Baurecht

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Aktenzeichen  8 B 20.1656

Datum:
26.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12081
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 2 K 18.4417 2019-03-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
A. Die Berufung ist zulässig. Sie wurde rechtzeitig innerhalb der nach § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 VwGO verlängerten Begründungsfrist, die vor Ablauf der gesetzlichen Frist beantragt worden war, begründet. Die Berufungsbegründung erfüllt die Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO; sie enthält einen bestimmten Antrag und führt die Anfechtungsgründe im Einzelnen an.
B. Die Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der Kläger kann von der Beklagten beanspruchen, dass sie die Beseitigung der auf seinen Grundstücken liegenden Verkehrsflächen duldet.
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere als allgemeine Leistungsklage statthaft (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Kläger begehrt ein schlicht-hoheitliches Handeln (Duldung) der Beklagten. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht dadurch entfallen, dass die Asphaltschicht der H* Hellip-Straße und im Einmündungsbereich des K* …wegs bei Kanalverlegungsarbeiten entfernt wurde und der Kläger in diesem Bereich einen Zaun bzw. Pfosten angebracht hat (vgl. das von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 26.4.2022 übergebene Konvolut, S. 6).
Die Hauptsache ist erledigt, wenn ein nach der Klageerhebung eingetretenes prozessuales Ereignis dem Klagebegehren die Grundlage entzogen hat und die Klage deshalb für den Kläger gegenstandslos geworden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2018 – 5 C 11.17 – NVwZ-RR 2018, 659 = juris Rn. 12; Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 161 Rn. 8). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Kläger sein Rechtsschutzziel vollständig erreicht hat (vgl. Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 27; OVG NW, U.v. 16.9.2009 – 13 A 161/08 – juris Rn. 51).
Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Durch die eigenmächtige Absperrung seiner Grundstücke konnte der Kläger sein Rechtsschutzziel nicht erreichen. Denn er darf die tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche nicht ohne Weiteres sperren oder beseitigen, sondern benötigt dafür behördliche oder gerichtliche Hilfe. Da er die (straßenverkehrsrechtliche) Freigabe der tatsächlich-öffentlichen Verkehrsfläche durch Zustimmung der Beklagten zur Beseitigung nicht erhalten hat, benötigt er einen vollstreckbaren gerichtlichen Titel, der ihn dazu berechtigt; die rechtskräftige Entscheidung über die vorliegende Klage stellt einen solchen Titel dar (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 45; vgl. unten Rn. 81 f.). Im Übrigen befindet sich auf seinen Grundstücken weiterhin der Straßenunterbau, der noch nicht beseitigt ist.
II. Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger ist im Rahmen seiner aus dem privaten Eigentumsrecht folgenden Rechtsmacht (Art. 14 Abs. 1 GG, § 903 BGB) berechtigt, die Allgemeinheit von der Nutzung der H* Hellip-Straße und des K* …wegs auf seinen Grundstücken FlNr. … und … auszuschließen und die Verkehrsflächen dort zu beseitigen.
1. Der Kläger hat aus § 903 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte, die Beseitigung der über sein Grundstück verlaufenden Verkehrsflächen zu dulden.
Nach § 903 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Dies gilt auch im öffentlichen Recht. Der Eigentümer kann hieraus gegenüber dem Störer beanspruchen, jedenfalls die Maßnahmen zu dulden, die nötig sind, um eine rechtswidrige Eigentumsstörung zu beseitigen (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.2013 – 9 B 12.13 – NVwZ 2013, 1292 = juris Rn. 4; vorgehend BayVGH, B.v. 10.1.2013 – 8 B 12.305 – BayVBl 2013, 606 = juris Rn. 19).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Kläger ist ausweislich des Grundbuchs Eigentümer der Grundstücke FlNr. … und … und damit auch Eigentümer der sich auf diesen Grundstücken befindlichen Verkehrsflächen der H* Hellip-Straße und des K* …wegs. Die Grundstücksflächen sind als (unbewegliche) „Sache“ im Sinn des § 903 BGB zu qualifizieren (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 29 m.w.N.). Der Ausübung der Eigentümerbefugnisse des Klägers stehen kein Gesetz und keine Rechte Dritter entgegen. Das Recht des Klägers zum Ausschluss der Allgemeinheit von der Nutzung der beiden Straßenteilflächen durch Beseitigung der Verkehrsflächen ist nicht durch Gemeingebrauch (Art. 14 BayStrWG) infolge einer Widmung oder Widmungsfiktion (Art. 6 Abs. 8, Art. 67 Abs. 4 BayStrWG) eingeschränkt.
a) Die Verkehrsflächen auf den streitbefangenen Grundstücken des Klägers, die von der Beklagten als tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche in Anspruch genommen werden, gelten nicht nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG als gewidmet, sodass sie nicht die Eigenschaft einer öffentlichen Straße erhalten haben (Art. 6 Abs. 1 BayStrWG).
aa) Maßgeblich für die Eigenschaft der streitbefangenen Straßenflächen als öffentliche Verkehrsfläche ist die Eintragung bei der Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse (vgl. Art. 67 Abs. 3 BayStrWG). Art. 67 Abs. 4 BayStrWG bezeichnet als den für die Erlangung der Eigenschaft einer öffentlichen Straße maßgeblichen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 2 BayVwVfG die Eintragung in das Bestandsverzeichnis und nicht die Eintragungsverfügung (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – BayVBl 2013, 84 = juris Rn. 35). Hierbei ist in der Rechtsprechung des Senats als Grundsatz anerkannt, dass regelmäßig nur solche Grundstücke als gewidmet gelten, deren Flurnummern in der Eintragung genannt sind (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2014 – 8 ZB 12.1938 – juris Rn. 14; U.v. 21.4.2016 – 8 B 15.129 – juris Rn. 21, jeweils m.w.N.). Die schwerwiegenden Folgen für das Eigentum, die an die Erstanlegung und Veröffentlichung des Bestandsverzeichnisses geknüpft sind, erfordern es, dass die betroffenen Eigentümer diesen Rechtsakten eindeutig entnehmen können, dass ihr Grundstück mit der Eintragung gemeint ist. Diese notwendige Rechtsklarheit kann in der Regel nur durch Angabe der Flurnummer erzielt werden (vgl. BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – NVwZ-RR 1991, 57 = juris Rn. 21; U.v. 1.8.1991 – 8 B 89.1929 – BayVBl 1992, 562).
In den hier maßgeblichen Eintragungen in den Bestandsverzeichnissen vom 26. Mai 1964 (H* Hellip-Straße) und vom 9. Juni 1964 (K* Hellipweg) sind die in Anspruch genommenen klägerischen Grundstücke FlNrn. … und … nicht als Wegegrundstücke (Spalte 2 der Bestandsverzeichnisse) aufgeführt. Eingetragen wurde jeweils das Grundstück FlNr. … (alt). Bei diesem Grundstück handelte es sich um ein Wegegrundstück mit eigener Flurnummer, auf dem die beiden Straßen im Zeitpunkt der Ersteintragung verliefen und das im Eigentum der früheren Gemeinde H* … stand (vgl. deren Akten betreffend die erstmalige Anlegung der Bestandsverzeichnisse, Band 1, S. 48 [H* Hellip- Straße], 86 [K* Hellipweg] sowie der vorgelegte Straßenübersichtsplan zur Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse).
Die Voreigentümer durften darauf vertrauen, von der Eintragung nicht betroffen zu sein. Wird – wie hier – ein Straßengrundstück mit einer eigenen Flurnummer eingetragen, brauchen Eigentümer von Nachbargrundstücken nicht damit zu rechnen, dass die Widmung über die Grenzen der genannten Flurnummer hinausgreift (vgl. BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – NVwZ-RR 1991, 57 = juris Rn. 21; U.v. 28.2.2012 – 8 B 11.2934 – BayVBl 2013, 84 = juris Rn. 48). Der Widmungsumfang beschränkt sich in einem solchen Fall eindeutig auf die genannte Flurnummer und ist keiner Auslegung zugänglich, selbst wenn sich auf den nicht genannten Nachbargrundstücken Straßenbestandteile befinden (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand März 2020, Art. 6 Rn. 7, 9, Art. 67 Rn. 34; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Teil 2 Rn. 100). Die in der Ersteintragung der H* Hellip-Straße im Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen und des K* …wegs im Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege nicht angeführten Grundstücke des Klägers nehmen damit nicht an der Widmungsfiktion nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG teil, sondern sind unbelastetes Privateigentum geblieben, auch wenn die Straßen bereits damals über sie verlaufen sind. Für diese Straßenbestandteile gilt die negative Publizität des Art. 67 Abs. 5 BayStrWG (vgl. BayVGH, U.v. 13.12.2016 – 6 B 16.978 – BayVBl 2017, 418 = juris Rn. 15).
bb) Die Beklagte kann mit ihrer Gegenauffassung, die auf den Grundstücken des Klägers liegenden Straßenbestandteile seien trotz fehlender formaler Eintragung von der Widmungsfiktion nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG umfasst, nicht durchdringen.
(1) Selbst wenn die H* Hellip-Straße und der K* Hellipweg bereits im Zeitpunkt ihrer Ersteintragung im Bestandsverzeichnis über Grundstücke des Klägers verlaufen sind, führt dies nicht zu deren Widmung.
(a) Allein aus der Kenntnis vom tatsächlichen Wegeverlauf lässt sich für Betroffene nicht verlässlich entnehmen, dass ihr Grundstück gewidmet werden soll, weil fehlerhafte Vorstellungen über den Grenzverlauf nicht ausgeschlossen sind. Das darin liegende Risiko kann nicht auf die Grundstückseigentümer abgewälzt werden, zumal das Gesetz in Art. 67 Abs. 4 BayStrWG den Eintritt der Widmungsfiktion an einen Publikationsakt knüpft (vgl. BayVGH, U.v. 15.5.1990 – 8 B 86.558 – NVwZ-RR 1991, 57 = juris Rn. 21).
(b) Die Straßenbreiten bei Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse sind anhand der dem Senat vorliegenden Akten und Unterlagen nicht zu rekonstruieren. Wann es zu (einer) Verbreiterung(en) der Straßen gekommen ist bzw. ob diese über die Zeit „schleichend“ erfolgt ist, lässt sich anhand der Akten und der sonst vorgelegten Unterlagen nicht feststellen. Die Behauptung der Beklagten, der Ausbauzustand der H* Hellip-Straße und des K* …wegs habe sich über die Jahrzehnte nicht verändert, sondern sei gleichgeblieben, lässt sich damit nicht belegen.
(2) Der Vortrag der Beklagten, die H* Hellip-Straße und der K* Hellipweg hätten auf dem Wegegrundstück FlNr. … (alt) mangels Mindestbreite nie „funktioniert“, greift aus denselben Erwägungen nicht durch. Im Übrigen bleibt die Behauptung der Beklagten spekulativ, die beiden Straßen hätten die jeweilige Funktion ihrer Straßenkategorie (vgl. Art. 46 Nr. 1 BayStrWG [H* Hellip-Straße]; Art. 53 Nr. 1 BayStrWG [K* Hellipweg]; vgl. auch die Beschreibung in den Akten der früheren Gemeinde H* … zur Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse, Band 1 S. 48 [H* Hellip-Straße], 86 [K* Hellipweg]) auf FlNr. … (alt) nie erfüllen können.
(3) Für die damaligen Eigentümer (Großeltern des Klägers) war aus der Tatsache, dass ihre an das Wegegrundstück FlNr. … (alt) grenzenden Grundstücke im Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege als Straßenbaulastträgergrundstücke (vgl. Spalte 5) aufgeführt waren, nicht erkennbar, dass diese für den K* Hellipweg in Anspruch genommen werden sollten. Da es sich um einen Weg mit eigener Flurnummer gehandelt hat, mussten sie gleichwohl nicht mit einem Herausgreifen der Wegefläche auf diese Grundstücke rechnen (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.1996 – 8 B 96.1086 – BayVBl 1997, 372 = juris Rn. 19; U.v. 15.9.1999 – 8 B 97.1349 – BayVBl 2000, 345 = juris Rn. 43; U.v. 12.12.2000 – 8 B 99.3111 – BayVBl 2001, 468 = juris Rn. 55). Vielmehr durften sie darauf vertrauen, dass die im Bestandsverzeichnis zutreffend vorgenommene Differenzierung zwischen Wege- und Baulastträgergrundstücken (vgl. § 2 Abs. 2 i.V.m. Anlage 5 der Verordnung über die Straßen- und Bestandsverzeichnisse vom 21.8.1958, GVBl 205) den Tatsachen entspricht. Dass es die Großeltern des Klägers akzeptiert haben, als Straßenbaulastträger des K* …wegs eingetragen zu werden, bedeutet nicht, dass sie den Verlauf der Straße über ihr Grundstück erkannt haben und damit einverstanden waren. Der Umstand, dass sie als Straßenbaulastträger des K* …wegs (vgl. Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG i.d.F.v. 11.7.1958) am Verfahren beteiligt wurden und ihnen die Bekanntmachung über die Auslegung der Straßenbestandsverzeichnisse ausgehändigt wurde (vgl. Akten der früheren Gemeinde H* … zur Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse, Band 1 S. 124, 139, 146), ist deshalb rechtlich unerheblich.
Bei der H* Hellip-Straße, die bei der Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse als Gemeindeverbindungsstraße eingetragen wurde, sodass Straßenbaulastträgerin die frühere Gemeinde H* … war (vgl. Art. 47 Abs. 1 BayStrWG), wurden die Grundstücke des Klägers von vorneherein nicht als Baulastträgergrundstücke eingetragen.
(4) Auch aus Karten und Lageplänen (vgl. Behördenakte [BA] „H* Hellip-Straße“ [HA] S. 2 ff.; BA „K* Hellipweg“ [KS] S. 3 f., vgl. auch der vorgelegte Straßenübersichtsplan der früheren Gemeinde H* … zur Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse), auf die die Beklagte verweist, ergibt sich nicht, dass die H* Hellip-Straße und der K* Hellipweg bereits im Jahr 1964 die Grundstücke des Klägers FlNr. … und … in Anspruch genommen hätten. Die exakten Straßenbreiten bzw. eine Inanspruchnahme der an das Wegegrundstück FlNr. … (alt) angrenzenden Grundstücke lässt sich hieraus nicht entnehmen. Abgesehen davon wurde bei der Anlegung der Bestandsverzeichnisse hierauf nicht Bezug genommen, sodass sie nichts beitragen konnten zu der notwendigen Anstoßwirkung für private Grundstückseigentümer, ihre Betroffenheit durch die Wegefläche erkennen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.1998 – 8 ZE 98.3210 – juris Rn. 4; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 67 Rn. 25).
b) Die von den beiden Straßen in Anspruch genommenen Teilflächen der Grundstücke des Klägers gelten auch nicht nach Art. 6 Abs. 8 BayStrWG als gewidmet.
Wird eine Straße verbreitert, begradigt, unerheblich verlegt oder ergänzt, so gilt hiernach der neue Straßenteil durch die Verkehrsübergabe als gewidmet, sofern die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 BayStrWG vorliegen. Vor der Einfügung dieser Vorschrift (erstmals als Art. 6 Abs. 7 BayStrWG i.d.F.v. 5.10.1981, GVBl. S. 448) hat die Rechtsprechung geringfügige bzw. unwesentliche Veränderungen mit dem Grundsatz der „Elastizität der Widmung“ zu lösen versucht (vgl. BayVGH, U.v. 9.1.1990 – 8 B 88.1326 – BayVBl 1990, 661; U.v. 15.10.1991 – 8 B 89.1631 – juris Rn. 24; Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 80; Zimniok, BayStrWG, 5. Aufl. 1970, Art. 6 Anm. 6).
aa) Ob der Überbau im Ausmaß von ca. 400 m2 eine nur unerhebliche Verbreiterung der Straße i.S.d. Art. 6 Abs. 8 BayStrWG darstellt, kann offenbleiben.
Die Widmungsfiktion nach Art. 6 Abs. 8 BayStrWG greift nach ständiger Rechtsprechung des Senats in allen vom Gesetz angeführten Alternativen, also auch bei der Verbreiterung einer Straße, nur in Fällen geringfügiger oder unwesentlicher baulicher Veränderungen der Straße (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 8 ZB 12.2525 – BayVBl 2014, 147 = juris Rn. 12). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Bestimmung, die eine Ausnahmeregelung von dem in Art. 6 Abs. 1 BayStrWG normierten formellen Widmungsprinzip darstellt und deshalb im Interesse der Rechtssicherheit eng auszulegen ist (vgl. BayVGH, U.v. 9.1.1990 – 8 B 88.1326 – BayVBl 1990, 661 f.).
Gegen das Vorliegen einer nur geringfügigen bzw. unwesentlichen Änderung spricht vorliegend, dass die Verbreiterung relativ umfangreiche Grundstücksflächen (betreffend den Kläger ca. 400 m2) in Anspruch nimmt (vgl. auch BayVGH, U.v. 15.9.1999 – 8 B 97.1349 – BayVBl 2000, 345 = juris Rn. 8, 43). Die Frage bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung, weil jedenfalls die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3
BayStrWG, auf die Absatz 8 verweist, nicht vorliegen (vgl. Rn. 60 ff.).
bb) Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 BayStrWG, auf die Absatz 8 verweist, liegen nicht vor. Es fehlt an einem dinglichen Recht der Beklagten an den überbauten Privatflächen; die (Vor-)Eigentümer haben der Widmung auch nicht zugestimmt.
Art. 6 Abs. 8 BayStrWG setzt die Verfügungsbefugnis des Straßenbaulastträgers als tatbestandliche Voraussetzung für den Eintritt der Widmungsfiktion bei Verkehrsübergabe voraus (so ohne nähere Begründung auch BayVGH, B.v. 4.10.2011 – 8 ZB 11.210 – juris Rn. 10; B.v. 25.9.2014 – 6 ZB 14.888 – juris Rn. 8). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, dem in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Willen des Gesetzgebers und einer verfassungskonformen Auslegung der Norm unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechte (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 BV) der hiervon betroffenen Grundstückseigentümer.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift („so gilt der neue Straßenteil durch die Verkehrsübergabe als gewidmet, sofern die Voraussetzungen des Absatzes 3 vorliegen“), der Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 8 ZB 19.2200 – NVwZ-RR 2020, 991 = juris Rn. 14 m.w.N.), spricht für diese Auslegung. Der neue Straßenteil soll (nur dann) als gewidmet gelten, wenn die Verfügungsbefugnis des Straßenbaulastträgers (Art. 6 Abs. 3 BayStrWG) vorliegt. Das Gesetz stellt damit nicht nur eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Widmungsfiktion auf; vielmehr soll der neue Straßenteil (nur dann) als gewidmet gelten, wenn eine Verfügungsbefugnis vorliegt (so auch Sauthoff, Öffentliche Straßen, Teil 2 Rn. 122). Dass der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt hat, dass diese im Zeitpunkt der Verkehrsübergabe vorliegen muss, ändert daran nichts (so aber Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 80; Grupp in Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 2 Rn. 35). Normbetroffene Grundstückseigentümer können hieraus nicht in zumutbarer Weise entnehmen (vgl. BayVerfGH, E.v. 29.4.1983 – Vf. 16-VII-80 – VerfGHE 36, 56/68), dass die im Gesetz ausgesprochene Rechtsfolge (Widmungsfiktion) unabhängig von ihrer Zustimmung bzw. Verfügungsbefugnis des Straßenbaulastträgers eintreten soll.
(2) Auch die Gesetzesbegründung (vgl. LT-Drs. 9/6241 S. 10) stützt das Ergebnis der Auslegung anhand des Wortlauts der Vorschrift. Danach orientierte sich der Landesgesetzgeber bei der Einführung des Art. 6 Abs. 7 BayStrWG (F.v. 5.10.1981) an § 2 Abs. 6a FStrG. Der Bundesgesetzgeber hat bei der Einführung dieser Vorschrift mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (2. FStrÄndG) erläutert, die Fiktion einer Widmung nach § 2 Abs. 6a FStrG gelte nur dann, wenn im Übrigen die Voraussetzungen für eine förmliche Widmung nach Absatz 2 vorliegen (vgl. BT-Drs. 7/1265 S. 15). Auch den Gesetzgebungsmaterialien zu § 6 Abs. 5 StrWG des Landes Schleswig-Holstein (vgl. 4. Wahlperiode, Drs. Nr. 466 S. 42), auf die der Bundesgesetzgeber in seiner Begründung Bezug genommen hat, sind keine Anhaltspunkte für eine erweiternde Auslegung zu entnehmen, wonach der Eintritt der Widmungsfiktion keiner Verfügungsbefugnis des Straßenbaulastträgers bedürfte.
(3) Dieses Ergebnis wäre auch durch eine verfassungskonforme Auslegung zu gewinnen, selbst wenn die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung unterschiedliche Deutungen der Vorschrift zuließen (vgl. BVerfG, B.v. 22.3.2018 – 2 BvR 780/16 – BVerfGE 148, 69 = juris Rn. 150). Nur so wird dem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 BV) der betroffenen Grundstückseigentümer ausreichend Rechnung getragen (so auch Sauthoff, Öffentliche Straßen, Teil 2 Rn. 122 m.w.N.; VGH BW, U.v. 17.10.2018 – 5 S 1276/16 – juris Rn. 60 zu § 5 Abs. 7 Satz 1 StrG BW; Saarl-OVG, B.v. 30.11.1990 – 1 W 156/90 – NVwZ-RR 1992, 58 = juris Rn. 4 zu § 2 Abs. 6a FStrG; in diese Richtung auch OVG NW, B.v. 18.9.2018 – 11 A 2467/16 – juris Rn. 38 ff. zu § 6 Abs. 8 Satz 1 StrWG NRW; offengelassen BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 8 ZB 12.2525 – BayVBl 2014, 147 = juris Rn. 13; a.A. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 81; Grupp in Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 2 Rn. 35).
Mit der Widmungsfiktion wird das Grundeigentum in hohem Maße eingeschränkt; es verbleibt weitgehend eine „inhaltslose Hülse“ (vgl. Art. 6 Abs. 5, Art. 13 Abs. 1, Art. 22 Abs. 1 BayStrWG; BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 CS 12.802 – juris Rn. 9). Deshalb verbietet sich eine Auslegung, die dem Eigentümer – über den eindeutigen Wortlaut der Norm hinausgehend – abverlangt, gegen eine ohne seine Zustimmung eintretende Widmungsfiktion gerichtlichen Rechtsschutz gegen den Straßenbaulastträger in Anspruch zu nehmen (so aber Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 81). Allein mit dem Bestreben nach Verwaltungsvereinfachung (vgl. LT-Drs. 9/6241 S. 10) lässt sich ein derart gravierender Eingriff in private Eigentumsrechte nicht rechtfertigen (vgl. auch BVerfG, B.v. 5.2.2002 – 2 BvR 305/93 u.a. – BVerfGE 105, 17 = juris Rn. 82).
2. Liegen die Voraussetzungen des § 903 BGB – wie hier – vor, berechtigt dies allein noch nicht zur Beseitigung der Verkehrsflächen. Vielmehr muss der Kläger befugt sein, die vormals erfolgte Freigabe der Verkehrsfläche zur Nutzung durch die Allgemeinheit zu widerrufen (vgl. dazu unten a). Zudem bedarf er eines behördlichen oder gerichtlichen Aktes, der ihm das Recht zur Beseitigung ermöglicht (vgl. unten b).
a) Liegt eine Wegefläche auf einem nicht gewidmeten Grund, weil weder eine Widmung nach Art. 6 BayStrWG vorliegt noch von einer Widmungsfiktion nach Art. 67 Abs. 4 oder Art. 6 Abs. 8 BayStrWG auszugehen ist, und hat der Verfügungsberechtigte – wie im vorliegenden Fall – aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Duldung die Benutzung des Wegs durch die Allgemeinheit zugelassen oder ist zumindest aus Sicht der Verkehrsteilnehmer nach objektiv erkennbaren äußeren Umständen von einer konkludenten Freigabe zur Verkehrsnutzung auszugehen, handelt es sich um eine tatsächlich-öffentliche Verkehrsfläche. Diese unterliegt nicht dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz (vgl. Art. 1 Satz 1 BayStrWG), sondern als öffentliche Straße im Sinne von § 1 StVG und § 1 StVO nur dem Straßenverkehrsrecht (vgl. BayVGH, U.v. 17.2.2003 – 11 B 99.3439 – juris Rn. 32; B.v. 14.7.2010 – 8 ZB 10.475 – juris Rn. 8; Art. 3 Abs. 1 Satz 1 ZustGVerk). Dies hat zur Folge, dass der Berechtigte nach § 32 StVO keine Sperren oder andere Verkehrshindernisse errichten darf (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 37 m.w.N).
Will der Eigentümer den Weg dennoch sperren, muss er die vormals erfolgte Freigabe der Fläche zur Verkehrsnutzung gegenüber der Allgemeinheit widerrufen (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2007 – 11 ZB 06.2058 – juris Rn. 45). Voraussetzung dafür ist, dass der Widerruf nicht ausgeschlossen ist, etwa, weil die Zustimmung zur Nutzung unwiderruflich erteilt wurde, das Recht zum Widerruf verwirkt ist oder ein Widerruf sonst rechtsmissbräuchlich wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
aa) Das Widerrufsrecht des Klägers ist nicht verwirkt.
Zwar kann dieses Gestaltungsrecht nach allgemeinen Grundsätzen verwirkt werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2006 – 8 ZB 05.1473 – BayVBl 2007, 149 = juris Rn. 3). Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für das Rechtsinstitut der Verwirkung ist der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Verwirkung ist eine besondere Ausprägung dieses Grundsatzes und gilt auch im öffentlichen Recht (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 29.8.1996 – 2 C 23.95 – BVerwGE 102, 33 = juris Rn. 24; B.v. 18.7.2019 – 6 B 18.19 – juris Rn. 7). Sie ist ein Hauptanwendungsfall des „venire contra factum propium“ (Verbot widersprüchlichen Verhaltens), wonach ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser seinen Anspruch nach längerer Zeit nicht mehr geltend machen würde, und wenn er sich infolge seines Vertrauens so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Maßgeblich für die Annahme der Verwirkung ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.2018 – 3 B 24.18 – VRS 134, 157 = juris Rn. 14 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.2.2022 – 8 CS 21.1051 – juris Rn. 36).
An die Verwirkung des Widerrufsrechts der Freigabe einer privaten Wegfläche für den allgemeinen Verkehr sind hohe Anforderungen zu stellen. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn der Eigentümer den Weg für den öffentlichen Verkehr mit Wissen und Wollen hingenommen und einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, diese Freigabe nicht mehr zu widerrufen. Aus dem Einverständnis mit der Benutzung eines Wegs durch die Allgemeinheit kann regelmäßig nicht auf eine Verwirkung des – aus dem Eigentumsrecht (vgl. § 902 Abs. 1 Satz 1, § 903 Satz 1 BGB) abgeleiteten – Widerrufsrechts geschlossen werden, auch wenn es über längere Zeit hinweg bestanden hat (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 8 CS 21.1245 – juris Rn. 26 m.w.N.; vgl. auch BGH, U.v. 16.5.2014 – V ZR 181/13 – NVwZ-RR 2014, 712 = juris Rn. 21).
Ausgehend davon ist das Widerrufsrecht des Klägers nicht verwirkt.
(1) Der Kläger selbst hat sein Recht auf Widerruf der verkehrlichen Nutzung der über seine Grundstücke verlaufenden Straßen nicht verwirkt.
Der Kläger wurde erst am 15. Oktober 2008 als Eigentümer der überbauten Grundstücke im Grundbuch eingetragen. Bereits davor (ab Dezember 2004) hatte er – gemeinsam mit seiner Mutter – Gespräche mit Vertretern der Beklagten zur Herbeiführung einer Lösung für den Überbau geführt (vgl. Aktenvermerk vom 17.12.2004, BA „Eichfeldstraße – Gemeindeverbindungsstraße“ im Parallelverfahren Az. 8 B 20.1655, S. 54). Aus den Verhandlungen konnte die Beklagte nicht annehmen, der Kläger wolle sein Widerrufsrecht aufgeben. Dass er den Rückbau der Straßen nicht früher gefordert hat, führt bei der Beklagten nicht zu einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand, dass der Kläger dies dauerhaft – auch ohne Gegenleistung – nicht mehr tun wollte.
(2) Auch die Mutter des Klägers hatte als Voreigentümerin das eigentumsbezogene Recht zum Widerruf der Verkehrsfreigabe für die Allgemeinheit nicht verwirkt.
Den Akten lässt sich nicht entnehmen, seit wann die Voreigentümer von der Inanspruchnahme ihrer Grundstücke durch die H* Hellip- Straße und den K* Hellipweg Kenntnis hatten. Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen lässt sich ebenfalls nicht erkennen, dass deren Verhalten gegenüber der Beklagten den objektiven Erklärungswert gehabt hätte, ohne Einigung über eine Gegenleistung die verkehrliche Nutzung dauerhaft einräumen oder dulden zu wollen. Die Beklagte konnte deshalb nicht darauf vertrauen, dass die Eigentümer ohne Einigung über eine Gegenleistung die verkehrliche Nutzung weiter dulden; gegen ein solches Vertrauen spricht auch, dass sie bis zuletzt Versuche unternommen hat, die überbauten Grundflächen zu erwerben.
bb) Der von dem Kläger verfolgte Ausschluss der Öffentlichkeit von der verkehrlichen Nutzung seiner Grundstücke verstößt auch nicht deshalb gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil es nur den Zweck hätte, die Beklagte zu schädigen.
Die Rechtsausübung kann sich im Einzelfall als treuwidrig erweisen, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse des Berechtigten zugrunde liegt, sie also für ihn nutzlos ist und nur als Vorwand für die Erreichung unlauterer Zwecke dient (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 42 m.w.N.). Bei Ansprüchen aus Eigentum, für die Rechtssicherheit und Bestandschutz von herausragender Bedeutung sind, fehlt das schutzwürdige Eigeninteresse aber nur in seltenen Ausnahmefällen (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 8 CS 21.1245 – juris Rn. 31; BGH, U.v. 19.6.2012 – II ZR 241/10 – RdL 2012, 296 = juris Rn. 12, jeweils m.w.N.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Das Beseitigungsverlangen ist nicht treuwidrig, weil es nicht nur den Zweck hat, die Beklagte zu schädigen; die überbauten Teilflächen könnten der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt werden.
b) Vor der Sperrung oder Beseitigung einer tatsächlich-öffentlichen Verkehrsfläche für den öffentlichen Verkehr muss ein Grundstückseigentümer nach ständiger Rechtsprechung des Senats die erforderlichen behördlichen oder gerichtlichen Schritte zur Durchsetzung seiner Rechte gegenüber der Allgemeinheit unternehmen.
Zwar ist nach einem rechtswirksamen Widerruf die weitere Nutzung der Verkehrsfläche durch die Allgemeinheit rechtswidrig; der Kläger darf diesen Zustand – wie jedes andere rechtswidrige Verhalten Dritter – eigenmächtig aber nur unterbinden, wenn die Voraussetzungen einer erlaubten Selbsthilfe (§§ 229 f. BGB) oder der Besitzwehr (§ 859 BGB) vorliegen oder ihm ein sonstiger Rechtfertigungsgrund zur Seite steht (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 45). In allen anderen Fällen – so auch hier – ist der Grundstückseigentümer darauf zu verweisen, behördliche oder gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung seiner Rechte in Anspruch zu nehmen. Er muss daher zunächst die von der Rechtsordnung vorgesehenen behördlichen und gerichtlichen Mittel ergreifen und auf diesem Weg seine Befugnis zur Ausübung seiner Eigentümerrechte durchsetzen. Andernfalls liegt eine unzulässige Selbsthilfe vor (vgl. BayVGH, B.v. 11.1.2005 – 8 CS 04.3275 – NuR 2005, 463 = juris Rn. 12; U.v. 26.2.2013 – 8 B 11.1708 – BayVBl 2013, 629 = juris Rn. 33). Hierzu muss er sich an die zuständige Straßenverkehrsbehörde wenden – und ggf. auch an die zuständige Straßenbaubehörde, wenn die Beseitigung der Verkehrsfläche inmitten steht (vgl. BayVGH, U.v. 15.09.1999 – 8 B 97.1349 – BayVBl 2000, 345 = juris Rn. 35 ff.; B.v. 10.1.2013 – 8 B 12.305 – BayVBl 2013, 606 = juris Rn. 18) -, um die (straßenverkehrsrechtliche) Freigabe der Verkehrsfläche durch Zustimmung zur Sperrung bzw. Beseitigung zu erlangen. Gelingt ihm dies nicht, bedarf es eines vollstreckbaren gerichtlichen Titels, der ihn zur Sperrung des Wegs berechtigt; die rechtskräftige Entscheidung über die vorliegende Klage stellt einen solchen Titel dar.
3. Dem Anspruch des Klägers aus § 903 BGB steht auch im Hinblick auf das im Jahr 2018 eingeleitete Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 188 „H* Hellip-Straße Süd“ nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.
Ein Folgenbeseitigungsanspruch kann nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht durchgesetzt werden, wenn die Legalisierung des als rechtswidrig erkannten und andauernden Zustands sicher zu erwarten ist und zeitlich unmittelbar bevorsteht (vgl. BVerwG, U.v. 6.9.1988 – 4 C 26.88 – BVerwGE 80, 178 = juris Rn. 15; U.v. 26.8.1993 – 4 C 24.91 – BVerwGE 94,100 = juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 24.4.1996 – 4 B 95.2804 – NJW 1996, 3163 = juris Rn. 11 f.). Die bloße Möglichkeit einer nachträglichen Legalisierung genügt hingegen nicht; solche Umstände sind ggf. im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 767 ZPO geltend zu machen (vgl. BVerwG, U.v. 6.9.1988 – 4 C 26.88 – BVerwGE 80, 178 = juris Rn. 17 f.; Schübel/Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 37).
a) Eine isolierte Straßenplanung mit einem lediglich Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) festsetzenden Bebauungsplan ist zulässig (vgl. BVerwG, U.v. 3.6.1971 – IV C 64.70 – BVerwGE 38, 152 = juris Rn. 19; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58 = juris Rn. 36; BayVGH, U.v. 30.4.2003 – 8 N 01.3009 – BayVBl 2004, 625 = juris Rn. 50; vgl. auch Hösch in Zeitler, BayStrWG, Art. 38 Rn. 273). Die planende Gemeinde kann damit im Rahmen ihrer Selbstverwaltung eine eigene kommunale Verkehrspolitik betreiben (vgl. BVerwG, U.v. 7.6.2001 – 4 CN 1.01 – BVerwGE 114, 301 = juris Rn. 11; BayVGH, U.v. 30.3.2010 – 8 N 09.1861 u.a. – BayVBl 2011, 339 = juris Rn. 47); der Bau einer Gemeindeverbindungsstraße gehört hierzu.
b) Aus den beigezogenen Planaufstellungsakten und den Erläuterungen der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergibt sich nicht, dass eine Legalisierung des rechtswidrigen Zustands unmittelbar bevorstünde.
Der Stadtrat der Beklagten hat am 21. November 2018 die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 188 („H* Hellip-Straße Süd“) beschlossen. Am 24. Juli 2019 billigte er einen Vorentwurf des Bebauungsplans, zu dem die Öffentlichkeit und die Behörden und Träger öffentlicher Belange frühzeitig beteiligt wurden (vgl. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 BauGB). Die Stellungnahmefrist endete am 13. September 2019. In der mündlichen Verhandlung am 26. April 2022 erklärte die Beklagtenseite, es sei beabsichtigt, den Bebauungsplanentwurf im Mai oder Juni 2022 vom Stadtrat billigen zu lassen (§ 3 Abs. 2 BauGB).
Die planerische Festsetzung der Straßenfläche (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) ist damit bislang nicht in Kraft getreten (vgl. dazu BVerwG, U.v. 19.9.2019 – 9 C 5.15 – juris Rn. 14); das Inkrafttreten steht auch nicht unmittelbar bevor. Insbesondere fehlt es an einer Abwägungsentscheidung des zuständigen Gremiums der Beklagten nach § 10 Abs. 1 BauGB, bei der alle betroffenen und schutzwürdigen privaten Interessen, insbesondere die Inanspruchnahme von Privateigentum des Klägers, in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB einzustellen sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1998 – 4 BN 6.98 – NVwZ 1998, 845 = juris Rn. 4; U.v. 27.8.2009 – 4 CN 1.08 – BRS 74 Nr. 20 = juris Rn. 10 ff.). Die Verwaltungsgerichte dürfen aber nicht darauf abstellen, was die Gemeinde planen könnte, auch wenn dies im Einzelfall naheliegen mag; maßgeblich ist allein, ob sie tatsächlich rechtmäßig geplant hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.9.1988 – 4 C 26.88 – BVerwGE 80, 178 = juris Rn. 15; U.v. 26.8.1993 – 4 C 24.91 – BVerwGE 94,100 = juris Rn. 53). Daher muss es für das Gericht möglich sein, zu prüfen, ob die nachträglichen Festsetzungen und Abwägungen mutmaßlich rechtlichen Bestand haben werden (vgl. BVerwG, B.v. 16.10.2014 – 4 B 41.14 – juris Rn. 5). Dies ist im hier vorliegenden Stadium des Planaufstellungsverfahrens nicht möglich.
Hinzu kommt noch, dass der Kläger den isolierten Straßenbebauungsplan gerichtlich angreifen kann (vgl. OVG Berlin-Bbg, U.v. 6.10.2016 – OVG 1 B 11.15 – juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 10.11.1992 – 5 S 517/91 – NVwZ-RR 1994, 7 = juris Rn. 21). Im Übrigen führt die geplante Festsetzung der von der Straße in Anspruch genommenen Grundflächen als Verkehrsflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) noch zu keiner Änderung der Eigentumsverhältnisse (vgl. auch BayVGH, B.v. 15.6.1998 – 8 CE 96.4097 – juris Rn. 19; zur tendenziellen Entbehrlichkeit der vorherigen Durchführung eines Enteignungsverfahrens nach rechtskräftiger Abweisung eines gegen den Bebauungsplan gerichteten Normenkontrollantrags vgl. BVerwG, U.v. 19.9.2019 – 9 C 5.19 – juris Rn. 14). Der Kläger hat angekündigt, sich gegen eine nachfolgende Enteignung zu wehren, weil er auf Ersatzflächen für seine Landwirtschaft angewiesen sei.
Nach alldem kann vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die Legalisierung des lange als rechtswidrig erkannten Zustands unmittelbar bevorsteht.
4. Die am 22. Januar 2019 in Kraft getretene Veränderungssperre (i.d.F.d. 1. Änderungssatzung vom 25.7.2019) zum Bebauungsplan Nr. 188 „H* Hellip-Straße Süd“, die mit Satzung vom 29. Oktober 2021 ein weiteres Mal verlängert wurde, steht dem Anspruch aus § 903 BGB ebenfalls nicht entgegen.
Der Anspruch auf Folgenbeseitigung scheidet aus, wenn der angestrebte Zustand der Rechtsordnung widerspricht (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2015 – 6 B 33.15 – NVwZ-RR 2016, 225 = juris Rn. 14; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 37). Die vom Kläger begehrte Entfernung der Verkehrsflächen der auf seinen Grundstücken gelegenen Straßen zielt nicht auf die Herstellung eines rechtswidrigen Zustands. Die Veränderungssperre, mit der die Beklagte insbesondere verhindern will, dass der Kläger die über seine Grundstücke verlaufenden Verkehrsflächen der H* Hellip-Straße beseitigt, ist nicht wirksam. Hinsichtlich des K* …wegs kommt noch hinzu, dass sich der räumliche Geltungsbereich des Bebauungsplanentwurfs (i.d.F.d. 1. Änderungssatzung vom 25.7.2019) nur auf eine Teilfläche des Überbaus auf Grundstück FlNr. … beschränkt (vgl. Grunderwerbsplan der Beklagten vom 22.12.2004, BA HA S. 32; von einem Ingenieurbüro erstellter Plan des Klägers, BA HA S. 93).
a) Setzt die Behörde das Mittel des Bebauungsplans für eine isolierte Straßenplanung ein, kann sie ihre Planung mit einer Veränderungssperre nach §§ 14 ff. BauGB sichern (vgl. BVerwG, U.v. 3.6.1971 – IV C 64.70 – BVerwGE 38, 152 = juris Rn. 25; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 27b Rn. 15; Beckmann, UPR 2017, 41 Abschnitt C.II). Nach § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt erlassen, dass Vorhaben i.S.d. § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen (Nr. 1) bzw. erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken und baulichen Anlagen, deren Veränderungen nicht genehmigungs-, zustimmungsoder anzeigepflichtig sind, nicht vorgenommen werden dürfen (Nr. 2). Die Veränderungssperre tritt nach zwei Jahren außer Kraft; sie kann um ein Jahr verlängert werden (§ 17 Abs. 1 Satz 1 und 3 BauGB). Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Gemeinde die Frist um ein weiteres Jahr verlängern (§ 17 Abs. 2 BauGB).
b) Die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB lagen im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2007 – 4 BN 36.07 – ZfBR 2008, 70 = juris Rn. 3) nicht vor.
aa) Dass die Veränderungssperre gleichzeitig mit dem Aufstellungsbeschluss im Amtsblatt der Beklagten bekanntgemacht wurde (vgl. Ausgabe Nr. 2 vom 22.1.2019 S. 10, 12) steht deren materieller Rechtmäßigkeit nicht entgegen. Die ortsübliche Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses ist keine materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die (inhaltliche) Beschlussfassung über die Veränderungssperre, sondern nur für dessen satzungsmäßige Bekanntmachung (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.1989 – 4 B 236.88 – UPR 1989, 193 = juris Rn. 6; B.v. 6.8.1992 – 4 N 1.92 – NVwZ 1993, 471 = juris Rn. 19; Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 14 Rn. 10).
bb) Bei dem mit dem Bebauungsplan Nr. 188 „H* Hellip-Straße Süd“ von der Beklagten verfolgten Planungsziel, die Verkehrsfunktion der H* Hellip-Straße als … zu gewährleisten und Flächen für einen bedarfsgerechten Ausbau zu sichern (vgl. Erläuterungsbericht vom 5.8.2019 S. 2), handelt es sich um keine unzulässige Negativplanung. Eine Gemeinde darf mit der Bauleitplanung auch städtebauliche Ziele verfolgen, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen (vgl. BVerwG, B.v. 7.5.2020 – 4 BN 13.20 – BRS 88 Nr. 35 = juris Rn. 6; BayVerfGH, E.v. 21.6.2016 – Vf. 15-VII-15 – BayVBl 2017, 12 = juris Rn. 46).
cc) Für die Veränderungssperre bestand aber kein Sicherungsbedürfnis.
Ein solches ist in aller Regel erst dann gegeben, wenn Umstände vorliegen oder für die Gemeinde erkennbar werden, welche die Verwirklichung der gemeindlichen Planungsabsichten gefährden oder erschweren können (vgl. BVerwG, B.v. 8.1.1993 – 4 B 258.92 – Buchholz 406.11 § 17 BauGB Nr. 8 = juris Rn. 7). Eine abstrakte Gefährdung der gemeindlichen Planungsabsichten genügt, d.h. die nicht ganz entfernte Möglichkeit, dass Veränderungen, die die Planungsabsichten beeinträchtigen können, in Betracht kommen können (vgl. BayVerfGH, E.v. 21.6.2016 – Vf. 15-VII-15 – BayVBl 2017,12 = juris Rn. 54; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 14 Rn. 64; Jarass/Kment, BauGB, 3. Aufl. 2022, § 14 Rn. 10).
Eine so verstandene abstrakte Gefährdung der planerischen Absicht der Beklagten, die Verkehrsfunktion der H* Hellip-Straße als Gemeindeverbindungsstraße sowie Flächen für einen bedarfsgerechten Straßenausbau zu sichern, lag nicht vor. Die Befürchtung, der Kläger könnte die auf seinen Grundstücken liegenden Verkehrsflächen entfernen, war im Zeitpunkt des Satzungserlasses rechtlich unbegründet.
Der Kläger durfte die weitere Nutzung der Verkehrsfläche durch die Allgemeinheit nicht eigenmächtig unterbinden, sondern war gehalten, behördliche oder gerichtliche Hilfe zur Durchsetzung seiner Rechte in Anspruch zu nehmen. Ein vollstreckbarer gerichtlicher Titel, der ihn zur Sperrung der über sein Grundstück verlaufenden tatsächlich-öffentlichen Verkehrsflächen des Eichfeldwegs berechtigt, liegt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die vorliegende Leistungsklage nicht vor (vgl. oben Rn. 81). Bis dahin kann die Beklagte eine (Teil-)Sperrung bzw. Beseitigung von Verkehrsflächen mit einer Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. § 32 Abs. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 27 StVO abwehren (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2021 – 8 CS 21.1245 – juris Rn. 19).
Auch in tatsächlicher Hinsicht gilt nichts Anderes. Der Kläger hat vor Erlass der Veränderungssperre weder angekündigt noch damit begonnen, die auf seinen Grundstücken liegenden Verkehrsflächen der H* Hellip-Straße und des K* …wegs eigenmächtig zu beseitigen. Vielmehr verfolgt er sein Beseitigungsbegehren mit der vorliegenden Klage, um einen gerichtlichen Titel zu erlangen. Soweit die Beklagte ein Sicherungsbedürfnis auf die Errichtung eines Zauns im Bereich der H* Hellip-Straße/K* Hellipweg (vgl. die in der Sitzung am 26.4.2022 übergebenen Fotos S. 6 f.) sowie frühere Verhaltensweisen des Klägers (Widerstand gegen das Schließen einer Baugrube auf Straßengrund im Bereich FlNr. …1; Widerstand gegen Pflanzenrückschnitt) stützen will, haben die Beteiligten die diesbezüglichen Sachverhalte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht einheitlich dargestellt. Aber selbst wenn man die Schilderung der Beklagten zugrunde legt, ergibt sich daraus kein Sicherungsbedürfnis. Die Veränderungssperre dient der Sicherung der planerischen Ziele der Gemeinde; sie ist kein Sicherungsinstrument zur Aufrechterhaltung der verkehrlichen Nutzung einer Straße. Maßnahmen, welche die verkehrliche Nutzung der Straße beeinträchtigen können, aber nicht zu den planungsgefährdenden Maßnahmen i.S.d. § 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BauGB zählen, gehören nicht zum zulässigen Inhalt einer Veränderungssperre; ein Sicherungsbedürfnis kann demzufolge nicht auf solche Maßnahmen gestützt werden. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe nur mit dem Erlass der Veränderungssperre vor weitergehenden Eingriffen abgehalten werden können, bleibt dies zudem spekulativ.
Dass planungsgefährdende Maßnahmen i.S.d. § 14 Abs. 1 BauGB von Dritten in Betracht kämen, ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
c) Die Voraussetzungen für die (erste) Verlängerung der Veränderungssperre nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB lagen am 30. September 2020 (Beschlussfassung des Stadtrats über die Verlängerungssatzung) aus denselben Erwägungen nicht vor (vgl. auch OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.2.2020 – OVG 10 A 1.16 – juris Rn. 95).
d) Noch viel weniger waren bzw. sind die Voraussetzungen für die weitere Verlängerung der Veränderungssperre (vgl. § 17 Abs. 2 BauGB) gegeben.
aa) Nach § 17 Abs. 2 BauGB kann die Gemeinde die Frist bis zu einem weiteren Jahr nochmals verlängern, wenn besondere Umstände es erfordern. Die zweite Verlängerung der Veränderungssperre unterliegt erhöhten Anforderungen; dem liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass eine Bauleitplanung unter normalen Umständen innerhalb von drei Jahren abgeschlossen werden kann (vgl. Bericht des Ausschusses für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht, 3. Wahlperiode, zu Drucksache 1794 S. 6; BVerwG, U.v. 10.9.1976 – IV C 39.74 – BVerwGE 51, 121 = juris Rn. 41; NdsOVG, B.v. 24.2.2021 – 1 MN 174/20 – DVBl 2021, 1572 = juris Rn. 17).
Besondere Umstände liegen nur vor, wenn ein Planverfahren durch eine Ungewöhnlichkeit gekennzeichnet wird, die sich von dem allgemeinen Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abhebt; dabei kann es sich um Besonderheiten des Umfanges, des Schwierigkeitsgrades oder des Verfahrensablaufes handeln. Notwendig ist weiterhin ein ursächlicher Zusammenhang; die Ungewöhnlichkeit des Falls muss ursächlich dafür sein, dass die Aufstellung des Planes mehr als die übliche Zeit erfordert. Zudem darf die Gemeinde die Verzögerung nicht zu vertreten haben (vgl. BVerwG, U.v. 10.9.1976 – IV C 39.74 – BVerwGE 51, 121 = juris Rn. 42; NdsOVG, B.v. 24.2.2021 – 1 MN 174/20 – DVBl 2021, 1572 = juris Rn. 17; vgl. auch Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 17 Rn. 4).
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen lagen „besondere Umstände“ i.S.d. § 17 Abs. 2 BauGB im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die weitere Verlängerung der Veränderungssperre (Stadtratsbeschluss vom 27.10.2021) nicht vor.
Die Tatsache, dass die Beklagte eine „kooperative Lösung“ verfolgt, die mit dem Kläger geführten Verhandlungen aber erfolglos blieben (vgl. Niederschrift der Sitzung des Stadtrats der Beklagten vom 27.10.2021), genügt dafür nicht. Soweit die Beklagte Verfahrensverzögerungen mit der Corona-Pandemie begründet, ist anzuführen, dass in den Jahren 2018 bis März 2020 keine Pandemielage bestand und für die nachfolgende Zeit weder dargelegt noch erkennbar ist, dass das Aufstellungsverfahren maßgeblich durch damit verbundene Erschwernisse (einschließlich Personalausfälle) behindert worden wäre.
Auch das „Verkehrskonzept H* … …“, dessen Erstellung der Ausschuss für Verkehrsfragen und ÖPNV der Beklagten am 29. Oktober 2020 beschlossen hat, führt nicht zu „besonderen Umständen“ im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB. Mit dem Konzept, das erst ca. zwei Jahre nach Erlass der Veränderungssperre initiiert wurde, soll das Landschaftsschutzgebiet „I* … …“ vom motorisierten Individualverkehr entlastet werden (vgl. Sitzungsniederschrift des Stadtrats vom 27.10.2021 S. 2). Die sich hieraus ergebende Zielsetzung, Verkehrszusammenhänge übergreifend zu betrachten (mit Auswirkungen auf vier Bebauungsplanaufstellungsverfahren), macht für sich alleine die Planung nicht besonders schwierig oder umfangreich. Die Beklagte hat dies in den vorgelegten Planaufstellungsakten auch nicht konkret festgehalten (vgl. Lemmel in Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow, Berliner Kommentar [BK] zum BauGB, Stand Januar 2022, § 17 Rn. 7; Rieger in Schrödter, BauGB, § 17 Rn. 11).
e) Ob dem Anspruch des Klägers aus § 903 BGB die Veränderungssperre (vgl. dort § 2) entgegengehalten werden könnte, weil es sich bei der überbauten Verkehrsfläche um eine „bauliche Anlage“ handelt, ist nach alldem nicht entscheidungserheblich.
Die Beklagte wendet gegen das Ersturteil (vgl. dort UA Rn. 39 f.) zu Recht ein, dass eine ständige Rechtsprechung des Senats, wonach § 14 Abs. 1 BauGB auf öffentliche Verkehrsflächen unanwendbar ist, nicht existiert (zuletzt offengelassen BayVGH, B.v. 13.7.2018 – 8 CE 18.1071 – DVBl 2018, 1242 = juris Rn. 16 a.E.). Im Übrigen kann die Anlegung einer (öffentlichen) Straße im Einzelfall bauplanungsrechtliche Relevanz aufweisen; dass Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBO Anlagen des öffentlichen Verkehrs von seinem Anwendungsbereich ausnimmt (vgl. UA Rn. 40) ist rechtlich unerheblich (vgl. BayVGH, U.v. 14.9.2009 – 8 B 08.2829 – BayVBl 2010, 176 = juris Rn. 14).
Ob die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Recht der öffentlichen Straßen unterhalb der Bundesfernstraßen (Art. 30, 70 Abs. 1, 72 Abs. 1 und Art. 74 Nr. 22 GG) die Anwendung des § 14 BauGB auf eine öffentliche Gemeindestraße verbietet oder durch die Bundeskompetenz für das Bodenrecht (Art. 74 Nr. 18 GG) gedeckt ist (vgl. zur Abgrenzung auch BVerfG, B.v. 8.11.1972 – 1 BvL 15/68 u.a. – BVerfGE 34, 139 = juris Rn. 32 f.), muss ebenfalls nicht beantwortet werden. Bei den streitbefangenen Straßenflächen handelt es sich im Übrigen um nicht gewidmete, tatsächlich-öffentliche Verkehrsflächen, die nicht dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz unterliegen (vgl. BayVGH, U.v. 15.2.2021 – 8 B 20.2352 – BayVBl 2021, 747 = juris Rn. 37).
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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