Baurecht

Erfolgloser Antrag auf Tatbestandsberichtigung

Aktenzeichen  24 U 4497/19

Datum:
12.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40861
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 320 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine Tatbestandsauslassung iSv § 320 Abs. 1 ZPO liegt vor, wenn das Gericht gegen § 313 Abs. 2 ZPO verstoßen hat und entweder die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel oder die Anträge bzw. die Hilfsanträge nicht einmal knapp dargestellt hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine Abänderung unrichtiger tatbestandlicher Feststellungen in den Entscheidungsgründen bietet § 320 ZPO keine Rechtsgrundlage. Eine Überprüfung der Entscheidungsgründe kann lediglich in einem Rechtsmittelverfahren erfolgen. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

24 U 4497/19 2020-10-15 Endurteil OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Der Tatbestand des Endurteils des Oberlandesgerichts München – 24. Zivilsenat – vom 15.10.2020 wird in Abschnitt I., 2. Absatz, 2. Satz (S. 2) wie folgt berichtigt:
„Die Beklagte ist seit 2018 Eigentümerin des Grundstücks … (Flurnummer …, vgl. Auszug aus dem Liegenschaftskataster, Anlage K01), das mit seiner westlichen, lediglich mit einem Holzunterstand bebauten, Hälfte nördlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt.“
2. Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin auf Tatbestandsberichtigung zurückgewiesen.

Gründe

Der Tatbestand ist insoweit unrichtig, als sich auf der im Übrigen unbebauten westlichen Hälfte des Grundstücks der Beklagten unstreitig ein Holzunterstand befindet. Insoweit ist der Tatbestand auf Antrag der Klägerin gemäß § 320 Abs. 1 ZPO zu berichtigen.
Der innerhalb der Frist nach § 320 Abs. 2 ZPO gestellte Antrag auf Tatbestandsberichtigung ist im Übrigen unbegründet, da der Tatbestand des Urteils keine Unrichtigkeiten, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche i. S. v. § 320 Abs. 1 ZPO enthält. Einer mündlichen Verhandlung bedarf es nach der Aufhebung des früheren § 320 Abs. 3 ZPO durch das Gesetz zur Regelung der Wertgrenzen für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2633), das zum 01.01.2020 in Kraft getreten ist, nicht; ein weiterer Erkenntnisgewinn wäre durch eine solche nicht zu erwarten (vgl. Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020 Rn. 8, ZPO § 320 Rn. 8).
Zu den Berichtigungsanträgen:
„Vorbemerkungen“, Antrag auf Änderung von Abschnitt II. 1 (S. 5) des Urteils vom 15.10.2020:
Der Antrag ist bereits unzulässig, da er Abschnitt II. des Berufungsurteils, also die Entscheidungsgründe, betrifft. Zwar gilt der funktionelle Tatbestandsbegriff, da unter § 320 auch Tatbestandsfeststellungen zu subsumieren sind, die sich in den Entscheidungsgründen finden (Musielak/Voit/Musielak, 17. Aufl. 2020, ZPO § 320 Rn. 3). Die entsprechenden Tatbestandsfeststellungen befinden sich aber bereits in Abschnitt I. auf S. 3 des Berufungsurteils, wo die Anträge der Parteien aus 1. Instanz wörtlich wiedergegeben sind.
In der Sache treffen die Ausführungen auf S. 5 des Berufungsurteils zu. Zwar wurden die Klageanträge, die den Berufungsanträgen 2. und 3. entsprechen, im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 08.07.2019 auf S. 4 (= Bl. 94 d. A.) angekündigt. Dieser Schriftsatz wurde jedoch vom Landgericht zu Recht nicht berücksichtigt, da er nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vom 24.06.2019 eingegangen war, in der lediglich der Beklagten eine Schriftsatzfrist bis 08.07.2019 gewährt worden war, nicht aber der Klägerin (vgl. Prot. S. 3 = Bl. 84 d. A.). Die Anträge sind auch im Tatbestand des Urteils des Landgerichts vom 29.07.2019 nicht wiedergegeben, so dass gemäß § 314 ZPO bindend feststeht, dass sie nicht gestellt waren.
Damit trifft zu, dass beide Anträge erstmals wirksam in der Berufungsbegründung vom 07.10.2019 gestellt wurden.
I. Antrag auf Berichtigung unvollständiger bzw. unzutreffender Feststellungen im Tatbestand:
Eine Tatbestandsauslassung i. S. v. § 320 Abs. 1 ZPO liegt vor, wenn das Gericht gegen § 313 Abs. 2 ZPO verstoßen hat und entweder die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel oder die Anträge bzw. die Hilfsanträge nicht einmal knapp dargestellt hat (BeckOK ZPO/Elzer, 39. Ed. 1.12.2020 Rn. 22, ZPO § 320 Rn. 22). Gemäß § 313 Abs. 2 ZPO sollen im Tatbestand eines zivilrechtlichen Urteils die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden.
Der Antrag der Klägerin zeigt keine Auslassung in diesem Sinne auf. Die Lage des klägerischen Grundstücks zum Grundstück der Beklagten wird im Tatbestand (zutreffend, vgl. unten zu I. 9.) wiedergegeben. Im Übrigen wird abschließend auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen; damit erfasst die Bezugnahme auch die vorgelegten Anlagen, so den Auszug aus dem Liegenschaftskataster (Anlage K01), aus dem die Lage der Grundstücke zu entnehmen ist.
Zu I. 1.: Rechtliche Wertungen der Klägerin wie ihre Rechtsansicht, dass die Bebauung östlich des …wegs nicht zu berücksichtigen sei, da für die gegenüberliegende Straßenseite Bebauungspläne bestünden (vgl. Antrag I. 1. auf S. 4), können nicht in den unstreitigen Tatbestand aufgenommen werden.
Zu I. 3.: Die Ansicht der Klägerin, dass die Beklagte die Stahlbaukonstruktion ohne Genehmigung errichtet habe, wurde in den Tatbestand (S. 3) aufgenommen; zur Begründung gilt die Bezugnahme auf die Schriftsätze.
Zu I. 4.: Die Aufnahme der Rechtsansichten der Klägerin in den Tatbestand war angesichts des Kürzegebots in § 313 Abs. 2 ZPO nicht geboten; die klägerischen Schriftsätze wurden in Bezug genommen. Der Senat setzt sich in Abschnitt II. des Berufungsurteils mit den Rechtsansichten auseinander.
Zu I. 5.: Der Verlauf des Verfahrens über den Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist in Abschnitt II. 1. des Berufungsurteils (S. 5) wiedergegeben. Insoweit bedarf es einer Ergänzung nicht. Zu den Rechtsansichten der Klägerin wird auf die obigen Ausführungen (zu I. 4.) verwiesen.
Zu I. 6.: Auf S. 4 des Berufungsurteils wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen. Einer Erwähnung des Beweisantrages im Tatbestand bedarf es daher nicht. Im Übrigen hat das Landgericht Memmingen den „Beweisantrag“ in Abschnitt I. 3. der Entscheidungsgründe seines Urteils vom 29.07.2019 verbeschieden.
Zu I. 7. wird auf die obigen Ausführungen zu „Vorbemerkungen“ verwiesen. Die Aufnahme der in 1. Instanz verspätet gestellten Anträge in den Tatbestand des Berufungsurteils bedarf es nicht. Die Anträge sind auch im Urteil des Landgerichts nicht wiedergegeben, ohne dass die Klägerin damals eine Berichtigung des Tatbestands beantragt hätte.
Zu I. 8. ist der Tatbestand hinsichtlich des Holzunterstands zu berichtigen. Richtig ist jedoch, dass das Grundstück der Beklagten nördlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt, was gleichbedeutend damit ist, dass das Grundstück der Klägerin südlich an das Grundstück der Beklagten angrenzt.
Zu I. 9.: Eine Ergänzung bezüglich des Rücksichtnahmegebots ist nicht erforderlich. Die Berufungsbegründung spricht selbst nicht vom bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot, sondern vom „Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB“ (vgl. Berufungsbegründung vom 07.10.2019, S. 36). Das Berufungsurteil setzt sich unter II. 3.2. c) mit dem Rücksichtnahmegebot in Bezug auf § 34 Abs. 1 BauGB auseinander.
II. Antrag auf Berichtigung unrichtiger tatbestandlicher Feststellungen in den Entscheidungsgründen
Für eine Abänderung der Entscheidungsgründe bietet § 320 ZPO keine Rechtsgrundlage. Eine Überprüfung der Entscheidungsgründe kann lediglich in einem Rechtsmittelverfahren erfolgen.


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