Baurecht

Erfolglose Klage gegen Erschließungsbeitrag

Aktenzeichen  B 4 K 14.675

Datum:
23.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 123 Abs. 2, § 127 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 128 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 129 Abs. 1 S. 1, § 131 Abs. 1 S. 1, § 133 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
BayStrWG BayStrWG Art. 6 Abs. 1
BayVWVfG Art. 37 Abs. 1
KAG Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2
AO AO § 169 Abs. 1 S. 1, § 170 Abs. 1

 

Leitsatz

Hinsichtlich der Erforderlichkeit von Erschließungsanlagen (§ 129 Abs. 1 S. 1 BauGB) ist der Gemeinde ein Spielraum eingeräumt, der erst dann überschritten wird, wenn die im Einzelfall gewählte Lösung sachlich schlechthin unvertretbar ist. (redaktioneller Leitsatz)
Zu den Kosten für die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage (§ 128 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB) zählen auch Aufwendungen, die die Gemeinde zum Ausgleich eines durch die erstmalige Herstellung der Straße bewirkten Eingriffs in Natur und Landschaft nach Maßgabe naturschutzrechtlicher Bestimmungen zu erbringen hat, sofern die für Ausgleichsmaßnahmen entstandenen Kosten hinreichend bestimmt der betreffenden öffentlichen Straße zugerechnet werden können. (redaktioneller Leitsatz)
Eine in einem Wohngebiet ausreichende Zugänglichkeit des Grundstücks ist in der Regel auch dann gegeben, wenn zwischen der Fahrbahn und dem Grundstück noch ein zur öffentlichen Straße gehörender Grünstreifen liegt und dieser von der Fahrbahn aus betreten werden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Ist eine Straße dem öffentlichen Verkehr noch nicht gewidmet worden, kann die Beitragspflicht nicht mit der Herstellung der Straße, sondern erst mit der darauf folgenden Widmung entstehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die als Untätigkeitsklage gemäß § 75 Sätze 1 und 2 VwGO zulässige Klage ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht begründet, weil der Erschließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 10.12.2012 rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Gemäß § 127 Abs. 1 BauGB erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag nach Maßgabe der folgenden Vorschriften.
a. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind unter anderem gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen.
Bei der im Geltungsbereich des Bebauungsplanes „B“ gelegenen Straße „S“ handelt es sich um eine Anbaustraße, die mit der Bekanntmachung der Widmung vom 16.10.2008 im Amtsblatt des Landkreises Kulmbach vom 17.12.2008 die Eigenschaft einer öffentlichen Ortsstraße erhalten hat.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 BayStrWG erhält eine Straße die Eigenschaft einer öffentlichen Straße durch Widmung, die als Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) öffentlich bekannt gegeben werden darf (Art. 41 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG) und im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem sie bekanntgegeben wird (Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG). Nichtig und damit unwirksam kann eine Widmung sein, wenn sie nicht inhaltlich hinreichend bestimmt ist (Art. 37 Abs. 1, Art. 43 Abs. 3 BayVwVfG).
Die Widmung vom 16.10.2008, der zugrunde liegende Marktgemeinderatsbeschluss vom 29.09.2008 und der Bekanntmachungstext vom 12.12.2008 bezeichnen übereinstimmend als Anfangspunkt der Straße „S“ die Straße „H“ bei Fl.-Nr. www und als Endpunkt den Wendehammer an der Südgrenze zur Fl.-Nr. zzz. Die Flurnummer des gewidmeten Straßengrundstücks, Fl.-Nr. xxx, ist zwar nur im Marktgemeinderatsbeschluss und im Bekanntmachungstext, nicht hingegen in der Widmung genannt. Dafür enthält die Widmung, wie auch der Bekanntmachungstext, den Hinweis, dass die Anbindung an die bestehende Ortsstraße „B“ zwischen Fl.-Nrn. aaa und bbb in der gewidmeten Strecke enthalten ist. Da dieses Straßenstück zur Fl.-Nr. xxx gehört, ergibt sich aus der dem Bekanntmachungstext zugrunde liegenden Verfügung – auch ohne Bezeichnung der Flurnummer – zweifelsfrei, dass Gegenstand der Widmung das vollständige Straßengrundstück Fl.-Nr. xxx ist. Damit ist die Widmung inhaltlich hinreichend bestimmt.
b. Mit der Errichtung eines einseitigen Gehwegs hat der Beklagte die Grenzen des Erforderlichen nicht überschritten und damit auch nicht gegen das Gebot der kostengünstigen Herstellung verstoßen.
Gemäß § 123 Abs. 2 BauGB sollen die Erschließungsanlagen entsprechend den Erfordernissen der Bebauung und des Verkehrs kostengünstig hergestellt werden. Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB können zur Deckung des anderweitig nicht gedeckten Erschließungsaufwands Beiträge nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen und die gewerblich zu nutzenden Flächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Die durch das Merkmal der Erforderlichkeit markierte Grenze des einer Gemeinde eingeräumten Spielraums wird erst dann überschritten, wenn die im Einzelfall gewählte Lösung – sei es die Anlage einer bestimmten Erschließungsanlage überhaupt oder Umfang und Art ihres Ausbaus – sachlich schlechthin unvertretbar ist (BayVGH, Beschluss vom 19.05.2006 – 6 ZB 04.2559 Rn. 8).
Als sachlich schlechthin unvertretbar kann die Errichtung eines einseitigen Gehwegs bei einer befahrbaren Straße, die immerhin 16 Baugrundstücke erschließt, auch dann nicht angesehen werden, wenn es sich um eine Stichstraße mit entsprechend geringem Verkehrsaufkommen handelt. Auch hier erscheint es sachgerecht, den Fußgängern einen Bereich außerhalb des fließenden und ruhenden Verkehrs zuzuweisen. Dem Einwand der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung, weder die alten noch die in jüngerer Zeit gebauten Straßen im Ortsteil X verfügten über Gehwege, so dass nicht einzusehen sei, warum ein solcher gerade bei der wenig befahrenen Straße „S“ erforderlich sein solle, hat der Vertreter des Beklagten nachvollziehbar entgegengehalten, man habe aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, nachdem sich das Fehlen von Gehwegen durchaus als Mangel erwiesen habe.
c. Zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand gehören auch die Kosten für die Streuobstwiese auf dem Grundstück Fl.-Nr. aaa.
Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB umfasst der Erschließungsaufwand die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage. Hierzu zählen Aufwendungen, die die Gemeinde zum Ausgleich eines durch die erstmalige Herstellung der Straße bewirkten Eingriffs in Natur und Landschaft nach Maßgabe naturschutzrechtlicher Bestimmungen zu erbringen hat, sofern die für Ausgleichsmaßnahmen entstandenen Kosten hinreichend bestimmt der betreffenden öffentlichen Straße zugerechnet werden können (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 13 Rn. 57).
Im Grünordnungsplan zum Bebauungsplan für das Baugebiet „B“ ist die Streuobstwiese auf dem Grundstück Fl.-Nr. aaa als Ausgleichsmaßnahme A7 „Ergänzung Streuobstwiese Heckenpflanzung: Schlehen-/Haselnusshecken“ ausgewiesen. Aus der „Gegenüberstellung von Eingriff und Ausgleich bzw. Ersatz“ im Erläuterungstext zum Grünordnungsplan ergibt sich zweifelsfrei, dass diese Maßnahme ausschließlich dem Ausgleich der Versiegelung landwirtschaftlicher Flächen durch die Verkehrserschließung und nicht (auch) dem Ausgleich der Versiegelung landwirtschaftlicher Flächen durch die Haupt- und Nebengebäude und/oder durch die Gebäudeerschließung dient. Damit gehören die für die Ausgleichsmaßnahme A7 (Streuobstwiese) entstandenen Kosten zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand, weil sie der Herstellung der Straße „S“ als einziger Verkehrserschließung im Baugebiet „B“ eindeutig zugerechnet werden können.
d. Das Wohngrundstück des Klägers wird durch die Straße „S“ sowohl im Sinn von § 131 Abs. 1 Satz 1 als auch von § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen und ist damit erschließungsbeitragspflichtig.
Bei einer Zweiterschließung kommt es darauf an, ob das betroffene Grundstück – eine durch eine andere Anbaustraße vermittelte „Bebaubarkeit“ hinweggedacht – mit Blick auf die wegemäßige Erschließung allein der abzurechnenden Anbaustraße wegen nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar ist (BayVGH, Beschluss vom 24.06.2010 – 6 ZB 09.1964 Rn. 6). Für die Bebaubarkeit eines Wohngrundstücks reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs aus, dass auf der abzurechnenden Verkehrsanlage an das Grundstück mit Kraftwagen herangefahren werden kann. Herangefahren werden kann in diesem Sinn regelmäßig dann, wenn auf der Fahrbahn einer öffentlichen Straße bis zur Höhe dieses Grundstücks mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen gefahren und von da ab das Grundstück – gegebenenfalls über einen Gehweg und/oder Radweg – betreten werden kann. Eine – in einem Wohngebiet ausreichende – Zugänglichkeit des Grundstücks ist in der Regel auch dann gegeben, wenn zwischen der Fahrbahn und dem Grundstück noch ein zur öffentlichen Straße gehörender Streifen liegt und dieser von der Fahrbahn aus betreten werden kann. Das bloße Betreten bzw. Überqueren eines Grünstreifens ist auch ohne dessen Befestigung möglich (BayVGH, Beschluss vom 25.09.2014 – 6 ZB 14.888 Rn. 7).
So verhält es sich hier. Es besteht kein rechtliches Hindernis, den Gehweg und den Grünstreifen zu betreten und von dort aus auf das Grundstück des Klägers zu gelangen, weil das Straßengrundstück Fl.-Nr. xxx insgesamt zur allgemeinen öffentlichen Nutzung gewidmet ist. Damit sind sowohl der Gehweg als auch das Straßenbegleitgrün Bestandteil der öffentlichen Anbaustraße „S“, so dass das Grundstück des Klägers erschließungsbeitragsrechtlich unmittelbar an dieser anliegt. Ferner setzt der Bebauungsplan „B“ vor dem klägerischen Grundstück auf eine als Zugangsmöglichkeit bei weitem ausreichende Länge von ca. 15 m nicht fest, dass „vorhandene Bäume und Hecken zu erhalten sind“. Auf die Frage, ob die entsprechende Festsetzung auf den restlichen ca. 35 m ein rechtliches Zugangshindernis begründet, kommt es daher nicht an. Dass das Grundstück des Klägers auch tatsächlich über den ebenerdigen, im Bereich ohne Pflanzvorschrift zwischen 2 m und 0 m breiten Grünstreifen betreten werden kann, belegen zweifelsfrei die vom Beklagten vorgelegten Lichtbilder.
e. Bei Erlass des Beitragsbescheides vom 10.12.2012 war die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen.
Gemäß Art. 5a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) und cc), Abs. 2 KAG in Verbindung mit § 169 Abs. 1 Satz 1 und § 170 Abs. 1 AO ist eine Abgabefestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist, die einheitlich vier Jahre beträgt und mit Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem die Abgabe entstanden ist, abgelaufen ist.
Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Erschließungsbeitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen. Eine Erschließungsanlage ist im Sinn des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB endgültig hergestellt, sobald sie den Herstellungsmerkmalen einer gültigen Satzung entspricht und der entstandene Aufwand dem Grunde und der Höhe nach feststellbar ist, also regelmäßig mit dem Eingang der letzten, im Anschluss an die Bauarbeiten erstellten Unternehmerrechnung. Es wird demnach auf die Ermittlungsfähigkeit des beitragsfähigen Aufwands abgestellt, die besteht, wenn die letzte Unternehmerrechnung bei der Gemeinde eingegangen ist. Dabei kommt es für das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten einzig auf die Tatsache des Eingangs der letzten (prüffähigen) Unternehmerrechnung an. Die sachliche Richtigkeit dieser Rechnung ist in diesem Zusammenhang ohne Belang (BayVGH, Beschluss vom 28.08. 2014 – 6 ZB 14.481 Rn. 7). Unbeachtlich für den Beginn der Festsetzungsfrist ist danach die Feststellung des Marktgemeinderates des Beklagten in seiner öffentlichen Sitzung am 29.09.2008, dass die Erschließungsanlage „S“ die Merkmale einer endgültig hergestellten Erschließungsanlage erfülle und damit als endgültig hergestellt gelte.
Dennoch kann dahinstehen, ob die letzte Unternehmerrechnung für die Straße „S“ tatsächlich noch im Jahr 2007 beim Beklagten eingegangen ist, weil die sachlichen Erschließungsbeitragspflichten unabhängig davon erst im Jahr 2008 mit der Widmung der Straße entstanden sind.
Da, wie unter a. bereits dargelegt, unter den Begriff „Erschließungsanlagen“, für die die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands einen Erschließungsbeitrag erheben dürfen, nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB die ö f f e n t l i c h e n zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze fallen, kann die Herstellung der Straße, die nach § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB die Beitragspflicht entstehen lässt, rechtsbegründendes Merkmal nur dann sein, wenn bereits eine öffentliche, d. h. eine gewidmete Straße vorhanden ist. Ist die Straße dem öffentlichen Verkehr noch nicht gewidmet worden, kann die Beitragspflicht nicht mit der Herstellung der Straße, sondern erst mit der darauf folgenden Widmung entstehen, weil erst dann eine Erschließungsanlage im Sinne von § 127 BauGB vorliegt, die Grundlage einer Beitragspflicht sein kann (BayVGH, Urteil vom 24.01.2003 – 6 B 99.793 Rn. 29). Danach begann die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres 2008, in dem die Straße „S“ gewidmet wurde, so dass die Festsetzung des Erschließungsbeitrags mit Bescheid vom 10.12.2012 gerade noch rechtzeitig erfolgt ist.
2. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.


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