Baurecht

Erfolgloser Eilantrag des Nachbarn gegen Nutzungsänderung (Wohngruppe für unbegleitetete minderjährige Flüchtlinge)

Aktenzeichen  M 9 SN 16.3965

Datum:
25.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 2, § 4 Abs. 2 Nr. 3
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

Ein Abwehrrecht des Nachbarn dagegen, dass auf dem Nachbargrundstück mehr Personen wohnen als in seinem eigenen Haus, gibt es nicht. Die normalen mit dem Wohnen verbundenen Geräusche sind  in einem Wohngebiet typisch und für die Nachbarn zumutbar. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,– € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die Nutzungsänderung eines Wohnhauses zu einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, das nach dem Lageplan mit zwei Doppelhaushälften bebaut ist. Im Norden grenzt das Vorhabensgrundstück FlNr. … an, das ebenfalls mit einem Wohngebäude bebaut ist und zu einer Wohngruppe für bis zu neun unbegleitete minderjährige Flüchtlinge umgenutzt werden soll. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines einfachen Baulinienplans. Nach den vorgelegten Unterlagen wird die Umgebung entlang der …-straße und der …-straße in … durch Wohnbebauung geprägt.
Nach Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens mit Beschluss vom 13. April 2016 genehmigte das Landratsamt mit Bescheid vom 5. August 2016 die Nutzungsänderung. Nach den genehmigten Plänen wird das Gebäude nicht verändert und die Freiflächen bleiben in der bisherigen Form bestehen.
Mit Schreiben vom 19. August 2016 erhoben die Kläger Klage (M 9 K 16.3741) gegen die den beigeladenen Bauherren erteilte Baugenehmigung und beantragten mit am 2. September 2016 bei Gericht eingegangenen Schreiben gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 5. August 2016 zur Nutzungsänderung des Wohngebäudes als Wohnheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wird angeordnet.
Im Genehmigungsverfahren hätten sie keine Gelegenheit gehabt, zu dem Vorhaben Stellung zu nehmen. Materiell sei die Frage des Brandschutzes nicht angemessen geprüft und geregelt worden. Es fehle eine Prüfung des Gebots der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme im Hinblick auf das zu erwartende Verkehrsaufkommen und die zu erwartende Lärmbelästigung. Ein weiterer Zugang sei über die Frühlingsstraße eröffnet. Sie hätten ein berechtigtes Interesse unter dem Gesichtspunkt der jüngsten Vorfälle an der Kenntnis des Betreuungskonzepts, des Objektschutzes, des Sicherheitskonzeptes bei innerer und äußerer Gewalt, dem nicht Rechnung getragen worden sei. Die minderjährigen Flüchtlinge seien auch jetzt schon angemessen untergebracht, so dass die Genehmigung der Nutzungsänderung nicht dringlich sei.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 26. September 2016:
Antragsablehnung.
Die Antragsteller würden durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht in öffentlich-rechtlich geschützten Nachbarrechten verletzt. Die Nutzung des Wohngebäudes als Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sei als Anlage für soziale Zwecke nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO planungsrechtlich zulässig. Die Wohngruppe biete Platz für neun Bewohner, bei den damit verbundenen Wohngeräuschen handle es sich nicht um eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Die notwendigen zwei Stellplätze seien beauflagt worden. Durch einen weiteren Zugang sei eine mögliche Rechtsverletzung der Antragsteller, deren Wohnhaus auf der anderen Seite sei, nicht erkennbar. Eine etwaige fehlende Nachbarbeteiligung sei geheilt. Sonstige Informationen beträfen keine drittschützenden Normen des Baurechts.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte sowie die Akte im Klageverfahren M 9 K 16. 3741 Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Eine Anfechtungsklage eines Nachbarn und damit auch ein Antrag auf Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO gegen eine dem Nachbarn erteilte Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn diese Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Die gerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften verletzt sind, aufgrund derer die Antragsteller einen Abwehranspruch haben könnten. Bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung des Gerichts kommt es bei der Abwägung wesentlich auf die nach summarischer Prüfung bestehenden Erfolgsaussichten des Hauptsachverfahrens an. Eine mündliche Verhandlung findet in Eilverfahren regelmäßig nicht statt.
Die den Beigeladenen erteilte Genehmigung zur Nutzungsänderung des Wohnhauses in eine Wohngruppe für maximal neun unbegleitete weibliche minderjährige Flüchtlinge verstößt nicht gegen öffentlich-rechtliche bauplanungs- oder bauordnungsrechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz des Nachbarn dienen.
Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften ist vorliegend nicht erkennbar. Ausgehend davon, dass es sich in der Umgebung des Vorhabensgrundstücks und des klägerischen Grundstücks um überwiegende Wohnnutzung handelt, ist eine Anlage für soziale Zwecke nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB in einem allgemeinen Wohngebiet stets und in einem reinen Wohngebiet nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB als Ausnahme zulässig. Da im vorliegenden Fall nach der Betriebsbeschreibung in den Akten eine heilpädagogische Betreuung im Vordergrund steht, verbunden mit einem streng geregelten Tagesablauf, ist der Antragsgegner zutreffend davon ausgegangen, dass es sich hier bei der Unterbringung der neun Mädchen um eine Anlage für soziale Zwecke handelt, die nach der Gebietsart zulässig ist.
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist nicht im Ansatz erkennbar. Warum von der Wohnnutzung durch neun Mädchen eine unzumutbare Lärmbelastung ausgehen sollte, erschließt sich nicht. Unter Berücksichtigung des wohnähnlichen Charakters handelt es sich um die normalen mit dem Wohnen verbundenen Geräusche, die in einem Wohngebiet typisch und für die Nachbarn zumutbar sind. Ein Abwehrrecht des Nachbarn dagegen, dass auf dem Nachbargrundstück mehr Personen wohnen als in seinem eigenen Haus, gibt es nicht. Normale Wohngeräusche sind zumutbar.
Soweit die Antragsteller eine Erhöhung des Verkehrsaufkommens, einen weiteren Zugang an der von ihnen abgewandten Grundstücksseite sowie die Zahl der Stellplätze als nachbarschützenden Belang geltend machten, handelt es sich dabei um Regelungen, die nicht nachbarschützend sind. Da den Antragstellern die Baugenehmigung zugestellt wurde, sind Verstöße gegen etwaige Rechte, an der Planung beteiligt zu werden, ebenfalls nicht erkennbar. Das sonstige Vorbringen sicherheits- und ordnungsrechtlicher Art betrifft nicht Baurecht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Streitwertkatalog.


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