Aktenzeichen B 5 K 15.669
Leitsatz
1 Eine in einer Entwässerungssatzung geregelte Pflicht zur Duldung eines kommunalen Abwasserkanals ist eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums und stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums iSv Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar (Anschluss an BayVGH BeckRS 2008, 33489). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Beginn der Verjährung eines Beseitigungsanspruchs hängt weder davon ab, dass die Grundstückseigentümer die Inanspruchnahme ihres Grundstücks als Störung empfunden oder überhaupt Kenntnis davon hatten, noch davon, ob die Störung durch den vorhandenen Kanal weiter andauert. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Rechtsnachfolge auf der Eigentümerseite hat auf die laufende Verjährungsfrist keinen Einfluss. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Der Ablauf der Verjährungsfrist führt in Analogie zu der Regelung des Art. 71 Abs. 1 BayAGBGB zum Erlöschen des Beseitigungsanspruchs, was von Amts wegen zu beachten ist (Anschluss an BayVGH BeckRS 2009, 43821). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
1. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Bayreuth für die Entscheidung des vorliegenden Rechtstreits folgt jedenfalls aus dem Verweisungsbeschlusses des Landgerichts … vom 13.08.2015. Dieser Beschluss ist gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO im Hinblick auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bindend.
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Es besteht schon kein Beseitigungsanspruch der Klägerin bezüglich des streitgegenständlichen Abwasserkanals (hierzu unter Buchst. a). Darüber hinaus wäre ein solcher Beseitigungsanspruch jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil dieser Anspruch wegen Verjährung bei Klageerhebung bereits erloschen gewesen wäre (hierzu unter Buchst. b).
Rechtsgrundlage für das Beseitigungsverlangen der Klägerin ist ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch, auf den § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Eigentumsstörungen durch (schlicht) hoheitliche Tätigkeit entsprechend anzuwenden ist. In der unberechtigten Inanspruchnahme eines Grundstücks durch einen Abwasserkanal liegt eine solche Eigentumsbeeinträchtigung, deren Beseitigung der Grundstückseigentümer entsprechend § 1004 BGB verlangen kann (BayVGH, U.v. 5.10.2009 – 4 B 08.2877- juris Rn. 19).
a) Der Anspruch der Klägerin auf Beseitigung des Kanals ist jedoch nach § 1004 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da die Klägerin verpflichtet ist, den Kanal in ihrem Grundstück zu dulden. Eine Duldungspflicht für den Leitungsverlauf ergibt sich im vorliegenden Fall aus § 19 Abs. 1 der Entwässerungssatzung der Beklagten (EWS). Nach dieser Vorschrift hat ein Grundstückseigentümer das Anbringen und Verlegen (und damit auch den Verbleib) von Leitungen über sein Grundstück unentgeltlich zuzulassen, wenn und soweit diese Maßnahmen für die örtliche Abwasserbeseitigung erforderlich sind. Diese Pflicht betrifft nur Grundstücke, die an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen oder anzuschließen sind, die vom Eigentümer im wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem angeschlossenen oder zum Anschluss vorgesehenen Grundstücke genutzt werden oder für die die Möglichkeit der örtlichen Abwasserbeseitigung sonst wirtschaftlich vorteilhaft ist. Die Verpflichtung entfällt, soweit die Inanspruchnahme der Grundstücke den Eigentümer in unzumutbarer Weise belasten würde.
aa) Die Regelung des § 19 Abs. 1 EWS ist rechtmäßig.
Der auf der gültigen Ermächtigungsgrundlage des Art. 24 Abs. 2 Satz 3 GO beruhende § 19 Abs. 1 EWS zielt nicht auf einen völligen oder teilweisen Entzug des Eigentums ab, sondern auf eine allgemeine, im öffentlichen Interesse liegende unentgeltliche Duldungspflicht im Sinne einer Nutzungseinschränkung.
Eine derartige Duldungspflicht ist eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Sozialbindung des Eigentums und stellt eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.v. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BayVGH, U.v. 25.7.2007 – 4 BV 06.3308 – juris, Rn. 24 f. m.w.N.).
bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 19 Abs. 1 EWS liegen vor. Das verfahrensgegenständliche Grundstück ist an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen, sodass § 19 Abs. 1 S. 1 EWS anwendbar ist. Dies ergibt sich aus den seitens der Beklagten vorgelegten Plänen, die diese Anschlüsse aufführen. Auch hat die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung am 08.08.2017 bestätigt, dass das Grundstück der Klägerin an den streitgegenständlichen Kanal angeschlossen ist (S. 2 der Niederschrift).
Die Verlegung des Kanals über das Grundstück der Klägerin ist auch erforderlich, weil über den Kanal nicht nur das Grundstück der Klägerin selbst, sondern auch die vier östlich gelegenen Grundstücke an die Entwässerung angeschlossen werden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Grundstücke über den in der zwar angrenzenden, aber – ausweislich des Bebauungsplans „N. …“ der Beklagten – höher gelegenen … liegenden öffentlichen Kanal entwässert werden könnten.
Durch die Inanspruchnahme ihres Grundstücks liegt auch keine unzumutbare Belastung für die Klägerin i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 3 EWS vor. Diesbezüglich macht die Klägerin geltend, dass der Kanalverlauf ihr Vorhaben zum Bau von insgesamt sieben Garagen sowie von vier Wintergärten und zwei Dachterrassen konkret in Frage stelle. Die Klägerin hat insoweit aber weder eine Baugenehmigung für das Vorhaben noch hat sie einen Bauantrag gestellt. Zwar ist dies für die Berücksichtigung von Planungsvorstellungen nicht unbedingt notwendig. Allerdings ist seitens des Eigentümers jedenfalls ein gewisser Grad an Konkretisierung des Vorhabens erforderlich, der Ausdruck einer ernsthaften Realisierungsabsicht ist. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich, so dass sich schon insoweit keine Unzumutbarkeit für die Klägerin ergeben kann. Es gilt zudem zu berücksichtigen, dass die einzelnen Eigentümer ihre Wohnungen erworben haben, als lediglich der derzeitige Ist-Zustand Gegenstand des Bauvorhabens war. Es durfte also keiner der einzelnen Eigentümer damit rechnen, dass auf dem Grundstück weitere Garagen errichtet werden würden. Somit stellt der aktuelle bauliche Ist-Zustand jedenfalls für jeden einzelnen Eigentümer die kaufvertraglich zugesicherte Situation dar, so dass auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass es sich für die WEG insgesamt als unzumutbar erweisen würde, wenn ein Erweiterungsvorhaben, wie das in Rede stehende, nicht realisiert werden könnte.
b) Unabhängig von der Frage der Duldungspflicht der Klägerin besteht auch deshalb kein Beseitigungsanspruch der Klägerin bezüglich des streitgegenständlichen Kanals, weil ein solcher Anspruch jedenfalls wegen Verjährung mit Ablauf des Jahres 2011 erloschen wäre und damit im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr bestanden hat.
aa) Die Verjährung des hier streitgegenständlichen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB bemisst sich nach §§ 194 ff. BGB (BayVGH, U.v. 5.10.2009, a.a.O., juris Rn. 31). Der Beginn der Beeinträchtigung des Grundeigentums ist grundsätzlich, vorbehaltlich einer etwaigen Duldungspflicht, der Zeitpunkt der Verlegung des Kanals. Insoweit hängt der Verjährungsbeginn auch nicht davon ab, dass die Grundstückseigentümer die Inanspruchnahme ihres Grundstücks nicht als Störung empfunden oder überhaupt Kenntnis davon hatten. Auch dass die Störung durch den vorhandenen Kanal weiter andauert, ist für den Beginn der Verjährung mit dessen Errichtung unbeachtlich (vgl. BayVGH, U.v. 5.10.2009, a.a.O., juris, Rn. 31 m.w.N.)
bb) Der Beseitigungsanspruch bezüglich des streitgegenständlichen Kanals wäre daher spätestens am 09.06.1999 entstanden. An diesem Tag erfolgte im Grundbuch die letzte Umschreibung des Sondereigentums der auf dem Grundstück neu errichteten Wohnungen von der GmbH auf den neuen Eigentümer. Damit wäre auch spätestens an diesem Tag eine etwaige zwischen der GmbH und der Beklagten vereinbarte Duldung des Abwasserkanals auf dem Grundstück gegenstandslos geworden.
Ferner steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt der Abwasserkanal errichtet war. Dies ergibt sich schon alleine aus dem Vortrag der Klägerin, wonach den einzelnen Eigentümern der WEG nicht bekannt sei, wann der Kanal errichtet wurde. Somit kann dies nur vor dem Zeitpunkt der Umschreibung des Sondereigentums erfolgt sein. Wäre dies später der Fall gewesen, so ist davon auszugehen, dass dies den Eigentümern nicht verborgen geblieben wäre. Auch hat das Gericht die Frage der Errichtung des Kanals in der mündlichen Verhandlung thematisiert. Den Ausführungen der Beklagten, wonach der Kanal noch vor der Bebauung des Grundstücks der Klägerin errichtet worden sein müsste, ist die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten. Ihr schriftsätzlich vorgetragenes Bestreiten des Umstands, dass der Kanal bereits in den 90er-Jahren errichtet worden sei, hat die Klägerin damit nicht mehr aufrechterhalten. Vielmehr hat der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt, dass der Kanal der Entwässerung des Grundstücks diene (S. 2 der Niederschrift).
Auch hieraus ergibt sich, dass der Kanal bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes und damit noch vor der Umschreibung des Sondereigentums an den einzelnen Eigentumswohnungen vorhanden gewesen sein muss.
cc) Bei der Verjährungsfrist ist zu beachten, dass eine Rechtsnachfolge auf der Eigentümerseite auf die laufende Verjährungsfrist keinen Einfluss hat und insbesondere keine neue Frist in Gang setzt (BGH U.v. 1.2.1994 – VI ZR 229/2 – NJW 1994, 999, 1001 m.w.N.). Im Fall der Rechtsnachfolge tritt daher der Rechtsnachfolger in die laufende Verjährungsfrist ein. Die Verjährungsfrist beginnt nicht neu zu laufen (VG Augsburg, U.v. 5.4.2001 – Au 8 K 00.363 – juris Rn. 33). Erfolgte Wechsel der Wohnungseigentümer in den errichteten Eigentumswohnungen sind daher unbeachtlich.
dd) Die Dauer der Verjährungsfrist richtet sich nach der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Nach Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB finden grundsätzlich die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches in der ab dem 01.01.2002 geltenden Fassung (BGB n.F.) für die am 1. Januar 2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der streitgegenständliche Abwasserkanal wurde in den 90er-Jahren (vor den Eintragungen der neuen Eigentümer der neu gebauten Eigentumswohnungen im Grundbuch) errichtet. Nach der damals geltenden Verjährungsregelung vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts zum 01.01.2002 begann die Verjährung gemäß § 198 BGB a. F. mit der Entstehung des Beseitigungsanspruchs mithin mit der Errichtung des streitgegenständlichen Abwasserkanals. Die Verjährungsfrist betrug nach § 195 BGB a. F. 30 Jahre. Zum Stichtag des 01.01.2002 war der Beseitigungsanspruch damit noch nicht verjährt.
ee) Im vorliegenden Fall ist für die Bestimmung der konkreten Verjährungsdauer die Regelung des Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 EGBGB maßgeblich. Ist die Verjährungsfrist nach dem BGB n.F. kürzer als nach dem BGB a.F., so wird die kürzere Frist von dem 01.01.2002 an berechnet. Läuft jedoch die im BGB a.F. bestimmte längere Frist früher als die im BGB n.F. bestimmten Frist ab, so ist die Verjährung mit dem Ablauf der im BGB a.F. bestimmten Frist vollendet.
ff) Damit endete im vorliegenden Fall die Verjährungsfrist spätestens mit Ablauf des 31.12.2011, weil die kenntnisunabhängige Höchstverjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 4 BGB n.F. zehn Jahre beträgt und von dem Stichtag des 01.01.2002 aus zu berechnen ist. Dabei kommt es auch nur darauf an, dass der Beseitigungsanspruch, wie hier vorliegend, zu diesem Stichtag schon existierte. Einer subjektiven Kenntnis der Anspruchsinhaber bedarf es bei dieser Höchstverjährungsfrist nicht.
gg) Der Ablauf der Verjährungsfrist führt in Analogie zu der Regelung des Art. 71 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (AGBGB) zum Erlöschen des Beseitigungsanspruchs, was von Amts wegen zu beachten ist (BayVGH, U.v. 5.10.2009, a.a.O., juris Rn. 30 f.). Daher kann auch der Einwand der Klägerin nicht greifen, dass die Beklagte durch die im Jahr 2014 mit der Klägerin über die Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit geführten Verhandlungen auf das Recht der Geltendmachung der Verjährung verzichtet hätte bzw. dessen Ausübung verwirkt bzw. wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig sei. Wegen des Ablaufs der Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2011 ist seit diesem Zeitpunkt ein etwaiger Beseitigungsanspruch erloschen und es besteht nicht nur ein bloßes Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten nach § 214 Abs. 1 BGB. Da das Erlöschen des Beseitigungsanspruchs von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ist auch das Verhalten der Beklagten nach Ablauf der Verjährungsfrist unbeachtlich und kann insbesondere keinen Verzicht oder eine Verwirkung eines nicht mehr existenten Rechts hervorrufen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegende Beteiligte hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.