Baurecht

Erfolglose Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Erweiterung der Nutzfläche eines bestehenden Wettbüros

Aktenzeichen  AN 9 K 16.01268

Datum:
17.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, S. 2
BauGB BauGB § 30 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 57, Art. 58, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO 1968 BauNVO 1968 § 4a Abs. 3 Nr. 2, § 6, § 7 Abs. 2 Nr. 2, § 15

 

Leitsatz

1 Vergnügungsstätten sind Gewerbebetriebe, die in unterschiedlicher Weise unter Ansprache des Geselligkeitsbedürfnisses, des Spiel- oder Sexualtriebs der kommerziellen Freizeitgestaltung und der Zerstreuung dienen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte liegt vor, wenn die Vergnügungsstätte als zentraler Dienstleistungsbetrieb einen größeren Einzugsbereich besitzt und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar ist oder jedenfalls erreichbar sein soll (vgl. BVerwG BeckRS 1990, 31228212). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Maßgeblich ist in erster Linie die Nutzfläche; wird eine Schwelle von 100 m² überschritten, bildet dies einen wesentlichen Anhaltspunkt dafür, dass die Vergnügungsstätte kerngebietstypisch ist. Das gilt auch für Wettbüros bzw. Wettlokale.(Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2016, Az.: …, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Vergrößerung der Nutzfläche ihres Wettbüros von 84 m² auf 151,68 m² steht ihr ebenso wie ein Anspruch auf Neuverbescheidung nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO).
Das beantragte Bauvorhaben „Tektur zu … – Erweiterung des bereits genehmigten Wettbüros“ ist nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig, Ausnahmen von der Genehmigungspflicht nach Art. 57 oder Art. 58 BayBO sind nicht einschlägig.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BayBO besteht ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, und die Baubehörde auch nicht wegen des Verstoßes gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften von ihrem Ablehnungsrecht in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BayBO Gebrauch gemacht hat.
Dem streitgegenständlichen Bauvorhaben stehen bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegen, da es als kerngebietstypische Vergnügungsstätte im festgesetzten Mischgebiet unzulässig ist.
Das Baugrundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Stadt … vom 25. August 1971, der für das Gebiet zwischen der … im Nordosten und der … im Westen, an dessen nördlichem Ende das streitgegenständliche Grundstück liegt, ein Mischgebiet festsetzt. Maßgeblich ist somit die Baunutzungsverordnung in der Fassung ihrer Bekanntmachung vom 26. November 1968 (BGBl. I S. 1238, ber. 1969 I S. 11 – BGBl. III 213-1-2). Nach § 30 Abs. 1 BauGB ist das Vorhaben demnach zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Vergnügungsstätten sind im Mischgebiet nach der Baunutzungsverordnung von 1968 nach der Art der baulichen Nutzung nicht grundsätzlich unzulässig. Eine Unzulässigkeit ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht schon daraus, dass der Zulässigkeitskatalog des § 6 BauNVO 1968 die Vergnügungsstätte nicht aufzählt, wenngleich der Begriff der Vergnügungsstätte der Baunutzungsverordnung von 1968 bereits bekannt war. Die Nennung dieser speziellen gewerblichen Nutzung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 und in § 4 a Abs. 3 Nr. 2 BauNVO 1968 bewirkt keine Ausschlusswirkung für andere Baugebiete, in deren Nutzungsartenkatalog sie nicht ausdrücklich aufgeführt ist. Der Nichtnennung der Vergnügungsstätte in § 6 BauNVO kann zwar entnommen werden, dass sie aufgrund ihres typischen Erscheinungsbildes in der Regel dem Charakter eines Mischgebiets nicht entspricht. Das schließt indes nicht aus, dass ein bestimmtes unter die spezielle gewerbliche Nutzungsart fallendes Vorhaben ein Gewerbebetrieb ist und als solcher im Mischgebiet zulässig sein kann, wenn es von dem in der Baunutzungsverordnung bei der Definition der Vergnügungsstätte vorausgesetzten Regelfall abweicht und es die Voraussetzungen erfüllt, unter denen sonstige Gewerbebetriebe im Mischgebiet zulässig sind. Voraussetzung ist, dass die Vergnügungsstätte nicht kerngebietstypisch – und damit kerngebietspflichtig – ist und mit ihr keine wesentliche Störung für die Wohnruhe verbunden ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 64.79 – juris, Rn. 8; U.v. 21.2.1986 – 4 C 31.83). Das streitgegenständliche Wettbüro ist im vorliegenden Fall als Vergnügungsstätte im Sinne der Baunutzungsverordnung zu qualifizieren. Vergnügungsstätten sind Gewerbebetriebe, die in unterschiedlicher Weise unter Ansprache des Geselligkeitsbedürfnisses, des Spiel- oder Sexualtriebs der kommerziellen Freizeitgestaltung und der Zerstreuung dienen (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, § 4 a, Rn. 22; VG Ansbach, U.v. 9.4.2014 – AN 9 K 13.01367 – juris). Für das klägerische Wettbüro ergibt sich dies schon aus der in den vorgelegten Bauplänen vorgesehenen Ausstattung u.a. mit einer Bar bzw. Theke für den Ausschank nicht alkoholischer Kaltgetränke sowie Kaffee. Der Klägervertreter bestätigte zudem in der mündlichen Verhandlung, dass es sich bei den drei nicht beschrifteten Einzeichnungen in den Bauplänen um Monitore zur Übertragung der Wettquoten handle. Das Leistungsangebot soll damit ersichtlich zum Verweilen einladen und der kommerziellen Unterhaltung der Gäste durch Teilnahme am Wettspiel in geselliger Runde dienen, stellt mithin eine Vergnügungsstätte dar.
Diese Vergnügungsstätte ist auch kerngebietstypisch. Als Voraussetzung für die Einstufung als kerngebietstypisch ist zu fordern, dass die Vergnügungsstätte als zentraler Dienstleistungsbetrieb einen größeren Einzugsbereich besitzt und für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar ist oder jedenfalls erreichbar sein soll (vgl. BVerwG, B.v. 19.11.1990 – 4 B 162.90 – juris). Abzustellen ist hierfür auf die Umstände des Einzelfalls, d.h. die tatsächliche örtliche Situation. Maßgeblich ist in erster Linie die Nutzfläche; wird eine Schwelle von 100 m² überschritten, bildet dies einen wesentlichen Anhaltspunkt dafür, dass die Vergnügungsstätte kerngebietstypisch ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1990 – 4 C 49.89; B.v. 29.10.1992 – 4 B 103.92 – juris). Diesen von der Rechtsprechung für Spielhallen entwickelten Schwellenwert auch auf Wettbüros bzw. Wettlokale anzuwenden erscheint sachgerecht, da auch bei ihnen durch eine größere Nutzfläche die Möglichkeit geschaffen wird, eine größere Anzahl etwa von Sitzgelegenheiten oder Wettterminals aufzustellen und so die Attraktivität und den potentiellen Einzugsbereich zu erhöhen (vgl. VG Ansbach, U.v. 9.4.2014 – AN 9 K 13.01367 – juris). Im vorliegenden Fall ist die Kammer davon überzeugt, dass das streitgegenständliche Wettbüro kerngebietstypisch ist. Wesentlicher Anhaltspunkt ist die mit beantragten 151,68 m² deutliche Überschreitung des Schwellenwerts von 100 m² um mehr als die Hälfte. Hinzu kommt seine genannte Ausstattung mit Monitoren, zahlreichen Sitzgelegenheiten und Getränkebar, so dass das Wettbüro gerade aufgrund der großen Nutzfläche sowohl eine hohe Aufenthaltsqualität als auch eine Quantität erreicht, die wiederum geeignet ist, nicht nur Gäste aus der unmittelbaren Nachbarschaft und dem umgebenden Stadtteil, sondern ein größeres und allgemeines Publikum anzuziehen.
Darauf, ob mit dem streitgegenständlichen Wettbüro wesentliche Störungen der Wohnruhe verbunden sein würden, kommt es vorliegend nicht mehr an. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, dass für das Anwesen in der Vergangenheit bereits eine Spielhalle genehmigt war, da diese jedenfalls nur 117,69 m² umfasste, auch ergibt sich aus den vom Klägervertreter genannten Vergnügungsstätten in der näheren Umgebung nichts anderes, da für die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … maßgebend sind, an dessen Gültigkeit kein Zweifel besteht.
Auch die Vereinbarkeit mit weiteren Vorschriften des Bauplanungs- und des Bauordnungsrechts kann daher dahinstehen.
Da dem Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zwingend zu prüfende Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegenstehen, steht der Klägerin auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Neuverbescheidung nicht zu.
Nach alledem war die Klage vollumfänglich abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.


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