Baurecht

Erfolgreicher Eilantrag des Nachbarn gegen Nutzungsänderung einer Doppelhaushälfte – Rückwärtige Situierung der Stellplätze

Aktenzeichen  M 8 SN 15.4049

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 59
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 212a Abs. 1
BauNVO BauNVO § 3, § 4, § 12, § 15 Abs. 1 S. 2
VwGO VwGO § 80 Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Garagen und Stellplätze können unter dem Blickwinkel des Rücksichtnahmegebots des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO nicht an einer beliebigen Stelle auf dem Baugrundstück errichtet werden. Vielmehr sind Garagen und Stellplätze in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern häufig rechtlich bedenklich. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 15. September 2015 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 19. August 2015 (…) wird angeordnet.
II.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

II.
Der nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat auch in der Sache Erfolg, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich Erfolg haben wird, da die streitgegenständliche Baugenehmigung nach summarischer Prüfung voraussichtlich Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt und daher aufzuheben sein wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen.
Bei dem Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, § 80 Rn. 146; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2013, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Schmidt a. a. O., § 80 Rn. 73 f.). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, so wird im Regelfall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen schon bei summarischer Prüfung als rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
2. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
Eine Verletzung drittschützender Normen durch eine Baugenehmigung kommt nur insoweit in Betracht, als die Feststellungswirkung der Baugenehmigung reicht. Soweit das Prüfprogramm aufgrund entsprechender gesetzlicher Normen – wie hier durch Art. 59 BayBO – eingeschränkt ist, scheidet infolge dessen eine Verletzung außerhalb dieses Prüfprogramms liegender drittschützender Normen zulasten eines Nachbarn aufgrund der entsprechenden Beschränkung der Feststellungswirkung der Baugenehmigung aus.
Vorliegend war ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen, da es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht um einen Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt.
Gemäß Art. 59 Nr. 1 BayBO ist das Prüfprogramm im vorliegenden Fall in erster Linie auf die Prüfung auf die Vereinbarkeit mit bauplanungsrechtlichen Vorschriften beschränkt.
In bauplanungsrechtlicher Hinsicht beurteilt sich das streitgegenständliche Vorhaben wegen seiner Lage im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung (BauNVO), beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nach seiner Art allein danach, ob es nach der BauNVO allgemein zulässig wäre.
Vorliegend ist aufgrund des dem Gericht vorliegenden Lageplans und der darin erkennbaren Bebauungsstruktur im Straßengeviert …-straße/…-Straße/…-straße/…-straße davon auszugehen, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein reines Wohngebiet im Sinne von § 3 BauNVO, jedenfalls aber um ein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO handelt. Für die von der Antragstellerseite in erster Linie angegriffenen Stellplätze und Garage im rückwärtigen Grundstücksbereich folgt daraus, dass sich deren bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im Hinblick auf die Art der Nutzung nach § 12 BauNVO bestimmt. Gemäß § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig, soweit sich aus den nachstehenden Abs. 2 – 6 nichts anderes ergibt. Gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO sind Stellplätze in reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig. Daraus folgt, dass die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung planungsrechtlich nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässigen Stellplätze und Garagen erwachsenden Störungen regelmäßig von der Nachbarschaft hinzunehmen sind (vgl. BayVGH, B. v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123 – juris Rn. 4). Allerdings folgt daraus nicht, dass Garagen und Stellplätze auf dem Baugrundstück unter dem Blickwinkel des Rücksichtnahmegebotes des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO an einer beliebigen Stelle errichtet werden können. Vielmehr sind Garagen und Stellplätze gerade in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern häufig rechtlich bedenklich (BVerwG, U. v. 7.12.2000 – 4 C 3/00 – juris Rn. 19; BayVGH, B. v. 12.7.2007 – 15 ZB 06.3088 – juris Rn. 7; B. v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123 – juris Rn. 4; B. v. 25.5.2010 – 15 CS 10.982 – juris Rn. 9).
Nach dem, dem Gericht vorliegenden Lageplan kommt dem Geviertsinneren nach summarischer Prüfung voraussichtlich die Qualität eines bislang von Kraftfahrzeuglärm verschonten rückwärtigen Ruhebereiches zu (vgl. BayVGH, U. v. 16.7.2015 – 1 B 15.194 – juris Rn. 17). Die vorhandenen Garagengebäude sind durchgehend so angeordnet, dass sie nahezu bündig an der jeweiligen Rückseite des Haupthauses anschließen und so der Fahrzeuglärm vom rückwärtigen Gartenbereich weitestgehend abgeschirmt wird.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Zulassung einer weit hinter dem Wohnhaus situierten Doppelgarage sowie eines daneben befindlichen freien Stellplatzes als Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot dar. Über den entsprechenden Zu- und Abfahrtsverkehr für drei Kraftfahrzeuge unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin sowie des mit der Benutzung der Garage und des Stellplatzes einhergehenden Lärmeinwirkungen etwa durch Türenschlagen wird in den ruhigen rückwärtigen Gartenbereich eine erhebliche Lärmbelastung hineingetragen, die den umliegenden Nachbarn nicht zuzumuten ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Da der Beigeladene keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich somit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, konnten ihm keine Kosten auferlegt werden.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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