Baurecht

Eilantrag eines Umweltverbandes gegen die sofort vollziehbare Genehmigung einer Windenergieanlage – Interessenabwägung bei offenen Erfolgsaussichten

Aktenzeichen  22 CS 18.2310

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NVwZ-RR – 2019, 809
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1, § 113 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 1
UmwRG § 3
BNatSchG § 44 Abs. 1 Nr. 1
BImSchG § 5, § 6 Abs. 1
9. BImSchV § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Bayer. Windkrafterlass 2011
Bayer. Windenergieerlass 2016

 

Leitsatz

1 Bei der Ablösung des Windkrafterlasses 2011 durch den Windenergieerlass 2016 handelt es sich weder um eine Änderung der Rechtslage noch kann die inhaltliche Änderung des Windkrafterlasses 2011 durch die spätere Fassung dieses Erlasses einer Änderung der Rechtslage gleichgesetzt werden. (Rn. 15 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch in Fällen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen können nachträgliche Rechtsänderungen zugunsten des Vorhabensträgers es gebieten, eine im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrige und von Dritten angefochtene Genehmigung aufrechtzuerhalten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist derzeit offen, ob aus der Tatsache, dass der Windenergieerlass 2016 – anders als noch der Windkrafterlass 2011 – keinen „äußeren Prüfbereich“ bei der geschützten Vogelart Wespenbussard mehr vorsieht, auf eine solche auf das Ergebnis der naturschutzfachlichen Bewertung des Tötungsrisikos „durchschlagende“ Änderung zu schließen ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 19 SN 18.4480 2018-10-18 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2018 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landratsamts Dachau vom 24. März 2016 wird wieder hergestellt.
II. Unter Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses tragen der Antragsgegner und die Beigeladene die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten trägt die Beigeladene in beiden Rechtszügen selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
1. Der Antragsteller, ein nach § 3 UmwRG anerkannter eingetragener Verein, begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die der Beigeladenen mit Bescheid des Landratsamts Dachau vom 24. März 2016 erteilte und mit Bescheid vom 19. Juni 2018 für sofort vollziehbar erklärte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage (WEA).
Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen hatte im Jahr 2013 zunächst eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für drei WEA (WEA 1, 2 und 3) beantragt; das Landratsamt hatte den Antrag aber mit Bescheid vom 12. März 2015 abgelehnt. Auf die hiergegen gerichtete Versagungsgegenklage der Vorhabensträgerin (M 1 K 15.1326) hatte das Verwaltungsgericht München den Beklagten (und jetzigen Antragsgegner) verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zwar stünden dem Vorhaben die vom Landratsamt eingewandten öffentlichen Belange des Denkmal- und Landschaftsschutzes nicht entgegen. Das Landratsamt müsse aber die bisher unterbliebene umfassende Bewertung der artenschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen nachholen.
2. Am 23. Februar 2016 beantragte die Vorhabensträgerin, über die Genehmigung für die drei WEA nicht mit einem gemeinsamen Bescheid zu befinden, sondern jetzt mit zwei getrennten Bescheiden jeweils die WEA 1 und 2 einerseits und die WEA 3 andererseits zu genehmigen; der vorliegend angegriffene Bescheid vom 24. März 2016 bezieht sich ausschließlich auf die WEA 3 (den Antrag bezüglich der WEA 1 und 2 nahm die Vorhabensträgerin mit Schreiben vom 9. März 2016 zurück). Im Genehmigungsverfahren verwertete das Landratsamt zahlreiche, teils stark konträre Gutachten und fachliche Stellungnahmen zu der Frage, ob dem Vorhaben artenschutzrechtliche Verbotstatbestände entgegenstünden. Geprüft wurden insbesondere die Auswirkungen des Vorhabens auf geschützte Vogelarten. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 24. März 2016 erteilte das Landratsamt die beantragte Genehmigung für die WEA 3.
Hiergegen erhob der jetzige Antragsteller am 26. April 2016 Anfechtungsklage und machte geltend, dem Vorhaben stünden Belange des Naturschutzes und des Artenschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) entgegen. Insbesondere seien Belange des Vogelschutzes tangiert.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 11. April 2017 als unzulässig ab, weil der Kläger (jetzige Antragsteller) nicht klagebefugt im Sinn des § 42 Abs. 2 VwGO sei. Insbesondere ergebe sich keine Klagebefugnis aus § 2 Abs. 1 UmwRG.
3. Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des (damaligen) Klägers hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. August 2018 (22 BV 17.1059) das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. April 2017 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurück. Die Klage sei aufgrund einer nach dem Erlass des Urteils vom 11. April 2017 eingetretenen, im Berufungsverfahren zu beachtenden Rechtsänderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes nunmehr zulässig; daher könne die Klageabweisung als unzulässig keinen Bestand haben. Die bislang vom Verwaltungsgericht nicht vorgenommene Prüfung der Begründetheit der Klage sei nachzuholen. Dieses Klageverfahren ist derzeit beim Verwaltungsgericht noch anhängig (M 19 K 18.4542).
4. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ordnete der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Juni 2018 die sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 24. März 2016 an. Daraufhin beantragte der Antragsteller mit Schreiben vom 4. September 2018, die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Genehmigung vom 24. März 2016 wieder herzustellen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Oktober 2018 ab.
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Antragsgegner und Beigeladene haben jeweils beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der beigezogenen Akten zum Klageverfahren M 19 K 18.4542 und auf die Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Aus den innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses. Dieser ist dahingehend zu ändern, dass die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. März 2016 erhobenen Anfechtungsklage wiederherzustellen ist.
1. Zu Unrecht meint indes der Antragsteller, die vom Landratsamt für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebene Begründung genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO; auf diese Begründung, nicht aber auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts kommt es (einen den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechenden Vortrag des Rechtsmittelführers vorausgesetzt) an. In der Begründung der Sofortvollzugsanordnung muss – jedenfalls in der Regel – auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abgestellt werden (BayVGH, B.v. 16.10.2017 – 22 CS 17.1664 – Rn. 35). Vorliegend hat sich das Landratsamt in der Begründung der Sofortvollzugsanordnung auf das Antragsschreiben der Beigeladenen vom 26. April 2018 und die darin geltend gemachten öffentlichen und privaten Interessen bezogen, die für eine sofortige Vollziehung sprächen. Es hat ausgeführt, die Beigeladene habe in ihrem Antrag nachvollziehbar dargelegt, dass ihr ohne den Sofortvollzug erheblicher und voraussichtlich irreparabler Schaden drohe, wenn das Projekt weiter verzögert werde, und dass wegen des „Vorlaufs“ die Inbetriebnahme im Jahr 2019 zwingend nötig sei, um den Totalverlust der bisherigen Aufwendungen abzuwenden (vgl. Bescheid vom 19.6.2018 S. 2 vor Nr. II, S. 3 drittletzter Absatz). Dieser von der Beigeladenen und vom Landratsamt angesprochene lange zeitliche Vorlauf ergibt sich aus den Akten und unterscheidet auch angesichts des schon im Herbst 2013 gestellten Genehmigungsantrags den vorliegenden Fall von anderen Fällen. Die Begründung der Sofortvollzugsanordnung ist deshalb hier keine bloß formelhafte Begründung ohne Einzelfallbezug. Ob die in einer Sofortvollzugsanordnung genannten Gründe inhaltlich die Anordnung zu rechtfertigen vermögen, ist keine Frage des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
2. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand offen.
2.1. Mit Recht kritisiert der Antragsteller die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Änderung der Vorgaben des Bayerischen Windkrafterlasses 2011 („Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen [WKA]“ vom 20.12.2011) nach Erlass der angefochtenen Genehmigung sei zugunsten der Beigeladenen zu berücksichtigen mit der Folge, dass die angefochtene Genehmigung (deren Rechtmäßigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses das Verwaltungsgericht selbst als zweifelhaft angesehen habe) gleichwohl voraussichtlich Bestand habe. Der Antragsteller bemängelt sinngemäß (Schriftsatz vom 19.11.2018, S. 4), dass das Verwaltungsgericht damit eine dem Gericht nicht zustehende naturschutzfachliche Neubewertung vornehme, die zuvörderst von den zuständigen Behörden abzugeben sei, bisher aber noch nicht abgegeben worden sei.
Im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Genehmigung galt der Windkrafterlass in derjenigen Fassung, die gemeinsam von den damaligen Staatsministerien des Innern, für Wissenschaft, Forschung und Kunst, der Finanzen, für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, für Umwelt und Gesundheit sowie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bekanntgemacht worden war (nachfolgend: Windkrafterlass 2011). Im Jahr 2016 wurde dieser Windkrafterlass in geänderter Fassung, nunmehr bezeichnet als „Hinweise zur Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA)“ vom 19. Juli 2016 durch die Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Bau und Verkehr, für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst, der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie, für Umwelt und Verbraucherschutz, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie für Gesundheit und Pflege gemeinsam bekanntgemacht (nachfolgend: Windenergieerlass 2016). Die Änderungen der Neufassung aus dem Jahr 2016 gegenüber der vorherigen Fassung betreffen – soweit die Änderungen vorliegend einschlägig sind – vor allem den räumlichen Umgriff um den geplanten Standort einer WEA, in dem (gestaffelt nach 2 verschieden großen Abständen des jeweils zu prüfenden Kriteriums vom geplanten WEA-Standort) im Genehmigungsverfahren zu untersuchen ist, ob für kollisionsgefährdete Vögel ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht und damit ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 BNatSchG zu besorgen ist. Im vorliegenden Fall ist insbesondere im Streit, ob ein solches Risiko für die geschützten Vogelarten Baumfalke, Rotmilan, Schwarzmilan und Wespenbussard besteht.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei der Ablösung des Windkrafterlasses 2011 durch den Windenergieerlass 2016 weder um eine Änderung der Rechtslage noch kann die inhaltliche Änderung des Windkrafterlasses 2011 durch die spätere Fassung dieses Erlasses einer Änderung der Rechtslage gleichgesetzt werden. Eine Änderung der Rechtslage ist etwas anderes und hat größere rechtliche Relevanz als die im Windkrafterlass 2011 vorgenommenen Änderungen. Das Thema „Änderung der Sach- und Rechtslage“ wird in Rechtsprechung und Schrifttum im Zusammenhang mit der Frage des für die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Bescheids maßgeblichen Beurteilungszeitpunkts diskutiert. In Fällen, in denen ein begünstigender Verwaltungsakt von einem (durch diesen Verwaltungsakt belasteten) Dritten mit der Anfechtungsklage angegriffen wird, entspricht es jedenfalls überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum, dass es das materielle Recht gebieten kann, die nach dem Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts im Lauf des Anfechtungsklageverfahrens eintretenden Rechtsänderungen zugunsten des Begünstigten, der sich der Anfechtungsklage ausgesetzt sieht, zu berücksichtigen. Dies kann zur Folge haben, dass eine im Zeitpunkt des Bescheidserlasses rechtswidrige Genehmigung allein infolge der danach eingetretenen Rechtsänderung der gerichtlichen Prüfung dennoch standhält. Gerechtfertigt wird dies damit, dass im Fall der gerichtlichen Aufhebung der (seinerzeit rechtswidrig erteilten) Genehmigung ein in gleicher Weise nochmals gestellter Genehmigungsantrag des Begünstigten – wegen der eingetretenen Rechtsänderung zugunsten des Begünstigten – positiv verbeschieden, also die Genehmigung mit demselben verfügenden Inhalt sofort wieder erteilt werden müsste. Zu den Hauptanwendungsfällen dieser Erwägung gehört die Drittanfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung. Aber auch in Fällen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen können nachträgliche Rechtsänderungen zugunsten des Vorhabensträgers es gebieten, eine im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrige und von Dritten angefochtene Genehmigung aufrechtzuerhalten (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – juris Rn. 3; OVG NW, U.v. 25.2.2015 – 8 A 959.10 – juris Rn. 90; a.A. VGH BW, B.v. 7.8.2014 – 10 S 1853.13 – juris Rn. 6).
Einer solchen Rechtsänderung kann die Änderung des Windkrafterlasses 2011 nicht gleichgesetzt werden. Der Windkrafterlass 2011 ist keine Rechtsnorm. Es misst sich selbst – ebenso wie der Windenergieerlass 2016 – vielmehr lediglich die Rechtsqualität von „Hinweisen“ bei, die von den genannten bayerischen Staatsministerien gemeinsam erarbeitet und bekannt gemacht worden sind und den Zweck verfolgen, „zur Sicherstellung eines einheitlichen Vollzugs und zur Erleichterung der Genehmigungsverfahren sowie zur Steuerung der vorgeschalteten Planungen Orientierungshilfen“ zu sein (vgl. Windkrafterlass 2011, S. 4, Textende vor Nr. 2; Windenergieerlass 2016, Vorbemerkung auf S. 4). Die zu diesem Zweck gegebenen Hinweise im Windkrafterlass 2011 stehen deshalb im Rang von Verwaltungsvorschriften. Das Gleiche gilt für den Windenergieerlass 2016; er hat keine andere Rechtsqualität als sein Vorgänger (soweit nachfolgend ohne Jahresangabe nur von „Windenergieerlass“ die Rede ist, sind Windkrafterlass 2011 und Windenergieerlass 2016 gleichermaßen gemeint). Mit den im Windenergieerlass gegebenen Hinweisen und Orientierungshilfen wird demzufolge in keinem Fall abschließend darüber befunden, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung einer WEA im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung erfüllt sind oder nicht.
Im Rahmen dieser ihnen zukommenden Funktion als Hinweise und Orientierungshilfen für den richtigen „Weg zur Genehmigung“ haben einige – nicht alle – Ausführungen im Windenergieerlass besonderes Gewicht. So hat der Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Art, des Umfangs, der Methodik und der Untersuchungstiefe bei der Ermittlung von artenschutzrechtlichen Betroffenheiten wiederholt dargelegt, dass sich die diesbezüglichen naturschutzfachlichen Anforderungen mangels normativer Festlegung nur allgemein umschreiben lassen und wesentlich von den naturräumlichen Gegebenheiten des Einzelfalles abhängen, so dass der Windenergieerlass die zur Ermittlung artenschutzrechtlich entscheidungserheblicher Umstände gebotenen Erhebungen näher konkretisiere und dass er mit seinen konkreten Anforderungen, da diese auf landesweiten fachlichen Erkenntnissen und Erfahrungen beruhten, als „antizipiertes Sachverständigengutachten von hoher Qualität“ anzusehen sei, von dessen im Regelfall zu beachtenden Erfordernissen nicht ohne fachlichen Grund und ohne gleichwertigen Ersatz abgewichen werden dürfe (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2017 – 22 ZB 17.529 – juris Rn. 25, U.v. 27.5.2016 – 22 BV 15.2003 – NuR 2016, 870 Rn. 32 und U.v. 18.6.2014 – 22 B 13.1358 – NuR 2014, 736 Rn. 45). Es ist also nicht generell und ausnahmslos ausgeschlossen, von den Vorgaben des Windenergieerlasses hinsichtlich der zur Ermittlung der artenschutzrechtlichen Betroffenheiten normalerweise erforderlichen Maßnahmen abzuweichen. Dies hat seinen Grund darin, dass ausschließlich im Weg der Subsumtion des Sachverhalts unter die gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen (nicht aber unter die Vorgaben des Windenergieerlasses) zu entscheiden ist, ob eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt werden muss oder nicht erteilt werden darf.
Im vorliegenden Fall hat demnach die nach dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses (24.3.2016) erfolgte Ablösung des Windkrafterlasses 2011 durch den Windenergieerlass 2016 nicht zu einer Änderung der Rechtslage geführt. Diese Rechtslage wird vielmehr unverändert von dem rechtlichen Maßstab bestimmt, der sich u.a. aus § 6 Abs. 1 und § 5 BlmSchG und den anderen zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergibt, namentlich aus § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, der in der Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht bedeutet, dass der dort genannte Tötungsverbotstatbestand erfüllt ist, wenn sich das Tötungsrisiko für die betroffenen Arten durch das Vorhaben in signifikanter Weise erhöht.
Geändert hat sich durch die inhaltlichen Änderungen im Windenergieerlass 2016 gegenüber der Fassung im Windkrafterlass 2011 lediglich die für die nachgeordneten Behörden regelmäßig bindende und für die Verwaltungsgerichte (im Sinn eines „antizipierten Sachverständigengutachtens von hoher Qualität“) gewichtige naturschutzfachliche Einschätzung (a) der Art und Weise, wie methodisch sachgerecht ermittelt werden kann, ob das Tatbestandsmerkmal des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (signifikant höheres Tötungsrisiko) erfüllt ist, und (b) insbesondere, welche fachlichen Erkenntnisse einer solchen methodengerecht durchgeführten Suche es sodann rechtfertigen, ein „signifikant erhöhtes Tötungsrisiko“ zu bejahen oder zu verneinen.
2.2. Eine solche Änderung der Auffassung über (a) das naturschutzfachlich gebotene Herangehen bei der Ermittlung eines Tatbestandsmerkmals und (b) über die aus naturwissenschaftlicher (hier: ornithologischer) Sicht für oder gegen die Bejahung des Tatbestandsmerkmals sprechenden Gesichtspunkte darf im Anfechtungsklageverfahren zugunsten des Genehmigungsinhabers (s.o. unter 2.1) auch dann berücksichtigt werden, wenn die Änderung nach Erlass der bekämpften Genehmigung eingetreten ist. Dies kann dazu führen, dass eine Genehmigung, die – gemessen an den im Zeitpunkt des Erlasses geltenden fachlichen Maßgaben – verfahrensfehlerhaft erteilt wurde, dennoch Bestand hat, weil nach geänderter fachlicher Einschätzung dieselbe Genehmigung als schon im damaligen Zeitpunkt „richtig“ angesehen werden muss.
Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob aus der Tatsache, dass der Windenergieerlass 2016 – anders als noch der Windkrafterlass 2011 – keinen „äußeren Prüfbereich“ bei der geschützten Vogelart Wespenbussard mehr vorsieht, auf eine solche auf das Ergebnis der naturschutzfachlichen Bewertung des Tötungsrisikos „durchschlagende“ Änderung zu schließen ist. Dies ist vorliegend ungesichert und bedarf der Vergewisserung im Klageverfahren.
Das Verwaltungsgericht ist nach seiner – im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur gebotenen – summarischen Prüfung (vgl. BA S. 14 Abschnitt 2) davon ausgegangen, dass angesichts der sehr unterschiedlichen Beobachtungen und Folgerungen zweier verschiedener Gutachter die Entscheidungsgrundlage für eine nachvollziehbare Risikobewertung, ob die geschützte Vogelart Wespenbussard durch die WEA 3 einem signifikant höheren Tötungsrisiko ausgesetzt sei, nicht ausgereicht habe. Da indes im neu gefassten Windenergieerlass 2016 für den Wespenbussard kein „äußerer Prüfbereich“ mehr vorgesehen sei, komme es nicht (mehr) darauf an, ob es über dem östlichen Teil des sogenannten „Buchwalds“ (der im „äußeren Prüfbereich“ liegt) Flugbewegungen des Wespenbussards gegeben habe, die die Annahme erhöhter Aufenthaltswahrscheinlichkeiten getragen hätten (BA S. 22 und 23). Anhaltspunkte für einen Brutvorkommen des Wespenbussards im „engeren Prüfbereich“ dagegen gebe es nach wie vor nicht. Das Verwaltungsgericht hat also (bezogen auf die Vogelart Wespenbussard) die Frage eines Verstoßes gegen arten- und naturschutzrechtliche Vorschriften und damit die Genehmigungsfähigkeit für ungeklärt angesehen („Die zum Genehmigungszeitpunkt vorliegenden Entscheidungsgrundlagen waren nicht ausreichend klar und aussagekräftig, um hinsichtlich des Wespenbussards eine nachvollziehbare Risikobewertung durchzuführen. Es wäre erforderlich gewesen, .… weitere Ermittlungen anzustellen, deren Ergebnisse die Genehmigungsbehörde in die Lage versetzt hätten, die tatbestandlichen Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände zu überprüfen“, vgl. BA S. 23, 1. Abschnitt).
Dass sich – wie hier – die Fachmeinung über die Methodik der Ermittlung sachlicher Tatbestandsvoraussetzungen möglicherweise erst nach dem Bescheidserlass geändert hat und dass hierbei Ermittlungsschritte, die zuvor für erforderlich befunden wurden, nunmehr vollständig weggefallen sind (wie für die Vogelart Wespenbussard der „äußere Prüfbereich“), könnte freilich nicht dazu führen, dass nach der „alten Methodik“ fehlerfrei gewonnene Erkenntnisse, deren Richtigkeit auch durch die neue, weniger „intensive“ Methodik nicht infrage gestellt werden, so ausgeblendet werden dürften, als seien sie gar nicht vorhanden. Die „Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen“ der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW – „Berichte zum Vogelschutz“ Bd. 51 – 2014, S. 15) und die diesen Empfehlungen entsprechenden Prüfbereiche im Windenergieerlass 2016 (vgl. Buchst. c. aa auf S. 36) sind in erster Linie eine Handreichung für die fachgerechte Vorgehensweise in denjenigen Fällen, in denen der Kenntnisstand über ein mögliches Tötungsrisiko von Vögeln durch geplante Windenergieanlagen (nahezu) nicht vorhanden ist. Für diesen Regelfall ist es sachgerecht, den geplanten WEA-Standort und dessen Umgebung so zu untersuchen, wie es in den genannten Abstandsempfehlungen und im Windenergieerlass beschrieben ist, nämlich unterteilt in mehrere Prüfungsschritte und anhand (bei den meisten Vogelarten) zweier verschiedener Prüfkulissen. Diese Prüfkulissen und die Abstandsempfehlungen im Windenergieerlass sind indes keine strikten Vorgaben im Sinn gesetzlicher, rechtlich und logisch voneinander anhängender Tatbestandsmerkmale. Hinzu kommt, dass von denjenigen fachlichen Maßgaben im Windenergieerlass, die als „antizipiertes Sachverständigengutachten von hoher Qualität“ anzusehen sind, in Ausnahmefällen auch abgewichen werden kann (wenngleich nur unter strengen Voraussetzungen, nämlich nur dann, wenn dafür ein fachlicher Grund und gleichwertiger Ersatz gegeben sind, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2017 – 22 ZB 17.529 – juris Rn. 25). Auf der anderen Seite folgt hieraus, dass naturschutzfachliche Erkenntnisse, die unter der Geltung des Windkrafterlasses 2011 gewonnen wurden und – ungeachtet ihrer Mängel im Hinblick auf die Vorgaben des Windkrafterlasses – von den Behörden jedenfalls als ausreichend angesehen wurden, um der Frage eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos näher nachgehen zu müssen, nicht einfach deshalb als unbeachtlich angesehen werden dürfen, weil diejenige Prüfkulisse, derentwegen die vorgenommenen ornithologischen Untersuchungen seinerzeit stattfanden (hier: der ehemalige „äußere Prüfbereich“ von 6000 m beim Wespenbussard), nach dem Windenergieerlass 2016 entfallen ist. Dies gilt vorliegend vor allem deswegen, weil der Höheren Naturschutzbehörde ihrer Stellungnahme vom 19. Februar 2016 gegenüber dem Landratsamt zufolge zwar bekannt war, dass es nach neuen Erkenntnissen der Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten künftig bei der Vogelart Wespenbussard keine Prüfbereiche für regelmäßig aufgesuchte Nahrungshabitate mehr geben, die Prüfkulisse nach der Anlage 2 Spalte 3 des – damals noch geltenden – Windkrafterlasses also entfallen solle, die Behörde aber gleichwohl nachdrücklich für den Standort der WEA 3 eine Nachuntersuchung nach der Methodik der Anlage 6 des Windkrafterlasses empfohlen hat (vgl. Stellungnahme vom 19.2.2016 S. 4 oben, S. 7 unten und S. 8 oben). Das Festhalten an dieser Empfehlung kann – vorbehaltlich gegenteiliger Erkenntnisse, die im Klageverfahren gewonnen werden könnten – derzeit nur so verstanden werden, dass die Höhere Naturschutzbehörde aus dem erwarteten Wegfall des „äußeren Prüfbereichs“ beim Wespenbussard nicht folgert, auf die zu dieser Vogelart für den Standort der WEA 3 bislang gewonnenen Erkenntnisse komme es gar nicht mehr an, weil unabhängig von zusätzlichen Untersuchungen ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko ausgeschlossen werden könne.
Das Landratsamt ist dieser Empfehlung der Höheren Naturschutzbehörde nicht gefolgt; in der am 24. März 2016 erteilten Genehmigung hat es sie weder erwähnt noch sich inhaltlich mit ihr auseinandergesetzt. Der Genehmigung und der Behördenakte ist auch nicht zu entnehmen, dass die in der Genehmigung vorgenommene Würdigung der avifaunistischen Problematik (Nr. 4.6.8 auf S. 49, 50 des Bescheids) auf einer erneuten, in Kenntnis der Stellungnahme der Höheren Naturschutzbehörde vom 19. Februar 2016 abgegebenen Beurteilung seitens der für den Natur- und Artenschutz zuständigen Fachabteilung des Landratsamts beruhen würde.
3. Auf die Einwände, die der Antragsteller hinsichtlich der Vogelarten Rotmilan und Baumfalke vorgebracht hat (Nr. 4 auf S. 6, 7 der Beschwerdebegründung), und auf die – vom Antragsteller in der Beschwerde nicht mehr thematisierten – möglichen Gefährdungen für Graureiher, Rohrweihe und Schwarzstorch (die im angefochtenen Beschluss auf S. 26 behandelt sind) kommt es im Beschwerdeverfahren nicht an.
4. Angesichts der offenen Erfolgsaussicht der Anfechtungsklage berücksichtigt der Verwaltungsgerichtshof bei Abwägung der gegensätzlichen Interessen, die für oder gegen eine Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung sprechen, dass für einen Sofortvollzug beachtliche hohe wirtschaftliche Aufwendungen der Beigeladenen sprechen, wobei Mehraufwendungen auch dann anfallen, wenn durch die jetzige Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren das Vorhaben „nur“ verzögert, nicht aber endgültig verhindert wird. Auf der anderen Seite ist die Beigeladene diejenige, der es obliegt, eine den Erfordernissen des Windenergieerlasses genügende Untersuchung zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vorzulegen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 der 9. BImSchV). Außerdem kommt in Betracht, dass die – jedenfalls zunächst naturschutzfachlich, nicht gerichtlich – zu klärende Frage, welche Folgen sich vorliegend durch das Entfallen des „äußeren Prüfbereichs“ beim Wespenbussard angesichts schon vorhandener Erkenntnisse über das Flugverhalten von „gebietsansässigen“ Wespenbussarden am Standort der WEA 3 ergeben, ohne große Zeitverzögerung beantwortet werden kann, nämlich mittels einer ergänzenden Stellungnahme der Höheren Naturschutzbehörde.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Beigeladene hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es entspricht der Billigkeit auch im Sinn des § 162 Abs. 3 VwGO, die Gerichtskosten zu gleichen Teilen dem unterlegenen Antragsgegner und der Beigeladenen aufzuerlegen, an deren außergerichtlichen Kosten den Antragsgegner aber nicht zu beteiligen.
Der Streitwert wurde gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 festgesetzt (wie Vorinstanz).


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