Baurecht

Bürgerbegehren gegen Rathausneubau

Aktenzeichen  M 7 K 19.4657

Datum:
4.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33934
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 18a
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

1. Ein Bürgerbegehren ist unzulässig, wenn in der Fragestellung oder in der Begründung in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Können die Bürger weder aus der Fragestellung noch aus der Begründung des Bürgerbegehrens die Auswirkungen des Bürgerbegehrens nicht überblicken, liegt eine Irreführung der abstimmungsberechtigten Bürger vor, aus der sich zwingend die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens ergibt.  (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich für die Auslegung eines Bürgerbegehrens sind nicht die im Verlauf des Verfahrens erfolgenden Erläuterungen über seinen Sinn und Zweck, sondern allein der objektive Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung der Frage und der Begründung zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste.    (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Kläger, die als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gegen dessen Ablehnung im eigenen Namen unmittelbar Klage erheben können (Art.18a Abs. 8 Satz 2 GO), haben keinen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens „Mehrwert für Sch.“ (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Bürgerbegehren genügt bei einer Gesamtbetrachtung auch bei wohlwollender Auslegung nicht den Mindestanforderungen, die bei einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschriften über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide an ein zulässiges Bürgerbegehren zu stellen sind. Es verstößt gegen das aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) folgende Täuschungs- und Irreführungsverbot. Da das Bürgerbegehren nur einen Einzelaspekt der bereits seit mehreren Jahren laufenden städtebaulichen Planung zur neuen Ortsmitte der Gemeinde herausgreift, ohne dies und die damit verbundenen Folgen für die aktuelle Planung, deren konkrete Umsetzung unmittelbar bevorsteht, anzusprechen, ist davon auszugehen, dass die Bürger die Auswirkungen des Bürgerbegehrens nicht überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile nicht abschätzen können. Weiterhin enthält die Begründung nach dem derzeitigen Kenntnisstand eine unzutreffende, jedenfalls objektiv irreführende Angabe, soweit die Kosten für den Neubau einschließlich umfassender Neugestaltung der Außenanlagen auf über 10 Mio. Euro geschätzt werden.
Nach Art. 18a Abs. 4 Satz 1 GO muss ein Bürgerbegehren eine (auf allen Unterschriftenlisten gleichlautende) Begründung enthalten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren VerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf.4-IX-00 – VGH n.F. 53, 81/105). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 BV) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Stimmberechtigten können sowohl bei der Frage, ob sie ein Bürgerbegehren unterstützen und diesem zur erforderlichen Mindestunterschriftenzahl verhelfen (Art. 18a Abs. 6 GO), als auch bei der nachfolgenden Abstimmung über den Bürgerentscheid nur dann sachgerecht entscheiden, wenn sie den Inhalt des Begehrens verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Mit diesen Grundsätzen ist es nicht vereinbar, wenn in der Fragestellung oder in der Begründung eines Bürgerbegehrens in einer für die Abstimmung relevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert wird (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 33 m.w.N., B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris Rn. 31 m.w.N.). Das Gleiche muss gelten, wenn die Folgen einer angestrebten Rechtsänderung so lückenhaft oder missverständlich dargestellt werden, dass die Bürger, soweit sie nicht über spezielle Vorkenntnisse verfügen, den eigentlichen Inhalt des Regelungsvorschlags nicht erfassen können (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012, a.a.O Rn. 31). Eine Irreführung kann daher schon dann vorliegen, wenn eine unausweichliche rechtliche Konsequenz der angestrebten Regelung – wie etwa die endgültige Verhinderung statt der bloßen Änderung eines umstrittenen Vorhabens – in dem Bürgerbegehren an keiner Stelle auch nur ansatzweise zum Ausdruck kommt (vgl. Zöllner, BayVBl 2013, 129/135).
In ähnlicher Weise verhält es sich auch hier. Zwar soll mit dem hier streitgegenständlichen Bürgerbegehren keine Rechtsänderung, sondern vielmehr eine tatsächliche Änderung der aktuellen Planung eines Rathausneubaus herbeigeführt werden. Diese hätte jedoch zwangsläufig auch unmittelbare tatsächliche Auswirkungen auf die Umsetzung der Gesamtplanung der neuen Ortsmitte zur Folge, da sowohl der Abriss des Anbaus der ehem. Waldbauernschule als auch der Rathausneubau hiervon wesentliche Bestandteile sind und daher nicht lediglich isoliert betrachtet werden können. Demzufolge wäre im Falle eines erfolgreichen Bürgerentscheids jedenfalls der aktuelle Planungsentwurf hinfällig und würde zwangsläufig nicht umgesetzt. Planungsänderungen bezüglich einer Neugestaltung der Ortsmitte (neue Planung unter Erhalt des Anbaus und ohne Rathausneubau) sind hingegen angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts der Fragestellung nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens und verblieben somit in der Entscheidungszuständigkeit der Gemeinde. Mit dem aktuellen Planungsentwurf wären in der Folge auch die konkreten übrigen Bestandteile der Planung (insbesondere die Sanierung des Altbaus der ehem. Waldbauernschule mit geplantem Bürgersaal, Gastronomie, VHS-Räumen, die Schaffung von Räumlichkeiten für die Bibliothek sowie für interkommunale Büros sowie die Gestaltung eines Dorfplatzes) hinfällig und bedürften einer (noch nicht absehbaren) Neuplanung, sofern beabsichtigt wäre, diese trotz der grundlegend geänderten Umstände weiterzuverfolgen. Diese erheblichen Folgen können jedoch weder der Fragestellung noch der Begründung des Bürgerbegehrens auch nur ansatzweise entnommen werden, so dass die Bürger – unabhängig von evtl. Vorkenntnissen über den aktuellen Planungsstand – die Auswirkungen des Bürgerbegehrens nicht überblicken können. Es liegt insoweit eine Irreführung der abstimmungsberechtigten Bürger vor, aus der sich die Unzulässigkeit der konkreten Fragestellung ergibt (vgl. in diesem Sinne BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris Rn. 31).
Im Einzelnen:
Wie sich aus den unwidersprochenen Ausführungen und den vorgelegten Unterlagen der Beklagten in den gerichtlichen Verfahren sowie ergänzend aus den auf ihrer Homepage öffentlich zugänglichen Informationen ergibt, ist die neue Ortsmitte Gegenstand langjähriger Planungen, u.a. auch mit der Absicht, im Hinblick auf die zu knapp bemessenen Räumlichkeiten im bisherigen Rathaus einen Rathausneubau im Bereich der ehem. Waldbauernschule zu errichten. Die Beklagte hat die Liegenschaft der ehem. Waldbauernschule mit notariellem Kaufvertrag vom 17. Januar 2006 vom Freistaat Bayern erworben, wobei dem Verkäufer ein 20-jähriges Wiederkaufsrecht für den Fall einer höherwertigen Nutzung als derjenigen als Gemeinbedarfsfläche eingeräumt wurde. Die Unterbringung aller Büroflächen für die Gemeindeverwaltung auf dem Vertragsgrundstück war nach Aussage der Beklagten Geschäftsgrundlage des notariellen Kaufvertrags. Dem trägt der aktuelle Bebauungsplan der Gemeinde vom 21. April 2008 bereits Rechnung (Bebauungsplan Nr. 14 „Ortskern Sch.“, 1. Änderung), der eine Gemeinbedarfsfläche festsetzt sowie den Abriss des Anbaus der ehem. Waldbauernschule („Gebäude nach Abbruch nicht wieder zu erstellen“). Bereits im Jahr 2015 war die Vorauswahl für in Frage kommende Nutzungen getroffen worden. In der Gemeinderatssitzung vom 2. Februar 2016 wurde beschlossen, die Planungsleistungen für die in dem Nutzungs- und Gestaltungskonzept empfohlenen Maßnahmen (ehem. Waldbauernschule-Umbau, Rathausneubau und Neugestaltung des umgebenden Bereichs) an ein hierfür geeignetes Planungsbüro zu übergeben. Am 12. Juli 2016 entschied sich der Gemeinderat dafür, das Planungsbüro „D. A. AG“ mit der Betreuung und Koordination des gegenständlichen Wettbewerbsverfahrens zu beauftragen. Im Vorfeld hatte das Planungsbüro bereits im Januar 2016 im Auftrag der Beklagten eine Bausubstanz- und Nutzungsuntersuchung für die ehem. Waldbauernschule sowie Gestaltungsvorschläge für ihr städtebauliches Umfeld erstellt. Im Folgenden wurde der Wettbewerb als Realisierungswettbewerb mit freiraumplanerischem Ideenteil „Neue Ortsmitte Sch. mit Sanierung ehem. Waldbauernschule und Neubau Rathaus“ ausgelobt. In der Auslobung war als Ziel des Wettbewerbs die funktionale Stärkung und gestalterische Aufwertung der Ortsmitte genannt. Im neu entstehenden Ensemble sollten die Nutzungen des Rathauses, interkommunale Büroflächen, eine öffentlich zugängliche Bücherei sowie eine Gastronomie untergebracht werden. Im Jahr 2017 wurde der Architektenwettbewerb abgeschlossen und der Sieger (D. A. GmbH) hat die konkreten Planungen weitgehend abgeschlossen. Der entsprechende Bauantrag wurde zwischenzeitlich bereits eingereicht. Nach der aktuellen Planung soll der Rathausneubau zu 75% kommunal (Bürgerbüro, Verwaltung inkl. Reservebüros) genutzt werden und zu 25% öffentlich (Bibliothek mit Foyer, Lesegarten, interkommunale Büros, Haustechnik Ortsmitte). Der zu sanierende Altbau der ehem. Waldbauernschule ist zu 100% für eine öffentliche Nutzung (Tagescafé/ Bistro, Volkshochschule/Multifunktion, Bürgersaal mit Foyer) vorgesehen. Des Weiteren sollen ein Dorfplatz mit Maibaum sowie Stellplätze entstehen. Falls der Abriss des Anbaus der ehem. Waldbauernschule, der bereits fester Bestandteil der Auslobungsunterlagen des Wettbewerbs war, nicht erfolgen sollte, müsste der Wettbewerb nach einer über den Planer eingeholten Auskunft der Architektenkammer neu (vermutlich europaweit) ausgeschrieben werden. Wie in der Bausubstanz- und Nutzungsuntersuchung für die ehem. Waldbauernschule der „D. A. AG“ vom Januar 2016 ausgeführt wird, wurde die städtebauliche Neuordnung des gesamten Areals sowie die Möglichkeiten einer Neunutzung des seit 2006 denkmalgeschützten Altbaus der ehem. Waldbauernschule seit vielen Jahren intensiv in der Gemeinde diskutiert. Insgesamt bestehe darüber Einigkeit, dass der Bereich der ehem. Waldbauernschule eine zentrale Schlüsselposition für die weitere Ortsentwicklung und -gestaltung einnehme. In der Revitalisierung des erhaltenswerten Altbaus (im Kern aus dem Jahr 1568) im Zusammenhang mit einem maßvollen und situationsverträglichen Ergänzungsbau im Bereich der nachträglich errichteten, jedoch nicht erhaltenswerten Anbauten und einer gestalterischen Aufwertung der öffentlichen Verkehrs- und Freiflächen im Umfeld lägen enorme Potentiale zu einer Stärkung und Attraktivierung des Ortskernes. Weiter geht aus der Studie hervor, dass am 14. September 2015 eine Auftaktveranstaltung zum Bürgerdialog stattgefunden hatte, bei der Ergebnisse einer Ideensammlung unter Einbindung von Bürgern präsentiert wurden. Es handelt sich um eine Reihe von Vorschlägen zur Gestaltung und Nutzung der Ortsmitte, darunter u.a. Raumbedarf für die örtlichen Vereine, Dorfwirtshaus zum Kartenspielen, Ort zum Feiern/ Gemeindesaal für Hochzeiten, Dorfcafé mit Terrasse als Begegnungszentrum, Standort Maibaum, Umsiedlung der Gemeinde-/ Pfarrbücherei vom Kloster, Unterbringung der Gemeindeverwaltung räumlich-funktional besser in einem Neubau.
Das Bürgerbegehren bezieht sich in der Fragestellung eindeutig ausschließlich auf die Abdeckung des künftigen Flächenbedarfs der Verwaltung, die – anstelle des Neubaus eines Rathauses – mittels einer Sanierung des bestehenden Rathauses sowie des Anbaus der ehem. Waldbauernschule erfolgen soll. In der Begründung wird hierbei nur darauf Bezug genommen, dass in der Gemeinderatssitzung am 9. Juli 2019 ein Grundsatzbeschluss erfolgen solle, wonach anstelle des Anbaus der ehem. Waldbauernschule ein Rathausneubau zu errichten sei. Der Gemeinderat habe bereits im Mai 2019 sein Einverständnis zu einem Abriss des Anbaus der ehem. Waldbauernschule erteilt. Am 9. Juli 2019 solle nun über erste Vergaben entschieden werden. Nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens sind hingegen die weiteren Elemente der Planungen zur „Neuen Ortsmitte Sch.“, insbesondere die Sanierung des Altbaus der ehem. Waldbauernschule mit Schaffung von Räumen für Gastronomie, Volkshochschule und Bürgersaal, die Schaffung von Räumen für die Bibliothek und interkommunale Büros sowie die Gestaltung eines Dorfplatzes. In dem gesamten Text des Bürgerbegehrens werden die Planungen zur „Neuen Ortsmitte Sch.“ mit keinem Wort erwähnt. Die in der Begründung genannten konkreten Planungen betreffen nur den Abriss des Anbaus der ehem. Waldbauernschule und den Rathausneubau. Angesichts des eindeutigen Wortlauts lässt sich das Bürgerbegehren auch nicht dahingehend auslegen, dass gleichzeitig eine Verpflichtung der Gemeinde begründet werden soll, diese weiteren (z.T. auch äußerst kostenintensiven) Bestandteile der aktuellen Planung, die im Falle eines erfolgreichen Bürgerentscheids hinfällig wäre, weiterzuverfolgen und neu planen zu lassen. Die Fragestellung bezieht sich nach dem klaren Wortlaut nur auf den Flächenbedarf der Verwaltung, nicht hingegen auf evtl. sonstige (darüber hinausgehende) Flächenbedarfe für Volkshochschule, Bürgersaal, Bibliothek und interkommunale Büros. Für die Auslegung gilt, dass nicht die subjektive, im Lauf des Verfahrens erläuterte Vorstellung der Initiatoren vom Sinn und Zweck und Inhalt des Bürgerbegehrens, sondern nur der objektive Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung und Begründung der Frage zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste, maßgeblich ist (vgl. BayVGH, U.v. 19.2.1997 – 4 B 96.2928 – BayVBl 1997, 276/277; B.v. 25.6.2012 – 4 CE 12.1224 – juris Rn. 27). Somit ist es unerheblich, ob die Initiatoren des Bürgerbegehrens möglicherweise selbst davon ausgegangen sein mögen, dass die übrigen Planungen aufrechterhalten werden sollten oder könnten.
Die Bürger können somit anhand der Fragestellung und der Begründung nicht erkennen, dass es nicht lediglich um die Abstimmung über einen Rathausneubau anstelle des Anbaus der ehem. Waldbauernschule (so nach dem Wortlaut der Begründung) bzw. eine Sanierung des bestehenden Rathauses sowie des Anbaus der ehem. Waldbauernschule geht, sondern vielmehr in unmittelbarer Konsequenz auch um eine Abstimmung über ein über mehrere Jahre erarbeitetes konkretes städtebauliches Konzept zur Gemeindeentwicklung, das über den Flächenbedarf der Verwaltung weit hinausgehende Komponenten enthält. Die Tragweite der Entscheidung ist für den Bürger somit nicht erkennbar. Da es hierbei um den grundlegenden Inhalt der zu treffenden Entscheidung geht, kann der formelle Mangel des Bürgerbegehrens auch nicht dadurch kompensiert werden, den Bürger darauf zu verweisen, sich aus anderen Quellen über die Planungen zur neuen Ortsmitte bzw. den konkreten Planungsstand und -umfang zu informieren und selbst zu dem Schluss zu gelangen, dass das Bürgerbegehren nur einen Teil der Gesamtplanung betrifft, diese dann im Falle eines erfolgreichen Bürgerbegehrens hinfällig wäre und die weiteren Inhalte der aktuellen Planung möglicherweise nicht weiter verfolgt würden.
Das Bürgerbegehren weist darüber hinaus auch insoweit einen formellen Mangel auf, als es in seiner Begründung mit der Kostenschätzung für den Rathausneubau einschließlich umfassender Neugestaltung der Außenanlagen eine unzutreffende, jedenfalls objektiv irreführende Angabe enthält.
Die Begründung des Bürgerbegehrens erfüllt eine wichtige Informationsfunktion, weil sie den Unterzeichnern verdeutlicht, worauf sich die Fragestellung bezieht und welche Motive aus Sicht der Initiatoren für den angestrebten Bürgerentscheid maßgebend sind. Anders als die – meist von Verwaltungsmitarbeitern erarbeiteten – Beschlussvorlagen für Gemeinderatssitzungen, die der dortigen Diskussion und Abstimmung als Grundlage dienen und die bestehende Sach- und Rechtslage zunächst in neutraler Form darstellen sollten, muss aber die einem Bürgerbegehren beigefügte Begründung noch keinen (vorläufigen) Überblick über die Ausgangssituation und den kommunalpolitischen Streitstand vermitteln. Die Betreiber des Bürgerbegehrens nehmen am öffentlichen Meinungskampf teil und sind nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet. Die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger müssen sich vielmehr selbständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die – in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens – vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens daher nur, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt (vgl. BayVGH, U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – juris Rn. 35). Die inhaltliche Kontrolle der Begründung dient dem Ziel, einer Verfälschung des Bürgerwillens vorzubeugen. Es kommt daher nicht darauf an, ob einer objektiv wahrheitswidrigen Aussage auch eine entsprechende Täuschungsabsicht zugrunde lag (Zöllner, BayVBl 2013, 129/135 unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 20.1.2012 – 4 CE 11.2771 – juris). Selbst wenn eine ursprünglich zutreffende Darstellung erst durch spätere Entwicklungen unrichtig geworden ist, muss die Begründung als (nunmehr) irreführend beanstandet werden. Das allgemeine Risiko, dass ein mit zulässigem Inhalt gestartetes Bürgerbegehren infolge veränderter Umstände noch vor der Durchführung des Bürgerentscheids rechtswidrig wird oder sich das angestrebte Ziel nicht mehr erreichen lässt, kann den Initiatoren niemand abnehmen (Zöllner, BayVBl 2013, 129/ 135).
In der Begründung des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens werden die Kosten für den Rathausneubau einschließlich umfassender Neugestaltung der Außenanlagen mit „vermutlich über 10 Mio. Euro“ geschätzt angegeben. Nach den Einlassungen der Kläger soll es sich dabei um die zu erwartenden Baukosten ohne Berücksichtigung von Fördergeldern für den gesamten Rathausneubau (in der derzeit geplanten Form) handeln. Zwischenzeitlich liegen von der Beklagten veröffentlichte Zahlen vor. Nach der Kostenschätzung im Vorläufigen Finanzierungsplan 2019 – 2024 werden die (Brutto-)Kosten (ohne Berücksichtigung von Fördergeldern) für den „Neubau – Rathaus Kommunal“ mit 4.720.000,00 Euro beziffert und für den „Neubau – Rathaus Öffentlich, Bücherei und Interkommunale Büros“ mit 1.573.942, 21 Euro. Weiterhin werden Kosten in Höhe von 2.275.892,22 für „Allgemein – Abbruch/ Freiflächengestaltung/ Außenanlagen“ angegeben und für „Altbau – Sanierung ehem. Waldbauernschule“ ein Betrag von 5.840.436, 31 Euro. Demzufolge wären für den „Neubau – Rathaus Kommunal“ gegenüber der im Bürgerbegehren geschätzten Größenordnung von über 10 Mio. Euro lediglich 4,72 Mio. Euro zu veranschlagen, zuzüglich ggf. noch Kosten für den Abbruch des Anbaus der ehem. Waldbauernschule sowie zuzüglich Kosten für eine umfassende Neugestaltung der Außenanlagen (in Bezug auf den Rathausneubau). Dabei könnten hinsichtlich der anzunehmenden Kosten für die Außenanlagen und ggf. Abbruch wohl nicht die im vorläufigen Finanzierungsplan der Gemeinde veranschlagten Allgemeinkosten für das Gesamtprojekt „Neue Ortsmitte“ von 2.275.892,22 Euro in voller Höhe herangezogen werden, da in dieser Summe jedenfalls auch die Kosten für die Gestaltung des Dorfplatzes enthalten sind. Selbst wenn man jedoch die gesamte Summe heranziehen würde, ergäbe sich lediglich ein Gesamtbetrag in Höhe von 6.995.892,22 Euro. Setzt man diesen Betrag in Relation mit den im Bürgerbegehren geschätzten Aufwendungen für die beiden Sanierungen in Höhe von insgesamt 3,5 Mio. Euro, ergäbe sich eine Kosteneinsparung von ca. 3,5 Mio Euro. Bei den im Bürgerbegehren angegeben Kosten von über 10 Mio. Euro ergäbe sich hingegen gegenüber den angegebene Sanierungskosten eine Kosteneinsparung in Höhe von 6,5 Mio. Euro, was einer demgegenüber doppelten Summe nahe kommt. Hierin ist daher jedenfalls eine unzulässige Irreführung der abstimmungsberechtigten Bürger zu sehen, da diese in entscheidungsrelevanter Weise über die Höhe des Einsparungspotentials getäuscht werden und das Bürgerbegehren gerade eine deutliche Kosteneinsparung zum Ziel hat. Sofern man der Argumentation der Kläger folgen wollte, wonach eine Vergleichssumme aus dem Finanzierungsplan in Höhe von 8.569,834 Euro heranzuziehen wäre, würde dies ebenfalls auf eine Irreführung der Abstimmungsberechtigten hinauslaufen. In diesem Fall würden nämlich Kostenteile (Neubau Rathaus öffentlich, d.h. Bibliothek und interkommunale Büros) berücksichtigt, die gar nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens sind, da sich dieses ausschließlich auf den Flächenbedarf der Verwaltung (d.h. Neubau Rathaus Kommunal) beschränkt. Demzufolge würden kostenmäßig unterschiedliche Gegenstände verglichen, was dazu führen würde, dass den abstimmungsberechtigten Bürgern ein falsches Bild vermittelt wird. So würde der Eindruck entstehen, dass mit der Sanierung ein gleichwertiger Ersatz für das Raumprogramm des gesamten Neubaus, d.h. insbesondere auch Bibliothek und interkommunale Büros, verbunden ist, was jedoch nach dem Inhalt des Bürgerbegehrens nicht Gegenstand der Entscheidung ist. Ferner wäre, ohne dass es für die Entscheidung hierauf ankäme, auch fraglich, ob nicht bei diesem Punkt im Übrigen zu berücksichtigen wäre, dass in Bezug auf die hierfür angesetzten Kosten in Höhe von 1.573.942 Euro öffentliche Fördergelder in beträchtlicher Höhe (wohl 1.000.000 Euro) bewilligt wurden.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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