Baurecht

Eilantrag eines Betreibers einer Rettungswache gegen heranrückende Wohnbebauung

Aktenzeichen  9 CS 20.3163

Datum:
18.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6126
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1
BImSchG § 3, § 22 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Soll ein Wohnbauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vorhandenen emissionsträchtigen Anlage errichtet werden, kann der Schutz des Wohnens infolge dieser Situationsbelastung einen geringeren Stellenwert haben. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verschlechtert eine beabsichtigte Wohnbebauung die immissionsbezogenen rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen eine benachbarte emittierende Anlage arbeiten muss, kann das Vorhaben rücksichtslos sein. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 20.1856 2020-12-14 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Nachbarin gegen die der Beigeladenen von der Beklagten mit Bescheid vom 4. Juni 2020 erteilte Baugenehmigung für die Sanierung eines denkmalgeschützten Wohnhauses, die Schaffung von sieben Wohneinheiten und einer Büroeinheit, die Errichtung von Dachgauben und Erstellung von Balkonen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung K. (S.straße, K.). Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… …“, der für den fraglichen Bereich ein Mischgebiet festsetzt. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des westlich daran angrenzenden Grundstücks FlNr. … derselben Gemarkung (S.straße …), welches sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans befindet. Sie betreibt dort eine Rettungswache und nutzt die vorhandenen Räumlichkeiten nach ihren Angaben außerdem für Rotkreuzgemeinschaften, als Sozialstation, zur Erste-Hilfe-Breitenausbildung sowie als Geschäftsstelle für Servicedienste.
Gegen die Baugenehmigung vom 4. Juni 2020 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht (Az. W 4 K 20.922), über die noch nicht entschieden ist. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht ihren außerdem gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage abgelehnt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Antragstellerin kein Gebietserhaltungs-, Gebietsprägungs- oder Gebietsprägungserhaltungsanspruch zustehe, da sich das Grundstück der Antragstellerin im nicht überplanten Innenbereich und das Baugrundstück im Geltungsbereich eines Bebauungsplans befänden. Die Antragstellerin werde mangels drittschützender Wirkung der Festsetzungen im Bebauungsplan zur Dachneigung nicht durch die von der Antragsgegnerin im Rahmen der Baugenehmigung erteilte Befreiung hiervon verletzt. Das Vorhaben erweise sich gegenüber der Antragstellerin auch nicht als rücksichtslos, indem es sich von der Rettungswache ausgehenden Störungen aussetze, weshalb die Antragstellerin Einschränkungen bei deren Betrieb befürchte. Die genehmigte Wohnnutzung samt Büroeinheit sei in dem im Bebauungsplan im dortigen Bereich festgesetzten Mischgebiet grundsätzlich zulässig. Es sei auch von der Wirksamkeit der Festsetzung zur Gebietsart auszugehen. Die Rettungswache befinde sich unbestritten in einem faktischen Mischgebiet. Sie sei aufgrund ihrer Lage bereits jetzt entsprechenden Beschränkungen nach der hier anwendbaren TA Lärm unterworfen und daher nicht schutzwürdig. Andernfalls käme es zu dem unbilligen Ergebnis, dass die Antragstellerin die im Mischgebiet zulässige Wohnnutzung verhindern könne.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Das Verwaltungsgericht habe im Hinblick darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten sei, die erforderliche sachgerechte Betrachtung des vorliegenden Einzelfalls nicht vorgenommen. Es werde nicht berücksichtigt, dass das Rotkreuzhaus der Antragstellerin seit beinahe 100 Jahren und schon seit Jahrzehnten vor der Festsetzung der Gebietsart u.a. als Rettungswache genutzt werde. Zudem sei die TA Lärm auf die bauliche Anlage der Antragstellerin nicht anwendbar. Eine Rettungswache diene sozialen Zwecken im Sinn der Ausnahmevorschrift Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h der TA Lärm; außerdem gebe es am Standort die geschilderten weiteren Nutzungen, die Betreuungscharakter aufwiesen. Es bestehe die Gefahr, dass die Antragstellerin zivilrechtlich durch die Nutzer der Wohnbebauung nach § 1004 i.V.m. § 906 Abs. 1 BGB auf Unterlassung in Anspruch genommen werde, zumal die Frage der Erheblichkeit von Belästigungen der Nachbarschaft der tatrichterlichen Bewertung unterliege und ein Gleichlauf zwischen der öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen gerichtlichen Beurteilung nicht zwingend sei. Bei offenen Erfolgsaussichten müsse die Interessenabwägung in Anbetracht der bestandskräftigen, fast ein Jahrhundert andauernden und dem Gemeinwohl sowie der Aufrechterhaltung der Lebensrettung dienenden Nutzungen der Antragstellerin zu deren Gunsten ausfallen. Es drohe auch die Schaffung vollendeter Tatsachen. Das Bauvorhaben stehe kurz vor dem Abschluss.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14. Dezember 2020 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 17. Juli 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Juni 2020 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Die Beigeladene beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Antragstellerin habe die Gelegenheit gehabt, im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans Einwendungen zu erheben. Die TA Lärm sei anwendbar. Der Betrieb der Antragstellerin stelle in erster Linie eine Rettungswache dar. Die Anlage diene nicht der Unterbringung oder Betreuung und sei somit keine soziale Einrichtung im Sinne der diesbezüglichen Ausnahmevorschrift zur TA Lärm. Selbst wenn die TA Lärm keine Anwendung fände, seien deren Schutzgedanken jedenfalls analog heranzuziehen. Darüber hinaus stünden Schutzansprüchen künftiger Bewohner die anzunehmende Privilegierung der Antragstellerin entgegen. Es ergebe sich keine Verschlechterung gegenüber der vorhandenen Situation. Die Bewohner könnten sich auch nicht auf wesentliche Beeinträchtigungen nach § 906 Abs. 1 BGB berufen. § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB sei zu berücksichtigen. Bei offenen Erfolgsaussichten müsse die Interessenabwägung zu Gunsten der Beigeladenen ausfallen. Es drohten keine vollendeten Tatsachen, u.a., weil frühestens die Nutzung, die noch angepasst werden könne, zu Beeinträchtigungen der Antragstellerin führen könne. Eine sofortige Einstellung der Rettungswache ohne Rücksicht auf deren Funktionen sei ohnehin nicht zu befürchten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin zu Recht abgelehnt, weil deren Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Die angefochtene Baugenehmigung dürfte, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, die zumindest auch dem Schutz der Antragstellerin zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Antragstellerin kann sich voraussichtlich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen.
Das Vorhaben der Beigeladenen dürfte nach § 30 Abs. 1 BauGB grundsätzlich zulässig sein, da es im Rahmen der Sanierung eines denkmalgeschützten Wohnhauses die Schaffung von Wohneinheiten und einer Büroeinheit zum Gegenstand hat und damit dem im Bebauungsplan „… …“ festgesetzten Mischgebiet nach der Art seiner baulichen Nutzung nicht wiederspricht. Rechtliche Schranken der Zulassung ergeben sich indes aus § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als einer besonderen Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und einer zulässigen Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), soweit – wie nach Aktenlage voraussichtlich hier – für eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren über das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf eine seinen Anforderungen ggf. bereits genügende Umsetzung in der den Festsetzungen des Bebauungsplans zu Grunde liegenden Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) noch Raum besteht (vgl. BayVGH, B.v. 11.4.2012 – 14 CS 12.294 – juris Rn. 15; B.v. 30.11.2011 – 2 CS 11.2212 – juris Rn. 17). Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans wäre dem Gebot der Rücksichtnahme im Übrigen ebenfalls Rechnung zu tragen, unabhängig davon, ob dieses auf seine Ausprägung im Gebot des Einfügens in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB oder unmittelbar auf § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB gestützt wird.
§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Soweit – wie hier – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht wird, wird zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle des Rücksichtnahmegebots auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2020 – 9 CS 20.976 – juris Rn. 25 m.w.N.). Die Zumutbarkeitsschwelle wird grundsätzlich überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse erheblich im Sinn von § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit aber auch etwaige Besonderheiten in den Blick zu nehmen, die sich aus der spezifischen Eigenart oder der Umgebung des Baugebiets ergeben. Faktische Vorbelastungen können sich schutzmindernd auswirken (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 22 f.). Soll ein Wohnbauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer vorhandenen emissionsträchtigen Anlage errichtet werden, kann der Schutz des Wohnens infolge dieser Situationsbelastung einen geringeren Stellenwert haben. Beeinträchtigungen, die innerhalb eines festgesetzten oder faktischen Baugebiets nicht hinzunehmen wären, können in einer solchen Lage noch zumutbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 26). Umgekehrt folgt aus dem im Rücksichtnahmegebot angelegten Prinzip der Gegenseitigkeit aber auch, dass der Betreiber einer emittierenden Anlage, der unabhängig von einem ihm zukommenden Bestandsschutz den Grundpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG unterliegt, nicht darauf vertrauen darf, vor Auflagen zum Schutz von heranrückender Wohnbebauung vor Immissionen verschont zu bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris Rn. 26 f.; BayVGH, B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – juris Rn. 20). Verschlechtert eine beabsichtigte Wohnbebauung allerdings die immissionsbezogenen rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen eine benachbarte emittierende Anlage arbeiten muss, kann das Vorhaben rücksichtslos sein (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris Rn. 27; U.v. 27.2.2020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 42 m.w.N.; U.v. 14.2.2018 – 9. BV 16.1694 – juris Rn. 55; B.v. 4.8.2008 – 1 CS 07.2770 – a.a.O.). Dies ist hier nach summarischer Prüfung aber voraussichtlich nicht der Fall.
Ein Wohnbauvorhaben fügt sich, was die von ihm hinzunehmenden Immissionen angeht, in die „vorbelastete“ Eigenart der näheren Umgebung grundsätzlich ein, wenn es nicht stärkeren Belastungen ausgesetzt sein wird als die bereits vorhandene Wohnbebauung; die emittierende Nutzung braucht folglich gegenüber hinzukommender Wohnnutzung nicht mehr Rücksicht zu nehmen als gegenüber der bereits vorhandenen. Halten sich die Belästigungen in den Grenzen des der Wohnnutzung (ggf. unter Berücksichtigung eines „Mittelwerts“) Zumutbaren, so hat die emittierende Nutzung infolge der hinzukommenden Wohnbebauung keine immissionsschutzrechtlichen Beschränkungen zu befürchten. Überschreiten die Belastungen diese Grenze, so hat der Betrieb Einschränkungen bereits wegen der vorhandenen und nicht erst wegen der hinzukommenden Wohnbebauung hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1984 – 4 B 171.83 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.2351 – juris Rn. 12 m.w.N; B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 9; SächsOVG, U.v. 10.4.2017 – 1 A 92/12 – juris Rn. 39 m.w.N.).
Hier kann nach alledem nicht außer Acht gelassen werden, dass das Baugrundstück am Rande eines festgesetzten Mischgebiets, welches an ein Gebiet angrenzt, das nach gegenwärtiger Erkenntnislage ebenfalls als faktisches Mischgebiet zu beurteilen sein dürfte, von den tatsächlichen Gegebenheiten her durch die dort seit vielen Jahren auf dem Nachbargrundstück betriebene und insoweit nach Aktenlage wohl grundsätzlich auch bestandsgeschützte Rettungswache, von der nach Angaben der Antragstellerin im Jahr 2019 3300 Notfalleinsätze am Tag und 2400 in der Nacht ausgingen, bei denen auch Sonderrechte wie Martinshorn und Blaulicht zum Einsatz kamen, wesentlich mitgeprägt wird. Den von der Rettungswache ausgehenden Störungen war aber auch schon das auf dem Baugrundstück vorhandene denkmalgeschützte Bestandsgebäude, dessen Sanierung und teilweise Umnutzung die angefochtene Baugenehmigung zum Gegenstand hat, ausgesetzt. Gegenüber dem seit dessen Errichtung im Jahr 1865 auch zu Wohnzwecken genutzten „Wohn- und Kontorgebäude“, bestehend aus einem zweigeschossigen Eckbau mit Kniestock und flachgeneigtem Walmdach (ehemaliges Bürgermeisterwohnhaus) im Osten und eines „durch Toranlage mit Terrassendach“ angebundenen „Weinkontorgebäudes“ im Westen des Baugrundstücks war kein geringeres Maß an Rücksicht zu nehmen als gegenüber der nunmehr genehmigten Nutzung als Wohn- und Bürogebäude.
Die Beigeladene hat im Klageverfahren mitgeteilt, dass das zu sanierende östliche Gebäude auf dem Baugrundstück bisher als Wohnhaus mit einer Gaststätte im Erdgeschoss genutzt wurde. Im westlich gelegenen kleineren Gebäude auf dem Baugrundstück, welches nahezu direkt an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin errichtet sei, hätten sich in allen Stockwerken Wohnungen befunden. In den südlich davon gelegenen Gebäuden, die sich auf das heutige Baugrundstück erstreckten, sei eine Kfz-Werkstatt betrieben worden, die zumindest zeitweise die Wohnung im Erdgeschoss des westlich gelegenen Wohnhauses als Lager bzw. Büro benutzt habe. Die Antragsgegnerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass für die Gebäude auf dem Baugrundstück in der S.straße * (Villa und kleineres Gebäude an der westlichen Grundstücksgrenze zur Antragstellerin) eine Baugenehmigung für ein Wohnhaus erteilt worden sei. Im Jahr 1962 sei im Erdgeschoss des östlichen Eckgebäudes (Villa) eine Gastwirtschaft, 1998 in dem kleineren westlichen Gebäude im Keller und im Erdgeschoss ein Tanz- und Veranstaltungslokal genehmigt worden. In den oberen Stockwerken sei die Baugenehmigung für Wohnnutzung jeweils bestehen geblieben.
Dass die beschriebene bisherige Wohnnutzung auf dem Baugrundstück jedenfalls ehemals Bestandsschutz genoss, bestreitet die Antragstellerin, die erstinstanzlich vorgetragen hat, eine Wohnnutzung auf dem Baugrundstück habe seit etwa 15 Jahren nicht mehr stattgefunden, nicht. Soweit sie davon ausgeht, dass die frühere Baugenehmigung wegen nicht fortgesetzter Wohnnutzung nicht mehr wirksam sei, dürfte diese Wertung nach der Erkenntnislage im Eilverfahren wohl nicht zutreffen. Weder bestehen Anhaltspunkte für einen Verzicht auf die weitere Ausübung der zuletzt noch genehmigten Wohnnutzung in den Obergeschossen, noch darauf, dass sich eine (ggf. auch langjährige) Unterbrechung dieser Nutzung auf die Nutzungstauglichkeit des Gebäudes als Wohnhaus ausgewirkt hätte (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2018 – 9 CS 18.1076 – juris Rn. 19 m.w.N.; B.v. 28.6.2016 – 15 CS 15.44 – juris Rn. 20; B.v. 6.2.2014 – 1 ZB 11.1675 – juris Rn. 3; B.v. 7.12.2009 – 15 CS 09.2755 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Es dürfte daher davon auszugehen sein, dass für den Betrieb der Antragstellerin weitergehende immissionsschutzrechtliche Anforderungen als § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG ohnehin gebietet und bislang schon geboten hat, aufgrund der Zulassung des Bauvorhabens nicht entstehen. Es rückt mit diesem keine schutzbedürftigere Nutzung näher als bisher an den Betrieb der Antragstellerin heran. Nach der streitgegenständlichen Baugenehmigung soll in den Obergeschossen der beiden Hauptgebäude auf dem Baugrundstück – entsprechend der bisherigen Genehmigungslage – weiterhin Wohnnutzung stattfinden. Zusätzlich soll zwar auch im Erdgeschoss des kleineren, westlich gelegenen Gebäudes Wohnnutzung wieder entstehen. Nach den genehmigten Plänen soll dort aber ein zur westlichen Grundstücksgrenze ausgerichtetes Fenster dafür geschlossen werden und dürfte der Raum, der hinter zwei im Erdgeschoss auf der Südseite neu entstehenden Türen zu liegen kommt, mit einem Flurbereich von 3,36 m² und einem Küchenbereich von nur 6,37 m² kein schutzbedürftiger Raum nach DIN 4109 sein (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.2017 – 9 N 15.378 – juris Rn. 89).
Es kann damit dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht, das die Rettungswache der Antragstellerin im Hinblick auf die Zumutbarkeit der von ihr ausgehenden Geräuschimmissionen als den Immissionsrichtwerten der TA Lärm für ein Mischgebiet unterworfen angesehen hat, insoweit zu Recht nicht vom Vorliegen einer vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommenen Anlage für soziale Zwecke im Sinne der Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h TA Lärm ausgegangen ist oder nach welchen Kriterien die von der Rettungswache ausgehenden Immissionen im Hinblick auf ihre Zumutbarkeit ansonsten zu beurteilen wären (vgl. z.B. Hansmann in Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand August 2020, TA Lärm Nr. 1 1. Rn. 22; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 25; OVG NW, U.v. 6.3.2006 – 7 D 92/04.NE – juris Rn. 73; vgl. aber auch BayVGH, B.v. 6.11.2000 – 20 ZS 00.2796 – juris Rn. 2).
Es stellt sich auch nicht als entscheidungserheblich dar, ob die Antragstellerin ihren schon bisher nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG gebotenen immissionsbezogenen Grundpflichten zur Lärmminderung und Lärmvermeidung nachgekommen ist oder stattdessen die erfolgreiche Geltendmachung von Abwehransprüchen von Seiten der Nachbarschaft befürchten muss. Mit der Tatbestandsvoraussetzung der Wesentlichkeit von Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB, den die Antragstellerin als Rechtsgrundlage insoweit anführt, wird im Übrigen keine andere Zumutbarkeitsschwelle bezeichnet als mit der Erheblichkeit von Belästigungen nach § 3 Abs. 1 BImSchG (vgl. BVerwG, B.v. 3.5.1996 – 4 B 50.96 – juris Rn. 6 m.w.N.; SaarlOVG, B.v. 8.12.2017 – 1 B 778/17 – juris Rn. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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