Baurecht

Einheitliche Planfeststellung eines Eisenbahnvorhabens (Lückenschluss Stuttgart 21) und eines Straßenbauvorhabens (Südumgehung Plieningen)

Aktenzeichen  3 C 2/19

Datum:
18.6.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2020:180620U3C2.19.0
Normen:
§ 18 Abs 1 AEG
Art 30 GG
Art 74 Abs 1 Nr 1 GG
Art 84 Abs 1 GG
§ 17a Abs 3 S 2 GVG
§ 17 Abs 5 GVG
Art 2 Abs 1 EURL 92/2011
Art 4 EURL 92/2011
Art 3 Abs 1 EURL 52/2014
§ 37 Abs 5 StrG BW
§ 1 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst c UmwRG
§ 1 Abs 1 S 1 Nr 5 UmwRG
§ 2 Abs 4 S 1 Nr 2 UmwRG
§ 4 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst b UmwRG
§ 4 Abs 1 S 2 UmwRG
§ 4 Abs 1a UmwRG
§ 2 Abs 3 UVPG vom 24.02.2010
§ 3a S 4 UVPG vom 24.02.2010
§ 4 S 1 UVPG vom 24.02.2010
§ 6 Abs 1 UVPG vom 24.02.2010
§ 9 Abs 1 Nr 1 UVPG vom 24.02.2010
§ 24a UVPG vom 24.02.2010
Anl 1 Nr 14.3 UVPG vom 24.02.2010
§ 1 Abs 4 UVPG
§ 2 Abs 6 Nr 1 UVPG
§ 5 Abs 3 S 2 UVPG
§ 71 UVPG
§ 11 Abs 1 UmwVwG BW vom 10.12.2018
§ 15 Nr 1 UmwVwG BW vom 10.12.2018
§ 137 Abs 1 Nr 1 VwGO
§ 137 Abs 1 Nr 2 VwGO
§ 137 Abs 2 VwGO
§ 142 Abs 1 S 1 VwGO
§ 46 VwVfG
§ 75 Abs 1 S 1 VwVfG
§ 75 Abs 1 Halbs 2 VwVfG
§ 560 ZPO
§ 563 Abs 4 ZPO
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Auf Landesrecht beruhende UVP-Vorprüfungen sind revisionsgerichtlich auf die Verletzung von Unionsrecht überprüfbar.
2. Es bedarf bereits in der Vorprüfung einer Gewichtung der abwägungserheblichen Belange unter Berücksichtigung der vorhaben- und standortbezogenen Kriterien; steht nach einer diese Maßstäbe berücksichtigenden Vorausschau im Zeitpunkt der Vorprüfung fest, dass ein abwägungserheblicher Umweltbelang keinen Einfluss auf das Ergebnis des Planfeststellungsbeschlusses haben kann, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich. Zum Ergebnis der Planfeststellung gehören nicht nur die Entscheidung über das “Ob” des Vorhabens und die Abwägung etwaiger Ausführungsvarianten, sondern auch die Entscheidung über Nebenbestimmungen zum Schutz der Umwelt im Rahmen der Abwägung.
3. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO hindert nicht, einen während des Revisionsverfahrens nach § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG zur Fehlerheilung ergangenen Änderungsplanfeststellungsbeschluss in die beim Revisionsgericht anhängige Klage gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss einzubeziehen (Bestätigung des Beschlusses vom 17. März 2020 – 3 VR 1.19).

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 4. Dezember 2018, Az: 5 S 2138/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
Auf die Revisionen der Beigeladenen zu 1 und 2 wird die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 14. Juli 2016 in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 11. Oktober 2019 und der Protokollerklärung vom 28. Mai 2020 für das Vorhaben “Stuttgart 21, PFA 1.3a (Neubaustrecke mit Station NBS einschließlich L 1192/L 1204, Südumgehung Plieningen)” abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1
Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes für das Vorhaben “Stuttgart 21, PFA 1.3a (Neubaustrecke mit Station NBS einschließlich L 1192/L 1204, Südumgehung Plieningen)”, in den Gemeinden Stuttgart, Leinfelden-Echterdingen, Ostfildern, Neuhausen auf den Fildern, Köngen und Filderstadt, Bahn-km 10,030 bis 15,311 der Neubaustrecke und Bahn-km 0,000 bis 3,026 der Strecke “Flughafentunnel”.
2
Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses ist zum einen der Neubau einer oberirdischen zweigleisigen Eisenbahnstrecke (im Folgenden: NBS) zwischen dem Portal des Fildertunnels und dem östlichen Ende des Flughafens Stuttgart. Damit schließt der Planfeststellungsbeschluss die Lücke zwischen den bestandskräftig planfestgestellten Abschnitten 1.2 (Fildertunnel) und 1.4 (Filderbereich bis Wendlingen). Zur Planfeststellung gehört ein neuer Bahnhof in Tieflage unter dem Gelände des Stuttgarter Flughafens und der Neuen Messe, die so genannte “Station NBS”. Sie wird über zwei jeweils eingleisige Tunnelstrecken, den so genannten Flughafentunnel, als Zulaufstrecken in die NBS eingebunden. Die Station NBS verfügt über zwei etwa 405 m lange Bahnsteiggleise in voneinander getrennten, bergmännisch hergestellten Tunnelröhren. Der Flughafentunnel wird im weiteren Verlauf unter der NBS und der Bundesautobahn (BAB) A 8 hindurchgeführt. Regional- und Fernzüge der Gäubahn (Strecke Stuttgart – Singen) sollen zwischen Stuttgart Hauptbahnhof und Herrenberg künftig den Fildertunnel und ein kurzes Stück der NBS bis zum Flughafen befahren. Der Planfeststellungsbeschluss umfasst neben den hierfür erforderlichen Ein- und Ausschleifungspunkten die Trogbauwerke und zwei etwa 300 m lange eingleisige Tunnel in die spätere Flughafenkurve. Die genaue Führung der Flughafenkurve und die Ausgestaltung des zusätzlichen Halts am Flughafen sollen ebenso wie die weitere Streckenführung über die Filderebene und die Ausgestaltung der Rohrer Kurve Gegenstand des Planfeststellungsabschnitts (im Folgenden: PFA) 1.3b sein. Die NBS verläuft im PFA 1.3a weitgehend parallel zur BAB A 8. Zwischen dieser und dem nächstgelegenen Gleis der NBS verbleibt ein Zwischenraum zur Unterbringung eines Erdwalls zum Schutz der NBS vor abkommenden Fahrzeugen – des so genannten Abkommenschutzwalls – und eines bahnbegleitenden Seitenweges.
3
Der Planfeststellungsbeschluss umfasst außerdem ein Straßenbauvorhaben, nämlich den etwa 1,3 km langen Lückenschluss der “Südumgehung Plieningen” im Zuge der Landesstraße L 1192 zwischen den Landesstraßen L 1204 und L 1205. Als Folgemaßnahmen planfestgestellt sind weiter u.a. die Umgestaltung der Anschlussstelle Plieningen der BAB A 8. Die Anschlüsse sollen in einem Trogbauwerk unter den Trassen der NBS und des neuen Abschnitts der L 1204 hindurchgeführt werden. Träger des Eisenbahnvorhabens ist die Beigeladene zu 1 (die DB Netz AG). Träger des Straßenbauvorhabens ist der Beigeladene zu 2 (das Land Baden-Württemberg).
4
Den Antrag auf Planfeststellung der NBS in einem ungeteilten PFA 1.3 – im Auftrag der Beigeladenen zu 2 unter Einbeziehung der Südumgehung – stellte die Beigeladene zu 1 im Jahr 2002. Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens beantragte sie im Juni 2015 die Teilung des PFA 1.3 in die Abschnitte 1.3a und 1.3b und Fortführung des Verfahrens nur für den hier streitigen Abschnitt 1.3a, um die weitere Streckenführung der Gäubahn einer späteren Planung im Abschnitt 1.3b vorzubehalten.
5
Den Plan für die Vorhaben im PFA 1.3a stellte das Eisenbahn-Bundesamt unter dem 14. Juli 2016 fest. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof Klage erhoben.
6
Mit verfahrensleitender Verfügung vom 7. Dezember 2016 stellte das Eisenbahn-Bundesamt fest, dass für das Vorhaben “Südumgehung Plieningen” keine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehe. Entscheidungserhebliche nachteilige Umweltauswirkungen des Vorhabens seien nicht zu erwarten.
7
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 4. Dezember 2018 den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss verstoße in Bezug auf das Vorhaben “Südumgehung Plieningen” zu Lasten von Umweltbelangen, die zu den Zielen gehörten, die der Kläger nach seiner Satzung fördere, gegen das insoweit umweltbezogene Abwägungsgebot nach § 37 Abs. 5 des Straßengesetzes für Baden-Württemberg. Das Eisenbahn-Bundesamt habe verkannt, dass es sich bei dem Straßenbauvorhaben trotz seiner verfahrensrechtlichen Verbindung mit dem Eisenbahnvorhaben um ein selbstständiges Vorhaben handele, dessen Vor- und Nachteile eigenständig abzuwägen seien. Das Fehlen dieser Abwägung sei erheblich. Die mit der “Südumgehung Plieningen” verbundenen Vorteile seien nicht ausreichend ermittelt worden. In Bezug auf das Eisenbahnvorhaben verstoße der Planfeststellungsbeschluss jedoch gegen keine Rechtsvorschrift, die für diese Entscheidung von Bedeutung sei.
8
Der Kläger und die Beigeladenen zu 1 und 2 haben die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt.
9
Während der Revisionsverfahren hat das Eisenbahn-Bundesamt zur Behebung des vom Verwaltungsgerichtshof bezeichneten Abwägungsmangels sowie weiterer Fehler ein ergänzendes Verfahren durchgeführt und dieses mit einem Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 11. Oktober 2019 zur Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses vom 14. Juli 2016, dem Kläger zugestellt am 17. Oktober 2019, abgeschlossen.
10
Der Kläger hat den Änderungsplanfeststellungsbeschluss mit Schriftsatz vom 11. November 2019 in das Revisionsverfahren einbezogen und mit Blick auf die darin getroffene Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 17. März 2020 (BVerwG 3 VR 1.19) abgelehnt.
11
Der Kläger macht zur Begründung der Revision geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei fälschlicherweise und ohne dies auf seine Rüge hin vorab auszusprechen von seiner erstinstanzlichen Zuständigkeit ausgegangen; zuständig sei aber das Bundesverwaltungsgericht. Dass das Eisenbahn-Bundesamt befugt gewesen sei, über das Eisenbahn- und das Straßenvorhaben in einem einheitlichen Planfeststellungsverfahren zu entscheiden, habe er aktenwidrig bejaht. Außerdem habe er verkannt, dass der Bau der Südumgehung eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordere; denn die nachgeholte Vorprüfung ergebe erhebliche Umweltauswirkungen für das Schutzgut Boden. Die Störwirkung und das Tötungsrisiko für geschützte Vogelarten würden übersehen und artenschutzrechtliche Zugriffsverbote verletzt. Die Entwässerung des im PFA 1.3a anfallenden Oberflächenwassers in den PFA 1.4 habe nicht aus der Planfeststellung ausgeklammert werden dürfen. Die Entscheidung, zwischen der BAB A 8 und der NBS einen Wall und keine Betonwand zum Schutz der NBS vor abkommenden Fahrzeugen zu errichten, sei abwägungsfehlerhaft; die Fehler seien entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs auch erheblich. Der Änderungsplanfeststellungsbeschluss habe den vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Abwägungsausfall nicht behoben. Das Eisenbahn-Bundesamt gehe zu Unrecht davon aus, dass für die Südumgehung Plieningen ein Bedarf bestehe; der Ort Plieningen sei verkehrlich nicht überlastet. Auch sei nicht rechtlich gesichert, dass die L 1192 für den Durchgangsverkehr gesperrt werde und dadurch die erstrebte Entlastungswirkung eintrete.
12
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte im Einvernehmen mit den Beigeladenen den Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 11. Oktober 2019 um folgende Nebenbestimmung ergänzt:
“Die Südumgehung Plieningen darf erst für den Verkehr freigegeben werden, wenn eine Zusicherung des Straßenbaulastträgers vorliegt, die L 1192 zwischen der Einmündung Schachtelhalmweg in die L 1192 und der Kreuzung K 1217 mit der L 1192 in der Weise teileinzuziehen, dass dort nur landwirtschaftlicher Verkehr, öffentlicher Nahverkehr und Fahrradverkehr verkehren darf.”
13
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Dezember 2018 zu ändern und den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 14. Juli 2016 in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 11. Oktober 2019, dieser in der Fassung der Protokollerklärung vom 28. Mai 2020, für das Vorhaben “Stuttgart 21, PFA 1.3a (Neubaustrecke mit Station NBS einschließlich L 1192/L 1204, Südumgehung Plieningen)” aufzuheben,
hilfsweise festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses, dieser in der Fassung der Protokollerklärung vom 28. Mai 2020, nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts rechtswidrig und nicht vollziehbar ist,
weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter teilweiser Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses, dieser in der Fassung der Protokollerklärung vom 28. Mai 2020, hinsichtlich des Schutzes von Natur und Landschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden,
2. die Revisionen der Beigeladenen zurückzuweisen.
14
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
15
Die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragen jeweils,
die Revision des Klägers zurückzuweisen und die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 14. Juli 2016 in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 11. Oktober 2019, dieser in der Fassung der Protokollerklärung vom 28. Mai 2020, abzuweisen,
hilfsweise, das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Dezember 2018 zu ändern und die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 14. Juli 2016 abzuweisen.
16
Sie verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, soweit es erhebliche Mängel des Planfeststellungsbeschlusses verneint. Soweit es hinsichtlich der Südumgehung einen Abwägungsausfall feststelle, habe der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfungsbefugnis überschritten; überdies sei diese Feststellung aktenwidrig. Jedenfalls aber sei ein etwaiger Abwägungsmangel durch den Änderungsplanfeststellungsbeschluss beseitigt worden.


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