Baurecht

Einstweiliger Rechtsschutz des Nachbarn gegen Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 11 SN 16.2588

Datum:
29.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 6 Abs. 1

 

Leitsatz

Für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei einer Kfz-Werkstatt noch um einen das Wohnen nicht wesentlich störenden oder um einen schon das Wohnen wesentlich störenden Gewerbebetrieb handelt, ist eine die konkrete Ausgestaltung des Betriebs in den Blick nehmende Betrachtungsweise geboten. Es liegt nahe, dass es sich nicht um eine atypisch kleine Werkstatt handelt, sondern dass eine mit dem Vorhaben einhergehende Betriebserweiterung mischgebietsunverträglich ist, wenn die Kfz-Firma aktuell 15 Beschäftigte hat, damit wirbt auch größere Kraftfahrtzeuge als herkömmliche PKWs zu reparieren und einen „24-Stunden-Notdienst“ anbietet. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin zu 2) vom 13. Juni 2016 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. Mai 2016 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragstellerin zu 2) zu ½, der Antragsgegner zu ¼ sowie die Beigeladenen zu ¼ zu tragen. Die Antragstellerin zu 2) hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 1) zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Die Beigeladenen betreiben – zusammen mit Familienangehörigen – auf dem Grundstück Fl. Nr. … der Gemarkung … ein Autohaus, das nach Aktenlage eine Kfz-Reparaturwerkstätte, einen Abschlepp- und Bergungsdienst sowie den Handel mit Fahrzeugen beinhaltet. Südlich an das Grundstück Fl. Nr. … grenzt das im Eigentum der Beigeladenen stehende Grundstück Fl. Nr. … an, das derzeit wohl unbebaut ist. Östlich grenzt an das Grundstück Fl. Nr. … das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück Fl. Nr. … an, das nach den vorliegenden Grundbuchauszügen einer aus einem Ehepaar und der Antragstellerin zu 2) bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft gehört. Die genannten Grundstücke liegen im Umgriff des Bebauungsplans „Nr. … für das Gebiet zwischen …weg, …Straße und Bahnlinie“ des Marktes …, und zwar sämtlich in einem als Mischgebiet festgesetzten Baugebiet. Auf der Südseite des Grundstücks Fl. Nr. … befindet sich die Zufahrt zum Grundstück der Antragstellerinnen. Zu diesem Zweck besteht für das Grundstück der Antragstellerinnen ein dingliches Geh- und Fahrtrecht am Grundstück Fl. Nr. ….
Gegen die unter dem 28. November 2014 vom Beigeladenen zu 2) beantragte und diesem vom Antragsgegner am 14. April 2015 erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer Kfz-Halle auf dem Grundstück Fl. Nr. …, die insbesondere zur Unterbringung von Abschleppfahrzeugen vorgesehen war, erhob die Antragstellerin zu 2) am 13. Mai 2015 Klage (M 11 K 15.1920) und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (M 11 SN 15.1921). Mit Beschluss vom 28. Juli 2015 ordnete das Bayerische Verwaltungsgericht München im Verfahren M 11 SN 15.1921 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin zu 2) an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beigeladenen zu 2) wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss vom 10. September 2015 zurück (Az.: 1 CS 15.1754). In der dazugehörigen Hauptsache wurde durch Beschluss vom 15. März 2016 auf entsprechende Anträge der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Seine Pläne zur Errichtung einer Kfz-Halle auf dem Grundstück Fl. Nr. … gab der Beigeladene zu 2) zwischenzeitlich auf und gab die Baugenehmigung an das Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) zurück.
Unter dem 22. Februar 2016 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zum Anbau an die bestehende Kfz-Halle zu Zwecken des Einbaus einer optischen Vermessungsanlage auf dem Grundstück Fl. Nr. ….
Zugleich beantragten die Beigeladenen eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl.
Mit Schreiben vom 3. März 2016 erteilte der Markt … nach vorheriger Beschlussfassung seines Bau- und Umweltausschusses zu dem Vorhaben das Einvernehmen.
In den Akten befinden sich eine undatierte Betriebsbeschreibung, eine „ergänzende Erläuterung zum Bauantrag“ vom 23. Februar 2016 sowie ein Bestätigungsschreiben des Beigeladenen zu 2) vom 24. März 2016. Die Firma der Beigeladenen betreibt den darin enthaltenen Angaben zufolge eine Kfz-Reparaturwerkstätte, einen Abschlepp- und Bergungsdienst sowie den Handel mit Fahrzeugen, insbesondere der Marke Volkswagen. Das Erdgeschoss des geplanten Anbaus sei für den Einbau einer optischen Vermessungsanlage gedacht, die nötig sei, um die Auflagen des Volkswagen-Konzerns bezüglich der Wartung von Fahrassistenzsystemen, Radar- und Überwachungskameras zu erfüllen. Das Untergeschoss solle als Lager für Werkzeug sowie das Aufnehmen der modernen Messbühne dienen. Als Betriebszeit wurde für Werktage die Zeit von 7.30 Uhr bis 12.00 Uhr und von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr angegeben. Nach 17.00 Uhr bzw. an Sonn- und Feiertagen gebe es nur einen Notdienst. Allerdings sei eine Nutzung des neuen Wartungsplatzes im geplanten Anbau ausschließlich innerhalb der üblichen Öffnungszeiten zwischen 7.30 Uhr und 17.00 Uhr vorgesehen und auch Notfallreparaturen zur Nachtzeit dort nicht beabsichtigt. Im Betrieb gebe es insgesamt 10 volljährige und 5 minderjährige Beschäftigte.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2016 erteilte das Landratsamt dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter verschiedenen Auflagen und unter gleichzeitiger Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur einzuhaltenden Grundfläche.
Der Bescheid wurde der Antragstellerin zu 2) am 13. Mai 2016 zugestellt.
Die Antragstellerin zu 2) ließ in eigenem Namen sowie im Namen der Antragstellerin zu 1) mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 13. Juni 2016 Klage gegen den Bescheid vom 10. Mai 2016 erheben und außerdem sinngemäß beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Baugenehmigung sowie die Befreiung von der im Bebauungsplan maximal zulässigen Grundflächenzahl verstoße insbesondere gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da der geplante Anbau zu einer unzumutbaren Verdichtung der in der Nähe befindlichen Wohnbebauungen führe. Zudem sei eine unzumutbare Lärmbelastung zu befürchten, da durch die Ausweitung des Gewerbebetriebs sowohl die Arbeitsintensität, als auch der An- und Abfahrtsverkehr deutlich zunehme. Ferner sei mit der Realisierung des Bauvorhabens und einer Vergrößerung des ohnehin mit mehr als 800 Quadratmeter bereits großen Gewerbebetriebs die Grenze zu einem das Wohnen wesentlich störenden und damit mischgebietsunverträglichen Gewerbetrieb überschritten. Schließlich würden das Geh- und Fahrtrecht sowie die sich ebenfalls südlich des Grundstücks Fl. Nr. … befindlichen Versorgungs- und Wasserleitungen des Grundstücks der Antragstellerinnen beeinträchtigt bzw. beschädigt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält an seinem Bescheid fest. Im Wesentlichen brachte er vor, dass eine Beeinträchtigung der Antragstellerinnen durch den flächenmäßig kleinen Anbau, der noch dazu auf der von deren Grundstück abgewandten Seite liege, nicht erkennbar sei. Eine Verdichtung der Wohnbebauung liege nicht vor, da der geplante Anbau vom Grundstück der Antragstellerinnen aus gesehen vollständig hinter dem Bestandsgebäude gelegen und lediglich das Dach 1,475 m höher sei. Eine unzumutbare Lärmbelastung stehe nicht zu befürchten, da in der Baugenehmigung zulässige Immissionsrichtwerte festgesetzt worden seien und der Anbau nur während der üblichen Betriebszeiten bis 17.00 Uhr und ausdrücklich nicht zur Nachtzeit genutzt werden dürfe. Auch lägen die Voraussetzungen einer Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Grundflächenzahl vor, da der Anbau für den bestandsgeschützten Betrieb erforderlich sei, die Grundflächenzahl nach Verwirklichung des Vorhabens immer noch unter der maximal zulässigen Höchstgrenze liege und demgegenüber keine erhebliche zusätzliche Belastung der Antragstellerinnen bestehe. Schließlich sei das Vorhaben mischgebietsverträglich bzw. falls dies nicht der Fall sei, sei eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB konkludent im Genehmigungsbescheid oder zumindest ausdrücklich hilfsweise im Schriftsatz vom 18. August 2016 erteilt worden.
Die Beigeladenen beantragen,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag der Antragstellerin zu 1) sei bereits unzulässig, da die Antragstellerin zu 2) insoweit keine Vertretungsmacht habe. Darüber hinaus berufen sie sich, neben den bereits vom Antragsgegner vorgebrachten Erwägungen, insbesondere darauf, dass bei der Planung dieses Vorhabens den seinerzeitigen Einwänden der Antragstellerin zu 2) in den Verfahren M 11 K 15.1920 und M 11 SN 15.1921 gerade Rechnung getragen worden sei, nämlich dass eine Verlegung eines etwaigen Neubaus auf die westliche Seite des Grundstücks Fl. Nr. … mit erheblich weniger Belastungen für die Anwohner des Grundstücks Fl. Nr. … verbunden und zudem aufgrund des direkten Anschlusses an die …Straße zweckmäßiger sei. Zudem sei der Anbau zur Unterbringung der optischen Vermessungsanlage aus betriebswirtschaftlicher Sicht zwingend notwendig, da bei Nichtinstallation einer derartigen Messanlage, für die die Bestandsgebäude jedoch zu klein seien, bis spätestens Anfang 2017, eine Kündigung der Partnerschaft durch die Volkswagen AG drohe, von der der Betrieb der Beigeladenen wirtschaftlich abhängig sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch diejenigen des zugehörigen Klageverfahrens (M 11 K 16.2587) sowie der Verfahren M 11 K 15.1920 und M 11 SN 15.1921, und die vorgelegten Behördenakten, einschließlich Bauvorlagen und Bebauungsplan des Marktes …, Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat teilweise Erfolg.
1. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) ist bereits unzulässig, der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist dagegen zulässig.
a) Da nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 212 a Abs. 1 BauGB die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die bauaufsichtliche Genehmigung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung hat, ist der Antrag nach §§ 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO statthaft.
b) Der Antragstellerin zu 1) fehlt vorliegend die Prozessfähigkeit, da sie nicht ordnungsgemäß vertreten ist, § 62 Abs. 3 VwGO. Gemäß § 21 Abs. 1 WEG obliegt die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und somit auch die Befugnis zur Vertretung in rechtlichen Angelegenheiten den Eigentümern gemeinschaftlich. Dass die Wohnungseigentümer allgemein eine anderweitige Regelung getroffen hätten, wurde nicht vorgebracht. Die Einlegung eines Rechtsbehelfs sowie die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts ist somit ein Geschäft, an dem alle Eigentümer mitwirken müssen. Vorliegend handelte allerdings die Antragstellerin zu 2) alleine für die Antragstellerin zu 1). Auch liegt kein Beschluss sämtlicher Eigentümer vor, der die Antragstellerin zu 2) zur Einlegung eines Rechtsbehelfs und zur Beauftragung eines Rechtsanwalts ermächtigt. Auch war die Antragstellerin zu 2) nicht im Rahmen der Notgeschäftsführung nach § 21 Abs. 2 WEG berechtigt, für die Antragstellerin zu 1) zu handeln. Zum einen begründet diese Vorschrift keine Vertretungsmacht, sondern ermöglicht lediglich einzelnen Eigentümern, unter Zugestehung eines Aufwendungsersatzanspruchs, Maßnahmen in eigenem Namen zu treffen, um dem gemeinschaftlichen Eigentum unmittelbar drohende Schäden abzuwehren. Zum anderen liegen die strengen Voraussetzungen der Anwendung dieser Norm nicht vor. Es wurde weder geltend gemacht noch ist ersichtlich, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft, nicht einmal unter Einberufung einer außerordentlichen Versammlung, nicht durch Fassung eines entsprechenden Beschlusses, gegen den Genehmigungsbescheid vorzugehen, hätte handeln können. Der Antrag der Antragstellerin zu 1) ist daher als unzulässig abzulehnen.
Soweit die Antragstellerin zu 2) allerdings in eigenem Namen handelt, ist ihre Prozessfähigkeit zu bejahen.
c) Die Antragstellerin zu 2) ist entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch antragsbefugt. Zwar ist sie als einzelne Wohnungseigentümerin wohl nicht berechtigt, aufgrund ihres ideellen Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum am Grundstück Fl. Nr. … wegen Beeinträchtigung dieses Eigentums Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf einem Nachbargrundstück geltend zu machen (BayVGH, B. v. 12.09.2005 – 1 ZB 05.42 – juris; U. v. 12.07.2012 – 2 B 12.1211 – juris). Allerdings kann die Antragstellerin zu 2) geltend machen, als Inhaberin von auf dem Grundstück liegendem Sondereigentum – dieses erstreckt sich nach den vorliegenden Grundbuchauszügen auf eine der beiden Haushälften mit Garage – in ihren Rechten verletzt zu sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelten die zum baurechtlichen Nachbarschutz entwickelten Grundsätze auch für das Sondereigentum nach dem WEG, dessen Schutz den Behörden in gleicher Weise aufgetragen ist wie der Schutz etwa eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks (BVerwG, B. v. 20.08.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 10). Die Antragsbefugnis ist daher zu bejahen, da es im vorliegenden Fall zumindest möglich erscheint, dass die Antragstellerin zu 2), deren Sondereigentum sich in unmittelbarer Nähe des geplanten Vorhabens befindet, durch die Baugenehmigung in ihren Nachbarrechten verletzt wird.
2. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist auch begründet.
a) Im vorliegenden Fall ist offen, ob die erteilte Baugenehmigung Rechte der Antragstellerin zu 2) verletzt.
Das Grundstück Fl. Nr. … des Autohauses, auf dem das streitgegenständliche Vorhaben verwirklicht werden soll und das Grundstück, auf dem sich das Sondereigentum der Antragstellerin zu 2) befindet (Fl. Nr. …), liegen im selben Baugebiet, nämlich in einem durch den Bebauungsplan „Nr. … für das Gebiet zwischen …weg, …Straße und Bahnlinie“ festgesetzten Mischgebiet. Nach der Rechtsprechung des BVerwG hat die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet in Form eines sog. Gebietserhaltungsanspruchs (z. B. Urt. v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5).
Im vorliegenden Fall ist zweifelhaft, ob das Vorhaben in einem Mischgebiet nach der Art der baulichen Nutzung zulässig ist. Zulässig sind dort nur solche Gewerbebetriebe, die das Wohnen nicht wesentlich stören (§ 6 Abs. 1 BauNVO). Insoweit spricht alles dafür, dass das Vorhaben nicht isoliert von dem bereits bestehenden, auf derselben Fl. Nr. … ausgeübten Gewerbebetrieb betrachtet werden kann, da es sich bei dem Vorhaben um einen Anbau hieran handelt. Der Anbau der Halle mit optischer Vermessungsanlage ist nach der vorliegenden Betriebsbeschreibung nicht als eigenständiger Gewerbebetrieb anzusehen, sondern als eine Erweiterung des bereits bestehenden Betriebs, da die wesentliche Funktion des Anbaus darin besteht, die Wartung von Fahrassistenzsystemen bei Kundenfahrzeugen entsprechend den Vorgaben des Volkswagen-Konzerns durchführen zu können. Mithin wird sich die Zulässigkeit des Vorhabens daran messen lassen müssen, ob der Gesamtbetrieb einschließlich des hier streitgegenständlichen Erweiterungsvorhabens nunmehr noch als das Wohnen nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb im Sinne des § 6 Abs. 1 BauNVO angesehen werden kann.
Die herrschende Meinung geht davon aus, dass für die Beantwortung der Frage, ob eine Kfz-Werkstatt noch ein das Wohnen nicht wesentlich störender oder ein schon das Wohnen wesentlich störender Gewerbebetrieb ist, eine die konkrete Ausgestaltung des Betriebs in den Blick nehmende Betrachtungsweise geboten ist (BVerwG, B. v. 11.04.1975 – IV B 37.75 – juris; U. v. 07.02.1986 – 4 C 49/82 – juris; BayVGH, B. v. 25.01.2001 – 1 CS 00.3136 – juris; VGH BW, B. v. 15.04.2014 – 8 S 2239/13 – juris; OVG NRW, B. v. 18.06.2010 – 7 A 896/09 – juris; Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 116. Ergänzungslieferung 2015, § 6 BauNVO, Rn. 33; wohl enger: BayVGH, B. v. 11.09.2008 – 14 ZB 07.2148 – juris). Danach kann im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die mit dem Vorhaben einhergehende Betriebserweiterung mischgebietsverträglich ist. Nach der Betriebsbeschreibung, die dem Bauantrag beilag, hat die Firma der Beigeladenen aktuell 15 Beschäftigte. Auch wenn man zugrunde legt, dass einige Mitarbeiter ausschließlich mit nicht immissionsträchtigen Arbeiten wie dem Fahrzeugverkauf und -ankauf und Verwaltungsaufgaben beschäftigt sind, kann man wohl nicht annehmen, dass es sich bei der Kfz-Werkstätte, der ein Abschlepp- und Bergedienst angeschlossen ist, um eine atypisch kleine Werkstatt handelt. Das im Briefkopf des Schreibens vom 23. Februar 2016 verwendete Logo mit dem Text „… … …“ weist darauf hin, dass die Werkstatt auch darauf eingerichtet ist, größere Kraftfahrzeuge als herkömmliche PKWs zu reparieren. Der in den Akten enthaltene Lageplan vom 18. März 2016 deutet darauf hin, dass auf dem Betriebsgrundstück Fl. Nr. … bereits Gebäude mit einer Grundfläche von insgesamt mehr als 800 m² vorhanden sind. In welchem Umfang sie der Firma der Beigeladenen zuzuordnen sind, ist unklar, weil in den vorliegenden Bauplänen der bestehende Betrieb nicht dargestellt ist. Dem Internetauftritt der Firma (…) kann man entnehmen, dass Reparaturen aller Art durchgeführt werden. Angeboten wird auch ein „24-Stunden-Notdienst“. Die präsentierten Fotos von den Mitarbeitern und von dem die Berge- und Abschleppfahrzeuge beinhaltenden Fuhrpark weisen ebenfalls nicht darauf hin, dass es sich hier um einen Kfz-Betrieb handeln könnte, der im Mischgebiet offensichtlich zulässig ist. Insgesamt muss es deshalb nach der im Eilverfahren nur summarisch möglichen Sachaufklärung vorläufig mindestens als offen angesehen werden, ob die mit dem Vorhaben einhergehende Betriebserweiterung mit § 6 Abs. 1 BauNVO vereinbar ist.
Mindestens offen ist auch, ob der Antragsgegner den Beigeladenen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung erteilt hat sowie ob die Voraussetzungen für eine derartige Befreiung überhaupt gegeben wären. Der Antragsgegner hat sich dahin geäußert, dass er, falls es sich bei dem Vorhaben um einen das Wohnen wesentlich störenden Gewerbebetrieb handeln würde, durch die Genehmigung des Vorhabens im Genehmigungsbescheid vom 10. Mai 2016 konkludent eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung erteilt habe. Dies trifft nicht zu. Für die Zulassung einer Befreiung bedarf es einer Entscheidung der zuständigen Bauaufsichtsbehörde (Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 121. Ergänzungslieferung Mai 2016, § 31 BauGB, Rn. 63). Die konkludente Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten nicht anzuerkennen. Dazu kommt im konkreten Fall der (konkludenten!) Befreiung von der nachbarschützenden Festsetzung der Art der baulichen Nutzung, dass nicht ersichtlich ist, dass die Bauaufsichtsbehörde die nachbarlichen Interessen geprüft hätte. Vielmehr stellt sich ein Vorhaben, das von den Festsetzungen des Bebauungsplans abweicht, ohne dass hierfür eine Befreiung erteilt wurde als rechtswidrig dar. Dies gilt trotz der Möglichkeit nachträglicher Legalisierung durch Erteilung einer Befreiung auch dann, wenn schlicht nicht ersichtlich ist, dass im Baugenehmigungsverfahren eine Entscheidung über eine Befreiung getroffen oder zumindest geprüft worden ist (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 121. Ergänzungslieferung Mai 2016, § 31 BauGB, Rn. 67).
Des Weiteren äußerte sich der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 18. August 2016 dahingehend, dass er zumindest hilfsweise, in Ergänzung der Baugenehmigung vom 10. Mai 2016, nun eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung erteile. Ob eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB auf diese Art und Weise erteilt werden kann ist aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten zweifelhaft. Dies braucht aber letztlich vorliegend nicht entschieden zu werden, da jedenfalls bei Berücksichtigung der Tatsachengrundlage, die sich aufgrund der im Eilrechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ergibt, die Voraussetzungen für eine derartige Befreiung nicht gegeben sind. So ist bereits nicht auszuschließen, dass eine Würdigung der nachbarlichen Interessen ergibt, dass diese entgegenstehen. In jedem Fall muss aber voraussichtlich davon ausgegangen werden, dass durch eine Zulassung des streitgegenständlichen Vorhabens die Grundzüge der Planung betroffen werden. Die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung und damit des Gebietscharakters stellt eine der Grundkonzeptionen des Bebauungsplans dar, von der regelmäßig nicht abgewichen werden kann (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 121. Ergänzungslieferung Mai 2016, § 31 BauGB, Rn. 36). Da vorliegend bereits zweifelhaft ist, ob der Bestandsbetrieb mischgebietsverträglich ist, muss erst recht davon ausgegangen werden, dass eine Erweiterung des Betriebs zu einer zusätzlichen Vertiefung der Mischgebietsunverträglichkeit führt, die nicht mehr mit dem planerischen Grundkonzept zur festgesetzten Art der baulichen Nutzung vereinbar ist und daher die Grundzüge der Planung berührt.
Mindestens offen ist auch, ob die Antragstellerin zu 2) als Inhaberin von im selben Mischgebiet liegendem Sondereigentum Anspruch auf Schutz vor gebietsunverträglichen Nutzungen hat. Der BayVGH scheint dies für zweifelhaft zu halten, weil ein etwaiger Gebietserhaltungsanspruch ein einzelnes Sondereigentum „allenfalls im gleichen Maß wie alle anderen Sondereigentümer sowie das Anwesen insgesamt und damit das Gemeinschaftseigentum betreffen“ würde (BayVGH, B. v. 12.07.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des BVerwG gelten jedoch die zum baurechtlichen Nachbarschutz entwickelten Grundsätze auch für das Sondereigentum nach dem WEG, dessen Schutz den Behörden in gleicher Weise aufgetragen ist wie der Schutz etwa eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks (BVerwG, B. v. 20.08.1992 – 4 B 92/92 – juris Rn. 10). Nach vorläufiger Einschätzung ist daher zumindest offen, ob die Antragstellerin zu 2) als Sondereigentümerin in gleicher Weise in den Genuss eines etwaigen Gebietserhaltungsanspruchs kommt wie ein sonstiger Grundstückseigentümer.
b) Angesichts der offenen Erfolgsaussichten der Klage ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die ergibt, dass das Interesse der Antragstellerin zu 2) an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung höher zu bewerten ist als das Interesse der Beigeladenen, vorläufig von der Baugenehmigung Gebrauch machen zu können. Zwar machen die Beigeladenen geltend, dass im Falle der Nichtrealisierung des Vorhabens schwere wirtschaftliche Nachteile sowie der Verlust der fünfzehn Arbeitsplätze in ihrer Firma drohen. Sie tragen vor, dass sie von der Volkswagen AG die Auflage erhalten hätten, bis spätestens zum 1. Januar 2017 eine deren Richtlinien entsprechende optische Vermessungsanlage zu installieren. Im Falle der Nichterfüllung müssten sie mit vertragsrechtlichen Konsequenzen durch die Volkswagen AG rechnen, von der ihre Firma wirtschaftlich abhängig sei. Auf der anderen Seite würden mit der Realisierung des Vorhabens, mit dessen Ausführung bereits begonnen wurde, ggf. nur schwer wieder rückgängig zu machende Zustände geschaffen. Bei Ablehnung des Antrags und Verwirklichung des Vorhabens bestünde die ernsthafte Gefahr, dass der Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin zu 2), den ihr die Festsetzung als Mischgebiet im Bebauungsplan voraussichtlich verleiht, dauerhaft vereitelt würde. Nach Aktenlage spricht überwiegendes dafür, dass der Betrieb der Beigeladenen, der in seiner derzeitigen Gestalt formellen Bestandsschutz genießt, im Mischgebiet nicht neu genehmigt werden könnte und dass demzufolge Erweiterungen dieses Betriebs bauplanungsrechtlich nicht zulässig sind. Demgegenüber haben die Beigeladenen nicht vorgebracht, dass bei der Nichterfüllung der Auflage die Service Partnerschaft durch die Volkswagen in jedem Fall gekündigt wird. Zudem haben die Beigeladenen nach eigenem Bekunden ein Grundstück im Gewerbegebiet der Gemeinde … erworben, das ihnen ab 1. Januar 2017 zur Verfügung steht. Ein Teil des Betriebs soll nach der Vorstellung der Beigeladenen dorthin ausgelagert werden. Gegenüber der Alternative der vollständigen Zunichtemachung des Gebietserhaltungsanspruchs der Antragstellerin zu 2) scheint es den Beigeladenen zumutbar, eine Installation der optischen Vermessungsanlage in dem dortigen Grundstück zu prüfen und ggf. noch rechtzeitig Umplanungen vorzunehmen, so dass ihnen die Anlage schnellstmöglich in dem neuerworbenen Grundstück zur Verfügung steht sowie eine Regelung mit der Volkswagen AG für eine Übergangszeit, aber mit der konkreten Aussicht auf eine baldige Installation der Vermessungsanlage zu finden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, 1. Hs., 155 Abs. 4 VwGO. Da die Antragstellerin zu 1) mit ihrem Antrag aufgrund Prozessunfähigkeit wegen nicht ordnungsgemäßer Vertretung unterlag, hat sie grundsätzlich die Kosten des Verfahrens zu ½ zu tragen. Allerdings wurde sie ohne ihr Wissen von der Antragstellerin zu 2) in den Prozess gezogen. Da letztere die Rechtslage, gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO unter Zurechnung etwaigen Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten, schuldhaft verkannt und sich ein nicht bestehendes Vertretungsrecht bezüglich der Antragstellerin zu 1) angemaßt hat, entspricht es der Billigkeit, ihr sowohl die außergerichtlichen Kosten, als auch die Hälfte der Gerichtskosten, die von der Antragstellerin zu 1) zu tragen wären, aufzuerlegen. Die übrige Hälfte der Gerichtskosten ist jeweils hälftig vom Antragsgegner und den Beigeladenen als insoweit unterliegende Beteiligte zu tragen. Den Beigeladenen konnten hier Kosten auferlegt werden, da sie sich mit der Stellung eines Sachantrags dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. den Nummern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs.


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