Baurecht

Erfolgloser Zulassungsantrag einer benachbarten Sondereigentümerin (WEG) gegen einen Vorbescheid

Aktenzeichen  2 ZB 16.2168

Datum:
2.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25005
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 17, § 42 Abs. 2, § 54 Abs. 1, § 86 Abs. 2, § 87 Abs. 3 S. 2, § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
WEG § 13 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1
DRiG § 12
ZPO § 42, § 44, § 45

 

Leitsatz

1 Der baurechtliche Nachbarschutz des Sondereigentums (§ 13 Abs. 1 WEG) besteht nur, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch ein Richter auf Probe im Sinne von § 17 VwGO iVm § 12 DRiG genießt richterliche Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 15.1828 2016-09-07 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung (§§ 124, 124a Abs. 4 VwGO) hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des erstgerichtlichen Urteils.
Vorliegend ist bereits die Klagebefugnis der Klägerin nach § 42 Abs. 2 VwGO zweifelhaft, da sie maßgeblich eine einmauernde bzw. erdrückende Wirkung des Neubauvorhabens auf ihre Eigentumswohnung geltend macht. Denn der baurechtliche Nachbarschutz des Sondereigentums (§ 13 Abs. 1 WEG) besteht nur, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.08.1992 – 4 B 92.92 – juris; BayVGH, U.v. 12.07.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013, 51; Elzer, NVwZ 2013, 1625). Ebenso wie grundsätzlich im Abstandsflächenrecht ist auch bei der Frage der erdrückenden Wirkung eines Bauvorhabens regelmäßig der jeweilige Baukörper und das jeweilige Baugrundstück insgesamt in den Blick zu nehmen. Bezugspunkt der Beurteilung ist nicht der beschränkte Ausblick durch Fenster einzelner Räumlichkeiten, vielmehr ist das gesamte Grundstück, welches planungs- und bauordnungsrechtlich als das Wohngrundstück anzusehen ist, in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. OVG NRW, B.v. 15.05.2002 – 7 B 558/02 – juris). Letztlich kann dies jedoch hier dahinstehen, denn das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage der Klägerin jedenfalls zutreffend als unbegründet abgewiesen.
Das Erstgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Bauvorhaben des Beigeladenen nicht zu Lasten der Klägerin gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 BauGB bzw. aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verstößt. Das geplante Gebäude hat gegenüber der Klägerin keine einmauernde bzw. erdrückende Wirkung. Solches ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, in dem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. OVG NRW, B.v. 10.01.2013 – 2 B 1216/12.NE – juris; BayVGH, B.v. 05.09.2016 – 15 CS 16.1536 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 11.05.2010 – 2 CS 10.454 – juris; B.v. 17.07.2013 – 14 ZB 12.1153 – BauR 2014, 810; B.v. 12.09.2013 – 2 ZS 13.1351 – juris; Sächs. OVG, B.v. 04.08.2014 – 1 B 56/14 – juris).
Eine derart massive Beeinträchtigung ist vorliegend nicht gegeben. Insbesondere ist dieser Fall nicht mit dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vom 05.11.2001 (26 ZS 01.2288) zugrundeliegenden vergleichbar. Das dortige Vorhaben wies eine Länge von ca. 55 m auf. Vorliegend hat das Bauvorhaben lediglich eine Länge von ca. 28 m. Die von der Klägerin behauptete optische Verlängerung des Bauvorhabens zu dem Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … ist aufgrund des erheblichen Abstands der Gebäude nicht erkennbar. Die Einzelfallbeurteilung durch das Erstgericht ist insoweit nicht zu beanstanden. Denn es hat neben der Länge des Bauvorhabens seine Höhe sowie seine Distanz zur Nachbarbebauung herangezogen. Hierbei ist es unbestritten davon ausgegangen, dass Haus B der Wohnanlage ca. 40 m vom strittigen Bauvorhaben und Haus A zwischen 40 m und 80 m von diesem entfernt ist. Ferner hat es festgestellt, dass das geplante Vorhaben mit einer Höhe von 801,71 m ü.NN bis 803,13 m ü.NN errichtet werde, während das Haus B der Wohnanlage bei den Gauben eine Traufhöhe von 802,93 m ü.NN bis 803,92 m ü.NN sowie die Dachfläche eine Höhe von 805,35 m ü.NN aufweise. Schon hieraus ist ersichtlich, dass das Bauvorhaben die Nachbarbebauung nicht wesentlich überragen wird. Ferner sind die Häuser A und B des Nachbaranwesens zwei- bzw. dreigeschossig mit ausgebautem Dachgeschoss errichtet worden. Das Bauvorhaben soll ebenfalls zweigeschossig mit ausbaufähigem Dachgeschoss errichtet werden. Selbst wenn man die bestehenden, zu überbauenden Garagen hinzurechnen wollte, ergäbe sich keine größere Geschossigkeit als bei der nördlichen Nachbarbebauung. Diese Nachbarbebauung hat zudem eine Länge bei Haus A und B von jeweils rund 50 m. Wie angesichts dieser Größenverhältnisse eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens gegenüber den nördlichen Bestandsgebäuden eintreten sollte, ist für den Senat nicht ersichtlich. Auch die Hanglage beidseits der Straße A* … wirkt sich jedenfalls nicht zu Gunsten der nördlichen Nachbarbebauung aus.
Soweit die Klägerin bemängelt, dass das Erstgericht keine Prüfung hinsichtlich eines jeden Klägers vorgenommen habe, hat dieses dem dadurch ausreichend genügt, dass es zwischen den Häusern A und B der Wohnanlage differenziert hat. Hierzu hat es festgestellt, dass Haus A davon geprägt sei, dass der freie Blick der Hälfte des Baukörpers bereits durch das vorgelagerte Haus B verdeckt sei. Die andere Hälfte blicke in westlicher Richtung ebenfalls auf das Haus B. Den von der Klägerin vorgelegten Fotografien (Bl. 24 ff. der Gerichtsakte) konnte das Erstgericht entnehmen, dass sich die Eigentumswohnung der Klägerin im ersten Obergeschoss des Hauses A befindet. Damit ist diese Wohnung mehr als 40 m vom Bauvorhaben entfernt. Ein über die allgemeinen Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu Haus A der Wohnanlage hinausgehendes Eingehen auf die einzelne Wohnung der Klägerin war damit nicht veranlasst.
2. Es liegt auch kein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5VwGO).
Soweit die Klägerin einen Verfahrensfehler im Zusammenhang mit der Beweiserhebung durch die Vorsitzende Richterin behauptet, ist dem nicht zu folgen. Wie der Gerichtsakte (Bl. 36) zu entnehmen ist, erging der Beweisbeschluss durch die Vorsitzende Richterin als Berichterstatterin gemäß § 87 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Ebenso ist der Niederschrift über den nicht öffentlichen Augenscheinstermin klar zu entnehmen, dass die Vorsitzende Richterin als Berichterstatterin tätig war. Eine Beauftragung durch Kammerbeschluss im Sinn von § 96 Abs. 2 VwGO war damit nicht erforderlich. Soweit in den Ladungen zum Ortstermin von einem Augenschein durch den beauftragten Richter die Rede ist, beruht dies auf einem unzureichenden Formblatt, das auf Seite 1 als Alternative zur Kammer den Einzelrichter/Berichterstatter anbietet, aber auf Seite 2 (Blatt 37 der Gerichtsakte) als Alternative zur Kammer nur den Vorsitzenden/Einzelrichter oder den beauftragten Richter vorsieht. Aufgrund der fehlenden Alternative „Berichterstatter“ wurde wohl „durch den beauftragten Richter“ angekreuzt. Etwaige Unklarheiten insoweit wurden jedoch spätestens durch die Bezeichnung im Augenscheinsprotokoll vom 29. Februar 2016 beseitigt.
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass hier eine Beweiserhebung durch die Berichterstatterin stattgefunden hat. Dies darf zwar nur insoweit geschehen, als es zur Vereinfachung der Verhandlung vor dem Gericht sachdienlich und von vornherein anzunehmen ist, dass das Gericht das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß zu würdigen vermag (§ 87 Abs. 3 Satz 2 VwGO). Dieser Sachverhalt war vorliegend aber gegeben. Denn bereits nach Aktenlage (Pläne und Fotografien) war eine Riegelwirkung des wesentlich kürzeren Bauvorhabens gegenüber der nördlichen Nachbarbebauung wenig wahrscheinlich. Die zusätzlich im Augenscheinstermin gewonnenen Eindrücke konnte die Berichterstatterin von daher der Kammer ohne weiteres vermitteln. Wie bereits ausgeführt (s.o. Ziffer 1.) wirkt sich die Hanglage jedenfalls nicht zu Gunsten der Klägerin aus. Welche Bedeutung der Frage zukommen soll, dass die Grundfläche des Bauvorhabens kein Rechteck ist, sondern vielmehr einem Dreieck ähnelt, wird nicht ersichtlich.
Ebenso wenig liegt ein Verfahrensfehler in der Form der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV vor. Die Ablehnung des Befangenheitsantrags gegen die Vorsitzende Richterin durch das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Mai 2016 ist nicht zu beanstanden. Wie bereits ausgeführt wurde, liegen die behaupteten „fehlerhaften prozessleitenden Verfügungen“ der Vorsitzenden Richterin im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht vor. Der Beschluss des Erstgerichts vom 6. Mai 2016 weist auch zutreffend darauf hin, dass noch in der mündlichen Verhandlung vom 13. April 2016 eine Wiederholung der Beweisaufnahme durch die gesamte Kammer des Erstgerichts hätte beschlossen werden können. Dort hätte die Klägerin auch einen entsprechenden Beweisantrag gemäß § 86 Abs. 2 VwGO stellen können. Denn grundsätzlich erhebt das Gericht Beweis in der mündlichen Verhandlung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO). In geeigneten Fällen kann zwar schon vor der mündlichen Verhandlung gemäß § 87 Abs. 3 VwGO oder gemäß § 96 Abs. 2 VwGO Beweis erhoben werden. Unabhängig davon kann aber die Kammer in der mündlichen Verhandlung eine erneute Beweisaufnahme beschließen.
Abwegig ist die Annahme der Klägerin, dass die Mitwirkung des Richters auf Probe Schamberger an der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m §§ 42, 44 und 45 ZPO zur Fehlerhaftigkeit des Beschlusses führt. Für eine willkürliche Handhabung bei der Besetzung des Gerichts ist nichts ersichtlich (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 19.03.1997 – 6 C 8.95 – BVerwGE 104,170/172). Abgesehen davon genießt auch ein Richter auf Probe im Sinn von § 17 VwGO i.V.m. § 12 DRiG richterliche Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG. Entgegen der Vermutung der Klägerin wird zudem die dienstliche Beurteilung eines Richters auf Probe vom Präsidenten des Verwaltungsgerichts erstellt (Art. 5 BayRiStAG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Im Berufungszulassungsverfahren sind die außergerichtlichen Kosten eines Beigeladenen in der Regel nicht aus Billigkeitsgründen der unterliegenden Partei aufzuerlegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2001 – 8 ZB 01.1789 – BayVBl 2002, 378; B.v. 25.06.2018 – 2 ZB 17.1157 – juris). Ein Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.


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