Baurecht

Erfolglose Normenkontrolle: Bebauungsplan genügt den städtebaulichen Voraussetzungen

Aktenzeichen  15 N 19.107

Datum:
17.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1227
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 6, § 35, § 215
BNatSchG § 26, § 28

 

Leitsatz

1. Eine „unzulässige Negativplanung“ liegt erst dann vor, wenn sie nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entspricht, sondern nur vorgeschoben ist, um eine andere Nutzung zu verhindern (vgl. z.B. VGH München BeckRS 2018, 17155). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird (nur dann) verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Außenbereich führt jede neu hinzukommende (nicht privilegierte) Wohnnutzung grundsätzlich zumindest zur Verfestigung einer bereits vorhandenen Splittersiedlung und ist damit schon kraft Gesetzes grundsätzlich planungsrechtlich unzulässig. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Normenkontrollantrag ist unbegründet.
1. Die vom Antragsteller vorgetragenen Einwände gegen die Wirksamkeit des Bebauungsplans greifen nicht durch. Dem Bebauungsplan fehlt weder die städtebauliche Erforderlichkeit (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) noch liegt ein Abwägungsfehler (§ 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3 BauGB) vor.
a) Voraussetzung für die Erforderlichkeit des Bebauungsplans (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB) ist, dass der Planung ein realisierbares städtebauliches Konzept zugrunde liegt und der Bebauungsplan der Verwirklichung dieses Konzepts dient (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 1 N 15.938 – BayVBl 2019, 307 = juris Rn. 20 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Antragsgegnerin verfolgt mit ihrem Ziel, den S* … in seiner Gesamtkomposition zu erhalten, insbesondere die landschaftlich wertvollen Wälder, Gehölzbestände und Grünflächen nachhaltig zu sichern und zu erhalten und damit das historisch und naturschutzfachlich wertvolle Ensemble des S* …s (einschließlich denkmalgeschützter Kirche, denkmalgeschütztem Kloster, schon seit längerem als Naturdenkmal geschützten Flächen sowie weiteren umfangreichen Flächen, die als Landschaftsschutzgebiet vorgesehen sind) in seinem Bestand umfänglich zu schützen, ein legitimes städtebauliches Anliegen (vgl. z.B. auch § 1 Abs. 6 Nrn. 5 und 7 BauGB). Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die Erforderlichkeit des Bebauungsplans nicht deshalb zweifelhaft, weil die Antragsgegnerin lediglich den „status quo“ festschreiben und eine weitere bauliche Entwicklung auf dem S* … verhindern will. Denn eine „unzulässige Negativplanung“ liegt erst dann vor, wenn sie nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entspricht, sondern nur vorgeschoben ist, um eine andere Nutzung zu verhindern (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 1 N 15.938 – BayVBl 2019, 307 = juris Rn. 23 m.w.N.). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Antragsgegnerin darf städtebauliche Ziele verfolgen, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen und somit auch eine Planung betreiben, deren Hauptzweck in der Verhinderung bestimmter – in der jeweiligen städtebaulichen Situation unerwünschter – baulicher Nutzungen besteht. Es ist nach alledem nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin im Planbereich keine neue Nutzung zulassen und den im planungsrechtlichen Außenbereich (§ 35 BauGB) als „Fehlentwicklung“ erkannten baulichen (Wohn-)Nutzungen grundsätzlich entgegenwirken will.
Gegen die Erforderlichkeit des Bebauungsplanes spricht schließlich auch nicht, dass weite Bereiche des Plangebiets entweder bereits als flächiges Naturdenkmal geschützt oder jedenfalls als (künftiges) Landschaftsschutzgebiet vorgesehen sind. Denn die Antragsgegnerin hat – anders als beim Vollzug eines Bebauungsplans – keinen rechtlichen Einfluss auf den Vollzug naturschutzrechtlicher Bestimmungen. Sie ist deshalb auch im Fall einer naturschutzrechtlichen Unterschutzstellung von Flächen ihres Plangebiets nicht gehindert, ihre eigenen städtebaulichen Ziele mittels eines Bebauungsplans zu verfolgen (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 1 N 15.938 – BayVBl 2019, 307 = juris Rn. 25 m.w.N.).
b) Entgegen der Ansicht des Antragstellers liegt ebenso kein von ihm geltend gemachter Abwägungsfehler vor. Das Abwägungsgebot verpflichtet die Gemeinde, die für die Planung bedeutsamen öffentlichen und privaten Belange (Abwägungsmaterial) zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) sowie sie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen (§ 1 Abs. 7 BauGB). Die Abwägung selbst unterliegt allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird (nur dann) verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Einen derartigen Abwägungsfehler vermag der Senat vorliegend nicht zu erkennen.
Die auf dem Grundstück des Antragstellers ehemals einem (im Außenbereich privilegierten) landwirtschaftlichen Betrieb dienende Hofstelle (bestehend aus einem Hauptgebäude und zwei Nebengebäuden) kann nach dauerhafter (im Jahr 2000 erfolgter) Aufgabe der Landwirtschaft zwar noch Bestandsschutz genießen. Die Errichtung eines neuen Wohngebäudes oder die anderweitige Nutzung der beiden – gegenwärtig Lagerzwecken dienenden – Nebengebäude ist als sonstiges Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) vorliegend jedoch wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Belange (§ 35 Abs. 3 BauGB) schon kraft Gesetzes ausgeschlossen. Weitere Wohnungen kommen ebenso für das Hauptgebäude, für das bereits vier Wohnungen baurechtlich genehmigt sind, auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen „Teilprivilegierung“ (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB) nicht in Betracht, weil danach neben den bisher für die Landwirtschaft privilegierten zulässigen Wohnungen höchstens drei Wohnungen je Hofstelle zulässig sind (§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f BauGB). Mit der nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB für das Hauptgebäude erfolgten Festsetzung der höchstzulässigen Zahl der Wohnungen auf vier Wohneinheiten setzt der Bebauungsplan somit lediglich das fest, was bereits das Gesetz für das Grundstück des Antragstellers und die ehemalige Hofstelle des früheren landwirtschaftlichen Betriebs als „maximal zulässig“ vorsieht. Eine (weitergehende) rechtliche Beeinträchtigung der Interessen des Antragstellers und seines Eigentumsrechts (Art. 14 GG) liegt in den Festsetzungen des Bebauungsplans somit nicht. Damit ist auch die Annahme des Antragstellers unbegründet, seine Eigentümerbelange seien nicht mit dem erforderlichen Gewicht in die Abwägung eingestellt worden. Die weitere Annahme des Antragstellers, die zusätzliche Nutzung von drei (bereits errichteten) Dachgeschosswohnungen habe keine (selbstständige) „Verfestigung oder Erweiterung der vorhandenen Siedlungsstruktur“ zur Folge, sie führe nicht zu einem weiteren „Flächenverbrauch“ oder einer „Flächenversiegelung“ und beeinträchtige damit die städtebaulichen Ziele der Antragsgegnerin nicht, ist ebenfalls schon deshalb nicht stichhaltig, weil bereits das Gesetz, das den Außenbereich (§ 35 BauGB) von Bebauung grundsätzlich freihalten will, in dem Ausnahmefall einer gleichwohl dort zulässigen Wohnnutzung dafür Sorge trägt, die Anzahl neu entstehender Wohnungen zu begrenzen (vgl. z.B. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. f und Nr. 5 BauGB). Es kann danach keine Rede davon sein, es sei städtebaulich unerheblich, ob sich auf einem Grundstück im planungsrechtlichen Außenbereich (§ 35 BauGB) vier oder sieben Wohnungen befinden. Tatsächlich führt im Außenbereich jede neu hinzukommende (nicht privilegierte) Wohnnutzung grundsätzlich zumindest zur Verfestigung einer bereits vorhandenen Splittersiedlung und ist damit schon kraft Gesetzes grundsätzlich planungsrechtlich unzulässig.
Aus diesem Grund durfte die Antragsgegnerin bei ihrer Abwägung auch dem vom Antragsteller genannten Belang des § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB (Wohnbedürfnisse der Bevölkerung) kein erhebliches Gewicht beimessen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
3. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

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