines Verwaltungsakts einschließlich seiner Begründung. Wird die Änderung erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46/12 – juris Rn. 34 f.). Das wäre mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren.
Die im Schriftsatz der Beklagtenbevollmächtigten vom 31. Mai 2017 – im Vergleich zum streitbefangene Bescheid erheblich vertieft und präzisiert – angestellten Überlegungen zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Rahmen von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG sowie zu den im Bescheid verfügten Rechtsfolgen machen bereits nicht deutlich, dass an den von der Beklagten fehlerhaft zugrunde gelegten tatsächlichen Erkenntnissen zur Gefahrensituation, namentlich an der technischen Bestimmung des Sichtfeldes, nicht mehr festgehalten wird. Dort wird nach wie vor von einer zutreffenden Anwendung der RASt 06 sowie von einer ausreichend tatsächlich ermittelte Gefahrensituation auf der Basis der der Beklagten bereits zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses (unzureichend) vorliegenden Erkenntnisse ausgegangen. Die ergänzenden Erwägungen, insbesondere zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, prüfen zudem ebenso wie der Bescheid nicht die Möglichkeit der Aufstellung eines Verkehrsspiegels an geeigneter Stelle (auf der gegenüberliegenden Straßenseite).
Damit räumt auch die Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 sowohl aus formellen als auch aus inhaltlichen Gründen das vorliegende Ermessensdefizit nicht aus.
5. Nachdem sich die Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 als rechtswidrig erweisen, liegen auch die Voraussetzungen für ihre Durchsetzung im Wege des Verwaltungszwangs (Androhung von Zwangsgeld gem. Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 33 und Art. 36 VwZVG) in dessen Nr. 3 und 4 nicht vor. Sie waren daher ebenso wie die Kostenentscheidungen in Nr. 5 und 6 des Bescheids (vgl. Art. 16 Abs. 5 Kostengesetz – KG) aufzuheben.
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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