Baurecht

Erfolglose Berufungszulassung: Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch Stellplätze an der Grundstücksgrenze

Aktenzeichen  2 ZB 20.548

Datum:
13.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 964
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr 1
BauNVO § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1 S. 2
BauGB § 30, § 34
BayBO Art. 59 S. 1

 

Leitsatz

Geräuschimmissionen durch Stellplätze nach § 12 Abs. 2 BauNVO gehören zwar zu einem Wohngebiet, sodass ihre Auswirkungen der Nachbarschaft als sozialadäquat zuzumuten sind. Jedoch stellt das Gebot der Rücksichtnahme die Ausnahme zu diesem Grundsatz dar. Die für die Stell- und Garagenplätze bedeutsamen Vorschriften des § 15 Abs. 1 BauNVO und des § 34 Abs. 1 BauGB sind eine Ausprägung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Es begründet im Einzelfall bestimmte Anforderungen an bauliche und sonstige Anlagen, die zum Schutze qualifiziert Betroffener einzuhalten sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 2 K 17.588 2019-10-22 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Beigeladene hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Erstgericht ist unter Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu dem Ergebnis gekommen, dass Anzahl, Lage und Zuwegung der in einem bislang als Grünfläche genutzten rückwärtigen Bereich des Baugrundstücks genehmigten Stellplätze des Bauvorhabens des Beigeladenen – das in einem Wohngebiet liegt und sich nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB beurteilt – sich den Klägern gegenüber als rücksichtslos darstellten. Das Vorhaben sei wegen der Situierung und vor allem der Massierung der Stellplätze (30 Stück) an der Grundstücksgrenze unzulässig.
a) Entgegen der Zulassungsbegründung ist die Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO insoweit auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach hierfür aus tatsächlichen Gründen regelmäßig kein Raum bleibt, wenn die betroffenen Belange durch Bauordnungsrecht geschützt sind und das Vorhaben diese Anforderungen einhält (etwa BVerwG, U.v. 7.12.2006 – 4 C 11/05 – NVwZ 2007, 585, Rn. 16), nicht ausgeschlossen. In Bayern werden jedenfalls nach der Novelle der Bayerischen Bauordnung im Jahr 2008 nachbarschützende Belange im Zusammenhang mit der Erstellung von Stellplätzen allenfalls teilweise bauordnungsrechtlich berücksichtigt (Busse/Kraus/Würfel, BayBO, Art. 47, Rn. 227). Im Übrigen legt die Zulassungsbegründung für ihre Behauptung, die bauordnungsrechtlichen Anforderungen für Stellplätze seien erfüllt, nichts weiter dar. Vom Prüfprogramm der streitgegenständlichen Baugenehmigung vom 27. Juni 2017 sind sie nicht umfasst (Art. 59 Satz 1 BayBO a.F.).
b) Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 9.2.2004 – 14 CS 03.2977) wird durch § 12 Abs. 2 BauNVO zwar eine normative Duldungspflicht für Stellplätze begründet. Sie gehören ebenso wie die Geräuschimmissionen von Kinderspielplätzen zu einem Wohngebiet. Ihre Auswirkungen sind deshalb der Nachbarschaft als sozialadäquat zuzumuten. Jedoch stellt das Gebot der Rücksichtnahme die Ausnahme zu dem eben dargestellten Grundsatz dar. Die für die Stell- und Garagenplätze bedeutsamen Vorschriften des § 15 Abs. 1 BauNVO und des § 34 Abs. 1 BauGB sind eine Ausprägung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots. Es begründet im Einzelfall bestimmte Anforderungen an bauliche und sonstige Anlagen, die zum Schutze qualifiziert Betroffener einzuhalten sind. Entscheidend sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls. Ob das Rücksichtnahmegebot verletzt ist, ist nach einer Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist, zu beurteilen (BVerwG, U.v.25.2.1977 – IV C 22.75 – NJW 1978, 62).
Von diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es ist nach Durchführung eines Augenscheins und unter Berücksichtigung der von der Beklagten im Verfahren vorgelegten fachlichen Stellungnahme vom 18. Oktober 2019, die zu den Ergebnissen kommt, dass die Emissionswerte der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete am Wohnhaus der Kläger abgesehen von Spitzenpegeln eingehalten werden, von einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots im Einzelfall ausgegangen. Die Festsetzung einer 2 m hohen Gabionenwand als Lärmschutzwand zwischen dem Baugrundstück und dem Wohngrundstück der Kläger könne die Problematik des Parkplatzlärms nicht adäquat bewältigen. Hierdurch werde das besonders schutzwürdige Obergeschoss des klägerischen Grundstücks, wo sich Schlafräume befinden, nicht abgeschirmt. Der Abstand von nur 5 m zwischen Stellplätzen und dem klägerischen Wohngebäude führe dazu, dass die Spitzenpegel für allgemeine Wohngebiete von nachts 60 db(A) bei fünf prognostizierten Fahrbewegungen in der Nacht durch Türenschlagen mit 72 db(A) und Schließen der Kofferraumklappe mit 74 db(A), die bereits bei einem Abstand von 28 m überschritten würden, sich in besonderem Maße störend auswirken würden. Hinzu komme, dass nach den Feststellungen des Augenscheins Garagen und Stellplätze in dem Bauquartier im Übrigen ausschließlich zu Erschließungsanlagen hin situiert seien. Durch die im hinteren Grundstücksbereich gelegenen 39 Stellplätze werde erstmals eine Unruhe in den rückwärtigen Bereich des Bauquartiers getragen.
Hiergegen ist aus zulassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern. Bei prognostizierten fünf Fahrbewegungen in der Nacht, von denen auch die Zulassungsbegründung ausgeht, kann insbesondere eine Störung der Nachtruhe aufgrund des sehr geringen Abstands zwischen dem klägerischen Wohnhaus und den Stellplätzen, nicht nur nicht ausgeschlossen werden, sondern ist sogar wahrscheinlich. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann bereits der durch sieben offene Stellplätze in einem straßenfernen, durch Gärten gebildeten Ruhebereich im allgemeinen Wohngebiet verursachte Lärm wegen der zu den Parkplätzen hin ausgerichteten Fenster der Wohnräume das Wohnen erheblich stören und nach § 15 BauNVO unzulässig sein (BayVGH, B.v. 29.1.1992 – 2 CS 91.3488 – BeckRS 1992, 10693). Soweit die Zulassungsbegründung darauf hinweist, auch bei dem klägerischen Anwesen selbst sowie bei weiteren auf dieses folgende Anwesen sei eine Vorbelastung des rückwärtigen Grundstücksbereichs dadurch gegeben, dass eine Befahrungsmöglichkeit bis hinter die Gebäuderückseite der jeweiligen Gebäude möglich sei, kann dies zu keinem anderen Ergebnis führen. Das insoweit mit der Zulassungsbegründung vorgelegte Luftbild zeigt deutlich, dass diese Befahrungsmöglichkeit nur bis unmittelbar hinter die jeweiligen Gebäude und nicht bis in die rückwärtigen, als Grünfläche genutzten Grundstücksteile selbst hineinreicht.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beklagte sieht Schwierigkeiten bei der Klärung der Frage, ob die an der Grundstücksgrenze der Kläger geplanten Stellplätze zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen. Wie bereits unter 1. ausgeführt, lässt sich diese Frage aber unter Zugrundelegung der tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts, die die Zulassungsbegründung nicht substantiiert infrage stellt sowie der bisherigen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten.
3. Die von dem Beigeladenen geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor. Der Beigeladene erblickt einen solchen zunächst darin, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen des durchgeführten Augenscheins und der Würdigung der vorhandenen Luftbildaufnahmen des Gevierts nicht in der gebotenen Detailschärfe alle Gesichtspunkte aufgeklärt habe, was zu einer einseitigen Einstellung der Belange der Kläger in der rechtlichen Bewertung geführt habe. Das ist jedoch nicht nachvollziehbar. Richtig verstanden handelt es sich vielmehr um einen Angriff gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die keinen Verfahrensmangel darstellt, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen ist (BVerwG, B.v. 21.1.2019 – 6 B 120.18). Soweit ein Verfahrensmangel unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO dadurch behauptet wird, dass der maßgebliche Sachverhalt nicht ausreichend erforscht und in die vorzunehmende richterliche Abwägung eingestellt worden sei, gilt – soweit hierin überhaupt eine gesonderte Argumentation liegen sollte – nichts anderes. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung und ist dabei nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Es würdigt den Prozessstoff auf seinen Aussage- und Beweiswert für die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen nur nach der ihm innewohnenden Überzeugungskraft. Trotz des besonderen Charakters der Beweiswürdigung, der dem Gericht einen Wertungsrahmen eröffnet, ist das Gericht allerdings nicht gänzlich frei; die richterliche Überzeugungsbildung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 8 ZB 16.2351 – juris Rn. 15). Soweit sich das tatsächliche Vorbringen im Zulassungsverfahren auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung bezieht, kommt eine Zulassung der Berufung nur wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Betracht. Hierfür müsste aufgezeigt werden, dass die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, den Gesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 9 ZB 17.766 – juris Rn. 10 m.w.N.). Derartiges leistet die Zulassungsbegründung nicht; es ist unabhängig hiervon auch nicht ersichtlich (vgl. oben 1.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung (wie Erstgericht) folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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