Baurecht

Erfolglose Zulassung der Berufung bei Nachbarklage gegen Baugenehmigung

Aktenzeichen  15 ZB 20.3151

Datum:
4.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4199
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 6, § 15 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6
BayVwVfG Art. 37

 

Leitsatz

1. Können aus dem Abstandsflächenplan in Zusammenschau mit den Ansichten, Schnitten, dem Plan für das Dachgeschoss und dem Erdgeschossplan mit den angegebenen Höhenkoten die genehmigten Wandhöhen und die entsprechenden Tiefen der Abstandsflächen entnommen werden, ist die Baugenehmigung hinsichtlich der Abstandsflächen nicht unbestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, auch wenn die Bauvorlagen hinsichtlich der Firsthöhe widersprüchlich sind (hier: 10,265 m oder 10,275 m), die Vermaßung der Ansichtspläne nicht vollständig ist (hier: da die Wandhöhe des Terrassengeschosses dabei nicht angegeben ist) und bei den Schnitten nicht kenntlich gemacht ist, wo diese liegen sollen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Mehrfamilienhaus als Wohngebäude ist hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in einem (faktischen) Mischgebiet bauplanungsrechtlich zulässig (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO); insofern  liegt keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruch aus § 34 Abs. 2 BauGB bei faktischen Baugebieten im Sinne der Baunutzungsverordnung vor. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 19.427 2020-10-15 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern (insgesamt 17 Wohneinheiten) mit einer Tiefgarage und Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung G … (Baugrundstück). Auf dem Baugrundstück befand sich seit dem Jahr 1980 ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude (Stall) mit einer Grundfläche von ca. 40 m x 17 m, das im Jahr 1996 zu Wohnraum (2 Wohneinheiten) umgewandelt worden war.
Die Klägerin ist Eigentümerin des südwestlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. … Gemarkung G …, das im südlichen Bereich mit einem Einfamilienhaus bebaut ist.
Gemäß dem Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts Augsburg (im Folgenden: Landratsamt) vom 20. Februar 2019 dürfen auf dem Baugrundstück zwei Baukörper mit einer Wandlänge von 16 m x 19 m sowie 16 m x 25 m, mit jeweils mit zwei Geschossen zuzüglich eines Terrassengeschosses errichtet werden. Die Wandhöhe der beiden unteren Geschosse beträgt nach dem „Schnitt BB“, der „Ansicht Süden“ und dem „Abstandsflächenplan“ bei beiden Gebäuden durchgehend 6,090 m. Das darauf aufgesetzte Terrassengeländer ist nach den Plänen 0,625 m hoch. Die Wandhöhe des zum Grundstück der Klägerin um 3 m zurückversetzten Terrassengeschosses beträgt nach dem „Schnitt BB“, der „Ansicht Süden“ und dem „Abstandsflächenplan“ 8,530 m. Die Firsthöhe beträgt nach dem „Schnitt BB“ 10,275 m, nach der „Ansicht Westen“ und der „Ansicht Süden“ 10,265 m. Terrassen im Erdgeschoss und Balkone im 1. Obergeschoss sind nach Süden zum klägerischen Grundstück hin angeordnet. Der Abstand zwischen den beiden Gebäuden auf dem Baugrundstück soll 6,30 m betragen, wofür eine Abweichung erteilt worden ist. Die Höhe des natürlichen Geländes im Bereich der südlichen Außenwände der beiden Gebäude wird im Plan „Erdgeschoss“ mit ca. 530,35 üNN angegeben. An der Grundstücksgrenze zur Klägerin wird das Gelände mit ca. 530,45 üNN im Westen bis ca. 530,30 üNN im Osten angegeben. Geplant ist, das Gelände im Bereich der südlichen Außenwand auf ca. 530,25 üNN abzugraben. Zum Grundstück der Klägerin ist dabei nach dem Plan „Abstandsflächen“ von der südlichen Außenwand der Gebäude mindestens ein Abstand von 6,675 m eingehalten. Bei der Berechnung der Abstandsflächen wird von dem bestehenden Geländeniveau bei 530,35 üNN ausgegangen.
Die Klägerin hat schon im Baugenehmigungsverfahren umfangreiche Einwendungen gegen das Vorhaben erhoben. Ihre Klage gegen den Bescheid vom 20. Februar 2019 hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 15. Oktober 2020 abgewiesen, da durch die Baugenehmigung keine Nachbarrechte verletzt seien. Zu ihrer Grundstücksgrenze seien die erforderlichen Abstandsflächen von 1 H eingehalten. Es gäbe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Höhenkoten unzutreffend sein könnten. Ob die Abstandsflächen zwischen den beiden Gebäuden eingehalten seien und die Abweichung rechtmäßig erteilt worden sei, berühre die Rechtsstellung der Klägerin nicht. Auch brandschutzrechtliche Vorschriften, denen nachbarschützende Wirkung in Bezug auf das Grundstück der Klägerin zukomme, seien nicht verletzt. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, sondern füge sich im Hinblick auf die Art der Nutzung in die Umgebung ein. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei nicht ersichtlich. Von der Tiefgaragenzufahrt gehe keine erhebliche Störung und Beeinträchtigung aus.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da die Abstandsflächen nicht eingehalten seien. Es müsse die Geländeoberfläche unterhalb der Bodenplatte des ehemaligen Stalls als Ursprungsgelände angesehen werden, da anhand der bereits vorgelegten Lichtbilder ersichtlich sei, dass das Gelände im Zuge der Errichtung des Stalls im Jahr 1980 erheblich aufgeschüttet worden sei. Zudem sei die Baugenehmigung nicht hinreichend bestimmt, da sich daraus nicht ergebe, wie die erforderlichen Abstandsflächen ermittelt worden seien. Daneben liege ein Verstoß gegen die Anforderungen der Bauvorlagenverordnung vor. Den Plänen lasse sich entnehmen, dass 5 bis 10 cm der Geländeoberfläche abgetragen werden sollten. Unklar bleibe indessen, weshalb bei der Berechnung der Abstandsflächen diese 10 cm nochmals in Abzug gebracht würden. Werde eine neue Geländeoberfläche geschaffen, müsse die Berechnung der erforderlichen Abstandsflächen von dieser Geländeoberfläche ausgehen. Zudem sei die Wandhöhe des Terrassengeschosses nicht vermaßt und damit könne die diesbezügliche Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften nicht überprüft werden. Auch die in den Eingabeplänen enthaltenen Schnitte seien nicht korrekt vermaßt. Die Bauvorlagen seien daher zu unbestimmt, um die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften zu überprüfen. Zudem sei der Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsprägungsanspruch verletzt. Das Vorhaben widerspreche dem vorliegenden faktischen Mischgebiet. Die maßgebliche Umgebung des Baugrundstücks sei in erster Linie durch Ein- und Zweifamilienhäuser geprägt. Ein Mehrfamilienwohnhaus mit 17 Wohneinheiten und Tiefgarage sei in der näheren Umgebung nicht vorhanden. Durch das Vorhaben verschiebe sich die Prägung der näheren Umgebung hin zu reinen Wohnzwecken. Die Baukörper fügten sich in die kleinteilige Bebauung mit Einfamilienhäusern nicht ein, sondern erschienen als gebietsfremde Fremdkörper. Letztlich würden in den 17 Wohneinheiten mehr Menschen wohnen als in den umgebenden Straßenzügen zusammen. Das Vorhaben hebe sich auch hinsichtlich der Maße von der Umgebungsbebauung ab. Zudem werde die Prägung des vorliegend gebietstypischen Wohnens in ausschließlich vorhandenen Einfamilienhäusern verletzt. Bei den Mehrfamilienhäusern handele es sich um eine andere Wohnform, die sich negativ von der gegenständlichen Familienheimstruktur abhebe. Mit dem Vorhaben würde eine massive Intensivierung der Wohnnutzung einhergehen, die der Struktur eines ländlichen Mischgebiets deutlich zuwiderlaufen würde. Auch die Zunahme des Verkehrs sei unzumutbar. Das Vorhaben verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da es nach einer Einzelfallbetrachtung eine erdrückende Wirkung habe. Zwar befinde sich das Wohnhaus der Klägerin im südlichen Bereich ihres Grundstücks, es sei aber durchaus möglich, im nördlichen Teil ihres Grundstücks ein zweites Einfamilienhaus zu errichten. Gegenüber diesem hätte das Vorhaben der Beigeladenen dann eine einmauernde Wirkung.
Der Beklagte verteidigt das Urteil und weist darauf hin, dass die Abstandsflächenvorschriften zum 1. Februar 2021 geändert worden seien. Die daraus resultierende Abstandsflächentiefe von 0,4 H statt bisher 1 H sei unzweifelhaft eingehalten. Diese Änderung zu Gunsten der Bauherren sei auch zu berücksichtigen. Auch im Übrigen bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls, den Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen. Sie machen geltend, im Jahr 1980 seien keine erheblichen Aufschüttungen erfolgt. In den neuen Gebäuden würden auch nicht mehr Menschen wohnen als bisher im Geviert. Die Darstellung der Klägerin zur Gebietsstruktur sei unzutreffend. Das Geviert sei von ehemaligen, mittlerweile aufgegebenen Hofstellen geprägt. Zudem befänden sich dort auch klassische Mehrfamilienhäuser. Die Gebäude würden die Höhenentwicklung der Umgebungsbebauung nicht bei Weitem übertreffen. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da die Abstandsflächen nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Rechtslage und der neuen Rechtslage eingehalten seien. Die Baugenehmigung sei auch nicht unbestimmt, da die Abstandsflächen aus dem Abstandsflächenplan ersehen werden könnten. Der Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin sei nicht verletzt, da es dabei auf die Ausmaße des Bauvorhabens nicht ankommen könne. Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen der Verkehrszunahme sei nicht ersichtlich. Das Bauvorhaben weise die geforderte Zahl an Stellplätzen auf dem Baugrundstück nach und die Tiefgaragenzufahrt befinde sich auf der von der Klägerin abgewandten nördlichen Seite des Baugrundstücks. Auch eine einmauernde Wirkung sei nicht gegeben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Antragsbegründung, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 54), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Solche Zweifel liegen (nur) vor, wenn der Rechtsmittelführer einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453.12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16; B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587.17 – DVBl 2019, 1400 Rn. 32 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Klägerin konnte die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Baugenehmigung sie nicht in ihren Rechten verletzt, nicht substantiiert in Zweifel ziehen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf das ausführliche und zutreffende erstinstanzliche Urteil verwiesen. Darüber hinaus ist noch Folgendes zu ergänzen:
a) Hinsichtlich der Frage, ob die erforderliche Tiefe der Abstandsflächen nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Rechtslage eingehalten sind, erscheint der Vortrag der Klägerin widersprüchlich. Zum einen geht sie davon aus, das Ursprungsgelände aus dem Jahr 1980 müsse zur Bemessung der Wandhöhe herangezogen werden, dann aber führt sie aus, es müsse bei einer Abgrabung die neu geschaffene Geländeoberfläche berücksichtigt werden. Demgegenüber ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass grundsätzlich auf das vorhandene Geländeniveau abzustellen ist und Veränderungen nach mehr als 30 Jahren alleine durch den Zeitablauf als rechtmäßig und damit als unbeachtlich angesehen werden können. Damit setzt sich die Antragsbegründung aber nicht hinreichend auseinander, sondern macht nur geltend, vor Errichtung des Stalls im Jahr 1980 sei das Geländeniveau auf dem Baugrundstück niedriger gewesen.
b) Die Baugenehmigung ist hinsichtlich der Abstandsflächen auch nicht unbestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Zwar trifft es zu, dass die Bauvorlagen hinsichtlich der Firsthöhe widersprüchlich sind (10,265 m oder 10,275 m), die Vermaßung der Ansichtspläne nicht vollständig ist, da die Wandhöhe des Terrassengeschosses dabei nicht angegeben ist und bei den Schnitten nicht kenntlich gemacht ist, wo diese liegen sollen. Gleichwohl können aber aus dem Abstandsflächenplan in Zusammenschau mit den Ansichten, Schnitten, dem Plan für das Dachgeschoss und dem Erdgeschossplan mit den angegebenen Höhenkoten die genehmigten Wandhöhen und die entsprechenden Tiefen der Abstandsflächen entnommen werden.
c) Im Übrigen kommt es auf sämtliche Fragen bezüglich der Einhaltung der Abstandsflächen nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Rechtslage nicht an. Zwar beurteilt sich die Frage, ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, grundsätzlich nach der Rechts- und Sachlage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind aber zu berücksichtigen (sog. Meistbegünstigungsprinzip, stRspr, BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 87 = juris Leitsatz 2, Rn. 3). Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 der Bayerischen Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007 (BayBO, GVBl 2007, 588), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2020 (GVBl 2020, 663) beträgt die erforderliche Tiefe der Abstandsflächen nur noch 0,4 H. Dass die Gemeinde G … eine abweichende Regelung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO i.V.m. Art. 81 BayBO erlassen hat, ist nicht ersichtlich. Dass hier auch unter Berücksichtigung der Höhe des Dachs nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO die Abstandsflächen von 0,4 H gegenüber dem klägerischen Grundstück eingehalten sind, ist unabhängig davon, von welchem Geländeniveau man ausgeht, offensichtlich.
d) Die Klägerin ist auch nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch aus § 34 Abs. 2 BauGB verletzt. Aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass in diesem Umfang auch ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 5; B.v. 21.8.2018 – 15 ZB 17.2351 – juris Rn. 5; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mehrfamilienhaus als Wohngebäude hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung in einem (faktischen) Mischgebiet bauplanungsrechtlich zulässig ist (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO).
e) Ob neben dem Gebietserhaltungsanspruch aus § 34 Abs. 2 BauGB zusätzlich noch ein sog. „Gebietsprägungsanspruch“ aus § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO abzuleiten ist (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.) kann dahinstehen. In jedem Fall müsste dafür ein von der Klägerin behauptetes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 a.a.O. Rn. 10 m.w.N.). Mit den (strengen) Voraussetzungen unter denen ein solcher Ausnahmefall angenommen werden könnte, hat sich die Klägerin nicht hinreichend auseinandergesetzt. Insbesondere hat sie die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass durch die Zahl der Wohnungen, die für das Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung grundsätzlich nicht maßgeblich ist (BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77; BayVGH, B.v. 2.11.2020 – 1 CS 20.1955), in einem Mischgebiet ein solches Umschlagen durch die Errichtung zweier Mehrfamilienhäuser nicht vorliegt, nicht erschüttern können. Zwar trifft es zu, dass nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB in Bebauungsplänen die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden festgesetzt werden kann und damit der Charakter eines Wohngebiets durch die Anzahl der Wohnungen in den Häusern (mit-)bestimmt sein kann (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – BVerwGE 89, 69 = juris Rn. 47). Gleichwohl kennen das Baugesetzbuch und die Baunutzungsverordnung keine Unterscheidung zwischen Wohnen in Einfamilienhäusern und Wohnen in Mehrfamilienhäusern und die maßgebliche Umgebung des Bauvorhabens ist nach den Lageplänen nicht durch eine homogene Bebauung mit kleinen Einfamilienhäusern geprägt, sondern auf dem Baugrundstück selbst befand sich ein sehr großes ehemals landwirtschaftlich genutztes Gebäude, in dem sich schon zwei Wohnungen befunden haben. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ein Wohnen in Mehrfamilienhäusern gegenüber einem Wohnen in Einfamilienhäusern negativ zu beurteilen sein könnte. Aus der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg (B.v. 5.6.2009 – 2 Bs 26/09 – BauR 2009, 1556) ergibt sich nichts Anderes. Dort war in einem Bebauungsplan in einem Gebiet mit Einzel- und Doppelhausbebauung eine „Zwei-Wohnungsklausel“ festgesetzt und Mehrfamilienhäuser nach der Plankonzeption deshalb unzulässig. Dass damit das Wohnen in Mehrfamilienhäusern als negativ gegenüber dem Wohnen in Einfamilienhäusern qualifiziert worden sein sollte, lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen. Auch die übrigen Annahmen der Klägerin, es würden in dem streitgegenständlichen Bauvorhaben dann mehr Menschen wohnen als bisher in den umgebenden Straßenzügen zusammen und der dadurch hervorgerufene Verkehr widerspreche der sehr kleinteiligen Quartiersstruktur, können nicht überzeugen. Zum einen hat die Zahl der Bewohner einzelner Wohngebäude keine bauplanungsrechtliche Relevanz. Sie hängt maßgeblich von den jeweiligen Familienverhältnissen der Bewohner ab und wandelt sich beständig. In einem Einfamilienhaus kann z.B. entweder eine alleinstehende Person oder eine Familie mit zahlreichen Kindern wohnen. Darüber hinaus sind nach § 12 Abs. 1 BauNVO Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig und es ist nicht ersichtlich, dass Erschließungsstrukturen, die ursprünglich den landwirtschaftlichen Hofstellen dienten, für eine Wohnnutzung problematisch sein könnten.
e) Die Klägerin konnte auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass auch im Übrigen kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 15 BauNVO vorliegt, nicht erschüttern. Das genehmigte Vorhaben hält die Abstandsflächen des Art. 6 BayBO n.F. unproblematisch ein. Dass gleichwohl eine erdrückende oder einmauernde Wirkung auf ihr vorhandenes Gebäude bestehen könnte, hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
2. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO). Abweichend vom Regelfall, in dem der Beigeladene im Berufungszulassungsverfahren seine außergerichtlichen Kosten mangels Übernahme eines Kostenrisikos selbst trägt, entspricht es hier angesichts der ausführlichen Stellungnahme des Prozessvertreters der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 19. Februar 2021 ausnahmsweise der Billigkeit, diese Kosten dem unterliegenden Teil aufzuerlegen.
3. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag, gegen den die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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