Baurecht

Eilantrag des Nachbarn gegen Neubau einer Heizzentrale

Aktenzeichen  M 11 S 20.4172

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27786
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Auf Klage des Nachbarn ist eine Baugenehmigung aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es reicht nicht aus, wenn sich bei einem Vorhaben, das den Betrieb von Feuerungsanlagen zur Nahwärmeversorgung eines Baugebiets zum Gegenstand hat, das für den zulässigen Nutzungsumfang zentrale Kriterium der Feuerungswärmeleistung nicht aus dem Bescheid und den in Bezug genommenen Unterlagen, sondern „nur“ aus sonstigen Aktenbestandteilen ergibt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Landratsamts … vom 6. Juli 2020 (Az.: …) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus und einem Nebengebäude bebauten Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung … Südwestlich vom Grundstück der Antragstellerin liegt, durch eine Straße getrennt, das Grundstück Flurnummer … (Vorhabengrundstück).
Nach Einholung verschiedener Stellungnahmen, u.a. des Umweltschutzes vom 27. Mai 2020, und Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte das Landratsamt … der Beigeladenen auf deren Antrag vom 5. März 2020 mit Bescheid vom 6. Juli 2020 eine Baugenehmigung für den Neubau einer Heizzentrale für das Wärmenetz des Neubaugebietes „Am …“.
Die Antragstellerin erhob gegen den ihr am 7. Juli 2020 zugestellten Bescheid am 7. August 2020 Klage.
Mit Schriftsatz vom 7. September 2020 beantragte die Antragstellerin,
die Vollziehung der der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung des Landratsamts … vom 6. Juli 2020 bis zum Erlass der Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Das Landratsamt beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Die Beigeladene beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen, wegen des Vorbringens der Beteiligten insbesondere auf die Schriftsätze vom 7. August 2020 und 7. September 2020 (Antragstellerin), 24. September 2020 (Antragsgegner) und 18. August 2020 und 25. September 2020 (Beigeladene).
II.
Der Antrag, der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auszulegen ist, ist begründet.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage überwiegt das private Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage das Interesse der Beigeladenen, weiterhin von der Baugenehmigung vorläufig Gebrauch machen und die Anlage errichten zu dürfen.
Die Baugenehmigung ist voraussichtlich in nachbarrechtsrelevanter Weise nicht hinreichend bestimmt im Sinn des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Es ist anerkannt, dass eine Baugenehmigung auf Klage des Nachbarn aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann; der Nachbar muss aus der Baugenehmigung in Verbindung mit den ihr zugrunde liegenden Unterlagen die Reichweite des genehmigten Vorhabens und seine Nutzung erkennen können (BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 15 CS 11.1858 – juris Rn. 14; Urteil vom 16. Oktober 2013 – 15 B 12.1808 – juris Rn. 13; Beschluss vom 16. April 2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7).
Im vorliegenden Fall fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit, weil sich aus der Baugenehmigung und den in Bezug genommenen Unterlagen das für die immissionsschutzrechtliche Beurteilung des Vorhabens zentrale Kriterium der Feuerungswärmeleistung der beiden Hackschnitzelkessel und des Erdgas-Spitzenlastkessels nicht ergibt. Die von der Beigeladenen eingereichte Baubeschreibung enthält zwar die entsprechenden Angaben (Bl. 15 d. A.). Das Landratsamt hat diese Baubeschreibung aber nicht – wie gesetzlich vorgesehen (Art. 68 Abs. 2 Satz 3 BayBO i. V. m. § 3 Nr. 3, § 9 BauVorlV) – mit einem Genehmigungsvermerk versehen und im Baugenehmigungsbescheid auch nicht darauf Bezug genommen. Da weder die Baugenehmigung selbst noch die zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärten Unterlagen (Lageplan, Eingabeplan und schalltechnische Untersuchung vom 24. Februar 2020) hinreichende Angaben über die Feuerungswärmeleistung der 3 Kessel enthalten, wurde über die zulässige Feuerungswärmeleistung des Vorhabens keine hinreichend bestimmte Regelung getroffen. Die zulässige Feuerungswärmeleistung ist für die Beurteilung, ob eine Baugenehmigung für Feuerungsanlagen Nachbarrechte verletzt, von erheblicher Bedeutung. Davon hängt u. a. schon die Frage ab, ob nicht eine die Baugenehmigung einschließende Genehmigung nach dem BImSchG erforderlich ist. Ferner lässt sich bezüglich der beiden Hackschitzelbrenner ohne Regelung der maximalen Feuerungswärmeleistung nicht beurteilen, ob die Annahmen in der Schallschutz-Untersuchung zur Anzahl der geplanten LKW-Anfahrten und Entladevorgänge realistisch sind. Nach Ansicht der Kammer reicht es deshalb nicht aus, wenn sich bei einem Vorhaben, das den Betrieb von Feuerungsanlagen zur Nahwärmeversorgung eines gesamten Baugebiets zum Gegenstand hat, das für den zulässigen Nutzungsumfang zentrale Kriterium der Feuerungswärmeleistung nicht aus dem Bescheid und den in Bezug genommenen Unterlagen, sondern „nur“ aus sonstigen Aktenbestandteilen ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil sie unterlegen ist, der Antragsgegner aber im Übrigen die gesamten Kosten des Verfahrens alleine trägt. Denn der Umstand, dass die Feuerungswärmeleistung nicht hinreichend bestimmt geregelt worden ist, ist alleine dem Antragsgegner anzulasten. Die Beigeladene hatte insoweit hinreichende Angaben gemacht.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs. Der Streitwert beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren voraussichtlich anzusetzenden Streitwerts.


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