Baurecht

Einfügen eines Bauvorhabens nach dem Nutzungsmaß – Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens

Aktenzeichen  M 11 SN 17.4132

Datum:
20.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142855
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 36 Abs. 1
BayBO Art. 64 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung sind solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. Deshalb ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung und insbesondere auch das Verhältnis der überbauten Grundfläche zur Freifläche ist der von außen wahrnehmbare optische Eindruck. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Unvollständigkeit der Bauvorlagen in Bezug auf Angaben zu benachbarten Grundstücken führt zwar nicht zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung, begründet aber erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 23. Juni 2017 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau von drei Reihenhäusern mit drei Garagen auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung …
Das Grundstück hat eine Grundfläche von 845 m2 und ist bereits bebaut. Es befindet sich in einem Geviert, das westlich und nördlich durch die …straße begrenzt wird, die von Süden bis auf Höhe des gegenständlichen Grundstücks in Nord-Süd-Richtung und ab dort in nordöstlicher Richtung verläuft, östlich durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufende R …straße (Abstand zur …straße auf Höhe des Vorha bens ca. 70 m) und südlich durch die l … Straße (Abstand ca. 130 m). Westlich der …straße verläuft in Nord-Süd-Richtung die H …straße (Abstand zur …straße auf Höhe des Vorhabens ca. 70 m). Die Bebauung besteht im Wesentlichen aus einzeln stehenden Gebäuden. Wegen der Einzelheiten wird auf einen bei den Bauvorlagen befindlichen Auszug aus dem Liegenschaftskataster sowie die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Luftbilder und Planauszüge verwiesen. Nach Aussage der Beteiligten fällt das Gelände im Bereich des Vorhabens nach Norden und vor allem nach Osten hin ab. Die Kellergeschosse liegen bei vielen Gebäuden talseitig frei.
Die Beigeladene beantragte unter dem 9. Februar 2017 die Erteilung der Baugenehmigung für den Neubau von drei Reihenhäusern mit drei Garagen. Den Planunterlagen war bei den Grundrissen ein Lageplan mit einem Auszug aus dem Liegenschaftskataster beigefügt, in dem das geplante Vorhaben dargestellt war. Eine Darstellung der vorhandenen baulichen Anlagen auf dem Baugrundstück und den benachbarten Grundstücken war nicht enthalten.
Die Antragstellerin versagte mit Beschluss des Gemeinderats vom 21. Februar 2017 das gemeindliche Einvernehmen und wies zur Begründung darauf hin, die städtebauliche Bodenordnung sei nicht gewahrt. Das Verhältnis zwischen Grundstücksgröße und dem Maß der geplanten Bebauung / zu überbauenden Grundfläche entspreche nicht der Umgebungsbebauung. Der Charakter der Siedlung werde beeinträchtigt. Sowohl der Dreispänner als auch die drei Stockwerke und somit die Kubatur des Gebäudes würden sich nicht in die Umgebungsbebauung einfügen.
Mit Schreiben vom 21. März 2017 teilte das Landratsamt der Beigeladenen mit, eine Genehmigung könne nicht in Aussicht gestellt werden. Das Vorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Als nähere Umgebung sei auf die Bebauung innerhalb des Straßengevierts, das durch die …straße (Hausnummer … bis …) und die R …straße (Westseite, Hausnummer … bis …) begrenzt werde, abzustellen. Die Grundfläche der geplanten Reihenhäuser betrage 268,56 m2. Bei der geplanten Höhenentwicklung errechne sich daraus eine oberirdische Kubatur von 2.256,75 m3. Die Gebäude in der maßgeblichen Umgebung würden deutlich geringere Grundflächen und Kubaturen aufweisen. Das Vorhaben würde bodenrechtlich beachtliche Spannungen auslösen, Vorbildwirkung haben und zu einer erheblichen Verdichtung des Wohngebiets führen. Der Siedlungshauscharakter des Wohngebiets gehe dadurch verloren.
In der Folge nahm die Beigeladene eine Umplanung vor, das Gebäude wurde 1,14 m tiefer eingestellt, die Dachneigung von 43,5° auf 38° reduziert, die Firsthöhe um 1,34 m und die Wandhöhe um 0,20 m reduziert. Gleichzeitig wurden auf der Westseite anstelle eines durchgängigen Gaubenbandes drei Einzelgauben vorgesehen. Es wurden neue Grundrisse vorgelegt, ein Lageplan war nicht enthalten. Bei den Bauvorlagen findet sich ein Auszug aus dem Katasterwerk ohne Darstellung des Vorhabens und ohne Genehmigungsvermerk.
Mit Schreiben vom 11. Mai 2017 teilte das Landratsamt der Antragstellerin mit, das Vorhaben füge sich in der nun vorliegenden Form gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, bat um Erteilung des Einvernehmens und hörte die Antragstellerin vorsorglich zu einer Ersetzung des Einvernehmens an.
Mit Beschluss des Gemeinderats vom 30. Mai 2017 versagte die Antragstellerin erneut das gemeindliche Einvernehmen. Die Begründung entsprach dem Beschluss vom 21. Februar 2017.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2017 (der Antragstellerin zugestellt am 29.6.2017) erteilte das Landratsamt unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens die Baugenehmigung nach Maßgabe der genehmigten Bauvorlagen.
Die Antragstellerin hat am 11 Juli 2017 durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben (M 11 K 17.3170) und gleichzeitig beantragen lassen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde geltend gemacht, das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung, nach der Bauweise und im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein und rufe städtebauliche Spannungen hervor. Das Vorhaben erscheine von Osten und Westen her als ein Gebäude und weise mit Kellergeschoss, Erdgeschoss, 1. OG und Dachgeschoss insgesamt vier Geschosse auf. Durch den Ausbau beidseitiger Dachgauben sowie im Osten durch massive Vorbauten für Terrasse und Balkon, auch im Kellergeschoss, wirke das Vorhaben extrem massiv und sei nicht untergliedert. Durch seine Hanglage stelle es sich als extrem massives und wuchtiges Bauwerk dar. Die Umgebungsbebauung bestehe im Wesentlichen aus zweigeschossiger Bebauung, E+I. Dachgeschosse seien nur teilweise ausgebaut. Die Antragstellerin macht geltend, das Verhältnis zwischen überbauter Grundstücksfläche und Grundstücksgröße in der näheren Umgebung betrage im Durchschnitt 19,3% und hat eine Zusammenstellung für die Umgebungsbebauung mit entsprechenden Zahlen vorgelegt. Das geplante Vorhaben weise ein Verhältnis von 32% auf und überschreite das Maß der Umgebungsbebauung erheblich. Das Vorhaben falle mit einer Länge von fast 17 m und einer Tiefe von 12,24 m sowie den massiven Dachgauben, Vorbauten, Stellplätzen und Garagenbauten aus dem Rahmen der Umgebungsbebauung.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er weist darauf hin, dass die vom Bauherrn gewählte Vorhabensbezeichnung als Reihenhäuser nicht dem Begriff der Häusergruppe entspreche, weil das Baugrundstück eigentumsrechtlich nach dem Wohnungseigentumsgesetz und nicht im Wege der Realteilung aufgeteilt worden sei. Beim Maß der baulichen Nutzung sei in erster Linie auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung eines Gebäudes abzustellen. Ein Rückgriff auf die Grundflächenzahl sei nur bedingt geeignet und müsse bei der Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung gegenüber den absoluten Größen zurücktreten. Das Landratsamt habe nach der ablehnenden Beurteilung des Vorhabens eine Orteinsicht durchgeführt und sei zum Ergebnis gelangt, dass die Grundstücke FlNr. … und … noch in die Beurteilung der näheren Umgebung einfließen könnten. Diese würden vergleichbare Grundflächen wie das Vorhaben aufweisen. Die Wandhöhen lägen bergseits und talseits im Rahmen der in der Umgebungsbebauung vorhandenen Werte. Die Firsthöhen würden für das Landratsamt keinen Ablehnungsgrund bilden. Die Überschreitung von Parametern für das Maß der baulichen Nutzung führe nicht automatisch zur Begründung bodenrechtliche beachtlicher Spannungen. Bei der Frage des Einfügens gehe es weniger um Einheitlichkeit als um Harmonie. Einem Vorhaben, das in seiner Umgebung hinsichtlich eines Beurteilungskriteriums noch ohne Vorbild sei, könne nicht automatisch entgegengehalten werden, dass es ihm an der harmonischen Einfügung fehle. Gerade in Bezug auf die Firsthöhe könne kein starrer Zwang zur Uniformität ausgeübt werden. Im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche weißt der Antragsgegner darauf hin, dass sich die Westwand des Vorhabens an der durch die Bebauung östlich der …straße gebildeten faktischen Baugrenze orientiere. Die Bauaufsichtsbehörden seien verwaltungsintern angehalten, ein versagtes Einvernehmen zu ersetzen, wenn begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung bestünden.
Die Beigeladene hat durch ihren Bevollmächtigten beantragen lassen, den Antrag abzulehnen.
Sie macht geltend, die Bebauung in der näheren Umgebung sei heterogen. Als nähere Umgebung sei jedenfalls der Bereich nördlich der l … Straße und beidseits der H …straße und der K …straße bis zur … einzubeziehen. Das Vorhaben halte sich in Bezug auf die Gebäudeaußenmaße und die Höhenentwicklung innerhalb des vorhandenen Bebauungsrahmens. Sie tritt der vorgelegten Auflistung der überbauten Grundflächen entgegen und weist darauf hin, dass unklar sei, welche Flächen einbezogen worden seien. Ein Vergleich nach Maßgabe von Genehmigungsunterlagen genüge nicht, die Feststellung von Wegen, Zufahrten und Terrassen hätte eine Bestandserhebung erfordert. Die Beigeladene hat eine eigene Zusammenstellung der Grundflächen, aufgeschlüsselt nach Hauptbaukörpern und Garagengebäuden vorgelegt. Das Vorhaben liege auch in seiner Geschossigkeit innerhalb des durch die Umgebungsbebauung eröffneten Rahmens. Es wirke bergseitig mit E+D und talseitig mit E+I+D. Bei dem Kellergeschoss handle es sich nicht um ein Vollgeschoss, sondern um ein in den Hang hineingebautes Untergeschoss. Dem entspreche die Umgebungsbebauung. Hinsichtlich der Höhenentwicklung wurden Skizzen für die Gebäude auf den Anwesen …straße und H …straße vorgelegt. Hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche wurde darauf hingewiesen, dass sich das Vorhaben auf einem Eckgrundstück im Knick der …straße befinde. Die Grundfläche liege innerhalb des durch die südlich und nordöstlich angrenzende Bebauung eröffneten Rahmens.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Verfahren M 11 K 17.3170 und in diesem Verfahren sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an.
Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird. Ist demgegenüber der Rechtsbehelf offensichtlich begründet, so überwiegt das Interesse des Antragstellers. Bei Unsicherheiten hinsichtlich der Erfolgsaussichten kann als Maßstab in Anlehnung an die Regelung in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO das Bestehen von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes herangezogen werden (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.1991 – 25 CS 91.3006 – juris Rn. 40; Gersdorf in Posser/Wolff, VwGO, Stand 1.7.2016, § 80 Rn. 189). Sind die Erfolgsaussichten offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es ver langt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei. Bei der Abwägung ist den Belangen der Betroffenen umso mehr Gewicht beizumessen, je stärker und je irreparabler der Eingriff in ihre Rechte wäre.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Nach Aktenlage spricht mehr dafür, dass die zulässige Klage in der Hauptsache Erfolg haben wird, weil die Ersetzung des Einvernehmens rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 36 BauGB verletzt, weil das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bzw. insoweit zumindest ernstliche Zweifel bestehen.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 34 Abs. 1 BauGB. Ein Vorhaben ist danach zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
Nähere Umgebung ist der Bereich, auf den sich das geplante Vorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls und für die jeweiligen Einzelkriterien gesondert zu bestimmen (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38/13 – juris Rn. 7). Im Regelfall wird die nähere Umgebung für die Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Fläche enger zu ziehen sein als für die Art der baulichen Nutzung, weil es bei diesen Kriterien maßgeblich auf den optischen Eindruck und damit eine Sichtbeziehung vom bzw. zum Vorhaben ankommt.
Zu den Anforderungen an das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB hat das Bundesverwaltungsgericht die in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze wie folgt zusammengefasst (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 17):
„In die Eigenart der näheren Umgebung fügt sich ein Vorhaben ein, das sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, es sei denn, es lässt die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung fehlen. Allerdings kann sich im Ausnahmefall auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, noch in seine nähere Umgebung einfügen; Voraussetzung hierfür ist, dass es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Diese Grundsätze gelten nicht nur für eine Überschreitung des vorgegebenen Rahmens hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung, sondern auch für ein Überschreiten des Maßes der baulichen Nutzung. Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an.“
Speziell zum Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung führt das Bundesverwaltungsgericht aus (BVerwG a.a.O. – juris Rn. 20):
„Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind die vorhandenen „Gebäude“ in der näheren Umgebung zueinander in Beziehung zu setzen. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren im Sinne des § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. … [Deshalb ist] kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen. Die Übereinstimmung von Vorhaben und Referenzobjekten nur in einem Maßfaktor genügt nicht, weil sie dazu führen könnte, dass durch eine Kombination von Bestimmungsgrößen, die einzelnen Gebäuden in der näheren Umgebung jeweils separat entnommen werden, Baulichkeiten entstehen, die in ihrer Dimension kein Vorbild in der näheren Umgebung haben. Dies widerspräche der planersetzenden Funktion des § 34 Abs. 1 BauGB, eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung eines Bereichs zu gewährleisten.“
Mit dem Kriterium „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ sind die Merkmale des § 23 BauNVO über die überbaubare Grundstücksfläche gemeint. Danach bestimmt sich die überbaubare Grundstücksfläche aus Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen. Die darauf zu beziehende Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 geht aus von den in der näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 125. EL Mai 2017, § 34 Rn. 47).
Entsprechend diesen Maßstäben bestehen ernstliche Zweifel, ob sich das Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung einfügt.
Als größtmöglicher denkbarer Umgriff der prägenden Umgebungsbebauung kommt nach Maßgabe des Lageplans und der vorgelegten Luftbilder die Bebauung entlang der …straße, südlich bis auf Höhe der Anwesen …straße … und … und nordöstlich bis auf Höhe der Anwesen …straße … und …, die Bebauung an der Ostseite der H …straße auf Höhe der Anwesen H …straße … bis … sowie die Bebauung beid-seits der R …straße, südlich bis auf Höhe der Anwesen R …straße … und, in Betracht.
Bei Zugrundelegung dieses Umgriffs hält sich das Vorhaben hinsichtlich des Verhältnisses der überbauten Grundfläche zur Freifläche voraussichtlich nicht innerhalb des Rahmens der vorhandenen Bebauung. Maßgeblich für die entsprechende Beurteilung ist dabei im Eilverfahren vorrangig der optische Eindruck nach Maßgabe der Lagepläne und der Luftbilder. Danach weist die Umgebungsbebauung einen geringen Verdichtungsgrad auf, wie er für eine Bebauung mit Einfamilienhäusern typisch ist. Sie ist geprägt durch verhältnismäßig große Freiflächen im Verhältnis zu den Baukörpern. Das Vorhaben weist hingegen – ungeachtet davon, dass es sich nicht um eine Häusergruppe im Sinne von § 22 BauNVO handelt – ein für eine Reihenhausbebauung typisches Verhältnis von Baukörper zur Freifläche auf. Der entsprechende Eindruck wird durch die im Klageverfahren vorgelegten Zahlen bestätigt. Dabei hat die Antragstellerin zu Recht von einer Differenzierung der Bebauung mit einer gesonderten Darstellung von Haupt- und Nebengebäuden abgesehen. Denn maßgeblich für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung und insbesondere auch das Verhältnis der überbauten Grundfläche zur Freifläche ist der von außen wahrnehmbare optische Eindruck. Eine Differenzierung nach Maßgabe der differenzierten Vorgaben der Baunutzungsverordnung, insbesondere der differenzierten Anrechnungsregeln, wäre lediglich im Rahmen der nur beschränkt bedeutsamen Geschossflächen- oder Grundflächenzahl (vgl. BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18/92 – juris Rn. 7; B.v. 14.3.2013 – 4 B 49/12 – juris Rn. 5) von Belang. Anhaltspunkte, dass die Antragstellerin in wesentlichem Umfang über die Hauptgebäude und Garagen hinaus Flächen einbezogen hat, die für das Verhältnis der Baudichte keine Bedeutung haben, bestehen auch unter Berücksichtigung der von Seiten der Beigeladenen vorgelegten Zahlen nicht. Auch danach bleibt das Verhältnis der überbauten Grundfläche zur Freifläche in der näheren Umgebung – mit Ausnahme eines Grundstücks (FlNr. …) – hinter dem Vorhaben zurück und dies – mit Ausnahme von zwei Grundstücken (FlNr. … und …) – auch recht deutlich.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Einfügen nach Maßgabe des Verhältnisses der überbauten Grundfläche zur Freifläche unter Berücksichtigung der Kubatur denkbar wäre, erscheint dies nach Maßgabe des massiven Baukörpers mit einer erheblichen Breite und Tiefe und massiven Vorbauten sowie nach Maßgabe der Höhenentwicklung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unwahrscheinlich. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar dargestellt, dass das Vorhaben nach seiner Kubatur und das deutliche wahrnehmbare Kellergeschoss extrem massiv wirken wird und der Charakter der Siedlung durch das Vorhaben und eine entsprechende Bezugsfallwirkung gefährdet ist. Auf die Frage, ob das Vorhaben hinsichtlich der Höhenentwicklung für sich gesehen innerhalb des Rahmens der Umgebungsbebauung bleiben würde, kommt es demgegenüber nicht an.
Eine verbleibende Unsicherheit wirkt sich im Rahmen des Eilverfahrens wegen der Unvollständigkeit der Bauvorlagen zu Gunsten der Antragstellerin aus. Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. Nach § 3 Nr. 1, § 7 Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) ist ein Lageplan vorzulegen, der nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 BauVorlV die vorhandenen baulichen Anlagen auf den benachbarten Grundstücken mit Angabe ihrer Nutzung, First- und Außenwandhöhe, Dachform und der Art der Außenwände und der Bedachung enthalten muss, soweit dies zur Beurteilung des Vorhabens erforderlich ist.
Diesen Anforderungen entsprechen die Bauvorlagen nicht. Abgesehen davon, dass dem Vorhaben in der genehmigten Form überhaupt kein Lageplan zugrunde liegt, enthielt auch der bei den Grundrissen befindliche Lageplan der ursprünglichen Planung keine für die Beurteilung der Höhenentwicklung erforderlichen Angaben zur vorhandenen Bebauung auf den benachbarten Grundstücken.
Die Unvollständigkeit der Bauvorlagen in Bezug auf Angaben zu benachbarten Grundstücken führt zwar nicht zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung (vgl. zu dieser Fallvariante BayVGH, B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris RdNr. 11 m.w.N.), begründet aber erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung und wirkt sich insoweit im Eilverfahren zugunsten der in ihren Rechten nach § 36 BauGB betroffenen Antragstellerin aus. Die entsprechenden Zweifel konnten auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren weder vom Antragsgegner noch von der Beigeladenen ausgeräumt werden. Insbesondere eine Darlegung zur Höhenentwicklung auf denjenigen Grundstücken in der näheren Umgebung, die ein hohes Verhältnis von Baukörpern zur Freifläche aufweisen, ist nicht erfolgt. Die Skizzen von Seiten der Beigeladenen zur Höhenentwicklung betreffen Gebäude außerhalb der näheren Umgebung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Nrn. 1.5 u. 9.7.1 des Streitwertkatalogs.


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