Baurecht

Duldung der Beseitigung tatsächlich öffentlicher Verkehrsflächen durch den Grundstückseigentümer

Aktenzeichen  M 2 K 18.3545

Datum:
12.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 60782
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 14
BGB § 903 S. 1
BayStrWG Art. 6 Abs. 1, Abs. 8, Art. 14, Art. 67 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5
BauGB § 14, § 29

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger die auf den gesamten Grundstücken Flurnummern 370/1, 368/1 und 368/4 jeweils der Gemarkung … liegenden Verkehrsflächen ihrer Straßen und Wege sowie die auf den Grundstücken Flurnummern 370, 370/2, 368, 368/2 und 368/5 jeweils der Gemarkung … liegenden Verkehrsflächen ihrer Straßen und Wege entfernt, soweit diese Verkehrsflächen auf den vorgenannten Grundstücken des Klägers liegen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige allgemeine Leistungsklage hat in der Sache Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Kläger begehrt die Duldung der Beseitigung der auf den Grundstücken des Klägers liegenden Verkehrsflächen der Beklagten durch den Kläger, also eine tatsächliche Leistung und keinen Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 BayVwVfG. Mit der allgemeinen Leistungsklage kann der Kläger grundsätzlich einen materiellen Anspruch auf Duldung gegenüber der Behörde durchsetzen.
2. Der Kläger ist auch klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), da eine Rechtsbeeinträchtigung des Klägers in seinem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) möglich erscheint.
Liegt eine Wegefläche, die faktisch für den öffentlichen Verkehr genutzt wird, auf einer nicht gewidmeten Grundstücksfläche, handelt es sich um eine tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche. Eine solche Fläche, bei der zumindest aus Sicht der Verkehrsteilnehmer nach den objektiv erkennbaren äußeren Umständen von einer Freigabe zur öffentlichen Verkehrsnutzung auszugehen ist, unterliegt dem Straßenverkehrsrecht. Zur Vermeidung der Ausübung unzulässiger Selbsthilfe (§ 229 BGB) oder verbotener Eigenmacht (§ 858 BGB) ist der betroffene Grundstückseigentümer oder sonstige Berechtigte darauf verwiesen, zur Wahrnehmung seiner Rechte die vorgesehenen behördlichen und gerichtlichen Mittel zu ergreifen und auf diesem Weg gegen den Straßenbaulastträger die Befugnis zur Ausübung seiner Eigentümerrechte durchzusetzen (vgl. BayVGH, U.v. 26.2.2013 – 8 B 11.1708 – juris Rn. 22 und 31 ff.; VG München, U.v. 13.10.2015 – M 2 K 15.1586 – juris). So liegt der Fall auch hier, da die maßgeblichen Teilflächen der streitgegenständlichen Grundstücke, die im Eigentum der Kläger stehen, nicht gewidmet sind, aber als tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche in der Baulast der Beklagten genutzt werden (vgl. hierzu im Folgenden unter II).
II. Die Klage ist auch begründet.
1. Der Kläger ist im Rahmen seiner aus dem Eigentumsrecht folgenden Rechtsmacht (Art. 14 Abs. 1 GG, § 903 Satz 1 BGB) berechtigt, die Allgemeinheit von der Nutzung der auf seinen Grundstücken befindlichen Teilflächen der E* … straße auszuschließen und diese zu entsiegeln und zu renaturieren. Nach § 903 Satz 1 BGB kann der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Im Öffentlichen Recht gilt nichts anderes. Umfasst wird der Anspruch gegenüber dem Störer, hier der Beklagten, jedenfalls die Maßnahmen zu dulden, die nötig sind, die rechtswidrige Eigentumsstörung zu beseitigen (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.2013 – 9 B 12.13 – juris Rn. 4).
Das Recht des Klägers zum Ausschluss der Allgemeinheit von der Nutzung der E* … straße durch Beseitigung der Verkehrsflächen auf den in seinem Eigentum stehende Grundstücksflächen für den öffentlichen Verkehr ist nicht durch die Eröffnung des Gemeingebrauchs (Art. 14 BayStrWG) infolge einer öffentlichrechtlichen Widmung oder Widmungsfiktion (Art. 67 Abs. 4 BayStrWG) eingeschränkt. Die von der Beklagten im Zuge der E* … straße als tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche in Anspruch genommenen Teilflächen der klägerischen Grundstücke gelten nicht nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG als gewidmet. Maßgeblich für die Eigenschaft der streitbefangenen Wegefläche als öffentliche Verkehrsfläche ist die Eintragung im Zuge der Erstanlegung im Bestandsverzeichnis der Beklagten nach Art. 67 Abs. 3 BayStrWG. Liegt eine solche Eintragung unanfechtbar vor, so gilt die Zustimmung nach Art. 6 Abs. 3 Alt. 3 BayStrWG als erteilt und die Widmung (Art. 6 Abs. 1 BayStrWG) als verfügt. Ist eine Straße demgegenüber nicht in das Bestandsverzeichnis aufgenommen, gilt sie nach Art. 67 Abs. 5 BayStrWG nicht als öffentliche Straße. Dabei entfalte die erstmalige Anlegung eines Bestandsverzeichnisses regelmäßig nur für solche Grundstücke die Rechtswirkung der Widmungsfiktion, deren Flurnummern in der Eintragung auch genannt sind (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2017 – 8 ZB 17.1189 – juris Rn. 20; B.v. 15.3.2017 – 8 ZB 15.1610 – juris Rn.11 f.). Eine faktische oder konkludente Widmung kennt das Bayerische Straßen- und Wegerecht hingegen nicht (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2017 aaO; B.v. 21.4.2016 – 8 B 15.129 – juris Rn. 21).
Vorliegend ist in der erstmaligen Eintragung im Bestandsverzeichnis vom 5. Juni 1964 nur die Fl.Nr. 381 der Gemarkung … genannt, nicht jedoch die Flurnummern der streitgegenständlichen Grundstücke des Klägers. Die späteren Änderungen der Eintragungen im Bestandsverzeichnis vom 20. Juni 1991, vom 8. Oktober 2007 und vom 22. Juli 2014 erfolgten ohne eine den Anforderungen des Art. 6 BayStrWG entsprechende Widmungsverfügung nach Art. 6 BayStrWG und die hierfür notwendigen Bekanntmachung nach Art. 41 BayVwVfG. Die Eintragung in das straßen- und wegerechtliche Bestandsverzeichnis außerhalb der erstmaligen Anlegung dieses Verzeichnisses (Art. 67 Abs. 3 BayStrWG) hat jedoch keinen Einfluss auf die negative Publizität nach Art. 67 Abs. 5 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 BayStrWG (BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 8 ZB 17.473). Die Widmungsfiktion nach Art. 67 Abs. 4 BayStrWG gilt nur für die erstmalige Anlegung des Bestandsverzeichnisses. Für eine rechtswirksame Änderung der Widmung ist eine Widmungsverfügung nach Art. 6 BayStrWG erforderlich, woran es vorliegend fehlt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten gelten die streitgegenständlichen Flächen auch nicht nach Art. 6 Abs. 8 BayStrWG als gewidmet. Gemäß dieser Vorschrift, die den ursprünglich von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsatz der Elastizität der Widmung normiert, gilt bei einer Verbreiterung, Begradigung, unerheblichen Verlegung oder Ergänzung einer Straße der neue Straßenteil durch die Verkehrsübergabe als gewidmet, sofern die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 BayStrWG vorliegen. Diese Vorschrift greift vorliegend schon deshalb nicht, weil es sich nicht nur um eine unwesentliche Änderung der Straße handelt.
Zwar ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die Formulierung „unwesentlich“ nur bei einer „Verlegung“ der Straße genannt ist, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, dass die Widmungsfiktion generell nur in Fällen von untergeordneter Bedeutung eingreifen kann (BayVGH, B.v. 23. 9. 2013 – 8 ZB 12.2525; Zeitler/Häußler, 28. EL Januar 2018, BayStrWG Art. 6 Rn. 80-83). Denn als Ausnahme vom Prinzip der Formstrenge ist Art. 6 Abs. 8 BayStrWG im Interesse der Rechtssicherheit eng auszulegen (BayVGH, B.v. 23.9.2013 – 8 ZB 12.2525; Allesch, BayVBl. 2016, 217/218). Wesentliche Änderungen der Straße bedürfen daher stets der förmlichen Widmung (vgl. Marschall in Marschall/Schroeter/Kastner, FStrG, 5. Aufl. 1998, § 2 Rn. 34). Liegt keine unwesentliche Änderung vor, greift auch die Widmungsfiktion nicht ein (vgl. BayVGH, U.v. 24. 10. 2005 – 6 B 01.2416 juris Rn. 31). Im streitgegenständlichen Fall erstreckt sich die Verbreiterung der E* … straße auf nicht gewidmete, im Eigentum des Klägers stehende Grundstücksflächen im Umfang von mehr als 150 m². Von einer unwesentlichen Verbreiterung kann hier keine Rede mehr sein.
Auch die Umstufungsverfügung vom 27. August 2007 führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Umstufung einer Straße setzt vielmehr eine gewidmete Straße voraus. Die Umstufung erstreckte sich somit nur auf die Straße im gewidmeten Umfang.
Es fehlt somit an einer Widmung bzw. Widmungsfiktion (Art. 67 Abs. 4 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Alt. 3 und Abs. 1 BayStrWG) der hier streitigen Flächen. Durch die Herstellung und Unterhaltung der E* … straße durch die Beklagte und ihre Nutzung als tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche ist für die Kläger als Eigentümer mithin ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden, der bis in die Gegenwart fortdauert. Die Beklagte ist nach Art. 47 Abs. 1 BayStrWG Trägerin der Straßenbaulast für die E* … straße und daher als zuständige Straßenbaubehörde (Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG) auch richtige Adressatin der hier streitbefangenen Ansprüche.
2. Den vorgenannten, nach § 902 Abs. 1 Satz 1 BGB unverjährbaren (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.2013 – 9 B 12.13 – juris Rn. 4) Anspruch hat der Kläger bzw. seine Rechtsvorgängerin weder verwirkt noch wäre seine Durchsetzung für die Beklagte unzumutbar.
2.1. Der Kläger bzw. seine Rechtsvorgängerin hat das Recht auf Geltendmachung der aus dem Grundstückseigentum folgenden Rechte hinsichtlich der von der Beklagten als tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche in Anspruch genommenen Grundstücksflächen nicht verwirkt.
Nachdem dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz – wie vorstehend ausgeführt – eine faktische oder konkludente Widmung nicht bekannt ist und ein Grundstückseigentümer in Ausübung seines Eigentumsrechts grundsätzlich jederzeit die Zustimmung zur Nutzung einer Fläche durch die Allgemeinheit als tatsächlichöffentliche Verkehrsfläche widerrufen oder einschränken kann, sind die außergerichtliche Vorgehensweise des Klägers und seiner Rechtsvorgängerin und sein nunmehr verfolgtes Rechtsschutzbegehren nicht als Verstoß gegen den auch im Öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) zu beanstanden. Die als Unterfall dieses Grundsatzes als Rechtsinstitut anerkannte Verwirkung hat zwei tatbestandliche Voraussetzungen, die kumulativ gegeben sein müssen (vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 53 Rn. 23). Zum einen muss das Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht worden sein, nachdem dies dem Rechtsinhaber möglich war (Zeitmoment); zum anderen müssen besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).
Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Rechtsvorgängerin des Klägers zumin dest seit dem Jahr 1982 (Abmessungsprotokoll) Kenntnis von der rechtlichen Situation gehabt hat, kann daraus nicht auf eine Verwirkung des Klagerechts geschlossen werden. Die Treuwidrigkeit einer Rechtsausübung ergibt sich vor allem aus einer Verletzung des Vertrauensschutzes und setzt unter anderem voraus (vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs aaO Rn. 23 f.), dass der von der Rechtsausübung Betroffene, hier also die Beklagte, infolge eines Verhaltens des Berechtigten, hier der Rechtsvorgängerin des Klägers, darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde. Als Vertrauensgrundlage reicht das reine Schweigen oder Nichtstun, also der bloße, selbst extrem lange Zeitablauf in der Regel allerdings nicht aus. Der Umstand also, dass der Kläger bzw. dessen Rechtsvorgängerin nach dem Vortrag der Beklagten die seit Jahrzehnten existierende E* … straße über einen nicht unerheblichen Zeitraum auf ihren Grundstücken hingenommen haben, ist mithin als solches von Rechts wegen unerheblich. Für ein positives Verhalten der Rechtsvorgängerin des Klägers bzw. des Klägers selbst, etwa eine ausdrücklich duldende Willensäußerung oder ein erkennbar bewusstes Absehen von der Geltendmachung der aus dem Eigentum sich ergebenden Rechte, obwohl dies aufgrund der Umstände zu erwarten gewesen wäre, mit dem die Begründung einer schützenswerten Vertrauensgrundlage der Beklagten einhergehen würde, ist nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Rechtsvorgängerin des Klägers nach Aktenlage zahlreiche Versuche unternommen, mit der Beklagten in Verhandlungen zur Bereinigung der Situation zu treten. Zudem fehlt es auch am Vorliegen der daneben ebenfalls notwendigen besonderen Umstände, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen ließen (Umstandsmoment). Es sind keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher im vorstehenden Sinne notwendigen besonderen Umstände ersichtlich, die die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens zuließen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hinsichtlich des Gewichts von staatlicher Seite geschaffener sog. „vollendeter Tatsachen“ bei der Beseitigung entsprechender rechtswidriger Zustände anerkannt, dass sich faktische Macht gegenüber dem Bürger nicht deshalb durchsetzt, weil sie bereits vollzogen wurde, sondern weil sie von der Rechtsordnung hierzu legitimiert ist. Der Gesetzgeber regelt durch das einfachgesetzliche Verfahren, hier durch das Widmungsrecht im Bayerischen Straßen- und Wegegesetz, im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur Inhalt und Schranken des Eigentums; vielmehr sollen derartige Verfahren auch durch ihre spezifische Ausgestaltung – gewissermaßen im Vorfeld der materiellen Entscheidung – den Betroffenen Grundrechtsschutz vermitteln (vgl. BVerwG, U.v. 26.8.1993 – 4 C 24.91 – juris Rn. 52). Mithin ist es vorliegend im Lichte von Art. 14 Abs. 1 GG nicht Sache der Beklagten, die Sinnhaftigkeit des klägerischen Begehrens im Hinblick auf die zukünftige Verwendung seiner Grundstücke zu hinterfragen; auch vermag sie sich außerhalb des normativen Kontextes, der sich für das Vorliegen der notwendigen Widmungsvoraussetzungen aus Art. 6 Abs. 3, Art. 67 Abs. 3 und 4 BayStrWG ergibt, nicht auf den faktischen Bestand der E* … straße und die hierfür getätigten Investitionen und Aufwendungen, die von der Beklagten zudem auch weder konkret beziffert bzw. noch auch nur überschlägig angegeben wurden, zu berufen.
2.2. Der klägerische Anspruch ist auch nicht wegen Unzumutbarkeit ausgeschlossen. Die Beklagte kann nicht für sich in Anspruch nehmen, eine Duldung der Beseitigung der Verkehrsflächen auf den streitbefangenen Grundstücken sei nicht zumutbar.
Es ist zwar anerkannt, dass im Einzelfall ein öffentlichrechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch, dessen tatbestandliche Voraussetzungen an sich vorliegen, ausnahmsweise ausgeschlossen sein kann, wenn die Beseitigung mit unverhältnismäßigen, vernünftigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden wäre (vgl. beispielsweise BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 ZB 12.116 – juris Rn. 11 ff.).
Die Duldung der Beseitigung der überbauten Flächen ist der Beklagten unter Zugrundelegung dieser Grundsätze nicht unzumutbar. Ein unverhältnismäßiger Aufwand für die Beklagte scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger die Kosten der Beseitigung selbst zu tragen hat. Etwaige Planerische Aufwendungen können dem Kläger nicht angelastet werden, da sie nicht zwangsläufig Folgen der Geltendmachung und Durchsetzung seines Duldungsanspruchs sind. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es die Pflicht der Beklagten als Straßenbaulastträger und als Straßenbaubehörde gewesen wäre, dafür Sorge zu tragen, dass die Straße nicht auf dem falschen Grundstück angelegt wird bzw. dass sie sich im Laufe ihrer Nutzung nicht in ein angrenzendes Privatgrundstück hineinverlagert und dass gegebenenfalls Maßnahmen zur Rückverlagerung ergriffen werden (Art. 9 und 10 Abs. 1 BayStrWG; zum ganzen grundlegend: BayVGH, B.v. 15.9.1999 – 8 B 97.1349 – juris Rn. 36 ff.). Im Übrigen sieht der Gesetzgeber ein straßenrechtliches Instrumentarium vor (Art. 6 BayStrWG), das von vornherein die Geltendmachung solcher Duldungsansprüche – wie hier – vermeiden würde und den Anforderungen an die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) gerecht würde.
Aufgrund sämtlicher vorgenannter Umstände ist der Vertrauensschutz der Beklagten an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustandes, den sie maßgeblich selbst geschaffen hat, als gering einzustufen. Das Verlangen des Klägers fußt auf der privatautonomen Inanspruchnahme der Eigentümerbefugnisse, die verfassungsrechtlich in Art. 14 Abs. 1 GG wurzeln, und steht unter Berücksichtigung aller vorstehend erörterten Umstände des Einzelfalls keinesfalls in einem besonderen Missverhältnis zu dem insoweit hintanzustellenden Interesse der Beklagten an der Bewahrung der E* … straße als tatsächlichöffentlichen Verkehrsweg, soweit sie auf den Grundstücken des Klägers verläuft.
3. Die von der Beklagten am 20. Oktober 2018 erlassene Veränderungssperre zum Bebauungsplan Nr. 187 „E* … straße Süd“ steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen.
Nach § 2 Abs. 1 der Satzung der Beklagten über die Veränderungssperre zum Bebauungsplan Nr. 187 dürfen Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt und bauliche Anlagen nicht beseitigt werden. Die Veränderungssperre wird auf § 14 Abs. 1 BauGB gestützt. Sinn und Zweck einer Veränderungssperre ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauGB „die Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich“ eines Bebauungsplans. Offenbleiben kann im vorliegenden Fall, ob die Veränderungssperre den planungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Denn jedenfalls ist es nicht Sinn und Zweck einer Veränderungssperre, einen bereits (seit langem) bestehenden nicht verjährbaren Anspruch auf Beseitigung eines rechtswidrigen Eigentumseingriffs zu vernichten. Eine Veränderungssperre verändert weder die Besitz- noch die Eigentumsverhältnisse.
Zudem fehlt es, soweit die klägerischen Grundstücke erfasst sind, an einer Rechtsgrundlage für den Erlass einer Veränderungssperre. § 14 Abs. 1 BauGB findet auf öffentliche Verkehrsflächen keine Anwendung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unterfallen Errichtung und Änderung einer öffentlichen Straßenfläche nicht dem Begriff des Vorhabens im Sinn des § 29 Abs. 1 BauGB mit der Folge, dass §§ 30 ff. BauGB hier keine Anwendung finden (vgl. BayVGH, U.v. 27.7.2017 – 8 B 16.1030 – juris Rn. 25; U.v. 27.9.2005 – 8 N 03.2750 – NVwZ-RR 2006, 381f.) und für die Anwendung des § 14 Abs. 1 BauGB kein Raum ist (zur Begründung siehe BayVGH, U.v. 27.9.2005 – 8 N 03.2750 – insbes. Unter Nr. 3a)).
Der darin zum Ausdruck kommende Vorrang des Straßenrechtsregimes gilt auch hinsichtlich des Begriffs der „baulichen Anlagen“ im Sinn des § 14 Abs. 1 BauGB. Die Frage, was unter „baulichen Anlagen“ im Sinn des § 14 Abs. 1 BauGB zu verstehen ist, ist nach Landesrecht zu beantworten. Nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayBO sind Anlagen des öffentlichen Verkehrs einschließlich ihrer Nebenanlagen vom Geltungsbereich der bayerischen Bauordnung ausgenommen. Anlagen in diesem Sinn sind insbesondere öffentliche Straßen nach bayerischem Landesrecht einschließlich ihrer Bestandteile (vgl. Dirnberger/Lechner in Simon/Busse BayBO, Stand: Dezember 2017, Art. 1 Rn. 61 ff.). Die Beseitigung einer öffentlichen Verkehrsfläche unterfällt daher nicht § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2018, juris Rn. 16 unter Bestätigung des Beschlusses des VG München vom 2.5.2018 – M 2 E 18.2021 – s. Gründe II 2 a) bb)).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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