Baurecht

Bestimmtheit der Nutzungsuntersagung, Abgrenzung des bordellartigen Betriebs zur Wohnungsprostitution, Nähere Umgebung i.S.v. § 34 BauGB, Feststellung der Gebietsverträglichkeit im Mischgebiet anhand typisierender Betrachtungsweise (verneint), Störerauswahl

Aktenzeichen  RO 7 K 19.2705

Datum:
28.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51209
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 und 2
BauNVO § 6
BayBO Art. 55, 57 Abs. 4, 60

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage führt nicht zum Erfolg.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2019 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die in Ziffer 1 des Bescheids ausgesprochene Untersagung der Nutzung der Wohnung im 1. OG (Wohnung rechts) im Anwesen H* Hellipweg 1, 9..2224 Amberg für bordellartige Zwecke ist rechtmäßig.
Gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung von Anlagen untersagen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt. Für den Erlass einer Nutzungsuntersagung genügt nach ständiger Rechtsprechung auf der Tatbestandsebene die formelle Illegalität der Nutzung. Bei einem genehmigungspflichtigen Vorhaben liegt demnach ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des Art. 76 Satz 2 BayBO, der den Erlass einer Nutzungsuntersagung tatbestandlich rechtfertigt, grundsätzlich schon dann vor, wenn das Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris).
a) Die streitgegenständliche Anordnung in Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 29.11.2019 ist zunächst hinreichend bestimmt genug i.S.v. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG.
Durch die Bezeichnung der betroffenen Räume im 1. OG (Wohnung rechts) ist für den Adressaten der Anordnung (auch ohne Lagepläne bzw. Grundrisse aus der damaligen Baugenehmigung) hinreichend ersichtlich, welche Räume von der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung betroffen sind. Jedenfalls hat der Kläger als Adressat der belastenden Nutzungsuntersagung aus der entscheidungserheblichen Sicht des Empfängerhorizonts nie in Zweifel gezogen und insoweit auch keine Einwendungen erhoben, welche Räume von der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung betroffen sind.
b) Die Nutzung der Wohnung im 1. OG erfolgt auch im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die Nutzungsänderung ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig (im Folgenden (1)), sie ist bislang nicht genehmigt und somit formell illegal (im Folgenden (2)) und mangels planungsrechtlicher Zulässigkeit eines bordellartigen Betriebs in einem Mischgebiet nicht genehmigungsfähig (im Folgenden c)).
(1) Die Nutzung der Wohnung im 1. OG des Gebäudes am H* Hellipweg 1 in 9..2224 Amberg auf der Fl. Nr. 789* … (ausweislich des erstellten Betriebskonzepts nach § 16 ProstSchutzG vom 23.5.2019) als Modellwohnung/Wohnungsprostitution stellt unzweifelhaft eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i.S.v. Art. 55 Abs. 1 Hs. 1 BayBO dar. Die Nutzungsänderung der Wohnräume im 1. OG ist auch nicht verfahrensfrei nach Art. 55 Abs. 1 Hs. 2 i.V.m. Art. 57 Abs. 4 BayBO, weil an eine gewerbliche Prostitutionsstätte (unabhängig davon, ob es sich dabei um einen bordellartigen Betrieb oder eine Wohnungsprostitution handelt) nach Art. 57 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 60 Satz 1 BayBO andere öffentlich-rechtliche (bauplanungsrechtliche, aber auch bauordnungsrechtliche) Anforderungen zu stellen sind als an eine Wohnnutzung.
(2) Eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung liegt nicht vor.
Nach den bisherigen für das streitgegenständliche Gebäude am H* Hellipweg 1 in 9..2224 Amberg auf der Fl. Nr. 789* … erteilten Baugenehmigungen, insbesondere der aus dem Jahr 1971, wurde die Nutzung im 1. OG des Gebäudes als reine Wohnnutzung genehmigt. Dies ergibt sich aus der Baugenehmigung vom 24.8.1971 für den „Einbau von Wohnräumen, Umbau Wohnhaus“ (vgl. die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Baugenehmigungsakte (BV-Nr. 603/71a) sowie dem Auszug aus dieser Baugenehmigungsakte, Bl. 87 der Gerichtsakte). Nach dem der Baugenehmigung zugrundeliegenden Grundriss „Erdgeschoss u. Dachgeschoss“ sind im 1. OG keine gewerblichen Nutzungen genehmigt. Es existieren auch keine spätere Baugenehmigungen, die eine gewerbliche Nutzungsänderung der Räume im 1. OG zum Gegenstand haben. Insoweit hat der Kläger auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass er im 1. OG gewohnt und dort auch ein Büro für seinen Dachdeckerbetrieb gehabt habe, für das er aber keine Genehmigung gehabt habe. Gewerbliche Nutzungen (Sozialräume etc.) auf dem Grundstück mit der Fl. Nr. 789* … sind nur in dem Anbau an das Wohnhaus am H* Hellipweg 1 genehmigt worden (vgl. die ebenfalls von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Baugenehmigungsakte (BV-Nr. 95/90).
Die streitgegenständliche Nutzung wird auch nicht von einer zwischenzeitlich erlassenen Baugenehmigung der Beklagten vom 6.7.2019 legalisiert, welche nach Angaben des Klägers angeblich einen Nutzungsänderungsantrag des landwirtschaftlichen Anwesens zum Betrieb eines Dachdeckerbetriebs zum Gegenstand gehabt hat. Der Beklagte hat auf Nachfrage des Gerichts keine Baugenehmigung für die streitgegenständliche Wohnung auffinden können, mit der eine gewerbliche Nutzung in dem 1. OG des Wohnhauses im H* Hellipweg 1 genehmigt wurde. Im Übrigen hat der Kläger selbst angegeben, dass der Nutzungsänderungsantrag das Scheunengebäude sowie den Anbau an das streitgegenständliche Wohnhaus betroffen habe, die nunmehr als Lager, Werkstatt und Sozialräume genutzt würden. Nach Mitteilung der Beklagten vom 20.10.2021 (Bl. 77 der Gerichtsakte) ist nach Rücksprache mit dem Gewerbeaufsichtsamt im Anwesen auf dem H* Hellipweg 1 kein Gewerbe angemeldet. Der Gerüstbaubetrieb des Klägers habe seinen einzigen Gewerbesitz auf dem Anwesen „I* …“.
Auch die vom Kläger angesprochene Erlaubnisfiktion des Betriebs nach dem Prostitutionsschutzgesetz umfasst keine baurechtliche Genehmigung und berührt daher die Rechtmäßigkeit der bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung nicht. Denn nach § 12 Abs. 7 ProstSchG bleiben Erlaubnis- oder Anzeigepflichten nach anderen Vorschriften, insbesondere solcher nach dem Baurecht, unberührt.
c) Die Nutzungsuntersagung erweist sich als ermessensfehlerfrei, § 114 Satz 1 VwGO. Die vorliegende Nutzungsänderung von einer privaten Wohnnutzung zu einer gewerblichen Prostitutionsstätte ist mangels planungsrechtlicher Zulässigkeit eines bordellartigen Betriebs in einem – selbst zugunsten des Klägers unterstellten – Mischgebiet nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
(1) Liegen – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor‚ muss im Regelfall nicht näher begründet werden‚ weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird (sog. intendiertes Ermessen; vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37 m.w.N.; Busse/Kraus/Decker, 140. EL Februar 2021 Rn. 301, BayBO Art. 76 Rn. 301 m.w.N.). Allerdings dürfen insbesondere mit Blick auf das Übermaßverbot keine Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Untersagung erfordern. Eine formell illegale Nutzung darf grundsätzlich nicht untersagt werden‚ wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist bzw. unter Bestandsschutz steht. Denn eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen‚ ohne den Bauherrn vorher vergeblich nach Art. 76 Satz 3 BayBO aufgefordert zu haben‚ einen Bauantrag zu stellen‚ wäre unverhältnismäßig.
Die untersagte Nutzung steht weder unter Bestandsschutz noch ist sie offensichtlich geneh-migungsfähig. Nach dem Sinn und Zweck des Art. 76 Satz 2 BayBO ist die Bauaufsichtsbehörde nicht gehalten, die Genehmigungsfähigkeit nach den Maßstäben für ein Baugenehmigungsverfahren zu prüfen. Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann beispielsweise dann nicht ausgegangen werden, wenn das nach § 36 Abs. 1 BauGB erforderliche gemeindliche Einvernehmen fehlt oder wenn erst durch eine Begehung des Straßengevierts der Gebietscharakter ermittelt werden muss (vgl. Busse/Kraus/Decker, 140. EL Februar 2021, BayBO Art. 76 Rn. 303, m.w.N.). Sinn und Zweck der bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagung ist es gerade, die Genehmigungsfähigkeit der tatsächlich ausgeübten Nutzung in einem Baugenehmigungsverfahren unter Vorlage der nach der BauVorlV erforderlichen Bauvorlagen durch den Bauherrn zu überprüfen.
Die tatsächliche Nutzung der Wohnung im 1. OG als Prostitutionsstätte ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Der Betrieb einer wie vom Betreiber beschriebenen Modellwohnung bzw. Wohnungsprostitution im Betriebskonzept nach § 16 Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) vom 23.5.2019 in Räumlichkeiten, die bisher für Wohnzwecke genehmigt worden sind, ist demnach eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit, die das Wohnen wesentlich stört im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V. m. § 6 Abs. 1 BauNVO und damit bauplanungsrechtlich in einem Mischgebiet unzulässig ist.
(2) Für das Grundstück mit der Fl. Nr. 789* …, auf dem sich das streitgegenständliche Wohnhaus mit der untersagten Nutzung im 1. OG befindet, existiert kein Bebauungsplan. Es liegt unzweifelhaft innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, also im Innenbereich, weshalb sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB richtet.
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Soweit die Eigenart der näheren Umgebung ihrer Struktur nach der Art der baulichen Nutzung einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung entspricht, beurteilt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens auf diesem Grundstück nach seiner Art allein danach, ob es gemäß der Baunutzungsverordnung in dem jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).
Unter näherer Umgebung i.S.v. § 34 Abs. 1 und 2 BauNVO sind all die Grundstücke zu ver-stehen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann, und die Umgebung, so-weit sie ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt. Die nähere Umgebung wird durch die tatsächlich vorhandene Bebauung bestimmt, wobei alles außer Acht gelassen werden muss, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen. Zum anderen sind solche Anlagen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszublenden, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung fallen und wegen ihrer Andersartigkeit bzw. Einzigartigkeit den Charakter der Umgebung nicht zu beeinflussen vermögen. Ob die tatsächlich vorhandene Umgebungsbebauung genehmigt worden ist oder nicht, ist grundsätzlich unerheblich. Erst wenn die zuständige Bauaufsichtsbehörde zu erkennen gibt, dass die ungenehmigt errichteten Bauwerke abgebrochen werden sollen, wirken sich diese in rechtlicher Hinsicht auf die Eigenart der näheren Umgebung nicht mehr aus. Die bisher auf dem Baugrundstück betriebene Nutzung ist grundsätzlich zu berücksichtigen (vgl. Curt in Krönin-ger/Aschke/Jeromin, Baugesetzbuch, 4. Aufl., Rn. 22 ff zu 34 mit Nachweisen zur Rechtsprechung); dies gilt jedoch nicht für Nutzungen, die nachträglich genehmigt oder – gerade wie vorliegend – untersagt werden sollen. Für die Annahme eines sog. faktischen Baugebiets innerhalb der prägenden Umgebung wird nicht vorausgesetzt, dass dort nur solche Vorhaben tatsächlich vorhanden sind, die in dem fraglichen Baugebiet – nach Regelung des jeweiligen Absatzes 2 der Gebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung – allgemein zulässig sind. Vielmehr ist die allgemeine Bandbreite des Gebiets einzubeziehen, also auch unter Einschluss der (nach Abs. 3 der jeweiligen Gebietsvorschrift) ausnahmsweise zulässigen Vorhaben, sofern sie nur Ausnahmen geblieben sind (vgl. Spieß in Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, BauNVO, 7. Aufl., Rn. 121 zu § 34).
Hiervon ausgehend nimmt das Gericht nach Bewertung der Lagepläne und Luftbilder aus dem BayernAtlas sowie der von der Beklagten mit Schreiben vom 22.9.2021 vorgelegten Nutzungskartierung (Bl. 50 – 53 der Gerichtsakte) als Umgriff der näheren Umgebung des Bauvorhabens den Bereich innerhalb folgender Straßen an: G* Hellipstrasse im Westen, H* Hellipweg im Norden einschließlich des Grundstücks mit der Fl. Nr. 456* …, das gegenüber dem streitgegenständlichen Grundstück mit der Fl. Nr. 789* … liegt, sowie den G* Helliper Weg im Westen endend mit der Bebauung auf den Fl. Nrn. 11111, 22222 und 33333. Die Bebauung jenseits dieses Straßengevierts, also insbesondere das Amtsgebäude des A* … auf der Fl. Nr. 55555 und der Betrieb „D* Hellip GmbH“ (Handel mit Bereifung, Autozubehör etc.) auf der Fl. Nr. 66666 wird nicht mehr als prägend angesehen, weil den Straßen bzw. den dazwischen liegenden größeren unbebauten Bereichen auf den Fl. Nrn. 456* …2 bzw. 55555 im westlichen Grundstücksbereich insoweit trennende Wirkung beigemessen bzw. die räumliche Entfernung als zu weit angesehen wird, um sich noch prägend auf das Bauvorhaben und umgekehrt auswirken zu können.
Gewerbliche Nutzungen im näheren Umgriff um das Bauvorhaben sind somit lediglich ein nach außen nicht erkennbarer Online-Handel mit gebrauchten Fahrrädern und Fahrradzubehör, ein Büro für ein Transportunternehmen (Güternahverkehr) sowie die Vermittlung von Versicherungen (vgl. Bl. 51 der Gerichtsakte), die aber auch in einem allgemeinen Wohngebiet (ausnahmsweise als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) und jedenfalls in einem Mischgebiet (allgemein als Geschäfts- und Bürogebäude nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) zulässig wären. Das Gericht lässt es dahinstehen, ob die innerhalb des beschriebenen Umgriffs der näheren Umgebung vorzufindenen Nutzungen dazu führen, dass vorliegend sogar von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO) oder einem faktischen Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO) auszugehen ist. Denn bei jeglicher Betrachtungsweise erweist sich das Bauvorhaben als nicht genehmigungsfähig.
(3) Die Nutzung des 1. OG des Wohnhauses auf Fl.-Nr. 789* … fällt entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht unter die Kategorie „Wohnungsprostitution“, sondern unter die Kategorie „bordellartiger Betrieb“.
Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dient ein Mischgebiet dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Die streitgegenständliche Nutzung ist eine selbstständige gewerbliche Tätigkeit. Es kann dahinstehen, ob der Betrieb als sonstiger Gewerbebetrieb gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO oder als Vergnügungsstätte im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO einzuordnen ist, da es entscheidungserheblich nur auf den im Mischgebiet zulässigen Störgrad nach § 6 Abs. 1 BauNVO ankommt, der für alle Gewerbebetriebe nach § 6 Abs. 2 und 3 BauNVO gilt.
Gewerbliche Nutzungen sind im Mischgebiet dann zulässig, wenn sie das Wohnen nicht we-sentlich stören (§ 6 Abs. 1 BauNVO). Während Bordelle und bordellartige Betriebe wegen ihrer typischen Auswirkungen auf die Nachbarschaft (“milieubedingte Unruhe”) eine wesentliche Störung des Wohnens darstellen und daher grundsätzlich als nicht mischgebietsverträglich anzusehen sind, muss bei der sog. Wohnungsprostitution die gleichfalls regelmäßig gegebene störende Wirkung typischerweise nicht so weit gehen, dass das Vorhaben generell unzulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2008 – 9 ZB 07.3224 -, Rn. 7, juris).
Ein bordellartiger Betrieb besteht aus von einer Person angemieteten Wohnungen, die einzel-nen Prostituierten für einen jeweils begrenzten Zeitraum mietweise überlassen werden (vgl. EZBK/Söfker, 136. EL Oktober 2019, BauNVO § 6 Rn. 30-34). Die sog. Wohnungsprostitution setzt demgegenüber voraus, dass die Prostituierten in der Wohnung, in der sie ihr Gewerbe ausüben, auch wohnen und zwar über einen längeren Zeitraum als nur wenige Wochen oder Monate. Die gewerbliche Nutzung darf nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung treten und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht das Gepräge geben. Von einer Wohnungsprostitution kann auch dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ein Gebäude ausschließlich von Prostituierten (und gegebenenfalls einer „Betriebsleiterin“) bewohnt und gewerblich genutzt wird (vgl. VG Regensburg, U.v. 7.2.2013 – RO 2 K 12.1550 – m.w.N., bestätigt durch BayVGH, B.v. 26.9.2014 – 15 ZB 13.656 -, juris).
Hiervon ausgehend ist die zur Genehmigung gestellte Nutzung in der Wohnung im 1. OG bauplanungsrechtlich als bordellartiger Betrieb und nicht als Wohnungsprostitution zu qualifizieren. Dies ergibt sich schon aus dem vom Betreiber eingereichten Betriebskonzept vom 23.5.2019 (Bl. 15 – 19 der Behördenakte). Danach wechseln sich die Prostituierten in der Regel in wöchentlichen Abständen ab. Die Akquise der Prostituierten erfolgt dabei über das Internet (kollegin.de/ladies.de). Eine Wohnungsprostitution würde hingegen voraussetzen, dass die Prostituierten in der Wohnung, in der sie ihr Gewerbe ausüben, auch über einen längeren Zeitraum als nur eine oder wenige Wochen wohnen. Eine Nutzung, die jedoch wie vorliegend darauf beruht, die betreffenden Räume einem ständig wechselnden Personenkreis zu überlassen, weist bereits aus diesem Grund kein wohnähnliches Erscheinungsbild mehr auf. Eine klassische Wohnnutzung, also ein auf Dauer und Häuslichkeit angelegtes Wohnen der Prostituierten, findet in der Wohnung im 1. OG des streitgegenständlichen Anwesens am H* Hellipweg 1 ausweislich des Betriebskonzepts nicht statt. Insoweit wird auch auf den von der Beklagten mit Schreiben vom 20.10.2021 eingereichten Melderegisterauszugs für das Anwesen am H* Hellipweg 1 verwiesen (Bl. 85 der Gerichtsakte). Damit ist, auch wenn die gewerbliche Nutzung nicht nach außen in Erscheinung tritt, die Nutzung des 1. OG maßgeblich durch gewerbliche Nutzung im Sinn eines bordellartigen Betriebs geprägt; eine Wohnungsprostitution in dem streitgegenständlichen Gebäudeteil mit dem Schwerpunkt „Wohnen“ und dem Vorhandensein eines Lebensmittelpunkts kann nach alledem nicht angenommen werden (vgl. zu Wohnungsprostitution und bordellartigem Betrieb OVG NRW, B.v. 12.5.2020 – 2 A 287/20; VGH Baden-Württemberg, U.v. 13.2.1998 – 5 S 2570/96 – jeweils juris).
Soweit der Kläger auf ein Urteil des VG Sigmaringen vom 23.4.2019 (Az. 6 K 2729/07) verweist, ändert dies nichts an der Einstufung des streitgegenständlichen Betriebs als bordellartigen Betrieb. Der Versuch des VG Sigmaringen für kleinere Betriebe gleichsam eine weitere Kategorie einer sog. „Terminwohnung“ zu schaffen, die vom Typus und Störpotential in einem Übergangsbereich zwischen einem bordellartigen Betrieb und einer Wohnungsprostitution liegen soll (Rn. 25 des Urteils), ist nicht zielführend im Hinblick auf die bauplanungsrechtlichen Auswirkungen eines solchen Betriebs. Der BayVGH hat insoweit zutreffend in seiner Entscheidung vom 16.5.2008 (9 ZB 07.3224, juris Rn. 8) darauf hingewiesen, „dass es dahinstehen kann, ob die Nutzung von Räumen ausschließlich zum Zwecke der Prostitution ohne damit verbundene Wohnnutzung in jedem Fall, d.h. auch dann, wenn kein größerer Betrieb vorliegt und etwa nur ein oder zwei Prostituierte dort ihr Gewerbe ausüben, schon als ein das Wohnen wesentlich störendes Gewerbe zu bewerten ist.“ Diese Auffassung macht sich die Kammer zu eigen, so dass auch vorliegend noch von einem bordellartigen Betrieb auszugehen ist, wenn nur ein oder zwei Prostituierte in einer kleinen Wohnung tätig sind, diese aber jedenfalls darin nicht fest wohnen.
Da es sich um einen bordellartigen Betrieb handelt, ist – im Gegensatz zum Fall der Wohnungsprostitution – keine differenzierte Einzelfallbetrachtung der Störungen für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit geboten. Die Gebietsverträglichkeit bzw. der Störgrad ist anhand einer typisierenden Betrachtungsweise zu beurteilen (vgl. BeckOK BauNVO/Hornmann, 20. Ed. 15.12.2019, BauNVO § 6 Rn. 52.5). Es kommt daher entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, ob der bordellartige Betrieb im konkreten Einzelfall bereits seit einiger Zeit besteht, ohne dass es bislang zu Störungen oder Beschwerden von Nachbarn gekommen ist, wobei der Betrieb ohnehin erst seit Mai 2019 existiert. Auch ist es entgegen dem Vortrag des Klägers unerheblich, ob die Lage des Anwesens durch eine gewisse Isoliertheit und Abgelegenheit gekennzeichnet sei, was aber ausweislich der Lagepläne und Luftbilder aus dem Bayern-Atlas und der eingereichten Lichtbilder der Beklagten von dem Objekt (Bl. 80 – 83 der Gerichtsakte) schon nicht zutreffend ist. Denn unmittelbar um das Anwesen am H* Hellipweg 1 befindet sich eine Umgebungsbebauung und das Anwesen liegt auch nicht am Rand des Mischgebiets zu einem unbebauten Außenbereich hin. Auch der Einwand des Klägers auf mögliche Störpotenziale von Bäckereien, Metzgereien, Kindergärten, Kinderspielplätzen oder Sportplätzen ist unbehelflich, da diese schon nicht mit einer gewerblichen Prostitutionsstätte vergleichbar sind. Auf diese vom Kläger geforderte Einzelfallprüfung kommt es gerade nicht an, weil von einem bordellartigen Betrieb bei einer typisierenden Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der Art und Weise des Betriebs in der Regel Beeinträchtigungen der Wohnruhe ausgehen, die so erheblich sind, dass die Nutzung mit dem Gebietscharakter nicht mehr vereinbar ist. Daher sind bordellartige Betriebe wegen ihrer negativen Auswirkungen („milieubedingte Unruhe“) im Mischgebiet generell unzulässig (stRspr, vgl. bspw. BayVGH, B.v. 10.6.2010 – 1 ZB 09.1971 -, Rn. 20, juris, m.w.N.). Zusammenfassend stellt die von der Beklagten untersagte Nutzung eine das Wohnen wesentlich störende gewerbliche Nutzung dar und ist somit nicht mischgebietsverträglich.
d) Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den Kläger als Grundstückseigentümer als Zustandsstörer nach Art. 9 Abs. 2 Satz 2 LStVG in Anspruch genommen hat und nicht Herrn S* …, der die Wohnung im 1. OG angemietet hat und zugleich der Betreiber der Modellwohnung ist.
Erweist sich eine bauliche Anlage oder deren Nutzung als baurechtswidrig, so hat sich die Auswahl des Adressaten einer Anordnung in erster Linie daran zu orientieren, wie die Gefahr am schnellsten und effektivsten abzuwehren ist. Im Falle der baurechtswidrigen Nutzung von Wohnräumen kommt als Adressat einer Anordnung zwar grundsätzlich immer auch der un-mittelbare Nutzer in Betracht und ist dieser wohl auch vorrangig in Anspruch zu nehmen, wenn nach den Umständen des Falles zu erwarten ist, dass den baurechtswidrigen Zuständen mit einem Vorgehen gegen den unmittelbaren Nutzer wirksam und dauerhaft begegnet werden kann. Wenn aber wegen häufig wechselnder Nutzungsverhältnisse (bordellartiger Betrieb) nicht hinreichend sicher ist, ob allein durch die Inanspruchnahme der Nutzungsberechtigten dauerhaft baurechtmäßige Zustände hergestellt werden können, bleibt nur die Inanspruchnahme des Grundstückseigentümers, da nur er es in der Hand hat, zukünftig für eine ordnungsgemäße Nutzung der Räumlichkeiten zu sorgen. Insoweit enthält dann die Nutzungsuntersagung auch ein Handlungsgebot zum aktiven Tätigwerden, nämlich die zur Verfügung stehenden eigentumsrechtlichen und/oder mietvertraglichen Möglichkeiten zu ergreifen, um die rechtswidrige Nutzung abzustellen (vgl. zum Ganzen OVG Koblenz, B.v. 13.7.2010 – 8 A 10623/10 – juris). Dem entsprechend hat der BayVGH klargestellt, dass der Auffassung, dass eine Nutzungsuntersagung, mit der nicht nur präventiv die künftige Nutzung untersagt, sondern auch eine bereits ausgeübte Nutzung untersagt werden soll, nicht an den Eigentümer bzw. Vermieter der Wohnung zu richten ist, sondern an den Mieter, jedenfalls dann nicht zu folgen ist, wenn – wie hier – die Wohnung bordellartig genutzt und einem ständig wechselnden Personenkreis überlassen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2007, Az. 1 ZB 06.2296). Anders als bei einer normalen Wohnnutzung ist milieutypisch nicht zu erwarten, dass vor Ort angetroffene Prostituierte die verantwortlichen Nutzer der Räumlichkeiten sind.
Vorliegend ist daher nicht zu beanstanden, dass die Nutzungsuntersagung nicht an den Betreiber der Modellwohnung als Mieter und Betreiber gerichtet wurde, sondern an den Kläger als Grundstückseigentümer, da eine Untersagung einer bordellartigen Nutzung „auf Dauer“ ohnehin nur an den Grundstückseigentümer gerichtet werden kann, da nur dieser es in der Hand hat, nach Beendigung aktueller Nutzungsverhältnisse zukünftig für eine dauerhafte Beendigung der bordellartigen Nutzung und eine ordnungsgemäße Nutzung der Räumlichkeiten zu sorgen (vgl. OVG Hamburg, B.v. 10.6.2005 – 2 Bs 144/05 – juris). Im Ergebnis wird daher bei unzulässigen bordellartigen bzw. vergleichbaren Nutzungen von der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Einschreiten gegen den Grundstückseigentümer grundsätzlich nicht beanstandet (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2007 – 1 ZB 06.2296 – juris).
2. Die Zwangsgeldandrohung in Ziff.
II. des angefochtenen Bescheids der Beklagten vom 29.11.2019 ist ebenfalls rechtmäßig. Einwände dagegen wurden vom Kläger nicht erhoben und sind auch nicht ersichtlich.
Die allgemeinen und besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 1, 29, 30, 31 und 36 VwZVG liegen vor.
Insbesondere erscheint das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- Euro angesichts des wirtschaftlichen Interesses des Klägers an der weiteren Nutzung des Anwesens zum Zwecke der Prostitution als angemessen (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG). Die gesetzte Frist zur Nutzungsaufgabe von drei Monate ab Vollziehbarkeit des Bescheids ist ebenfalls angemessen. Sie berücksichtigt einerseits das öffentliche Interesse an einer schnellstmöglichen Aufgabe der gebietsunverträglichen Nutzung, lässt den Kläger andererseits aber ausreichend Zeit, um die verbotswidrige Nutzung einzustellen bzw. den Mietvertrag mit dem Betreiber der Modellwohnung zu kündigen. Bauliche Maßnahmen sind mit der Nutzungsuntersagungsverfügung nicht verbunden.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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