Baurecht

Entstehung der Rügeobliegenheit im Vergabenachprüfungsverfahren vor Angebotsangabe und Belehrungspflicht

Aktenzeichen  Verg 6/18

Datum:
19.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VergabeR – 2019, 574
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 160 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3

 

Leitsatz

1 Die Rügeobliegenheit für einen erkannten Verstoß gegen Vergabevorschriften nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht nicht erst ab Angebotsabgabe durch den Bieter. Maßgeblich ist allein, dass der Interessent einen Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt hat. Auf die Abgabe eines Angebots stellt der Wortlaut des Gesetzes nicht ab.   (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine allgemeine Pflicht, über die Präklusionsfristen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 -3 GWB zu belehren, besteht nicht. Das Vergabeverfahren ist in Anbetracht der erheblichen Schwellenwerte von hoher Professionalität geprägt, so dass vom Bieter eine ausreichende Fachkenntnis oder die Beiziehung eines Rechtsanwalts erwartet werden kann.  (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. In Abänderung des Beschlusses des Senats vom 07.09.2018 wird der Antrag auf (weitere) Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 08.08.2018, Az. Z3- 3-3194-1-21-06/18 abgelehnt.
2. Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, bis zum 10.10.2018 mitzuteilen, ob sie die sofortige Beschwerde aufrechterhält.
3. Die Antragsgegnerinnen erhalten Gelegenheit, im Hinblick auf eine etwaige Beschwerdeoder Kostenentscheidung des Senats bis zum 10.10.2018 zu den aktuellen Rechts- und Vertretungsverhältnissen der Antragsgegnerinnen vorzutragen.
4. Die Beteiligten erhalten Gelegenheit, bis zum 10.10.2018 zum Streitwert des Beschwerdeverfahrens Stellung zu nehmen.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerinnen beabsichtigen die Vergabe der Instandhaltung und Störungsbehebung sowie anderer Leistungen für Aufzugsanlagen als Rahmenvereinbarung im offenen Verfahren.
Die Antragstellerin erbrachte die streitgegenständlichen Leistungen bislang für die Antragsgegnerinnen. Im Rahmen der Vertragsdurchführung kam es zu erheblichen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Mit Schreiben vom 20.03.2018 kündigten die Antragsgegnerinnen das Vertragsverhältnis ordentlich zum 03.06.2018, so dass die vereinbarten Verlängerungsoptionen nicht zum Tragen kamen.
Bezüglich der nunmehr streitgegenständlichen Neuvergabe versandten die Antragsgegnerinnen am 16.05.2018 die Bekanntmachung an das Informationssystem für die öffentliche Auftragsvergabe in Europa (SIMAP). Nach dem Protokoll des eVergabe-Systems der Antragsgegnerinnen erfolgte die Bekanntmachung am 17.05.2018 um 15:25 Uhr.
Mit Schreiben vom 17.05.2018 – per E-Mail und Telefax versendet um 15:39 Uhrerklärten die Antragsgegnerinnen: „In vorgenannter Angelegenheit müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Firma gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB von der Teilnahme am vorgenannten Vergabeverfahren ausgeschlossen wird“ (Anlage ASt 2). Zur Begründung verweisen die Antragsgegnerinnen auf fortlaufende und nicht mehr hinnehmbare mangelhafte Leistungen im Rahmen des vorangegangenen gekündigten Vertragsverhältnisses. Das Schreiben ging der Antragsstellerin ferner am 18.05.2018 oder am 19.05.2018 per Post zu.
Diese Entscheidung rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 12.06.2018 (Anlage ASt 3) und bestritt die angeführten Ausschlussgründe. Mit Schreiben vom 18.06.2018 (Anlage ASt 5) halfen die Antragsgegnerinnen der Rüge nicht ab. Die Antragstellerin sei mit der Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB präkludiert. Zudem sei der Ausschluss rechtmäßig.
Die Antragstellerin gab am 18.06.2018 ein Angebot ab. Mit Schreiben vom 20.06.2018 (Anlage ASt 6) erklärte die Antragstellerin, soweit das Nichtabhilfeschreiben vom 18.06.2018 als erneuter Ausschluss zu werten sei, werde dieser als vergaberechtswidrig gerügt. Am 22.06.2018 (Anlage ASt 7) erklärten die Antragsgegnerinnen, der erneuten Rüge nicht abzuhelfen.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, sie habe die Rügefrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht versäumt. Zum einen sei diese Norm vor Angebotsabgabe weder direkt noch analog anwendbar. Zum anderen habe eine Rechtsbehelfsbelehrung:gefehlt. Außerdem habe die Antragstellerin das Schreiben vom 17.05.2018 nur als Absichtserklärung für einen späteren Ausschluss verstanden und verstehen können. Die Voraussetzungen für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB lägen nicht vor.
Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 28.06.2018 hat die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, den Zuschlag im streitgegenständlichen Vergabeverfahren nur unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin und der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu erteilen.
Die Antragsgegnerinnen haben die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags beantragt.
Sie sind der Ansicht, die Antragstellerin sei nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB mit der Rüge, ihr Ausschluss sei rechtswidrig, präkludiert, da die Rüge zu spät erhoben worden sei. Das Schreiben vom 17.05.2018 sei eindeutig als Ausschluss formuliert. Eine Rechtsbehelfsbelehrung:sei nicht nötig. Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet, da die Antragsgegnerinnen die Antragstellerin zurecht ausgeschlossen hätten.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 08.08.2018, auf den ergänzend Bezug genommen wird, den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Der Nachprüfungsantrag sei mangels rechtzeitiger Rüge bereits unzulässig. § 160 Abs. 3 GWB finde auch vor Angebotsabgabe
Anwendung. Die Antragstellerin habe den geltend gemachten Verstoß zu einem Zeitpunkt erkannt, der länger als 10 Kalendertage vor der Rüge am 12.06.2018 gelegen habe.
Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie ihren Vortrag wiederholt und vertieft. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer hätten die Voraussetzungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht vorgelegen. Zudem sei die Rüge jedenfalls nach § 242 BGB entbehrlich gewesen.
Die Antragstellerin beantragt im Vergabeverfahren, die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und die Antragsgegnerinnen zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin zu werten und ihr den Zuschlag als Mindestbietende zu erteilen, hilfsweise, die Vergabekammer zu verpflichten, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.
Des Weiteren begehrt die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.
Die Antragsgegnerinnen beantragen, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen und den Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
Die Antragsgegnerinnen verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer. Der Nachprüfungsantrag sei aufgrund der Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 GWB unzulässig und im Übrigen auch unbegründet. Die Vergabekammer habe zutreffend die Anwendbarkeit und Voraussetzungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB bejaht. Eine Treuwidrigkeit nach § 242 BGB liege nicht vor.
Ergänzend wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten.
Der Senat hat mit Beschluss vom 07.09.2018 die aufschiebende Wirkung der Beschwerde einstweilen, längstens bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde in der Hauptsache, verlängert und sich vorbehalten, die aufschiebende Wirkung im Büroweg abzulehnen, falls er nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis gelange, dass die sofortige Beschwerde keine hinreichenden Erfolgsaussichten habe.
1. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ist abzulehnen, da unter Abwägung der widerstreitenden Interessen dem Fortgang des Vergabeverfahrens Vorrang einzuräumen ist, § 173 Abs. 2 GWB. Nach summarischer Prüfung hat die zulässige Beschwerde der Antragsstellerin in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB unzulässig, da die Rüge mit Schreiben vom 12.06.2018 nicht innerhalb der Frist von zehn Kalendertagen nach Kenntnis vom Vergabeverstoß erfolgte.
1.1. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB findet Anwendung.
1.1.1. Ein die Rügepflicht auslösender Verstoß gegen eine Vergabevorschrift i.S. des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB kommt nur in Betracht, wenn das Vergabeverfahren bereits begonnen hat; nur vorbereitende Handlungen unterliegen keiner Rügepflicht (Gabriel/Martens in BeckOK Vergaberecht, 8. Edtion, § 160 GWB Rz. 136). Das Vergabeverfahren beginnt mit einem konkreten Schritt, mit welchem die Vergabestelle nach außen erkennbar mit der Durchführung desjenigen Verfahrens beginnt, welches zu einem konkreten Vertragsschluss führen soll. Bei europaweiten Ausschreibungen ist dies bereits die Absendung der Vergabebekanntmachung an das EU-Amtsblatt und nicht erst deren Veröffentlichung (OLG München, Beschluss vom 12.11.2010, Verg 21/10, juris Tz. 17; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.12.2016, 7 Verg 6/16, juris Tz. 40). Die Antragsgegnerinnen hatten vorliegend die Vergabebekanntmachung bereits am 16.05.2018 und mithin vor dem Ausschlussschreiben vom 17.05.2018 an das EU-Amtsblatt versendet, wie sich aus der Eingangsmitteilung vom 16.05.2018, 16:55 Uhr ergibt.
1.1.2. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin entsteht eine Rügeobliegenheit für einen erkannten Verstoß gegen Vergabevorschriften nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht erst ab Angebotsabgabe durch den Bieter.
Im Gesetzestext finden sich keine Anhaltspunkte für die Ansicht der Antragstellerin. Maßgeblich ist allein, dass der Interessent einen Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt hat. Auf die Abgabe eines Angebots stellt der Wortlaut des Gesetzes nicht ab. Gegen die Ansicht der Antragstellerin spricht ferner der systematische Zusammenhang mit § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB. Danach sind aus der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße gegen Vergabevorschriften spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe zu rügen. Im ersteren Fall kann es offensichtlich für den Beginn der Rügefrist auf die Angebotsabgabe nicht ankommen.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergibt sich aus § 160 Abs. 2 GWB nichts anderes. Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Nachprüfungsantrag ist lediglich, dass das Unternehmen ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat und einen drohenden Schaden darlegen kann. Auf die Angebotsabgabe kommt es nicht zwingend an. Wenn ein Interessent sich wegen eines Vergabeverstoßes an der Abgabe eines chancenreichen Angebots gehindert sieht und es bei wertender Betrachtung um gewichtige Vergaberechtsverstöße geht, setzt ein Nachprüfungsantrag nicht die vorherige Ausarbeitung und Abgabe eines Angebots voraus (ganz h.M. s. z.B. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 12 ff m.w.N). Ob ein Unternehmen Interesse an einem Auftrag hat, kann es spätestens ab Kenntnis der Vergabebekanntmachung bzw. der Vergabeunterlagen beurteilen. Auch hierfür ist die Ausarbeitung und Abgabe eines Angebots nicht erforderlich. Wieso für die Beurteilung, ob dem Unternehmen ein Schaden droht, wenn es den Auftrag nicht erhält, die vorherige Ausarbeitung eines Angebots und sogar Kenntnis des Schreibens nach § 134 Abs. 1 GWB nötig sein soll, erschließt sich nicht.
Für die Anwendbarkeit der Rügeobliegenheit schon vor Angebotsabgabe spricht ferner der Sinn und Zweck des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB. Die Norm dient der Rechtssicherheit sowie der Effektivität des Vergabeverfahrens und gewährleistet, dass erkannte Vergaberechtsverstöße möglichst zeitnah beanstandet werden und dem Auftraggeber die Möglichkeit einer schnellen Korrektur eröffnet wird, um Verzögerungen des Vergabeverfahrens entgegenzuwirken (Horn/Hofmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 3). § 160 Abs. 3 GWB setzt damit auch europarechtliche Vorgaben um (s. dazu etwa EuGH, Urteil vom 28.01.2010, C – 406/08, juris Tz. 38 ff). Nach Art. 1 (1) der Richtlinie 89/665/EWG haben die Mitgliedstaaten Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können. Die vollständige Verwirklichung der mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele wäre gefährdet, wenn Bewerber und Bieter in jedem Stadium des Vergabeverfahrens Verstöße gegen die Regeln über die Auftragsvergabe rügen und dadurch den öffentlichen Auftraggeber zwingen könnten, das gesamte Verfahren erneut durchzuführen, um den Verstoß zu beheben (EuGH, Urteil vom 11.10.2007, C -241/06, juris Tz. 51). Dieser Zielsetzung widerspräche es, wenn ein Interessent mit der Rüge eines erkannten Vergabeverstoßes in jedem Fall bis nach der Abgabe seines Angebots zuwarten könnte und ggf. erst dann ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten und durchzuführen wäre.
Zwar dürfen die nationalen Ausschlussfristen einschließlich der Art und Weise ihrer Anwendung als solche die Ausübung der Rechte, die dem Betroffenen ggf. nach dem Gemeinschaftsrecht zustehen, nicht praktisch unmöglich machen oder wesentlich erschweren (EuGH, Urteil vom 11.10.2007, C – 241/06, juris Tz. 52; EuGH, Urteil vom 28.01.2010, C – 406/08, juris Tz. 40; EuGH, Urteil vom 27.02.2003, C – 327/00, juris Tz. 55). Daran fehlt es indessen, da den Interessenten – erst – nach positiver Kenntnis des Vergabeverstoßes die Rügeobliegenheit trifft und er eine zweifelsfrei bestimmbare und zumutbare Frist von 10 Kalendertagen einzuhalten hat. Allein die Tatsache, dass die Rügeobliegenheit schon vor Angebotsabgabe entsteht, erschwert einem interessierten Unternehmen den Zugang zu Rechtsbehelfsverfahren nicht.
Zudem gestattet § 124 GWB dem Auftraggeber ausdrücklich, ein Unternehmen „zu jedem Zeitpunkt“ des Vergabeverfahrens, mithin auch vor Angebotsabgabe, auszuschließen. Damit liegt aber nahe, dass in einem derartigen Fall auch die Rügefrist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB nicht erst zu irgendeinem späteren, nicht definierten Zeitpunkt, sondern mit Kenntnis des Vergabeverstoßes und damit regelmäßig bereits vor Angebotsabgabe zu laufen beginnt. Im Übrigen entspricht es auch dem Interesse des Unternehmens, möglichst frühzeitig eine Klärung der Rechtsmäßigkeit des Ausschlusses herbeizuführen, um gegebenenfalls den Zeit- und Kostenaufwand für die Angebotserstellung zu sparen.
Soweit die Antragstellerin auf die nach ihrer Ansicht gravierenden Folgen eines Ausschlusses der Antragstellerin auch für künftige Vergabeverfahren hinweist, lässt sich daraus für die Anwendbarkeit der Rügeobliegenheit vor oder nach Angebotsabgabe nichts ableiten. Allenfalls relevant könnte dies für die Frage sein, ob die Antragsgegnerinnen eine Pflicht trifft, das Ausschlussschreiben mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:zu versehen (dazu unten Ziff. 1.1.4.3).
§ 15 Abs. 2 VgV regelt lediglich die vom Auftraggeber einzuhaltende Mindestfrist für die Angebotsabgabe. Durch den Beginn der Rügeobliegenheit schon vor Angebotsabgabe wird diese Frist entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht ausgehöhlt. Wie ausgeführt setzt das Nachprüfungsverfahren gerade nicht die vorherige Abgabe eines Angebots voraus.
1.1.3. Ob die Rügefrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB auch schon vor Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung beginnen kann, bedarf keiner Entscheidung. Vorliegend wurde die Auftragsbekanntmachung ausweislich der von den Antragsgegnerinnen vorgelegten DTVP-Protokollierung am 17.05.2018 um 15:25 Uhr veröffentlicht (Anlage AG 33). Zudem hatte die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben schon ab 17.05.2018, 21:09 Uhr Kenntnis der Bekanntmachung. Das Ausschlussschreiben wurde der Antragstellerin per Mail am 17.05.2018 um 15:39 Uhr, mithin nach der Veröffentlichung, übermittelt. Per Post hat die Antragstellerin das Ausschlussschreiben ohnehin erst am 18.05.2018 oder 19.05.2018 erhalten. Selbst wenn zugunsten der Antragstellerin für den Fristbeginn erst auf den 19.05.2018 abgestellt würde, wäre die Rügefrist durch das Schreiben vom 12.06.2018 nicht eingehalten.
1.1.4. Der Beginn der Rügefrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB begann vorliegend ungeachtet dessen, dass das Ausschlussschreiben vom 17.05.2018 (Anlage ASt 2) keine Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt.
1.1.4.1. Eine allgemeine Pflicht, über die Präklusionsfristen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 -3 GWB zu belehren, besteht nicht (OLG München, Beschluss vom 04.04.2008, Verg 4/08, juris Tz. 37; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.06.2010, Verg 3/10, juris Tz. 44; Summa in jurisPK Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB Rz. 198; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 36; Gabriel/Mertens in Beck’scher Onlinekommentar Vergaberecht, 8. Edition, § 160 GWB Rz. 127). Das Vergabeverfahren ist in Anbetracht der erheblichen Schwellenwerte von hoher Professionalität geprägt, so dass vom Bieter eine ausreichende Fachkenntnis oder die Beiziehung eines Rechtsanwalts erwartet werden kann (OLG München, Beschluss vom 04.04.2008, Verg 4/08, juris Tz. 37). Zwar ergibt sich aus der Richtlinie 2014/24 EU, Anhang V, Teil C Ziff. 25 die Pflicht des Auftraggebers, in der Auftragsbekanntmachung Name und Anschrift der für die Nachprüfung ggf. zuständigen Stellen, genaue Angaben zu den Fristen für Nachprüfungsverfahren bzw. ggf. Name, Anschrift, Telefon- und Faxnummer und E-Mail-Adresse der Stelle, bei der diese Informationen erhältlich sind, aufzuführen. Jedoch betrifft dies nur Rechtsbehelfsfristen und damit nur die Frist von 15 Kalendertagen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB, nicht aber die Rügefristen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 – 3 GWB (OLG Koblenz, Beschluss vom 10.06.2010, Verg 3/10, juris Tz. 44; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2017, Verg 37/09, BeckRS 5178, Tz. 1; Summa in jurisPK Vergaberecht, 5. Aufl., § 160 GWB Rz. 198; Gabriel/Mertens in Beck’scher Onlinekommentar Vergaberecht, 8. Edition, § 160 GWB Rz. 174 und 177). Außerdem ergibt sich aus der Richtlinie 2014/24 EU, Anhang V, Teil C Ziff. 25 nur eine Pflicht zur Belehrung in der Auftragsbekanntmachung, nicht aber zusätzlich in einem späteren Schreiben des Auftraggebers.
Vorliegend enthielt außerdem die Auftragsbekanntmachung unter Ziff. VI.4.3 ohnehin eine Belehrung nicht nur über die Rechtsbehelfsfrist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB, sondern auch über die Rügefristen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 -3 GWB. Nach eigenen Angaben der Antragstellerin war ihr die Bekanntmachung und damit auch diese Belehrung seit 17.05.2018, 21:09 Uhr bekannt.
1.1.4.2. Eine Pflicht zur Belehrung über die Frist nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB im Schreiben vom 17.05.2018 (Anlage ASt 2) lässt sich nicht daraus ableiten, dass die Rechtsnatur dieses Schreibens unklar und der Antragstellerin daher ohne Belehrung die Ausübung ihrer Rechte erheblich erschwert oder gar unmöglich gewesen wäre (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 11.10.2007, C – 241/06, juris Tz. 52; EuGH, Urteil vom 28.01.2010, C – 406/08, juris Tz. 40; EuGH, Urteil vom 27.02.2003, C – 327/00, juris Tz. 55). Entgegen der Ansicht der Antragstellerin lässt sich dem Schreiben vom 17.05.2018 zweifelsfrei und eindeutig entnehmen, dass es sich bereits um das Ausschlussschreiben selbst und nicht nur um eine Absichtserklärung für einen späteren Ausschluss handelt:
Im Betreff nimmt das Schreiben bereits Bezug auf eine konkrete Ausschreibung, die Bekanntmachung vom 16.05.2018 unter der Vergabenummer 303/2018. Das Schreiben beginnt im ersten Satz mit der Erklärung: „In vorgenannter Angelegenheit müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Firma gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB von der Teilnahme am vorgenannten Vergabeverfahren ausgeschlossen wird.“ Es folgen ausführliche Erläuterungen zum Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sowie zu Pflichtverletzungen der Antragstellerin. Unter Ziff. 3 (Seite 9) heißt es „Im Rahmen des auszübenden Ermessens haben die zu berücksichtigenden Ermessenswägungen dazu geführt, dass die Entscheidung getroffen wurde, Ihr Unternehmen von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen Wir bedauern die Entscheidung…“. Angesichts dieses völlig klaren Wortlauts konnte das Schreiben nicht nur als Absichtserklärung für einen späteren Ausschluss verstanden werden.
1.1.4.3. Die Notwendigkeit einer Belehrung lässt sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht daraus ableiten, dass der Ausschluss im Schreiben vom 17.05.2018 gravierende Folgen auch für Bewerbungen der Antragstellerin in anderen, künftigen Vergabeverfahren hätte. Derartig gravierende Folgen vermag der Senat nicht zu erkennen.
Ob und unter welchen Voraussetzungen Vergabe- oder Auftragssperren, mit denen ein Auftragnehmer generell für künftige Vergabeverfahren ausgeschlossen wird, zulässig sind (vgl. dazu etwa BT-Drs. 18/6281 S. 111; Stolz in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 126 GWB Rz 1; Friton in Beck’scher Onlinekommentar Vergaberecht, 8. Edition, § 126 GWB Rz. 28.1), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Eine derartige Vergabe- oder Auftragssperre wurde mit dem Schreiben vom 17.05.2018 (Anlage ASt 2) nicht verhängt. Die Antragstellerin wird in dem Schreiben ausdrücklich von der Teilnahme am „vorgenannten“ Vergabeverfahren ausgeschlossen. Dies ist nur die im Betreff genannte, hier streitgegenständliche Ausschreibung „Instandhaltung und Störungsbehebung sowie andere Leistungen für Aufzugsanlagen als Rahmenvereinbarung – Bekanntmachung v. 16.05.2018 (Vergabe-Nr. 303/2018)“. Ein Ausschluss für künftige Aufträge derselben oder gar anderer Auftraggeber lässt sich dem Schreiben in keiner Weise entnehmen. Zudem müsste eine derartige Vergabe- oder Auftragssperre -unabhängig von der Frage der generellen Zulässigkeit – zumindest nähere Angaben zum inhaltlichen und zeitlichen Umfang enthalten. Dass mit jedem Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB für ein konkretes Verfahren automatisch, ohne ausdrücklichen Ausspruch, eine Auftrags- oder Vergabesperre für künftige Ausschreibungen (wie lange? welche Art von Aufträge? welche Auftraggeber?) verbunden wäre, lässt sich weder § 124 ff GWB noch anderen gesetzlichen Vorschriften oder Gesetzesbegründungen entnehmen. Dies wird, soweit ersichtlich, auch weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten. Letztlich ändert daher auch ein wirksamer – oder aufgrund der Präklusion nicht mehr nachzuprüfender – Ausschluss im vorliegenden Verfahren nichts daran, dass in einem künftigen Verfahren erneut die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7, § 125 und § 126 Nr. 2 GWB der Prüfung bedürfen. Dabei hat der dann ausschreibende Auftraggeber die Voraussetzungen dieser Normen zu prüfen und sein Ermessen nach § 124 GWB im Hinblick auf den von ihm zu vergebenden Auftrag selbst auszuüben.
1.1.5. Die Antragstellerin hat den Ausschluss erst am 12.06.2018 und damit nicht innerhalb der Frist von 10 Kalendertagen nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB gerügt.
1.1.5.1. Die Rügeobliegenheit entsteht erst, wenn der Antragsteller um die dann zum Gegenstand des Nachprüfungsbegehrens gemachte Nichtbeachtung von Vergaberechtsvorschriften weiß. Das setzt positive Kenntnis aller tatsächlichen Tatumstände, aus denen die Beanstandung im Nachprüfungsverfahren abgeleitet wird, sowie die zumindest laienhafte rechtliche Wertung voraus, dass sich aus ihnen eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergibt (BGH, NZBau 2006, S. 800, 803 Tz. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2001, Verg 16/01, juris Tz. 31; Horn/Hoffmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 44 m.w.N.). Eine Ausnahme bilden nur die Fälle, in denen der Antragsteller sich der vorausgesetzten und ihm möglichen Erkenntnis bewusst verschließt. Ansonsten reicht, anders als bei § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB, bloße Erkennbarkeit nicht aus (BGH, NZBau 2006, S. 800, 803 Tz. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2001, Verg 16/01, juris Tz. 32; Horn/Hoffmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 44 m.w.N.) Bei juristischen Personen beginnt die Rügefrist mit der Kenntnis eines Mitarbeiters, der im konkreten Vergabeverfahren befugt ist, gegenüber dem Auftraggeber verbindliche Erklärungen abzugeben. Eine allgemeine Vertretungsbefugnis als Organ der Gesellschaft ist ebenfalls ausreichend. Auf die Kenntnis untergeordneter Mitarbeiter kommt es nicht an (Summa in jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl, § 160 GWB Rz. 245; Horn/Hoffmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 46; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 42).
1.1.5.2. Nach diesen Maßstäben genügt vorliegend die Kenntnis von Herrn V. als Geschäftsführer der Antragstellerin und / oder von Herrn S. als Regionalleiter Bayern der Antragstellerin. Herr S. hat das Rügeschreiben der Antragstellerin vom 12.06.2018 (Anlage ASt 3) „i.V.“ unterzeichnet, war mithin offensichtlich zur Abgabe von Erklärungen gegenüber den Antragsgegnerinnen im laufenden Vergabeverfahren befugt.
1.1.5.3. Die Annahme der Vergabekammer, bei Herrn S. und Herrn V. hätte die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis des Verstoßes gegen Vergabevorschriften jedenfalls nach ihrem Gespräch am 22.05.2018 vorgelegen, ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden.
1.1.5.3.1. Das Ausschlussschreiben vom 17.05.2018 kannten Herr S. und Herr V. am 22.05.2018. Der Senat schließt sich auch der Würdigung der Vergabekammer an, dass jedenfalls Herr S. wusste, dass es sich bei diesem Schreiben nicht nur um eine bloße Absichtserklärung der Antragsgegnerinnen, sondern einen rechtsverbindlichen Ausschluss i.S. von § 124 GWB handelte.
Hierfür spricht bereits die Einlassung von Herrn S. in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer (Protokoll vom 30.07.2018, S. 1 f, Bl. 312 f der Akte der Vergabekammer), ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Antragsstellerin sich in Bezug auf das Ausschlussschreiben wehren müsse. Hierzu im Widerspruch steht allerdings die weitere Einlassung von Herr S., er habe das Schreiben nur als Absichtserklärung für einen Ausschluss verstanden. Damit wiederum nicht vereinbar und in sich unklar ist die weitere Aussage, er sei davon ausgegangen eine rechtliche Wirkung entfalte sich erst nach Angebotsabgabe „bzw.“ ein dann eingereichtes Angebot würde erneut ausgeschlossen. In ersterem Fall hätte das Schreiben doch eine – wenn auch zeitlich hinausgeschobene – rechtliche Wirkung, im letzteren Fall hingegen wäre das Schreiben vom 17.05.2018 nur eine unverbindliche Absichtserklärung. Die Aussage von Herrn S., die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin sei über ein „generelles Ausschlusschreiben“ der Antragsgegnerinnen informiert worden, spricht wiederum dafür, dass das Schreiben aus Sicht von Herrn S. doch rechtliche Wirkungen entfaltete.
Dafür, dass Herr S. das Schreiben vom 17.05.2018 tatsächlich für einen Ausschluss der Antragstellerin hielt, spricht aber vor allem das Schreiben vom 12.06.2018 (Anlage ASt 3). Bereits im Betreff wird ausgeführt „Ihr Schreiben vom 17.05.2018“ „Ausschluss unserer Firma von der Teilnahme am Vergabeverfahren gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB“ „hier: Rüge ihres Schreibens und des Ausschlusses von der Vergabe“. Das Schreiben beginnt mit dem Satz „in vorgenannter Angelegenheit müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir den Ausschluss von den laufenden und den zukünftigen Vergabeverfahren der … AG hiermit rügen und als unbegründet zurückweisen“. Damit hat die Antragstellerin klar zu verstehen gegeben, dass sie das Schreiben vom 17.05.2018 als Ausschlusserklärung mit Rechtswirkung und nicht als bloße Absichtsbekundung und Ankündigung eines späteren Ausschlusses verstanden hat. Zudem trägt die Antragstellerin selbst vor (Schriftsatz vom 12.09.2018, S. 2, Bl. 44 d.A.), Herr S. habe den Begriff „Rüge“ im Schreiben vom 12.06.2018 gewählt, weil es sich um einen Vordruck gehandelt habe und die Antragstellerin bei jedem Schreiben, „mit dem sie ein Fehlverhalten der Antragstellerin bemängeln möchte“, diesen Rechtsbegriff wähle. Dies zeigt, dass die Antragstellerin das Schreiben vom 17.05.2018 bereits als ein Fehlverhalten der Auftraggeberinnen ansah und nicht nur als unverbindliche Absichtserklärung.
Zudem hat die Antragstellerin das Rügeschreiben vom 12.06.2018 noch vor Abgabe ihres Angebots versendet. Dies erschiene eher fernliegend, wenn die Antragstellerin das Schreiben vom 17.05.2018 als unverbindliche Absichtserklärung eines künftigen, nach Angebotsabgabe erfolgenden Ausschlusses, verstanden hätte.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Abgabe des Angebots kein Indiz dafür, dass sie das Schreiben vom 17.05.2018 für eine unverbindliche Ankündigung hielt, sondern nur dafür, dass sie den Ausschluss für vergaberechtswidrig und damit unwirksam erachtete.
Schließlich spricht die Tatsache, dass Herr S. und Herr V. spätestens am 22.05.2018 das weitere Vorgehen vereinbarten und dann die einzelnen von den Antragsgegnerinnen geschilderten Sachverhalte überprüften dafür, dass sie davon ausgingen, dass ein Handeln der Antragstellerin im Hinblick auf das Schreiben vom 17.05.2018 erforderlich war. Die Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, diese habe sich „aus emotionalen Gründen wehren wollen“ überzeugt jedenfalls im Hinblick auf den offensichtlich zur Aufklärung betriebenen Aufwand der Antragstellerin wenig.
Letztlich kommt es auf die vorstehenden Erwägungen aber nicht entscheidend an: Selbst wenn Herr S. und Herr V. das Schreiben vom 17.05.2018 tatsächlich nur als unverbindliche Absichtserklärung verstanden hätten, wäre von der erforderlichen Kenntnis auszugehen. Denn in diesem Fall hätten sie jedenfalls die Augen bewusst vor dem klaren Inhalt des Schreibens vom 17.05.2018 verschlossen. Wie bereits ausgeführt (s. oben Ziff. 1.1.4.2) lässt sich dem Schreiben vom 17.05.2018 zweifelsfrei und eindeutig entnehmen, dass es sich bereits um das Ausschlussschreiben selbst und nicht nur um eine Absichtserklärung für einen späteren Ausschluss handelt: Im Betreff nimmt das Schreiben Bezug auf eine konkrete Ausschreibung, die Bekanntmachung vom 16.05.2018 unter der Vergabenummer 303/2018. Das Schreiben beginnt im ersten Satz mit der Erklärung: „In vorgenannter Angelegenheit müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Firma gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB von der Teilnahme am vorgenannten Vergabeverfahren ausgeschlossen wird.“ Es folgen ausführliche Erläuterungen zum Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sowie zu Pflichtverletzungen der Antragstellerin. Unter Ziff. 3 (Seite 9) heißt es „Im Rahmen des auszuübenden Ermessens haben die zu berücksichtigenden Ermessenswägungen dazu geführt, dass die Entscheidung getroffen wurde, Ihr Unternehmen von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen Wir bedauern die Entscheidung…“. Dieses Schreiben beinhaltet nach seinem klaren Wortlaut völlig eindeutig und unzweifelhaft bereits den Ausschluss der Antragstellerin.
Nur ergänzend sei darauf verwiesen, dass nach § 124 Abs. 1 GWB ein Ausschluss auch „zu jedem Zeitpunkt“ des Vergabeverfahrens möglich ist. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, wie sie im Beschwerdeverfahren erstmalig behauptet (Schriftsatz vom 27.08.2018, S. 8, Bl. 8 d.A.) – ohne eigene Lektüre des Schreibens -telefonisch erklärt habe, es handelt sich nur um die Ankündigung, im Rahmen zukünftiger Vergabeverfahren Angebote der Antragstellerin ausschließen zu wollen.
1.1.5.3.2. Herr S. und Herr V. hatten auch die jedenfalls laienhafte Erkenntnis, dass der Ausschluss vergaberechtswidrig sei. Nach eigenen Angaben von Herrn S. (Protokoll vom 30.07.2018, S. 2, Bl. 311 d.A. der Vergabekammer) wollte er sich jedenfalls von Anfang an gegen das Schreiben wehren, ging mithin davon aus, dass ein Ausschluss ungerechtfertigt sei.
Auf die Kenntnis und Ermittlung, weshalb jeder einzelne Vorwurf der Antragsgegnerinnen konkret unzutreffend war, kommt es hingegen nicht an. An den Inhalt einer Rüge i.S. des § 160 Abs. 3 GWB dürfen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es reicht aus, wenn die Rüge zum Ausdruck bringt, welcher Sachverhalt ihr zugrunde gelegt wird und woraus sich der Vergabeverstoß ableitet. Eine detaillierte rechtliche Würdigung des beanstandeten Sachverhalts, mithin vorliegend des Ausschlusses der Antragstellerin, muss die Rüge nicht enthalten (OLG München NZBau 2014, S. 456, 458; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 160 GWB Rz. 53). Eine derartige Rüge des Ausschlusses hätten Herr V. und Herr S. bereits am 22.05.2018 verfassen können. Zu diesem Zeitpunkt war der Erkenntnisprozess, dass ein Ausschluss unzulässig war und die Antragstellerin sich gegen einen Ausschluss wehren wollte, abgeschlossen.
1.1.5.3.3. Auf die Kenntnis, dass die Rüge innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen zu erfolgen hatte, kommt es hingegen nicht an.
1.1.6. Die Rüge war entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht nach § 242 BGB entbehrlich.
Die Rügeobliegenheit kann allenfalls dann ausnahmsweise nach § 242 BGB entfallen, wenn ein Auftraggeber bereits im Vorfeld eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass er unumstößlich an seiner Vergabeentscheidung festhalten werde und unter keinen Umständen, auch nicht auf eine Rüge hin gewillt sei, einen behaupteten Verstoß abzustellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.05.2017, VII – Verg 36/16, juris Tz. 31; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 14.01.2013, Verg W 13/12, juris Tz. 12; Gabriel/ Mertens, BeckOK Vergaberecht, 8. Edition, § 160 GWB Rz. 215; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 54; generell ablehnend Horn/Hoffmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 63). Denkbar wäre dies etwa, wenn sich der Auftraggeber bereits umfassend und ausführlich mit den Beanstandungen der Bieter auseinandergesetzt hat und damit eine erneute Rüge derselben Vergabeverstöße reine Förmelei wäre (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.05.2017, VII – Verg 36/16, juris Tz. 31 f; dagegen erachten eine Rüge auch in diesem Fall für nötig Horn/Hoffmann in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 63). Dagegen kann keineswegs in einer ex post – Betrachtung aus der Tatsache, dass der Auftraggeber seine Entscheidung im Nachprüfungsverfahren verteidigt, geschlossen werden, eine Rüge sei von vornherein aussichtslos gewesen (OLG München, Beschluss vom 10.12.2009, Verg 16/09, juris Tz. 71; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, 1 Verg 4/03, juris Tz. 62; Gabriel/ Mertens, BeckOK Vergaberecht, 8. Edition, § 160 GWB Rz. 215; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 54). Nicht zuletzt kann ein derartiges Verhalten auch prozesstaktische Gründe haben (Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl, § 160 GWB Rz. 54).
Nach diesen Grundsätzen war eine Rüge vorliegend nicht ausnahmsweise entbehrlich.
Soweit die Antragstellerin darauf verweist, der Ausschluss sei bereits vor der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung erfolgt, ist dies für die vorliegende Frage irrelevant.
Ohne Bedeutung ist ferner, ob die Auftraggeberinnen sich geweigert haben, Auskunft über den Zeitpunkt der beabsichtigten Zuschlagserteilung zu geben.
1.2. Da das Nachprüfungsverfahren aus den dargestellten Erwägungen bereits unzulässig ist, kommt es auf die Begründetheit nicht mehr an. Bezüglich der weiteren zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Ausschluss der Antragstellerin rechtmäßig erfolgte, bedarf es daher keiner Stellungnahme des Senats.
2. Der Senat empfiehlt aus den unter Ziff. 1 dargelegten Erwägungen eine Rücknahme der Beschwerde. Von einer Terminierung des Verfahrens wird derzeit bis zum Eingang einer Stellungnahme der Antragstellerin hierzu abgesehen.
3. Die Antragsgegnerinnen erhalten Gelegenheit, im Hinblick auf eine etwaige Beschwerdeoder jedenfalls Kostenentscheidung zu ihren aktuellen Rechts- und Vertretungsverhältnissen vorzutragen. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG wird eine GmbH durch den oder die Geschäftsführer gesetzlich vertreten, wobei nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG nur eine natürliche Person als Geschäftsführer in Betracht kommt. Für das Rubrum ist allein die gesetzliche Vertretung der Antragsgegnerinnen maßgeblich. Aus dem Handelsregister (HRB …, AG München) ist ferner ersichtlich, dass die … GmbH am 02.07.2018 in „… GmbH“ umfirmiert wurde und die GmbH, die mbH und die mbH am 26.07.2018 auf die GmbH verschmolzen wurden.


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