Baurecht

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag wegen Errichtung eines Carports

Aktenzeichen  15 ZB 20.280

Datum:
19.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28961
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, § 124a Abs. 5 S. 2
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 23 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Mit dem im unbeplanten Innenbereich einfügungsrelevanten Merkmal der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ ist die konkrete Größe der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint. Die planungsrechtlichen Instrumente Baugrenze, Baulinie und Bebauungstiefe, mit denen die überbaubare Grundstücksfläche in einem Bebauungsplan festgesetzt werden kann, werden daher auch im unbeplanten Innenbereich zur näheren Bestimmung dieses Kriteriums herangezogen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Nebenanlagen sowie (sonstigen) in den Abstandsflächen zulässigen baulichen Anlagen wie einem Carport ist für die Prüfung, ob sich ein bzgl. der überbaubaren Fläche an sich den Rahmen überschreitendes Vorhaben dennoch ausnahmsweise einfügt, weil es keine städtebaulichen Spannungen herbeiführt, § 23 Abs. 5 BauNVO entsprechend anzuwenden.   (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 18.1849 2019-11-14 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Errichtung eines Carports auf dem nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegenden Wohngrundstück der Kläger (FlNr. … der Gemarkung O …).
Mit Urteil vom 14. November 2019 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage mit dem Antrag der Kläger auf Feststellung, dass die Errichtung eines Carports mit den Maßen 4,90 m (Länge) x 4,50 m (Breite) x 2,90 m (Höhe) im Bereich des jetzigen Vorgartens ihres Grundstücks sowohl bauplanungsrechtlich als auch bauordnungsrechtlich zulässig ist, ab. Das Verwaltungsgericht bewertete die Klage hinsichtlich der Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO verfahrensfreien Vorhabens zwar als zulässig. Es sah sie insofern aber nicht als begründet an, weil sich das klägerische Vorhaben aufgrund einer vorderen (straßenseitigen) faktischen Baugrenze, die überschritten werde, nicht hinsichtlich der zu überbauenden Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge und deshalb wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich unzulässig sei. Die Erteilung einer isolierten Befreiung entspr. § 31 Abs. 2 BauGB, deren Voraussetzungen im Übrigen nicht gegeben seien, sei nicht beantragt worden. Soweit die Kläger auch die Feststellung begehrten, dass der Carport bauordnungsrechtlich zulässig sei, fehle der Klage das Feststellungsinteresse, weil das Vorhaben schon aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht verwirklicht werden könne.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren unter Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts weiter. Mit ihren Einwänden richten sie sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der von ihnen geplante Carport sei gem. § 34 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig. Die Beklagte beantragt die Ablehnung des Zulassungsantrags und verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs sowie auf die Behördenakte der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen des allein geltend gemachten Zulassungsgrunds ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel in diesem Sinne bestehen nur dann, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BayVGH, B.v. 27.8.2019 – 15 ZB 19.428 – juris Rn. 10 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen auf Basis des Vortrags der Kläger im Berufungszulassungsverfahren nicht vor. Es ist nach Maßgabe der gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO ausschlaggebenden Antragsbegründung nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Verwaltungsgericht die Feststellungsklage zu Recht abgewiesen hat. Insbesondere haben die Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der tragenden Erwägung des erstinstanzlichen Urteils, dass sich der von ihnen geplante Carport aufgrund einer vorderen (straßenseitigen) faktischen Baugrenze hinsichtlich der zu überbauenden Grundstücksfläche nicht i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, nicht darzulegen vermocht.
a) Ein Vorhaben fügt sich i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise sowie der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein rahmenwahrendes Vorhaben kann ausnahmsweise unzulässig sein, wenn es nicht die gebotene Rücksicht auf die Bebauung in der Nachbarschaft nimmt. Umgekehrt fügt sich ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben nur ausnahmsweise ein, wenn es bodenrechtlich beachtliche Spannungen weder herbeiführt noch erhöht (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 = juris Rn. 47; U.v. 15.12.1994 – 4 C 13.93 – NVwZ 1995, 698 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 1 CS 17.2496 – juris Rn. 13 m.w.N.; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 40). Bodenrechtlich beachtliche und bewältigungsbedürftige Spannungen sind dadurch gekennzeichnet, dass das Vorhaben die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet und das Bedürfnis hervorruft, die Voraussetzungen für seine Zulassung unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung zu schaffen. Hierfür reicht die mögliche Vorbildwirkung des Vorhabens, die ein Bedürfnis nach planerischer Gestaltung auslösen kann (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1999 – 4 B 15.99 – ZfBR 2000, 68 = juris Rn. 5 f.; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 = juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 17).
Mit dem gem. § 34 Abs. 1 BauGB einfügungsrelevanten Merkmal der „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ ist die konkrete Größe der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint; es geht um den Standort des Vorhabens im Sinne von § 23 BauNVO. Die planungsrechtlichen Instrumente Baugrenze, Baulinie und Bebauungstiefe (§ 23 Abs. 1 bis 4 BauNVO), mit denen die überbaubare Grundstücksfläche in einem Bebauungsplan festgesetzt werden kann, werden daher auch im Rahmen von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur näheren Bestimmung dieses Zulässigkeitskriteriums herangezogen (zum Ganzen vgl. z.B. BVerwG, B.v. 28.9.1988 – 4 B 175.88 – NVwZ 1989, 354 = juris Rn. 4; B.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – ZfBR 2009, 693 = juris Rn. 4; B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – ZfBR 2014, 574 = juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 16; B.v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris Rn. 13; B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 8; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 41). Für die Annahme einer faktischen Baugrenze, als eine sich durch die tatsächliche Bebauung faktisch herausgebildete Linie, die entsprechend § 23 Abs. 3 BauNVO von Gebäuden und Gebäudeteilen im rückwärtigen oder vorderen (straßenseitigen) Bereich nicht überschritten werden darf, muss aus der Lage der in der vorhandenen Umgebungsbebauung befindlichen Hauptgebäude (s.u.) eine Regel ableitbar – d.h. erkennbar und formulierbar – sein, wie aus der Flucht der straßenseitigen Vorderfassaden eine gemeinsame Grenze gebildet wird. Hierfür bedarf es unter Berücksichtigung grundrechtlicher Wertungen aus Art. 14 Abs. 1 GG wegen der einschränkenden Wirkung auf das Grundeigentum hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation; die tatsächlich vorhandene Bebauung darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 12; OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.3.2013 – OVG 10 B 4.12 – juris Rn. 45; U.v. 24.5.2018 – OVG 2 B 3.17 – juris Rn. 30; OVG SH, U.v. 19.2.2015 – 1 LB 5/14 – juris Rn. 31; vgl. auch BVerwG, B.v. 22.9.2016 – 4 B 23.16 – BRS 84 Nr. 74 = juris Rn. 7). Bei einer höchst unterschiedlichen Bebauung ohne gemeinsame vordere oder hintere Gebäudeflucht kann von einer faktischen vorderen bzw. rückwärtigen Baugrenze nicht gesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 12.1544 – juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 5.11.2019 – 2 M 83/19 – juris Rn. 26). Den nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen „Rahmen“ bilden in Bezug auf die überbaubare Grundstücksfläche nur die in der näheren Umgebung vorhandenen Hauptgebäude, weil das Bauplanungsrecht in § 23 Abs. 5 BauNVO für die räumliche Lage von Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO sowie von (sonstigen) in den Abstandsflächen zulässigen baulichen Anlagen gewisse Erleichterungen vorsieht (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97 – NVwZ-RR 1998, 539 = juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 12, 18; OVG Berlin-Bbg, U.v. 13.3.2013 – OVG 10 B 4.12 – juris Rn. 51; U.v. 24.5.2018 – OVG 2 B 3.17 – juris Rn. 30; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 41). Nebenanlagen i.S. von § 23 Abs. 5 Satz 1 i.V. mit § 14 Abs. 1 BauNVO (zum Begriff vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 4 C 9.16 – NVwZ 2018, 1231 = juris Rn. 10 m.w.N.) sind bei der Beurteilung, ob eine (vordere oder rückwärtige) faktische Baugrenze besteht, mithin ebenso auszublenden wie sonstige bauliche Anlagen, die (wie z.B. kleinere Garagen) in den landesrechtlich geregelten Abstandsflächen zulässig sind (entspr. § 12, § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO, in Bayern i.V. mit Art. 6 Abs. 9 BayBO).
Ist nach diesen Maßstäben aufgrund der Rahmensetzung durch die Hauptgebäude in der im Einzelfall prägenden Umgebungsbebauung von einer faktischen vorderen (straßenseitigen) oder hinteren (rückwärtigen) faktischen Baugrenze auszugehen (zur einzelfallbezogenen Annahme einer vorderen / straßenseitigen faktischen Baugrenze vgl. z.B. OVG NW, U.v. 25.4.2018 – 7 A 165/16 – juris Rn. 40; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 42), gilt nach der auch bei der Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB entsprechend heranzuziehenden Bestimmung des § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO, dass Gebäude oder Gebäudeteile diese grundsätzlich nicht überschreiten dürfen (ThürOVG, U.v. 26.4.2017 a.a.O. juris Rn. 43). Bei Nebenanlagen gem. § 14 BauNVO sowie (sonstigen) in den Abstandsflächen zulässigen baulichen Anlagen – und damit auch bei einem Carport, wie ihn die Kläger errichten wollen – ist für die Prüfung, ob ein in Bezug auf die überbaubare Fläche an sich den Rahmen überschreitendes Vorhaben sich ausnahmsweise dennoch einfügt, weil es keine städtebaulichen Spannungen herbeiführt (s.o.), § 23 Abs. 5 BauNVO entsprechend anzuwenden. Weil nach § 34 Abs. 1 BauGB eine gebundene Entscheidung zu treffen ist, scheidet im unbeplanten Innenbereich eine Ermessensentscheidung wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 23 Abs. 5 BauNVO aus. Allerdings sind die materiellen Maßstäbe des § 23 Abs. 5 BauNVO, nach denen bei der Ermessensentscheidung vor allem die städtebaulichen Folgen einer Zulassung von Nebenanlagen nach Satz 1 sowie von (sonstigen) baulichen Anlagen nach Satz 2 außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zu beachten sind, bei der Entscheidung nach § 34 Abs. 1 BauGB von Bedeutung. Sprechen städtebauliche Gründe gegen die Zulässigkeit eines bestimmten Vorhabens i.S. von § 23 Abs. 5 Satz 1 oder Satz 2 BauNVO außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans eine ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde nach § 23 Abs. 5 BauNVO rechtfertigen könnten, lässt sich bei einer Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB feststellen, dass solche Vorhaben sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht im Sinne dieser Bestimmung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und daher bauplanungsrechtlich unzulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 16 ff., 24; OVG NW, U.v. 19.6.2008 – 7 A 2053/07 – ZfBR 2009, 165 = juris Rn. 27 ff.; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 a.a.O. juris Rn. 44 ff.).
b) Die Entscheidungsgründe des mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg halten sich auf der oben ausgeführten dogmatischen Linie: Das Erstgericht führt zur Begründung seiner Ansicht, der von den Klägern geplante Carport sei am Maßstab von § 34 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig, aus, es spreche auf Basis der vorliegenden Unterlagen vieles dafür, als maßgebliche Umgebung i.S. von § 34 BauGB die Bebauung beidseits der H …straße zwischen dem M …weg im Osten und dem K …weg im Westen anzusehen. Ungeachtet dessen ergebe sich eine davon abweichende Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Bauvorhabens auch nicht, wenn man über diesen Bereich hinausgehend die gesamte Bebauung beidseits der H …straße nach Westen hin bis zur Straße „Am …“ in die bauplanungsrechtliche Beurteilung miteinbeziehe. Die auf der Nordseite der H …straße vorhandene Bebauung zwischen dem M …weg im Osten und dem K …weg im Westen bzw. noch weiter westlich bis zur Straße „Am …“ rechtfertige die Annahme einer faktischen Baugrenze. Aus den vorliegenden Unterlagen (Planskizze / Lageplan Bl. 39 der VG-Akte) lasse sich entnehmen, dass sämtliche Gebäude, auch Nebengebäude, in dem ca. 500 m langen Bereich zwischen dem M …weg und der Straße „Am …“ einen Abstand von mindestens 5 m zu dem entlang der H …straße verlaufenden Gehweg einhielten. Der Annahme einer faktischen Baugrenze nördlich der H …straße stehe auch nicht entgegen, dass auf zwei Grundstücken auf der Straßennordseite ein Hausvordach bzw. ein Nebengebäude sowie auf einem Grundstück auf der Straßensüdseite eine Garage weiter in Richtung Straße reichten (hierzu noch im Folgenden). Der von den Klägern beabsichtigte Carport füge sich schließlich auch nicht bei entsprechender Anwendung des § 23 Abs. 5 BauNVO in die nähere Umgebung ein. Eine Feststellung der Zulässigkeit des Carports am maßgeblichen Standort hätte zur Folge, dass zukünftig auch weitere Nebengebäude, die in ihren Ausmaßen mit dem des klägerischen Carports vergleichbar wären, in dem aufgrund der faktischen Baugrenze städtebaulich freizuhaltenden Bereich zugelassen werden müssten. Die erhebliche negative Vorbildwirkung des streitgegenständlichen Carports führe daher zu städtebaulichen Spannungen, die ein Einfügen auch unter Berücksichtigung des § 23 Abs. 5 BauNVO ausschlössen.
c) Mit ihrem Einwand, der für die Bestimmung der überbaubaren Grundstücksfläche maßgebliche Bereich der prägenden Umgebung i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB sei vom Verwaltungsgericht zu Unrecht auf den zwischen M …weg (im Osten) und K …weg (im Westen) liegenden Teil der H …straße eingegrenzt und damit zu eng gefasst worden, weil diese Wege mangels markanter Baulichkeiten oder anderer Elemente mit Zäsurwirkung keine Endpunkte einer faktischen Baugrenze markierten, vermögen die Kläger die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, ihr Bauvorhaben überschreite eine faktische vordere (straßenseitige) Baugrenze und sei deshalb mangels Einfügens gem. § 34 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich unzulässig, nicht infrage zu stellen. Denn tatsächlich hat das das Verwaltungsgericht trotz seiner Tendenz, nur den vorgenannten begrenzten Bereich als die für die überbaubare Grundstücksfläche prägende Umgebung anzusehen, die Beurteilung des Einfügens – wie von den Klägern gefordert – auf die H …straße in ihrer gesamten Länge [mit Ausnahme ihres westlichen Anfangs, hierzu unten e) ] bezogen.
Unabhängig davon – und ohne dass es darauf streitentscheidend ankommt – weist der Senat darauf hin, dass der maßgebliche prägende Umgebungsbereich i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB bei der Beurteilung des Einfügens hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche abhängig von den Umständen des Einzelfalls enger gezogen werden kann als bei der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit hinsichtlich der Nutzungsart (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – NVwZ 2014, 1246 = juris Rn. 7 ff.; BayVGH, B.v. 19.12.2006 – 1 ZB 05.1371 – juris Rn. 19; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 f.; B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 8; ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 38) und dass deshalb für den Ansatz, den ca. 170 m langen Bereich der H …straße zwischen dem K …weg und dem M …weg mit insgesamt 16 Häusern allein auf der Nordseite als Bereich mit einheitlicher Struktur für die Prägung einer faktischen Baugrenze genügen zu lassen, in der Sache Vieles spricht (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 20). Auf die weiteren [s.u. e) und f): ebenso unbegründeten] Einwände zu den von den Klägern angesprochenen Bezugsfällen außerhalb dieses Bereichs auf den FlNrn. … … (Nordseite der H …straße) und FlNr. … (Südseite der H …straße) käme es dann von vorherein nicht mehr an.
d) Auch greift der Einwand der Kläger nicht, wonach der vom Verwaltungsgericht angenommenen faktischen Baugrenze selbst im kleinräumigeren Bereich zwischen dem K …weg und dem M …weg die Existenz zahlreicher Nebeneinrichtungen – wie befestigter Stellplätze und Zufahrten, Mülleimerhäuschen – entgegenstehe. Zum einen haben die genannten versiegelten Flächen und kleinen baulichen Anlagen (Mülltonnenhäuschen) in Straßen- bzw. Gehwegnähe auf diversen Wohngrundstücken nicht zur Folge, dass sich die vordere Baugrenze entsprechend in Richtung Straße „verschiebt“ und sich deshalb der von den Klägern geplante Carport innerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen befände. Denn unabhängig davon, dass für das Vorliegen einer faktischen Baugrenze entspr. § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO nur Gebäude und Gebäudeteile maßgeblich sein können (vgl. VG München, U.v. 18.9.2019 – M 9 K 17.3880 – juris Rn. 32), handelt es sich bei nicht überdachten Stellplätzen, Zufahrten und Mülltonnenhäuschen um in den Abstandsflächen zulässige bauliche Anlagen, die gerade auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen zulässig sein können, § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO entspr. [s.o. a), vgl. insbes. ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 42]. Zum andern folgt aus der (auch häufigeren) Existenz bestimmter straßennaher (Neben-) Anlagen i.S. von § 23 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BauNVO und damit aus einer hierauf beschränkten Zulassungspraxis nicht, dass deshalb auch Carports als überdachte Anlagen mit größerem Bauvolumen keine städtebaulichen Spannungen auslösten und deshalb zulässig wären. Jedenfalls dann, wenn Anlagen – eben wie hier bei Carports als größeren überdachten Anlagen – nicht mit vergleichbar geringen Beeinträchtigungen der Straßenvorflächen bzw. Vorgartenflächen verbunden sind, muss sich der Träger der Bauaufsichtsbehörde (hier: die Beklagte) nicht entgegenhalten lassen, dass er gegen existente andere Anlagen (hier: Stellplätze, Zufahrten und Mülltonnenhäuschen) nicht vorgehe oder diese sogar genehmige (ThürOVG, U.v. 26.4.2017 – 1 KO 347/14 – BauR 2018, 485 = juris Rn. 47; ebenso OVG NW, U.v. 19.6.2008 – 7 A 2053/07 – ZfBR 2009, 165 = juris Rn. 33 ff.). Es trifft daher nicht zu, dass – wie die Kläger meinen – durch befestigte Stellplätze und Zufahrten sowie durch Mülltonnenhäuschen die vom Verwaltungsgericht angenommene faktische Baugrenze aufgebrochen werde und dass deswegen mangels städtebaulich verfestigter Situation die Zulässigkeit der Errichtung des Carports nicht an einer faktischen Baugrenze scheitern könne.
e) Zieht man als prägende Umgebung die H …straße über den Bereich zwischen M …weg und K …weg hinaus heran, spricht der von den Klägern genannte Bezugsfall am westlichen Anfang der H …straße (nördliche Seite) auf der FlNr. …, wo eine an das dortige Wohnhaus angebaute Überdachung verwirklicht sei, von vornherein nicht gegen die Annahme einer faktischen vorderen Baugrenze auf der „restlichen“, sich mehrere hundert Meter in Richtung Osten erstreckenden Erschließungsstraße. Es liegt mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auf der Hand und ist völlig plausibel, dass eine Überschreitung der faktischen Baugrenze ganz im Westen der H …straße – in ca. 400 m Entfernung zum Grundstück der Kläger (FlNr. … ) mit über 30 dazwischenliegenden Gebäuden – nichts an der Tatsache ändert, dass die Bebauung auf der Nordseite der H …straße im Übrigen [ggf. mit Ausnahme eines einzelnen Fremdkörpers auf der Nordseite der H …straße auf der FlNr. …, vgl. im Folgenden f) ] über mehrere hundert Meter durchgehend einen Abstand von ca. 5 m zu dem entlang der Erschließungsstraße verlaufenden Gehweg einhält, dass dies nicht zufällig wirkt und dass diesem Umstand ein eigenes städtebauliches Gewicht zukommt. Der Einwand der Kläger ändert m.a.W. nichts daran, dass die östlich der FlNr. … beginnende Wohnbebauung in einem Straßenabschnitt, der mit mehreren hundert Metern ohne weiteres lang genug ist, um hinsichtlich der fehlenden Überbauung des straßennahen Bereichs (Vorgartenbereich) einen eigenen als Umgebung i.S. von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblichen Bereich zu bilden, eine homogene, einheitliche Struktur aufweist (vgl. jedenfalls insofern BayVGH, B.v. 25.4.2005 – 1 CS 04.3461 – juris Rn. 20).
f) Auch die beiden weiteren von den Klägern genannten Bezugsfälle entlang der (gesamten) H …straße, in denen die vom Verwaltungsgericht angenommene faktische Baugrenze von 5 m zum Gehweg der öffentlichen Verkehrsfläche nicht eingehalten sei, nämlich
– auf der FlNr. … (= westlich des Einmündungsbereichs des K …wegs auf der südlichen Seite der H …straße), wo eine Garage bis unmittelbar an den Gehweg herangebaut worden sei, sowie
– auf der FlNr. … (einige Meter westlich des Einmündungsbereichs des K …wegs auf der nördlichen Seite der H …straße), wo sich ein Nebengebäude in Straßen- bzw. Gehwegnähe befinde,
vermögen die Richtigkeit der Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts nicht zu erschüttern.
Die vom Verwaltungsgericht vertretene Einstufung dieser beiden Fälle als „Ausreißer“ auf einer Gesamtlänge der H …straße von mehreren hundert Metern Länge beruht auf der höchstrichterlich anerkannten Erwägung, dass bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 und 2 BauGB singuläre Anlagen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im wesentlichen homogenen Bebauung stehen, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich sind, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden. Derartige „Ausreißer“ sind aufgrund ihrer Singularität für die Frage des Einfügens für den ausschlaggebenden Rahmen des in der maßgeblichen Umgebung Vorhandenen nicht prägend i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – NVwZ 2019, 1456 = juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 7.2.2020 – 15 CS 19.2013 – juris Rn. 38 m.w.N.).
Mit ihrer Argumentation, dass die genannten Bezugsfälle nicht isoliert betrachtet werden dürften und dass sie zur baulichen Ausnutzung auch der übrigen Grundstücke in Bezug zu setzen seien, haben die Kläger nicht Substanzielles einzuwenden vermocht. Mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, dass das Nebengebäude auf dem Grundstück FlNr. … (Nordseite der H …straße) bereits etwas von der H …straße nach Norden abgerückt sei, von dieser aus allenfalls im Einmündungsbereich zum K …weg optisch in Erscheinung trete, im Übrigen aber nicht mehr in der Sichtachse der H …straße liege, hat sich die Antragsbegründung überhaupt nicht auseinandergesetzt. Dass der verbleibende vorgetragene Bezugsfall auf der Südseite der H …straße (straßennahe Garage auf der FlNr. … ) der Annahme einer faktischen straßenseitigen Baugrenze auf einer mehreren hundert Meter langen Straße mit im Übrigen homogenen Hausvorplätzen ohne Carports und Garagen nicht entgegenstehen kann, versteht sich – unabhängig von der Frage, welchen Einfluss eine Bebauung auf der Südseite der H …straße für die Frage der Annahme einer faktischen Baugrenze auf deren Nordseite haben kann – von selbst. Zur Irrelevanz des Arguments, dass gegen die Annahme von nicht prägenden Ausreißern (Fremdkörpern) die Errichtung befestigter Stellplätze, Garagenzufahrten, Mülltonnenhäuschen und Anzeigetafeln auf den Hausvorplätzen diverser Wohngebäude in der H …straße spreche, wird auf oben d) verwiesen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und folgt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gegen die die Beteiligten keine Einwände erhoben haben.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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