Baurecht

Bestehen einer Räum- und Streupflicht für einen am Grundstück der entlanglaufenden Fußweg

Aktenzeichen  M 2 K 19.3371

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12943
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43, § 124, § 124 a Abs. 4, § 154 Abs. 1
BayStrWG Art. 51, Art. 53 Nr. 2
RSV § 2 Abs. 2 Buchst. a, § 2 Abs. 2 Buchst. a
ZPO § 708 ff.
GKG § 52 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass keine Verpflichtung der Klägerin zur Reinigung- und Sicherung bezogen auf die Straße „…steig“, FlNr. … Gemarkung …, besteht.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I. Die Klage ist im Hauptantrag (Ziffer I) zulässig und begründet.
Für die Klägerin besteht hinsichtlich des beschränkt öffentlichen Weges „…steig“ keine Sicherungspflicht nach § 9 der Reinigungs- und Sicherungsverordnung der Beklagten.
Eine solche Sicherungspflicht der Klägerin folgt nicht aus § 9 i.V.m. § 2 Abs. 2 Buchst. a VO der Beklagten. Zwar können die Gemeinden grundsätzlich anliegende Grundeigentümer zur Sicherung öffentlicher Straßen verpflichten (1.), dies gilt mangels gesetzlicher Ermächtigung jedoch nicht für selbstständige Gehwege (2.).
1. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG liegt die Sicherungspflicht für die öffentlichen Straßen innerhalb der geschlossenen Ortslage grundsätzlich bei den Gemeinden. Sie sind nach ihrer Leistungsfähigkeit dazu verpflichtet, die öffentlichen Straßen zu beleuchten, zu reinigen, von Schnee zu räumen und alle gefährlichen Fahrbahnstellen, die Fußgängerüberwege und die Gehbahnen bei Glätte zu streuen, wenn das dringend erforderlich ist und nicht andere auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften hierzu verpflichtet sind.
Soweit es die Sicherungspflicht gegen Schnee und Glatteis betrifft, können die Gemeinden nach Art. 51 Abs. 5 BayStrWG zur Verhütung von Gefahren für die im Gesetz genannten Individualrechtsgüter die Sicherungspflichten auf den in Art. 51 Abs. 4 genannten Personenkreis durch Rechtsverordnung übertragen. Der Sache nach übertragen können die Gemeinden die Sicherung der Gehwege sowie der gemeinsamen Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen oder, wenn kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, der öffentlichen Straße selbst in der für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite. Aus dem Gesetzestext unmittelbar folgt demnach, dass durch Rechtsverordnung nach Art. 51 Abs. 5 BayStrWG Sicherungspflichten in Bezug auf unselbstständige gemeinsame Geh- und Radwege und – eingeschränkt – Straßen ohne Gehwege übertragen werden können.
2. Art. 51 Abs. 5 BayStrWG enthält hingegen keine Ermächtigung, auf die in Art. 51 Abs. 4 BayStrWG bezeichneten Personen Sicherungspflichten in Bezug auf Gefahren durch Schnee und Glatteis abzuwälzen, soweit es selbstständige Gehwege betrifft.
Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG bezieht die gemeindliche Übertragungsmöglichkeit auf „die Gehwege sowie die gemeinsamen Geh- und Radwege der an ihr Grundstück angrenzenden oder ihr Grundstück erschließenden öffentlichen Straßen“ bzw. – soweit überhaupt kein Gehweg vorhanden ist – auf die Straße selbst in eingeschränkter Breite.
Die letztgenannte Formulierung erfasst selbstständige Gehwege ersichtlich nicht, da unter einer Straße, an der kein Gehweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg besteht, ein selbstständiger Gehweg eindeutig nicht subsumiert werden kann. Denn das Gesetz geht gerade davon aus, dass kein Gehweg vorhanden ist.
Aus der Formulierung „die Gehwege (…) der öffentlichen Straßen“ wird wiederum deutlich, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers neben dem Gehweg noch eine Straße vorhanden sein muss. Würde man mit der Ansicht der Beklagten die selbstständigen Geh- und Radwege (Art. 53 Nr. 2 BayStrWG) hierunter fassen, ergäbe die Formulierung in Art. 51 Abs. 5 Satz 1 BayStrWG mit ihrer Genitiv-Konstruktion grammatikalisch keinen Sinn. Denn ein selbstständiger Gehweg ist in Art. 53 Nr. 2 BayStrWG gerade als ein Gehweg definiert, der nicht Bestandteil einer Straße ist. Ein Gehweg der nicht Bestandteil einer Straße ist, kann aber konsequenterweise kein „Gehweg (…) der (…) öffentlichen Straßen“ sein.
Die fehlende gesetzliche Grundlage für eine Abwälzung führt dazu, dass die betreffenden Sicherungspflichten bei der Gemeinde verbleiben (BayVGH v. 4.4.2007 – 8 B 05.3195). Ebenso wie bei den kombinierten Geh- und Radwegen, die der zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Grunde lagen, fehlt es im vorliegenden Fall an einer Entscheidung des Gesetzgebers, für selbstständige Gehwege ebenfalls eine Abwälzungsmöglichkeit zu schaffen. Die von der Beklagten angeführten Wertungsgesichtspunkte mögen bei der gesetzgeberischen Entscheidung hierzu relevant sein, sie führen aber für sich genommen nicht auf eine – hier fehlende – Ermächtigung bzw. können eine fehlende ausdrückliche Ermächtigung nicht ersetzen.
§ 9 i.V.m. § 2 Abs. 2 Buchst. a RSV ist daher mangels Ermächtigungsgrundlage nichtig, soweit die Regelung eine Abwälzung der Sicherungspflichten für selbstständige Gehwege begründet. Die Klägerin ist daher für den „…steig“ weder räum- noch streupflichtig.
II. Die Klage war daher im Hauptantrag begründet, so dass es einer Entscheidung über die Hilfsanträge (Befreiungsantrag – Ziffer II. ist hier sinngemäß als Hilfsantrag auszulegen) nicht mehr bedurfte. Die Beklagte trägt als Unterlegene die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben