Baurecht

Erfolgreiche Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für Wohngebäude – Einfügen in nähere Umgebung

Aktenzeichen  M 8 K 16.2407

Datum:
26.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1 S. 1
BauNVO BauNVO § 23 Abs. 5
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 9
BayStrWG BayStrWG Art. 18 Abs. 1

 

Leitsatz

1. In der Regel gilt bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung (nähere Umgebung) das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleich gelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 26. April 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Bauantrag vom 17. März 2016, Plan-Nr. … zu genehmigen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vorläufig vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg, da der Klägerin ein Anspruch auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich im Hinblick auf das übergeleitete Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 Baugesetzbuch (BauGB) und im Übrigen nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
1.1 Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken (BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Bebauung der Umgebung insoweit berücksichtigt werden muss, als auch diese noch prägend auf das Baugrundstück wirkt (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 119. EL November 2015, § 34 Rn. 36). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. In der Regel gilt bei einem, inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74.03 – juris, Rn. 2; U.v. 8.12.2016 – 4 C 7.15 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25; U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 und U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20).
Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172.97, NVwZ-RR 1998, 539; BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19). Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (BayVGH, B.v. 16.12.2009 – 1 CS 09.1774 – juris Rn. 21 m.w.N.).
1.2 Nach diesen Maßstäben ist vorliegend der südliche Bereich des Quartiers Am …straße/ …straße die maßgebliche Umgebung mit gegenseitiger Prägung. Das dreiecksförmig zugeschnittene Quartier zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nach Nord-Westen hin verengt, wodurch die Grundstücke im nördlichen Bereich – vor allem auf der Ostseite – kleiner werden und eine dementsprechend kleinteiligere Bebauung aufweisen. Die größten Grundstücke mit entsprechend massiven Bebauungen befinden auf der Ostseite des südlichen Bereichs des Quartiers und auf der Westseite im mittleren Bereich der …straße.
Das streitgegenständliche Grundstück befindet sich im deutlich aufgeweiteten südlichen Bereich des Quartiers Am …straße/ …straße und weist auch den hier vorzufindenden großzügigen Grundstückszuschnitt mit zum Teil schrägen Grundstücksgrenzen auf. Es befindet sich auch in unmittelbarer Nähe zu den großkubaturigen Gebäuden Am … 3, 5 und …str. 4, sodass es zumindest auch von diesen Gebäuden geprägt wird.
Entgegen der Ansicht der Beklagten lassen sich hinsichtlich der Bebauungsstrukturen der Südseite der Straße Am … – beginnend ab dem streitgegenständlichen Grundstück Am … 7 und fortlaufend bis nach Norden zu den Gebäuden Am … 23 – 25 und der Bebauung am südlichen Ende des Quartiers Am …straße/ …straße – keine voneinander abzugrenzende, weil verschiedene Bau- und Nutzungsstrukturen erkennen. Grundsätzlich ist nach den oben genannten Grundsätzen davon auszugehen, dass sich die Bebauung in einem Quartier bzw. bei größeren Quartieren in einem entsprechenden Teil des Gevierts wechselweise prägt. Eine andere Beurteilung ist nur dann gerechtfertigt, wenn innerhalb des Quartiers unterschiedliche Bau- und Nutzungsstrukturen vorhanden sind, die sich auch klar voneinander trennen lassen (BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 ZB 15.1590 – juris, Rn. 5). Solche klar voneinander abtrennbare Baustrukturen finden sich im maßgeblichen Bereich nicht. Vielmehr geht die kleinteilige Doppelhausbebauung im nördlichen Bereich auf der Westseite der Straße Am … bereits beginnend mit dem Grundstück Am … 9 in eine größere Einzelhausbebauung auf größeren Grundstücken über, um dann entsprechend der massiven Aufweitung des Quartiers im Süden in der Südostecke des Quartiers und entlang der Nordseite der …straße in eine sehr großkubaturige Bebauung zu münden.
Das Grundstück Am … 7 befindet sich zwar einerseits noch im Übergangsbereich der schon größeren Grundstücke mit noch relativ kleinteiligen Einzelhausbebauungen, die aber schon größere Bebauungstiefen aufweisen, andererseits schon im bereits deutlich aufgeweiteten südlichen Quartiersbereich. Aufgrund der Situierung in dieser Struktur kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Grundstück Am … 7 den südlichen Abschluss einer einheitlichen Bebauung mit kleinteiliger Struktur auf der Westseite der Straße Am … bildet und trotz seiner Lage im südlichen, aufgeweiteten Bereich nicht von den hier vorhandenen Gebäuden geprägt wird. Eine solche einheitliche, kleinteilige abtrennbare Struktur ist im Übrigen auch im Nordbereich des Quartiers nicht vorhanden, da hier auf der Westseite des Quartiers größere Grundstücke mit massiven Kubaturen – …str. 4 bis 8 vor allem aber die …str.10 – existieren.
Vielmehr ist jedenfalls eine Prägung des streitgegenständlichen Grundstücks durch beide Bereiche anzunehmen; aufgrund des Grundstückszuschnitts und der Lage – es besteht eine größere Nähe zu dem bereits sehr massiven Gebäude Am … 5 als zu dem ersten kleinteiligen Doppelhaus Am … 11/13 – ist wohl eher eine Prägung durch den südlichen Bereich des Quartiers gegeben.
Jedenfalls findet sich aufgrund der dargestellten Struktur und der vorzufindenden unterschiedlichen Bebauung – die nicht nur der Aufweitung der Grundstücke nach Süden folgt – keine Strukturtrennlinie, die es gerechtfertigt erscheinen ließe, das streitgegenständliche Grundstück von der Bebauung im südlichen Bereich des Quartiers abzukoppeln.
Wie beim Augenschein festzustellen war, besteht auch aus nahezu allen Perspektiven eine Sichtbeziehung von dem streitgegenständlichen Grundstück zu der Bebauung im südlichen Bereich des Quartiers. Auch liegt das streitgegenständliche Grundstück mit dieser Bebauung sowohl von der Straße Am … als auch von der …straße aus in einem Blickfeld.
Das Vorhaben kann sich daher zumindest auch an den Gebäuden Am … 3, 5 und …str. 4 sowie auch …str. 6 – 8 orientieren.
1.3 Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung geben daher die Gebäude Am … 3 und …str. 4 maßgebliche Bezugsfälle ab. Bei dem Gebäude Am … 3 handelt es sich um ein dreigeschossiges Sechs-Familien-Haus mit einer Wandhöhe von 9,50 m und einer Firsthöhe von 12,50 m (alle Maße aus den genehmigten Plänen der Baugenehmigung v. 19.7.1963, Plan-Nr. 63-19828 abgegriffen). Die Grundfläche beträgt 24,57 m x 10,80 m (vermaßt) und somit 265,36 m². Entgegen den Behauptungen der Beklagten weist das streitgegenständliche Vorhaben nicht 291,40 m², sondern nach den Berechnungen des Gerichts unter Berücksichtigung aller Rücksprünge 265,81 m² auf und ist somit in seiner Grundfläche nahezu identisch mit dem Gebäude Am … 3. In seiner Gesamtkubatur bleibt es aber weit hinter den Maßen des Gebäudes Am … 3 zurück, da es eine maximale Firsthöhe von 11,93 m (gegenüber dem First des Gebäudes Am … 3 von 12,50 m) und Wandhöhen von 6,50 m bzw. 6,85 m aufweist (gegenüber einer Wandhöhe des Gebäudes Am … 3 von 9,50 m). Ähnliches gilt für das Gebäude …str. 4, dessen Grundfläche ausweislich der genehmigten Pläne der Baugenehmigung vom 29. Mai 1970 (Plan-Nr. …*) 22 m x 14 m = 308 m² beträgt. Die Wandhöhe liegt bei dem Gebäude …str. 4 bei 6,50 m und die Firsthöhe bei 11,85 m, sodass auch hier im Hinblick auf die deutlich größere Grundfläche die Gesamtkubatur vergleichbar ist, auch wenn Wand- und Firsthöhen geringfügig hinter den Maßen des Vorhabens zurückbleiben.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten sprengt das Vorhaben hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche ebenfalls nicht den maßgeblichen Rahmen.
Zwar kann bei dem Kriterium „überbaubare Grundstücksfläche“ der maßgebliche Bereich noch enger zu ziehen sein als beim Nutzungsmaß oder vor allem auch bei der Nutzungsart; jedoch stehen vorliegend die Grundstücke – und damit auch die Gebäude im Süden des Quartiers – in so enger räumlicher Beziehung, dass eine wechselseitige Prägung – auch im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche – gegeben ist.
Es ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht gerechtfertigt, bei der Bebauungstiefe nur die jeweilige Bebauung der zugehörigen Erschließungsstraße zu berücksichtigen, nicht aber die gegenüberliegende Seite des Quartiers, zumal sich vorliegend keine klare Trennungslinie zwischen der, den verschiedenen Erschließungsstraßen zugehörigen Bebauung findet.
Im Hinblick darauf, dass die Bebauungstiefe ihre Wirkung nicht straßenseitig, sondern ins Innere des Quartiers hinein entfaltet, prägt die jeweilige Bebauung an der einen Erschließungsstraße auch die Tiefe der Bebauung an der Erschließungsstraße im gegenüberliegenden Teil des Quartiers.
Darüber hinaus besteht vorliegend die zusätzliche Besonderheit, dass die Grundstücke auf der Ostseite des Quartiers im südlichen Bereich mit ihren schrägen Grundstückszuschnitten weit in den westlichen Bereich des Quartiers auf der Ostseite der …straße hineinreichen. Die Gebäude im südlichen Bereich des Quartiers liegen sich somit – anders als bei gerade geschnittenen Quartieren – nicht nur in einer Linie gegenüber, sondern stehen sich auch schräg und versetzt gegenüber mit der Folge, dass die Bebauungstiefen dadurch noch enger miteinander verknüpft sind.
Damit kann sich das Vorhaben mit seiner Bebauungstiefe von 20 m auch an dem Gebäude …str. 4 orientieren, das eine Bebauungstiefe von 22 m aufweist. Auch die Gebäude …str. 6 – 8 b weisen Bebauungstiefen von 20 m – 26 m, gemessen ab der Grundstücksgrenze der Erschließungsstraße, auf.
3. Unbestritten fügt sich das Bauvorhaben hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung und auch der Bauweise unproblematisch in die ausschließlich von der Wohnnutzung und offener Bauweise geprägte Umgebung ein.
4. Hinsichtlich der Überschreitung der straßenseitigen Baulinie um einen 0,35 m tiefen und 1,01 m langen Lichtschacht steht der Klägerin ein Anspruch auf Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB zu, da durch die Befreiung die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und Gründe für eine ablehnende Entscheidung nicht ersichtlich sind.
Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Was zum planerischen Grundkonzept zählt, beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Planungswillen der Gemeinde. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in den mit der Planung gefundenen Interessenausgleich eingreift, desto eher liegt es nahe, dass das Planungskonzept in einem Maße berührt wird, das eine (Um-)Planung erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99, NVwZ 1999, 1110 – juris; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris; U.v. 18.11.2010 – 4 C-10/09 – juris RdNr. 37; U.v. 2.2.2012 – 4 C-14/10 – juris RdNr. 22). Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“, was seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans obliegt nach § 2 BauGB der Gemeinde und nicht der Bauaufsichtsbehörde; hierfür ist ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Bürger und der Träger öffentlicher Belange vorgeschrieben, von dem nur unter engen Voraussetzungen abgesehen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 9.6.1978 – 4 C 54.75 – juris RdNr. 27; U.v. 2.2.2012 – 4 C-14/10 – juris RdNr. 22). Von Bedeutung für die Beurteilung, ob die Zulassung eines Vorhabens im Wege der Befreiung die Grundzüge der Planung berührt, können auch Auswirkungen des Vorhabens im Hinblick auf mögliche Vorbild- und Folgewirkungen für die Umgebung sein. Eine Befreiung von einer Festsetzung, die für die Planung tragend ist, darf nicht aus Gründen erteilt werden, die sich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle oder gar für alle von einer bestimmten Festsetzung betroffenen Grundstücke anführen ließen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris RdNr. 6; B.v. 29.7.2008 – 4 B 11/08 – juris RdNr. 4; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: August 2015, § 31 RdNr. 36).
Die geringfügige Überschreitung der Baulinie durch einen kleinen Lichtschacht berührt die Gesamtkonzeption des Baugefüges nicht. Vielmehr bedingt diese in gewisser Weise eine solche Überschreitung, da dadurch, dass der Hauptbaukörper auf die Baulinie gesetzt werden muss, anders eine etwaige, in Einzelfällen notwendige, marginale Belichtung von Kellerräumen nicht möglich ist.
Hinsichtlich der Ermessensausübung ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen Bauteil im Sinne des § 23 Abs. 5 BauNVO handelt. Zwar ist § 23 Abs. 5 BauNVO auf übergeleitete Baulinienpläne nicht anwendbar (BVerwG, B. v. 23. 08.1968, 4 C 103.66, VerwRspr 20 Nr. 50; U. v. 20.06.1975, 4 C 5.74, Buchholz 406.11 § 30 BBauG Nr. 11; U.v. 27.02.1992, 4 C-43/87 DVBl 92,727). Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist daher im Lichte des § 23 Abs. 5 BauNVO zu betrachten, weil dessen Nichtanwendbarkeit bei übergeleiteten Baugrenzen und Baulinien ansonsten zu sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen führen würde. Der Kellerlichtschacht erfüllt aufgrund seiner marginalen Größe die Voraussetzung einer untergeordneten Nebenanlage in diesem Sinne. Gründe, die einer Zulassung entgegenstehen würden, sind nicht ersichtlich.
5. Der Kellerlichtschacht bedarf auch keiner Sondernutzungserlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG). Art. 18 BayStrWG bestimmt, dass die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) der Erlaubnis der Straßenbaubehörde, in Ortsdurchfahrten der Erlaubnis der Gemeinde bedarf, wenn durch die Benutzung der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann. Zwar ragt der Kellerlichtschacht mit einer Tiefe von 0,35 m und einer Länge von 1,01 m in den öffentlichen Straßenraum (Gehweg) hinein, dies jedoch lediglich unterirdisch, sodass der Gemeingebrauch hierdurch nicht beeinträchtigt wird, da der Gehweg über den über dem Kellerlichtschacht angebrachten, betretbaren Gitterrost genauso genutzt werden kann, wie ohne diesen Eingriff (vgl. hierzu VG München, Urt. v. 31.05.2016, M 2 K 15.5322 – Stolpersteine im Gehweg stellen keine Sondernutzung dar).
6. Soweit durch den Kellerlichtschacht in das privatrechtliche Eigentum der Beklagten eingegriffen wird, ist festzustellen, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht, Art. 68 Abs. 4 BayBO.
7. Es bestehen auch keine bauordnungsrechtlichen Ablehnungsgründe im Sinne des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Bayerische Bauordnung (BayBO); solche wurden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
Das Bauvorhaben kann straßenseitig bei einer Wandhöhe von 6,85 m ohne Weiteres 1 H einhalten, da es die Hälfte der Straßenbreite der Straße Am …, deren Gesamtbreite 25 m beträgt, in Anspruch nehmen kann (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO), zumal das Dach mit einer Neigung von 38° gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO außer Betracht bleibt. Ähnliches gilt für die Westseite, bei der der Abstand des Mittelteils zur Grundstücksgrenze zwischen 20 m – 24 m beträgt, bei einer Firsthöhe von 10,35 m und einer Wandhöhe des zweigeschossigen Anbaus von 6,85 m. Da das Gebäude somit im Nord-Osten und Süd-Westen 1 H einhält, kommt ihm im straßennahen Gebäudeteil an der Süd-Ost- und Nord-West-Seite Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO zugute. Der Abstand zur Grundstücksgrenze beträgt hier zwischen dem zweigeschossigen 6,85 m hohen Erker 4 m, an der Nord-West-Seite beträgt der Abstand des straßennahen Teils des Hauptgebäudes 4,50 m bei einer Wandhöhe von gleichfalls 6,85 m. Das Dach, das in diesem Bereich eine Neigung von 55° aufweist wird mit einem Drittel angerechnet (11,93 m – 6,85 m = 5,08 m: 3 = 1,69 m). Es ergibt sich somit eine anrechenbare Wandhöhe an dieser Nord-West-Seite von 7,54 m sodass ½ H (= 3,77 m) auch hier eingehalten werden kann.
Gemäß Art. 6 Abs. 9 BayBO ist die Tiefgarage mit einer Höhe von 2,60 m in dieser Abstandsfläche zulässig.
8. Soweit eine Fällung der durch die Baumschutzverordnung der Beklagten geschützten Bäume für die Realisierung des baurechtlich zulässigen Bauvorhabens erforderlich ist, kann eine Fällungsgenehmigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BaumSchV erteilt werden. Gründe, die trotz bestehenden Baugenehmigungsanspruchs gegen die Erteilung einer Fällungsgenehmigung sprechen würden, sind seitens der Beklagten weder vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich. Die beantragten Fällungsgenehmigungen sind daher zu erteilen.
9. Da sonstige Ablehnungsgründe nicht ersichtlich sind, war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


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