Baurecht

Erfolglose Klage auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten gegen ein Bauvorhaben

Aktenzeichen  M 9 K 16.3039

Datum:
12.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2
BauGB BauGB § 30 Abs. 3, § 34
BayBO BayBO Art. 6, Art. 76

 

Leitsatz

1 Ein Anspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten gegen ein Vorhaben setzt zum einen voraus, dass der Nachbar durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, und zum anderen, dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, ein Einschreiten ihrerseits also die einzig verbleibende ermessensgerechte Entscheidung darstellt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einhaltung der Abstandsflächen genügt für sich genommen zwar nicht in jedem Fall, um dem Gebot der Rücksichtnahme gerecht zu werden, es spricht jedoch regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bzw. auf Erlass der beantragten Teilbeseitigungsanordnungen und der Nutzungsuntersagung, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, Art. 76 BayBO.
Ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten durch Erlass einer (Teil-) Beseitigungsanordnung und/ oder einer Nutzungsuntersagung kann sich auf Art. 76 Satz 1 bzw. Satz 2 BayBO stützen. Art. 76 Satz 1 BayBO bestimmt, dass die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen kann, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Art. 76 Satz 2 BayBO gibt die Befugnis für eine Nutzungsuntersagung, wenn Anlagen im Widerspruch zu öfentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Beide Vorschriften stellen es in das pflichtgemäße Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, ob sie gegen eine Anlage vorgeht, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert wurde. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob ein Dritter ein Einschreiten der Behörde soll erzwingen können. Ein Anspruch der Klägerin auf bauaufsichtliches Einschreiten im hier bestehenden Dreiecksverhältnis zwischen Behörde, Nachbar und Bauherren setzt deshalb zum einen voraus, dass die Klägerin als Nachbarin durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert ist, ein Einschreiten ihrerseits also die einzig verbleibende ermessensgerechte Entscheidung darstellt (VG München, U.v. 25.3.2015 – M 9 K 14.3343 – juris Rn. 35). Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, haben die Kläger nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (BayVGH, B.v. 4.7.2011 – 15 ZB 09.1237 – juris Rn. 11).
Für alle drei geltend gemachten Streitgegenstände – Teilbeseitigungsanordnung bezüglich der Gebäudehöhe, d.h. Rückbauverfügung bis zur im Bebauungsplan geregelten Höhe (nachfolgend 1.), Teilbeseitigungsanordnung bezüglich der Terrasse, d.h. bis diese die Abstandsflächen zur Klägerin einhält (nachfolgend 2.) und Nutzungsuntersagung bezüglich der Ferienwohnung im Kellergeschoss des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) und 2) (nachfolgend unter 3.) – fehlt es bereits an der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzung für Teilbeseitigungsanordnung bzw. Nutzungsuntersagung, weil in keinem Fall ein Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vorliegt.
1. Bezüglich der Wandhöhe des Doppelhauses der Beigeladenen zu 1) und 2) liegt kein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften vor.
Das gilt schon deshalb, weil Voraussetzung einer auch teilweisen Beseitigungsanordnung neben der sog. materiellen Illegalität oder Baurechtswidrigkeit auch die sog. formelle Illegalität oder Baurechtswidrigkeit ist. Das bedeutet, dass bereits der Umstand, dass ein Vorhaben genehmigt ist, tatbestandlich einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form einer Beseitigungsanordnung entfallen lässt. Hier ist das Vorhaben mit einer Befreiung hinsichtlich der Überschreitung der im einfachen Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe (6,60 m statt 6,10 m bzw. die entsprechenden Traufhöhen 6,30 m statt 5,80 m) mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Juni 2013 genehmigt. Die im parallelen Verfahren Az. M 9 K 16.5051 streitgegenständliche Änderungsbaugenehmigung mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 regelt die Höhenentwicklung überhaupt nicht, weder im Bescheid noch in den Bauvorlagen ist diesbezüglich etwas dargestellt noch gar genehmigt. Daher bleibt es bezüglich der Höhenentwicklung beim Genehmigungsstand, den der bestandskräftige Bescheid vom 28. Juni 2013 regelt.
Zwar legalisiert die Baugenehmigung das Vorhaben nur insoweit, als sie eine Regelung trifft, d.h. mit anderen Worten wäre das Vorhaben dann nicht mehr formell legal, wenn es die genehmigte Wandhöhe von 6,60 m überschreiten würde. Diese Frage ist aber für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich. Denn der Klägerbevollmächtigte hat diesbezüglich ausdrücklich beantragt, „insoweit eine Teilbaubeseitigung zu erlassen, bis die im Teilbebauungs- und Baulinienplan vom 7.12.1957 vorgesehene Höhe erreicht wird“. Dieser Antrag ist aber zwingend unbegründet wegen der Feststellungsbzw. Regelungswirkung der bestandskräftigen Baugenehmigung mit Bescheid vom 28. Juni 2013. Denn in dieser Baugenehmigung wird eben eine Befreiung von der im einfachen Bebauungsplan festgesetzten Wandhöhe genehmigt; da die Klägerin den damaligen Bescheid nicht angefochten hat, ist dieser bestandskräftig geworden. Selbst wenn also die Befreiung nicht rechtmäßig gewesen sein sollte, wofür aber nichts spricht, ist sie nicht mehr angreifbar; die Anordnung eines Rückbaus auf die in dem einfachen Bebauungsplan festgesetzte Wandhöhe ist damit ausgeschlossen. Sinnvoll wäre es allenfalls gewesen, den Rückbau auf die mit der Baugenehmigung vom 28. Juni 2013 genehmigte Wandhöhe zu beantragen, falls Anhaltspunkte bestehen, dass höher gebaut wurde. Das wurde für die Klägerin aber gerade nicht beantragt. Der ausdrückliche Antrag kann auch nicht entsprechend ausgelegt werden (§ 88 VwGO), zumal er von einem Rechtsanwalt gestellt wurde.
Unabhängig davon ist aber auch kein Verstoß gegen die in der Baugenehmigung festgelegte Höhenentwicklung gegeben. In der Baugenehmigung vom 28. Juni 2013 ist eine Befreiung erteilt für eine Wandhöhe von 6,60 m (vgl. Nr. 2.1.6 dieses Bescheids: Traufhöhe von 6,10 m = 6,60 m Wandhöhe gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB). In den genehmigten Bauvorlagen, die sich bei den vorgelegten Behördenakten befinden, ist die zeichnerische Darstellung (im Wege einer Tektur bzw. einer Roteintragung) genau entsprechend dieser erteilten Befreiung eingetragen. Das Vorhaben ist auch entsprechend der genehmigten Höhenentwicklung gebaut worden. Das ergibt sich aus sämtlichen Baukontrollen (insbesondere vom 25.05.2015 – Baukontrollakt Bl. 4 mit Fotos Bl. 5 – 11 der Behördenakten – BA) und darauf beruhenden Stellungnahmen des Landratsamts (insbesondere vom 09.06.2015 – Baukontrollakt Bl. 12 BA), die im Tatbestand des Urteils im parallelen Verfahren Az. M 9 K 16.5051 dargestellt sind und auf die Bezug genommen wird. Zwar ist die Wandhöhe auf der Grundstücksseite zur Klägerin (in den Bauvorlagen der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 28.06.2013 die Ansicht Süd) im Bereich des Quergiebels 7,95 m, mit Aufbau 8,10 m, das begründet aber keinen Verstoß gegen die Baugenehmigung. Denn erstens ändert der Quergiebel nicht die Wandhöhe, weil er im Verhältnis zur gesamten seitlichen Breite des Gebäudes nur untergeordnet ist. Zweitens ist diese Höhenentwicklung – auch die des Quergiebels – in den genehmigten Bauvorlagen genau so eingetragen und damit ebenfalls in dieser Höhe genehmigt.
Schließlich würde selbst eine Höhenüberschreitung nicht zu einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten führen, weil eine Höhenüberschreitung nicht drittschützend ist und eine sog. erdrückende Wirkung nicht vorliegt.
Sollte sich das Vorhaben hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in den aus der näheren Umgebung ableitbaren Rahmen einfügen, würde das der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Maß der baulichen Nutzung im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB entfaltet „für sich gesehen“ keine nachbarschützende Wirkung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 25.01.2013 – 15 ZB 13.68 – juris Rn. 4 m.w.N.; Jäde/Dirnberger, BauGB, 8. Auflage 2017, § 29 Rdnr. 65 m.w.N.), weil das Einfügen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich nur der städtebaulichen Ordnung, nicht aber auch dem Schutz des Nachbarn dient. Das bedeutet, dass allein der Umstand, dass das Maß der Nutzung des Vorhabens nicht der Eigenart der näheren Umgebung entspricht, aus sich heraus keine Verletzung von nachbarlichen Rechten ergibt und damit auch nicht Grundlage für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sein kann. Vielmehr gewährt § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB Nachbarschutz nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme (BVerwG, U.v. 4.7.1980 – IV C 101/77 – NJW 1981, 139 = BayVBl 1981, 119; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – BRS 57, 219 = NVwZ 1996, 888). Das Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung ist nur dann verletzt, wenn die Bebauung sich in einer Gesamtschau als den Nachbarn gegenüber unzumutbar erweist. Wann dies der Fall ist, kann nur aufgrund einer Abwägung im Einzelfall zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage des Einzelfalles zuzumuten ist, beurteilt werden (grundlegend: BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – BVerwGE 52, 122 = BayVBl 1977, 639). Bezogen speziell auf das Maß der baulichen Nutzung ist eine Bebauung insbesondere dann rücksichtslos, wenn sie eine „erdrückende“ Wirkung auslöst.
Eine solche geht entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten vom Vorhaben nicht aus. Es hält, so wie es genehmigt ist, komplett die landesrechtlich verlangten Abstandsflächen ein, was sich aus den genehmigten Bauvorlagen ergibt. Anders als in Bezug auf die Abgrabung/ unterirdische Terrasse (dazu sogleich) ist das für das Gebäude selbst von der Klägerin auch nicht bestritten. Das genügt für sich genommen zwar nicht in jedem Fall, um das Gebot der Rücksichtnahme zu erfüllen, es spricht jedoch regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ nicht eintritt (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98 – NVwZ 1999, 879 = BRS 62 Nr. 102; BayVGH, B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris Rn. 32; B.v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123 – juris Rn. 5). Für ein Abweichen von der beschriebenen Regelwirkung ist weder etwas ersichtlich noch irgendetwas vorgebracht; die Klage behauptet hierzu nur das Vorliegen einer „erdrückenden“ Wirkung, ohne irgendwie zu spezifizieren, worin diese liegen soll und verweist darauf, dass der Dachausbau in Richtung des Grundstücks der Klägerin erfolgt. Beides genügt nicht, um entgegen der Indizwirkung der Einhaltung der Abstandsflächen gleichwohl einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu begründen. Auch der gerichtliche Augenschein hat nichts ergeben, was auch nur im Ansatz dafür spricht, dass ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme trotz eingehaltener Abstandsflächen gegeben sein könnte.
2. Auch bezüglich der Terrasse, hinsichtlich derer die Klägerin eine Teilbeseitigungsanordnung insoweit verlangt, bis diese die Abstandsflächen zur Klägerin einhält, liegt kein Widerspruch gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften vor. Zwar steht dem nicht die Regelungs- und Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 13. Oktober 2016 entgegen, weil diese keine Regelungen zu den Abstandsflächen trifft (vgl. im Einzelnen das Urteil vom selben Tag in der Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 10 und Seite 11 oben). Jedoch sind die Abstandsflächen nicht verletzt; auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil vom selben Tag in der Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 11 unter 1.2 bis Seite 12 oben wird Bezug genommen. Daher ist von vorneherein kein Raum für die verlangte Teilbeseitigung.
3. Schließlich steht auch die Nutzung der Ferienwohnung im Kellergeschoss des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1) und 2) nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so dass die insofern verlangte Nutzungsuntersagung nicht verfügt werden darf. Die Nutzung der Einheit im Kellergeschoss als Ferienwohnung ist sowohl mit Bescheid vom 13. Oktober 2016 genehmigt, mithin formell rechtmäßig, als auch materiell rechtmäßig; beides ergibt sich aus den entsprechenden Ausführungen im Urteil vom selben Tag in der parallelen Verwaltungsstreitsache Az. M 9 K 16.5051, dort Seite 12 – 17, auf die Bezug genommen wird. Da diese Nutzung damit sowohl formell als auch materiell legal ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass eine Nutzungsuntersagung schon bei nur formeller Legalität ausscheiden würde.
Weil hinsichtlich aller Anträge bereits jeweils der Tatbestand für das verlangte bauaufsichtliche Einschreiten nicht gegeben ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass in keinem der Fälle Gründe für eine Ermessensreduzierung auf Null ersichtlich wären.
Nach alledem wird die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Absatz 1 VwGO abgewiesen; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen diese billigerweise jeweils selbst, da sie keine Anträge gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, § 154 Abs. 3 Hs. 1 sowie § 162 Absatz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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