Baurecht

Erfolglose Klage auf Erteilung eines Vorbescheides für ein Doppelhauses unter Teilung eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstückes

Aktenzeichen  9 ZB 18.1513

Datum:
2.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1726
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2
BauGB § 34

 

Leitsatz

1. Lagepläne und Luftbilder sind unbedenklich verwertbar, wenn sie Örtlichkeiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit tritt außer Kraft, wenn und soweit erstens die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und zweitens eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels besteht, d.h. die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen planerischer Festsetzung und tatsächlicher Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 16.1195 2018-05-16 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 25.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung eines Doppelhauses unter Teilung seines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks und unter Befreiung von den festgesetzten Baugrenzen des Bebauungsplans Nr. 3774 der Beklagten. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. Juni 2016 die Erteilung des Vorbescheids ab, weil das Bauvorhaben vollständig außerhalb der festgesetzten Baugrenzen liege und die Erteilung einer Befreiung die Grundzüge der Planung berühre. Das Verwaltungsgericht wies die Klage hiergegen mit Urteil vom 16. Mai 2018 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans jedenfalls im Bereich des klägerischen Grundstücks nicht funktionslos geworden seien. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und die vom Kläger geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
a) Das Verwaltungsgericht geht von unterschiedlichen Gebieten im Bereich westlich der V …straße und östlich der V …straße innerhalb des Bebauungsplans Nr. 3774 der Beklagten aus. Es begründet dies anhand einer detaillierten Beschreibung der Planungssituation und unterschiedlichen Festsetzungen zur Größe der Baufenster, der Ausrichtung der Baugrenzen und der Festsetzungen zur Zahl der Vollgeschoße. Soweit das Zulassungsvorbringen dagegen anführt, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien nicht nachvollziehbar, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen, zumal sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits mit einem Blick auf die Planurkunde des Bebauungsplans Nr. 3774 ohne weiteres erkennen lassen. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass es rechtlich unzulässig sein sollte, in einem Bebauungsplan Bereiche mit unterschiedlichen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung zu treffen.
b) Soweit das Zulassungsvorbringen anführt, das Verwaltungsgericht habe keinen Augenscheinstermin durchgeführt und den in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 16. Mai 2018 gestellten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt, leitet der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts her. In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.2019 – 9 ZB 17.1335 – juris Rn. 6 m.w.N.). Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2010 – 8 B 125.09 – juris Rn. 23 und B.v. 3.6.2014 – 2 B 105.12 – juris Rn. 26; BayVGH, B.v. 15.9.2020 – 9 ZB 18.913 – juris Rn. 5). Eine Verletzung von § 86 Abs. 1 VwGO und ein Verfahrensmangel liegen nur dann vor, wenn ein Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt worden ist oder sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2020 – 9 ZB 17.2306 – Rn. 22). Dies ist hier nicht der Fall.
Mit dem Zulassungsvorbringen wird nicht dargelegt, dass die Ablehnung des Beweisantrags im Prozessrecht keine Stütze mehr findet und deshalb gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstößt (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn. 13). Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass sich die vom Kläger angeführten Verstöße gegen die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche und der Bauraummehrungen aus dem vorgelegten Bauakten als auch aus den vorhandenen Luftbildern im Vergleich zum Planblatt des Bebauungsplans entnehmen lassen. Der Einwand des Klägers, es sei nicht klar, auf welche Pläne, Luftbilder und Bauakten sich das Verwaltungsgericht bezogen habe, ist angesichts dessen, dass das Verwaltungsgericht die Bauakten der vom Kläger angeführten Bezugsfälle beigezogen hat und sich aus den Niederschriften beider mündlicher Verhandlungen ergibt, dass das Verwaltungsgericht mit den Beteiligten Luftbilder und Lagepläne betrachtet hat, nicht nachvollziehbar.
Lagepläne und Luftbilder sind darüber hinaus unbedenklich verwertbar, wenn sie Örtlichkeiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2008 – 4 BN 26.08 – juris Rn. 3). Dem Vorbringen des Klägers lässt sich indes nicht entnehmen, inwiefern die dem Verwaltungsgericht zur Verfügung stehenden Planakten, Bauakten, Lagepläne und Luftbilder Defizite aufweisen, die sich nur durch eine Augenscheinsnahme ausgleichen ließen und weshalb die Aktenlage gerade in Bezug auf Baugrenzen, die vor Ort regelmäßig schwieriger festzustellen sein dürften als auf Lageplänen und Bauvorlagen, keine ausreichende Aussagekraft besitzen sollte, so dass diese bei einer Augenscheinsnahme besser zu erkennen wären als auf den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Unterlagen.
c) Das Verwaltungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass eine bauplanerische Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt, wenn und soweit erstens die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und zweitens eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels besteht, d.h. die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen planerischer Festsetzung und tatsächlicher Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – juris Rn. 35; BayVGH, U.v. 27.22020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 12 und B.v. 6.7.2020 – 15 ZB 20.96 – juris Rn. 16). Es hat sodann unter ausführlicher Würdigung der Gesamtsituation ausgeführt, dass die Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen, aber auch die sonstigen Festsetzungen des Bebauungsplans 3774 jedenfalls im hier als maßgeblich erachteten „rückwärtigen“ Bereich der L …straße nicht obsolet geworden sind. Das Verwaltungsgericht setzt sich hierbei intensiv mit den vom Kläger angeführten Bezugsfällen auseinander und bewertet insbesondere die vom Kläger angeführten Grundstücke FlNr. … und FlNr. … jeweils Gemarkung L … Die im Zulassungsvorbringen wiederholte, gegenteilige Auffassung des Klägers hierzu genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen. Soweit das Zulassungsvorbringen sich ausführlich mit den Grundstücken FlNr. …, – …, – … und – … Gemarkung L … und den Grundstücken FlNr. …, – …, – … und – … Gemarkung L … sowie den dazugehörigen Garagengrundstücken befasst, liegen diese – ebenso wie das sogar außerhalb des Bebauungsplangebiets liegende Grundstück FlNr. … Gemarkung L … – außerhalb des vom Verwaltungsgericht herangezogenen maßgeblichen Bereichs. Soweit das Zulassungsvorbringen nunmehr auch das Grundstück FlNr. … Gemarkung L … anführt, liegt auch dieses nicht im rückwärtigen Bereich zur L …straße und ist vielmehr mit dem vom Verwaltungsgericht behandelten Grundstück FlNr. … Gemarkung L … vergleichbar. Eine Funktionslosigkeit der Festsetzungen des Bebauungsplans im rückwärtigen Bereich der L …straße, in dem auch das Grundstück des Klägers liegt, ergibt sich hieraus ebenso nicht.
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Besondere Schwierigkeiten im Sinne offener Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht; die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 26). Die Rechtssache weist keine entscheidungserheblichen Fragen auf, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereiten, sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren herausheben (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 ZB 15.442 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen, die tatsächliche örtliche Ausprägung und die hieraus resultierenden rechtlichen Konsequenzen ließen sich angesichts der Komplexität nicht aus dem Akteninhalt allein erschließen, zeigt nicht auf, weshalb die unterschiedliche Aufteilung des Plangebiets bei unterschiedlichen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung rechtlich schwierig ist und sich nicht zweifelsfrei aus der Planzeichnung entnehmen lässt. Gleiches gilt für die Beurteilung der überbaubaren Grundstücksflächen im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht beigezogenen Bauakten einschließlich der zugehörigen Lagepläne und herangezogener Luftbilder, zumal gerade der tatsächliche Verlauf von Baugrenzen vor Ort eher schwieriger nachvollziehbar sein dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 i.V.m. Nr. 9.1.1.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden (vgl. auch BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 1 ZB 18.538 – juris Rn. 8).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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